Ein Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs Politiker müssen etwas zu sagen haben, aber Reden ist auch gefährlich. Jeder Satz kann aus dem Zusammenhang gerissen, auf die Goldwaage gelegt und vom politischen Gegner bewusst fehlinterpretiert werden. Nichts ist so einfach wie man es gerne hätte, aber komplizierte Sachverhalte zu erklären ist in Zeiten von kurzen Aufmerksamkeitsspannen eine besondere Herausforderung. Oft müssen Themen wie die Veräußerungserlösgewinnsteuer erst einmal »übersetzt« werden, um auf ihre Relevanz für Bürgerinnen und Bürger hinzuweisen und damit ihr Interesse zu wecken. Wer in der Politik erfolgreich sein will, lernt früh das zu sagen, was die Wählerinnen und Wähler vermeintlich hören wollen. Und das können auch Halbwahrheiten sein. Gregor Gysi erklärt, wie Kommunikation im politischen Betrieb funktioniert, warum die Abgeordneten nicht nach Professionalität aufgestellt werden, welche Redezeitbegrenzungen im Bundestag gelten, warum er sich in Talkshows vor allem an die Zuschauer wendet und weniger an die Mitdiskutanten, wie unterschiedlich Printmedien und Talkshows funktionieren und wie wichtig, aber auch wie schwierig es ist, Sachverhalte vereinfacht und zugleich korrekt darzustellen. Ein anekdotenreicher Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs − authentisch gelesen vom Autor selbst.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Boris Herrmann glaubt, Verlag und Autor haben sich überhaupt nicht abgestimmt darüber, worum es in diesem Buch geht. Gregor Gysi kann zum Glück gut und unterhaltsam schreiben, meint er, ansonsten bietet der Band aber weder Einblicke in die geheimen Gedanken der Politik noch eine über das Allgemeine hinausgehende Darstellung zur Redekunst. Was es aber auf alle Fälle bietet, ist ein weiteres Beispiel für die Eitelkeit des Autors, amüsiert sich Herrmann. Gysi plaudert nun mal für sein Leben gern über ein einziges Thema, stellt Herrmann fest: sich selbst.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.2022Ein Politiker raunt Klartext
Gregor Gysi hat ein Buch über Sprache in der Politik geschrieben. Es ist voller Pointen - und zeigt dabei eindrucksvoll, dass Sätze, die vorgeben zu enthüllen, auch verhüllen können.
Gregor Gysi ist ein Politiker, der sagt, was gut klingt, um den Ton anzugeben. So ungefähr könnte man die Methode Gregor Gysi mit der Methode Gregor Gysis beschreiben. Der Politiker der Linken ist bekannt dafür, ein guter Redner zu sein, wobei die Frage, was eine gute Rede sei, in hundert Reden auf hundert verschiedene Weisen beantwortet werden kann. Als erstes Indiz gilt, dass das Publikum tatsächlich und freiwillig zuhört, und das gelingt Gysi wie wenigen anderen deutschen Politikern. Auch schreibend vermag Gysi Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, weshalb der Econ-Verlag ihn gebeten hat, wieder einmal ein Buch zu verfassen. Das liegt nun vor. Auf dem Cover prangt das Gütesiegel "SPIEGEL-Bestseller-Autor", gewissermaßen als Zündschnur zur Bombe, die hier gleich platzt: "Was Politiker nicht sagen . . . weil es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht".
Ein Politiker verrät also, was andere verschweigen, weil es ihm, anders als ihnen, um Wahrheit geht. So soll man das wohl verstehen. Wer empfindlich reagiert auf großsprecherische Ankündigungen von Politikern, könnte jetzt schon wieder aufhören mit dem Lesen. Neben der Selbststilisierung zum Whistleblower irritiert auch die Andeutung, Mehrheiten seien mit Wahrheiten nicht zu gewinnen. So wird die eigene Wahrheit zur Aufklärung geadelt. Von da ist es nicht mehr weit zu der interessanterweise ziemlich verbreiteten Rede davon, dass man ja nichts mehr sagen dürfe. Darüber sprechen auch Politiker gern, obwohl kontroverse Standpunkte gerade ihnen besonders hohe Aufmerksamkeit und viel Beifall einbringen, so etwa im Falle des FDP-Mannes Wolfgang Kubicki, der mit einer Mischung aus Zeitgeistkritik und Bierzeltlaune ("Gendern ist mir Banane") zur Kultfigur avanciert ist. Während Kubicki 2020 ein Buch zur "Meinungs(un)freiheit" veröffentlichte, das sich den Sorgen der Bürger um ihre Einlassungen widmete, konzentriert sich Gysi nun auf die Kommunikation im politischen Betrieb.
