Fus und sein kleiner Bruder Gillou werden seit dem Tod der Mutter von ihrem Vater, einem Monteur bei der französischen SNCF, allein großgezogen. Während sich Fus zuhause liebevoll um den drei Jahre jüngeren Gillou kümmert, lassen seine schulischen Leistungen immer stärker nach. Spätestens als er in
die Kreise rechter "Front National"-Freunde gerät, läuten beim sozialistischen Vater die…mehrFus und sein kleiner Bruder Gillou werden seit dem Tod der Mutter von ihrem Vater, einem Monteur bei der französischen SNCF, allein großgezogen. Während sich Fus zuhause liebevoll um den drei Jahre jüngeren Gillou kümmert, lassen seine schulischen Leistungen immer stärker nach. Spätestens als er in die Kreise rechter "Front National"-Freunde gerät, läuten beim sozialistischen Vater die Alarmglocken. Doch das familiäre Unheil scheint nicht aufzuhalten... Wie geht ein Vater damit um, wenn er nach und nach den Zugang zu seinem Sohn verliert und wie weit würde er gehen, um diesen verlorenen Sohn zu schützen und zurückzugewinnen? Davon erzählt Laurent Petitmangin in seinem bewegenden Debütroman "Was es braucht in der Nacht".
Es ist ein kurzer Roman von gerade einmal knapp 160 Seiten, dem es dennoch gelingt, große und wichtige Fragen zu stellen. Der Vater ist der Ich-Erzähler, und Petitmangin schafft es, seinem Protagonisten eine schnörkellose und authentische Stimme zu geben. Die Sätze sind kurz und unsentimental, doch gerade deshalb umso berührender. Denn auch wenn der Vater vieles verschweigt und es ihm sichtlich schwerfällt, seine Gefühle den Kindern gegenüber offen zu formulieren, spürt man sie zwischen den Zeilen überdeutlich: den Stolz, die Liebe, aber auch die Wut, den Schmerz, die Scham.
Das macht "Was es braucht in der Nacht" zu einer Besonderheit, denn in der Literatur gibt es trotz Édouard Louis noch immer recht wenige Romane, die sich mit den Emotionen und der Sprachlosigkeit von Menschen, insbesondere Männern, aus dem Arbeitermilieu beschäftigen und dabei von einem Autoren geschrieben wurden, der selbst aus diesem Milieu kommt. Denn Laurent Petitmangin, so erfahren wir im Klappentext, stammt aus einer Bahnarbeiterfamilie und aus Lothringen - genau wie die Protagonisten aus seinem Roman.
Zentrales Element der Handlung ist die entsetzliche Lücke, die der Krebstod der Mutter in die Familie reißt. Fus, zum Zeitpunkt des Todes gerade einmal zehn Jahre alt, wird fortan versuchen, diese Lücke ansatzweise zu füllen und seinen berufstätigen Vater in allen Belangen zu unterstützen. Der Vater scheint auf den ersten Blick nicht viel falsch zu machen, aber seine Berichte aus dieser Zeit sind auch äußerst verknappt. So sagen in einer besonders bewegenden Szene die beiden Jungen das Endspiel ihres geliebten Ferien-Fußballcamps ohne jegliches Murren ab, nur um dem Vater eine gut bezahlte Zusatzarbeit zu ermöglichen. Und das bei einem Jungen, der seit dem dritten Lebensjahr nur "Fus" genannt wird, weil er den Fußball so sehr liebt. Diese Szene ist ein besonders eindringliches Zeichen dafür, dass die Jungen viel zu früh erwachsen werden müssen - und Fus diese Lücke letztlich nicht schließen kann, worunter auch seine schulischen Leistungen immer stärker leiden.
Als Fus in die rechte Szene schlittert, findet der Vater, der seinen Söhnen zwar nicht emotional aber intellektuell unterlegen scheint, keinen Zugang mehr zu ihm und es findet eine beidseitige Abnabelung statt, die im letzten Drittel des Romans in eine Katastrophe mündet. Hier stellt der Roman die großen Fragen, ohne darauf Antworten zu geben. Er regt stattdessen zum Nachdenken an: Wie würdest du reagieren, wenn dein Kind dir entgleitet? Was bist du bereit für dein Kind zu opfern? Das Finale ist dabei so schmerzhaft wie intensiv und ließ mich bewegt und erschüttert zurück.
"Was es braucht in der Nacht" von Laurent Petitmangin ist ein Roman, der gleichermaßen schroff wie zärtlich ist, der aufrüttelt, wütend macht und schockiert. Es ist ein Entwicklungsroman, ein Roman über die Liebe eines Vaters zu seinen Kindern, ein Familien- und Gesellschaftsdrama, das nicht nur wegen der bevorstehenden Präsidentenwahl in Frankreich von großer Aktualität ist. Ein Roman, der lange nachwirkt. Eine Besonderheit.