Eindringlich erzählt Biermann vom Vater, der als Jude in Auschwitz ermordet wurde, von der Mutter, die ihn aus dem Hamburger Bombeninferno rettete, vom väterlichen Freund Robert Havemann, mit dem er das Los des Geächteten teilte. Er führt uns in die absurde Welt der DDR-Diktatur. Und er erzählt die Geschichten seiner in den Westen geschmuggelten, im Osten heimlich kursierenden Lieder, deren "Verskunst, robuste Rhetorik und gewaltige Sprachkraft" Marcel Reich-Ranicki lobte. Bei aller Heftigkeit des Erlebten lesen sich Biermanns Erinnerungen wie ein Schelmenroman. Ein einzigartiges Zeitzeugnis. Im Hörbuch werden Autobiographie und Werk Wolf Biermanns verbunden: Die Erinnerungen des Autors setzt Burghart Klaußner kongenial als Erzähler um. Lieder und Gedichte, von Wolf Biermann selbst interpretiert, machen den Titel zu einem besonderen Hörerlebnis.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2017Mit großen Turbulenzen
Plastischer, vitaler, lebensnäher als bei Wolf Biermann lässt sich deutsch-deutsche Geschichte kaum erzählen.
Von Norbert Lammert
Die wohlfeile Behauptung, dieses oder jenes Buch müsse man unbedingt gelesen haben, ist fast immer falsch, jedenfalls stark übertrieben. "Man" muss überhaupt nichts lesen, auch die Autobiographie von Wolf Biermann nicht. Aber es fällt ziemlich schwer, sich einen Leser vorzustellen, der sie nicht mit Gewinn liest - mit Begeisterung oder Empörung, Freude oder Zorn: langweilen wird sie weder die einen noch die anderen.
Wolf Biermann beschreibt die langen Wege und krummen Strecken, die er in Deutschland zurückgelegt hat, freiwillig von West nach Ost und unfreiwillig zurück, und die noch schwierigeren Umwege und Irrwege zwischen messianischem Sendungsbewusstsein und nüchternem Wirklichkeitssinn. Dabei hilft der erstaunlich genauen Beschreibung der Ereignisse und Erfahrungen das umfangreiche Konvolut seiner Tagebücher, die er zeitlebens geführt und in Zeiten systematischer Bewachung und Verfolgung rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatte.
Die große Auseinandersetzung zwischen bürgerlich-demokratischer und realsozialistischer staatlicher Ordnung in zwei deutschen Staaten gleicher Nation und gemeinsamer Vergangenheit ist vielfach beschrieben worden, gelegentlich systematischer, soweit möglich auch objektiver, mit wissenschaftlichem Anspruch, aber kaum jemals plastischer, vitaler, lebensnäher, rücksichtslos subjektiver als von Biermann, dessen Biographie von dieser Auseinandersetzung nicht nur geprägt ist, sondern der selber ein wesentlicher Antreiber der Veränderungen war, dessen Opfer und Nutznießer er wurde. Auf bessre Zeiten geduldig gewartet hat er nie.
Unbeirrbar, das spürt der Leser schnell, zeigt sich Biermann in seinem Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit - und gleicht dabei seinem Komplizen im Geiste, dem "frechen Cousin", wie er ihn nennt: Heinrich Heine - mit dem er im Übrigen die Erfahrung teilt, in der Heimat angefeindet gewesen zu sein, "wie Fremdlinge im eigenen Land". Man könnte Biermann mit maßvoller Übertreibung für die Reinkarnation Heinrich Heines unter den veränderten politischen Bedingungen Deutschlands und Europas halten.
Auffallend ist jedenfalls, wie Heine für den sich erinnernden Liedermacher stete Quelle, Referenz und Gewährsmann ist. Wo einst Heinrich Heine mit seinem Verleger getrunken und Austern gegessen hatte, im Alsterpavillon, beginnt die Liaison der Mutter - die noch auf dem Sterbebett dem Sohn Zeilen aus einem Heine-Gedicht ins Ohr flüstert. Die Oberschule, auf die der junge Wolf geht, ist natürlich die Heinrich-Heine-Oberschule, und in dem Jahr, als gegen ihn ein totales Auftritts- und Publikationsverbot in der DDR verhängt wird, dichtet er, der "VEB-Barde, der volkseigene Biermann", sein eigenes "Wintermärchen". Die DDR-Oppositionellen sieht Biermann rückblickend wie den exilierten Heine in Paris auf "verlorenem Posten in dem Freiheitskrieg" - und mit der friedlichen Revolution kommt ihm beim Gedanken an Erich Mielke Heines Sentenz in den Sinn: "Man muss seinen Feinden verzeihen, aber nicht eher, als bis sie gehängt sind."