Da wird, so der landläufige Eindruck, viel geredet, aber wenig gesagt. Mit Aphorismen dieser Art kann auch Gysi dienen, sie sind sogar eine seiner Spezialitäten. "Die gute Rede weiß, die gute Rede weiß nicht besser", "Ich stehe fester, je mehr man an mir rüttelt", "Losungen sind keine Lösungen, aber eine Reaktion auslösende Kraft besitzen sie durchaus" - Zuckerchen dieser Art fallen Gysis Lesern auf jeder Seite in den Mund. Der Autor unterstreicht damit auch seinen Anspruch, sich von der Masse der graubrottrocken daherredenden Politiker abzuheben. Und das tut er wirklich. Die Frage ist nur, wodurch.
Die Antwort ist: durch den Ton, nicht durch die Musik. Dass der Ton die Musik mache, ist ein altes Missverständnis, denn auch schöne Töne können ein stumpfes, scheußliches, gar ein geisttötendes Stück ergeben. Gysi spricht und schreibt pointierter als die meisten Politiker, aber das macht seine Sätze noch nicht treffender. Diesen Anspruch formuliert er schlauerweise auch gar nicht, sondern kokettiert damit, dass er "staune", wenn er durch die Buchhandlungen stöbere und Bücher von Spitzenpolitikern betrachte. Es scheine "sehr viel gedacht und klar analysiert zu werden in diesem Land . . . alles so präzis zwischen den Buchdeckeln, vieles so grundsätzlich". Sein eigenes Buch will Gysi lieber als Plauderei verstanden wissen, als "ein paar Gedanken" zur politischen Rhetorik und zu seinem persönlichen Verhältnis zu Sprache. Dafür ist der Titel dann allerdings recht grundsätzlich geraten.
Wie immer in der Politik ist alles komplizierter, als es aussieht und vor allem als es auf einem Buchcover erklärt werden kann. Gysi hat darum recht, wenn er als Kern der Aufgabe öffentlicher politischer Sprache das Übersetzen nennt. Er unterscheidet Populismus, der mit unzulässigen Vereinfachungen locke, von Verständlichkeit. Die Bürger müssten erkennen und nachvollziehen können, was die Politiker wollten: "Wenn wir etwas für die Leute erreichen wollen, müssen wir sie zuallererst erreichen." Das gelingt Politik zurzeit oft schlecht. Auch, weil es nur halbherzig versucht wird. In der Pandemie war und ist das zu erleben. Moralische Appelle ersetzten oft Erklärungen, die auch für einen Nichtzeitungsleser, Nichtstudienvergleicher, Nichtfachleutekenner einleuchtend gewesen wären. Warum? Auch, weil übersetzen schwer ist.
Gysis Übersetzungen klingen gut. Von ihm kann man lernen, wie man ein dröges Thema interessant macht. Zum Beispiel durch Anschauung, Selbstironie, Witz, ja, sogar durch Witze. Schreibt Gysi gerade noch von den Tücken der Zuspitzung und illustriert das mit einer Anekdote, in der Norbert Blüm, der CDU-Politiker, etwas gesagt hatte, das Gysis Widerspruch erregte ("Karl Marx ist tot, Jesus lebt"), schließt er schnell mit der Bemerkung, dass er und Blüm jedoch ein gutes Verhältnis zueinander gehabt hätten. Er, Gysi, fühle sich mit Blüm allein schon durch einen Witz verbunden. "Wir betreten zu zweit eine Berliner Kneipe, ich rufe in Richtung Theke: ,Zwei Kurze!' Die Antwort des Wirts: ,Det seh ick - und wat woll'n Se trinken?'" Dem so scherzenden Autor liegt an der Aufmerksamkeit seiner Leser. Er glaubt nicht daran, dass Leute ein Buch allein schon lesen, weil es von ihm geschrieben wurde. Das dürften viele Menschen als eine Art von Zuwendung verstehen, die ihnen bei anderen Politikern fehlt.
