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Zuzanna Kisielewskas Versuch, für Latein zu begeistern, geht über die Köpfe der Zielgruppe hinweg
Dieser Artikel soll keine Verteidigung des Lateinlernens sein. Und auch das Buch, um das es hier gehen soll, unternimmt einen solchen Versuch glücklicherweise nicht. Gleich zu Beginn erklärt die Autorin Zuzanna Kisielewska, sie habe im Lateinunterricht erfahren, dass "nicht alles einen praktischen oder materiellen Nutzen haben muss". Dass man alles, was man lerne, für sich selbst lerne. Quidquid discis, tibi discis. In ihrem Buch "Von Carpe Diem bis Post Scriptum" ist deswegen auch keine Rede von Latein als Brückensprache oder von den Vorzügen des Grammatikstudiums. Darüber sprechen die humanistischen Gymnasien und der Altphilologenverband schon genug. Stattdessen geht es um die Begeisterung von Kisielewska für berühmte Redewendungen und ihre Herkunft. "Sentenzen" nennt sie die lateinischen Zitate und scheint dabei vergessen zu haben, dass sie ihre Freude an den römischen Denkern Kindern ab zehn Jahren vermitteln wollte. An die richtet sich "Von Carpe Diem bis Post Scriptum" nämlich.
Beim Lesen fragt man sich, ob man jemals einen Jungen oder ein Mädchen treffen wird, die sich durch die 109 Seiten nicht quälen müssten. Das liegt nicht an der deutschen Übersetzung und schon gar nicht an den Illustrationen von Agata Dudek und Malgorzata Nowak. Sie sind lustig und lebensfroh und dabei in ihrer reduzierten Farbpalette auch noch Großstadt-Coffeeshop-hip.
Es liegt an der sehr erwachsenen Herangehensweise von Kisielewska an ein Thema, das sowieso schon eher Terrain für Ältere ist. Hilft es doch enorm, die Geschichten hinter lateinischen Sentenzen zu genießen, hat man "Iacta alea est" oder "Veni, vidi, vici" schon mal gehört. Und dann ist dieses Buch wie eine immer wieder aufleuchtende Glühbirne. Wenn man erfährt, woher Begriffe wie "bukolisch", "ante portas" und "deus ex machina" kommen. Wenn man liest, dass wir bis heute "Geld stinkt nicht" sagen, weil Kaiser Vespasian so entweder die Einführung einer Steuer auf öffentliche Toiletten oder auf für die Ledergerbung benötigten Urin rechtfertigte. Und das lernt man auf eine Art, die Kisielewska durchaus unterhaltsam gestaltet hat. Erwachsene verstehen auch die popkulturellen Referenzen der Autorin aus den Nullerjahren: vom Rapper Jay-Z bis zur Band The Hives.
Für ein Kinderbuch wäre es allerdings einleuchtender gewesen, hätte man statt eines 54 Jahre alten Musikers und einer 1993 gegründeten Band Harry Potter erwähnt und erzählt, wie viel seine Zaubersprüche mit einer Sprache zu tun haben, deren Ruf schlechter ist als verdient. Vielleicht hätte man dabei dann auch vom Fokus auf Redewendungen absehen und einfach so lustige Fakten aus der römischen Geschichte und ihrem Erbe erzählen können. Ganz ohne Fremdwörter wie "Klassizismus" und "Wissenskompendium" und ohne wahllos wirkende Kapiteleinteilungen (von I: "Berühmte Zitate" über III: "Gebäude" bis IX: "Tod").
Die Argumente des Altphilologenverbands und der humanistischen Gymnasien für die lateinische Sprache hätten Latein liebende Erwachsene dann gar nicht mehr gebraucht. Sie hätten den etwa acht Millionen Schülern im Land einfach dieses Buch in die Hand drücken können. Denn mit einer leichter verdaulichen Version von "Von Carpe Diem bis Post Scriptum" würden bestimmt mehr als nur sechs Prozent den Lateinunterricht besuchen und Senecas Weisheiten lernen. SARAH OBERTREIS
Zuzanna Kisielewska: "Von Carpe Diem bis Post Scriptum".
Aus dem Polnischen von Marta Kijowska. Hanser Kinderbuch, München 2023. 112 S., geb., 22,- Euro. Ab 10 J.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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