Die kurze, für die Lebensspanne der Verfolgten allzu lange Geschichte der DDR ist in Biermanns Autobiographie naturgemäß auch und insbesondere seine Geschichte der Freunde und Feinde, Begleiter, Beobachter, Bewacher, Agenten, Lektoren, Zensoren, also aller formellen und informellen Mitarbeiter am eigenen Leben. Nicht alle, soweit sie noch leben, werden sich in ihrer jeweiligen Rolle richtig gewürdigt finden. Aber der unbefangene, weil unbeteiligte Leser ist von dem Bemühen beeindruckt, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und Differenzierungen vorzutragen, wo andere längst fertige Urteile zu Protokoll gegeben haben.
Dies gilt erstaunlicherweise auch für die Beschreibung der eigenen Biographie, die privat nicht weniger turbulent war als politisch. Unter Minderwertigkeitskomplexen hat Wolf Biermann offenkundig nie gelitten: Ohne seinen in jeder Beziehung außerordentlichen Selbstbehauptungswillen hätte er die Verhältnisse auch kaum überlebt, in die er sich mit ideologischem Eifer selber gestürzt hatte. Umso glaubwürdiger wirkt sein zunächst verstörter, dann entschlossener Abfall vom kommunistischen Glauben, zu dem neben eigenen Erfahrungen auch Einsichten neuer Weggefährten beigetragen haben.
Ob die "beste deutsche demokratische Republik aller Zeiten", wie Biermann sie sarkastisch beschreibt, nicht in Wahrheit ein "Unrechtsstaat" war, darüber wird es noch manche akademische wie politische Kontroverse geben. Von Richard Schröder, der weiß, wovon er redet, stammt die kluge Empfehlung, "nennt es, wie ihr wollt, aber vergesst nicht, wie es war". Wer daran wirklich interessiert ist, sollte tatsächlich Biermanns Erinnerungen lesen - und nicht auf bessre Zeiten warten.
Norbert Lammert, CDU, ist Präsident des Deutschen Bundestages.
Wolf Biermann: "Warte nicht auf bessre Zeiten! Die Autobiographie". Propyläen-Verlag, 576 Seiten, 28 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Plastischer, vitaler, lebensnäher als bei Wolf Biermann lässt sich deutsch-deutsche Geschichte kaum erzählen.
Von Norbert Lammert
Die wohlfeile Behauptung, dieses oder jenes Buch müsse man unbedingt gelesen haben, ist fast immer falsch, jedenfalls stark übertrieben. "Man" muss überhaupt nichts lesen, auch die Autobiographie von Wolf Biermann nicht. Aber es fällt ziemlich schwer, sich einen Leser vorzustellen, der sie nicht mit Gewinn liest - mit Begeisterung oder Empörung, Freude oder Zorn: langweilen wird sie weder die einen noch die anderen.
Wolf Biermann beschreibt die langen Wege und krummen Strecken, die er in Deutschland zurückgelegt hat, freiwillig von West nach Ost und unfreiwillig zurück, und die noch schwierigeren Umwege und Irrwege zwischen messianischem Sendungsbewusstsein und nüchternem Wirklichkeitssinn. Dabei hilft der erstaunlich genauen Beschreibung der Ereignisse und Erfahrungen das umfangreiche Konvolut seiner Tagebücher, die er zeitlebens geführt und in Zeiten systematischer Bewachung und Verfolgung rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatte.