Doch wie gesagt: Klarheit kann auch simuliert werden. Gysi mokiert sich im Kapitel über "Schönfärberei und Kampfbegriffe" darüber, dass "Respekt" eines der wichtigsten Wörter im Bundestagswahlkampf von Olaf Scholz war. Ein edles Wort, findet Gysi, doch unklar sei, was Scholz damit meine: "Eine Hauptregel der Schönfärberei: verschwommen bleiben." In der Tat kann man sich unter Respekt viel vorstellen. Aber so ist das nun einmal mit Wahlwerbung, wie mit Werbung überhaupt. Die Linke plakatierte "Soziale Gerechtigkeit wählen", was auch nicht konkreter ist. Und im Wahlkampf 2017 warb Gysi selbst in seinem Wahlkreis mit einem Plakat, das ihn zeigte und dazu nur ein Wort: "Trotzdem!" Das ist lustig und lässig, aber nicht eindeutiger als "Respekt".
Weniger harmlos erscheint Gysis Methode des Klartextraunens auf dem Feld der Außenpolitik, vor allem beim Thema Russland. Das kommt im Buch nur am Rande vor, doch auch da schon so, dass die eleganteste Rhetorik an den Fakten zerschellt. Gysi, der auch außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, schreibt, es wäre viel gewonnen, wenn sich Deutschland "nicht an Konflikten beteiligte" und stattdessen als Vermittler aufträte. Ganz so, als wären gerade deutsche Truppen in Moskau einmarschiert, während Putin verzweifelt auf eine Einladung zum Tee mit Selenskyj wartete. Zu der Eskalation in dieser Woche teilte Gysi am Dienstag mit, man hätte es "gut gefunden", wenn Russland sich weiter ans Minsker Abkommen gehalten hätte, und dürfe jetzt aber bitte nicht "weiteres Öl" ins Feuer gießen. Damit verklärt Gysi Putins Skrupellosigkeit zur verständlichen Trotzreaktion. Folgerichtig forderte Gysi kürzlich im Bundestag, Russland einen "Sicherheitsabstand" zuzugestehen, so, als wäre die Ukraine bloß ein Mauerstreifen.
Das ändert nichts daran, dass Gysi in seinem Buch Richtiges zur Sprache von Politikern feststellt und zu Recht mehr echte Debatte fordert, weniger Debattensimulation. Aber es zeigt, dass Sprache, die vorgibt zu enthüllen, auch verhüllen kann, und dass nicht immer der klarste Satz auch der wahrste ist.
FRIEDERIKE HAUPT
Gregor Gysi: "Was Politiker nicht sagen . . . weil es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht". Econ, 272 Seiten, 22 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gregor Gysi hat ein Buch über Sprache in der Politik geschrieben. Es ist voller Pointen - und zeigt dabei eindrucksvoll, dass Sätze, die vorgeben zu enthüllen, auch verhüllen können.
Gregor Gysi ist ein Politiker, der sagt, was gut klingt, um den Ton anzugeben. So ungefähr könnte man die Methode Gregor Gysi mit der Methode Gregor Gysis beschreiben. Der Politiker der Linken ist bekannt dafür, ein guter Redner zu sein, wobei die Frage, was eine gute Rede sei, in hundert Reden auf hundert verschiedene Weisen beantwortet werden kann. Als erstes Indiz gilt, dass das Publikum tatsächlich und freiwillig zuhört, und das gelingt Gysi wie wenigen anderen deutschen Politikern. Auch schreibend vermag Gysi Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, weshalb der Econ-Verlag ihn gebeten hat, wieder einmal ein Buch zu verfassen. Das liegt nun vor. Auf dem Cover prangt das Gütesiegel "SPIEGEL-Bestseller-Autor", gewissermaßen als Zündschnur zur Bombe, die hier gleich platzt: "Was Politiker nicht sagen . . . weil es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht".
Ein Politiker verrät also, was andere verschweigen, weil es ihm, anders als ihnen, um Wahrheit geht. So soll man das wohl verstehen. Wer empfindlich reagiert auf großsprecherische Ankündigungen von Politikern, könnte jetzt schon wieder aufhören mit dem Lesen. Neben der Selbststilisierung zum Whistleblower irritiert auch die Andeutung, Mehrheiten seien mit Wahrheiten nicht zu gewinnen. So wird die eigene Wahrheit zur Aufklärung geadelt. Von da ist es nicht mehr weit zu der interessanterweise ziemlich verbreiteten Rede davon, dass man ja nichts mehr sagen dürfe. Darüber sprechen auch Politiker gern, obwohl kontroverse Standpunkte gerade ihnen besonders hohe Aufmerksamkeit und viel Beifall einbringen, so etwa im Falle des FDP-Mannes Wolfgang Kubicki, der mit einer Mischung aus Zeitgeistkritik und Bierzeltlaune ("Gendern ist mir Banane") zur Kultfigur avanciert ist. Während Kubicki 2020 ein Buch zur "Meinungs(un)freiheit" veröffentlichte, das sich den Sorgen der Bürger um ihre Einlassungen widmete, konzentriert sich Gysi nun auf die Kommunikation im politischen Betrieb.
Da wird, so der landläufige Eindruck, viel geredet, aber wenig gesagt. Mit Aphorismen dieser Art kann auch Gysi dienen, sie sind sogar eine seiner Spezialitäten. "Die gute Rede weiß, die gute Rede weiß nicht besser", "Ich stehe fester, je mehr man an mir rüttelt", "Losungen sind keine Lösungen, aber eine Reaktion auslösende Kraft besitzen sie durchaus" - Zuckerchen dieser Art fallen Gysis Lesern auf jeder Seite in den Mund. Der Autor unterstreicht damit auch seinen Anspruch, sich von der Masse der graubrottrocken daherredenden Politiker abzuheben. Und das tut er wirklich. Die Frage ist nur, wodurch.
Die Antwort ist: durch den Ton, nicht durch die Musik. Dass der Ton die Musik mache, ist ein altes Missverständnis, denn auch schöne Töne können ein stumpfes, scheußliches, gar ein geisttötendes Stück ergeben. Gysi spricht und schreibt pointierter als die meisten Politiker, aber das macht seine Sätze noch nicht treffender. Diesen Anspruch formuliert er schlauerweise auch gar nicht, sondern kokettiert damit, dass er "staune", wenn er durch die Buchhandlungen stöbere und Bücher von Spitzenpolitikern betrachte. Es scheine "sehr viel gedacht und klar analysiert zu werden in diesem Land . . . alles so präzis zwischen den Buchdeckeln, vieles so grundsätzlich". Sein eigenes Buch will Gysi lieber als Plauderei verstanden wissen, als "ein paar Gedanken" zur politischen Rhetorik und zu seinem persönlichen Verhältnis zu Sprache. Dafür ist der Titel dann allerdings recht grundsätzlich geraten.
Wie immer in der Politik ist alles komplizierter, als es aussieht und vor allem als es auf einem Buchcover erklärt werden kann. Gysi hat darum recht, wenn er als Kern der Aufgabe öffentlicher politischer Sprache das Übersetzen nennt. Er unterscheidet Populismus, der mit unzulässigen Vereinfachungen locke, von Verständlichkeit. Die Bürger müssten erkennen und nachvollziehen können, was die Politiker wollten: "Wenn wir etwas für die Leute erreichen wollen, müssen wir sie zuallererst erreichen." Das gelingt Politik zurzeit oft schlecht. Auch, weil es nur halbherzig versucht wird. In der Pandemie war und ist das zu erleben. Moralische Appelle ersetzten oft Erklärungen, die auch für einen Nichtzeitungsleser, Nichtstudienvergleicher, Nichtfachleutekenner einleuchtend gewesen wären. Warum? Auch, weil übersetzen schwer ist.