Die große Auseinandersetzung zwischen bürgerlich-demokratischer und realsozialistischer staatlicher Ordnung in zwei deutschen Staaten gleicher Nation und gemeinsamer Vergangenheit ist vielfach beschrieben worden, gelegentlich systematischer, soweit möglich auch objektiver, mit wissenschaftlichem Anspruch, aber kaum jemals plastischer, vitaler, lebensnäher, rücksichtslos subjektiver als von Biermann, dessen Biographie von dieser Auseinandersetzung nicht nur geprägt ist, sondern der selber ein wesentlicher Antreiber der Veränderungen war, dessen Opfer und Nutznießer er wurde. Auf bessre Zeiten geduldig gewartet hat er nie.
Unbeirrbar, das spürt der Leser schnell, zeigt sich Biermann in seinem Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit - und gleicht dabei seinem Komplizen im Geiste, dem "frechen Cousin", wie er ihn nennt: Heinrich Heine - mit dem er im Übrigen die Erfahrung teilt, in der Heimat angefeindet gewesen zu sein, "wie Fremdlinge im eigenen Land". Man könnte Biermann mit maßvoller Übertreibung für die Reinkarnation Heinrich Heines unter den veränderten politischen Bedingungen Deutschlands und Europas halten.
Auffallend ist jedenfalls, wie Heine für den sich erinnernden Liedermacher stete Quelle, Referenz und Gewährsmann ist. Wo einst Heinrich Heine mit seinem Verleger getrunken und Austern gegessen hatte, im Alsterpavillon, beginnt die Liaison der Mutter - die noch auf dem Sterbebett dem Sohn Zeilen aus einem Heine-Gedicht ins Ohr flüstert. Die Oberschule, auf die der junge Wolf geht, ist natürlich die Heinrich-Heine-Oberschule, und in dem Jahr, als gegen ihn ein totales Auftritts- und Publikationsverbot in der DDR verhängt wird, dichtet er, der "VEB-Barde, der volkseigene Biermann", sein eigenes "Wintermärchen". Die DDR-Oppositionellen sieht Biermann rückblickend wie den exilierten Heine in Paris auf "verlorenem Posten in dem Freiheitskrieg" - und mit der friedlichen Revolution kommt ihm beim Gedanken an Erich Mielke Heines Sentenz in den Sinn: "Man muss seinen Feinden verzeihen, aber nicht eher, als bis sie gehängt sind."
Die kurze, für die Lebensspanne der Verfolgten allzu lange Geschichte der DDR ist in Biermanns Autobiographie naturgemäß auch und insbesondere seine Geschichte der Freunde und Feinde, Begleiter, Beobachter, Bewacher, Agenten, Lektoren, Zensoren, also aller formellen und informellen Mitarbeiter am eigenen Leben. Nicht alle, soweit sie noch leben, werden sich in ihrer jeweiligen Rolle richtig gewürdigt finden. Aber der unbefangene, weil unbeteiligte Leser ist von dem Bemühen beeindruckt, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und Differenzierungen vorzutragen, wo andere längst fertige Urteile zu Protokoll gegeben haben.
Dies gilt erstaunlicherweise auch für die Beschreibung der eigenen Biographie, die privat nicht weniger turbulent war als politisch. Unter Minderwertigkeitskomplexen hat Wolf Biermann offenkundig nie gelitten: Ohne seinen in jeder Beziehung außerordentlichen Selbstbehauptungswillen hätte er die Verhältnisse auch kaum überlebt, in die er sich mit ideologischem Eifer selber gestürzt hatte. Umso glaubwürdiger wirkt sein zunächst verstörter, dann entschlossener Abfall vom kommunistischen Glauben, zu dem neben eigenen Erfahrungen auch Einsichten neuer Weggefährten beigetragen haben.
Ob die "beste deutsche demokratische Republik aller Zeiten", wie Biermann sie sarkastisch beschreibt, nicht in Wahrheit ein "Unrechtsstaat" war, darüber wird es noch manche akademische wie politische Kontroverse geben. Von Richard Schröder, der weiß, wovon er redet, stammt die kluge Empfehlung, "nennt es, wie ihr wollt, aber vergesst nicht, wie es war". Wer daran wirklich interessiert ist, sollte tatsächlich Biermanns Erinnerungen lesen - und nicht auf bessre Zeiten warten.
Norbert Lammert, CDU, ist Präsident des Deutschen Bundestages.
Wolf Biermann: "Warte nicht auf bessre Zeiten! Die Autobiographie". Propyläen-Verlag, 576 Seiten, 28 Euro
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