Gysis Übersetzungen klingen gut. Von ihm kann man lernen, wie man ein dröges Thema interessant macht. Zum Beispiel durch Anschauung, Selbstironie, Witz, ja, sogar durch Witze. Schreibt Gysi gerade noch von den Tücken der Zuspitzung und illustriert das mit einer Anekdote, in der Norbert Blüm, der CDU-Politiker, etwas gesagt hatte, das Gysis Widerspruch erregte ("Karl Marx ist tot, Jesus lebt"), schließt er schnell mit der Bemerkung, dass er und Blüm jedoch ein gutes Verhältnis zueinander gehabt hätten. Er, Gysi, fühle sich mit Blüm allein schon durch einen Witz verbunden. "Wir betreten zu zweit eine Berliner Kneipe, ich rufe in Richtung Theke: ,Zwei Kurze!' Die Antwort des Wirts: ,Det seh ick - und wat woll'n Se trinken?'" Dem so scherzenden Autor liegt an der Aufmerksamkeit seiner Leser. Er glaubt nicht daran, dass Leute ein Buch allein schon lesen, weil es von ihm geschrieben wurde. Das dürften viele Menschen als eine Art von Zuwendung verstehen, die ihnen bei anderen Politikern fehlt.
Doch wie gesagt: Klarheit kann auch simuliert werden. Gysi mokiert sich im Kapitel über "Schönfärberei und Kampfbegriffe" darüber, dass "Respekt" eines der wichtigsten Wörter im Bundestagswahlkampf von Olaf Scholz war. Ein edles Wort, findet Gysi, doch unklar sei, was Scholz damit meine: "Eine Hauptregel der Schönfärberei: verschwommen bleiben." In der Tat kann man sich unter Respekt viel vorstellen. Aber so ist das nun einmal mit Wahlwerbung, wie mit Werbung überhaupt. Die Linke plakatierte "Soziale Gerechtigkeit wählen", was auch nicht konkreter ist. Und im Wahlkampf 2017 warb Gysi selbst in seinem Wahlkreis mit einem Plakat, das ihn zeigte und dazu nur ein Wort: "Trotzdem!" Das ist lustig und lässig, aber nicht eindeutiger als "Respekt".
Weniger harmlos erscheint Gysis Methode des Klartextraunens auf dem Feld der Außenpolitik, vor allem beim Thema Russland. Das kommt im Buch nur am Rande vor, doch auch da schon so, dass die eleganteste Rhetorik an den Fakten zerschellt. Gysi, der auch außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, schreibt, es wäre viel gewonnen, wenn sich Deutschland "nicht an Konflikten beteiligte" und stattdessen als Vermittler aufträte. Ganz so, als wären gerade deutsche Truppen in Moskau einmarschiert, während Putin verzweifelt auf eine Einladung zum Tee mit Selenskyj wartete. Zu der Eskalation in dieser Woche teilte Gysi am Dienstag mit, man hätte es "gut gefunden", wenn Russland sich weiter ans Minsker Abkommen gehalten hätte, und dürfe jetzt aber bitte nicht "weiteres Öl" ins Feuer gießen. Damit verklärt Gysi Putins Skrupellosigkeit zur verständlichen Trotzreaktion. Folgerichtig forderte Gysi kürzlich im Bundestag, Russland einen "Sicherheitsabstand" zuzugestehen, so, als wäre die Ukraine bloß ein Mauerstreifen.
Das ändert nichts daran, dass Gysi in seinem Buch Richtiges zur Sprache von Politikern feststellt und zu Recht mehr echte Debatte fordert, weniger Debattensimulation. Aber es zeigt, dass Sprache, die vorgibt zu enthüllen, auch verhüllen kann, und dass nicht immer der klarste Satz auch der wahrste ist.
FRIEDERIKE HAUPT
Gregor Gysi: "Was Politiker nicht sagen . . . weil es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht". Econ, 272 Seiten, 22 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main