"Er hat die Selbstsicherheit eines leibhaftigen Teufels" – so das Urteil des angesehenen und wohlhabenden Arztes Austin Sloper über den Lebemann Morris Townsend, der um seine unscheinbare Tochter Catherine wirbt. Die junge Frau ist verliebt, der Vater misstrauisch – diese Konstellation ist in der Literatur erst einmal nichts Neues. Doch Henry James näherte sich mit psychologischem Röntgenblick einem scheinbar bekannten Thema und entwickelte daraus ein spitzzüngiges und messerscharfes Porträt der amerikanischen Gesellschaft um 1850 – gelesen von Gert Westphal.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Hymnisch bespricht Rezensentin Angela Schader Henry James' im Jahre 1880 erschienenen Roman "Washington Square", den sie nicht nur brillant übersetzt, sondern vom Verlag auch "erlesen" präsentiert findet. Raffiniert, klug, herrlich ironisch und boshaft erscheint Schader der Roman um eine Vater-Tochter-Beziehung, die von väterlicher Verachtung und Demütigung so wie von der töchterlich Sehnsucht nach Liebe getragen wird. Und der bald auftretende, feig-eigennützige Liebhaber der Tochter macht das "infernalische Trio dreier verwandter Seelen" vollkommen, urteilt die Kritikerin, die selten so "glänzend verpackte Lieblosigkeit" gelesen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2014Als das Heiraten noch Männersache war
Exquisite Bosheit, psychologischer Röntgenblick und eine haarfein austarierte Dramaturgie: Der frühe Roman "Washington Square" von Henry James ist neu übersetzt worden.
Die Geschichte ist denkbar schlicht: Ein angesehener New Yorker Arzt, früh verwitwet, will seine einzige Tochter von der Ehe mit einem jungen Schönling abbringen. Dr. Austin Sloper hält seine Catherine für einfältig, und er durchschaut mit einem Minimum an Information die Absichten des Heiratsschwindlers Morris Townsend, der sich durch die Verbindung mit dem harmlosen Geschöpf den Müßiggang der folgenden Jahrzehnte sichern will. Catherines Tante, die ebenso beschränkte wie umtriebige Mrs. Penniman, richtet bei der Sache ziemlichen Schaden an, weil sie die Vorstellung einer heimlichen Hochzeit oder gar eines durchgebrannten Liebespaars aufregend findet. Ihr profaner Name erinnert an englische Komödien der Restaurationszeit, und genauso wird sie gebraucht: als komisches Zwischenspiel.
All das ist relativ früh im Buch klar; und dennoch liest man "Washington Square" (1881), Henry James' sechsten Roman, mit bohrender Spannung, weil er auf 250 Seiten exquisite Bosheit, psychologischen Röntgenblick und eine haarfein austarierte Dramaturgie verbindet. James kommt es gar nicht darauf an, sein Raffinement zu verstecken, im Gegenteil. Alles ist von gläserner Klarheit, man sieht gleichsam die Räder und Schräubchen der kleinen Romanmaschine bei der Arbeit.
Da ist der kluge Arzt, der in jeder Lebenslage an die Kraft seines analytischen Verstandes glaubt und den windigen Beau enttarnt, gleichzeitig aber krude damit droht, seine Tochter zu enterben. Da ist Morris Townsend, der sein Spiel mit geübtem Lächeln und beachtlicher Unverschämtheit vorantreibt, immerhin winkt ein Vierzigtausend-Dollar-Vermögen, nach heutiger Rechnung mehr als eine Million. Nur die junge Frau, "die arme Catherine", ist der unberechenbare Faktor in diesem Kammerstück, denn solange sie liebt, liebt sie ernsthaft - und als sie fallengelassen wird, zieht sie Konsequenzen daraus, von denen sie nie wieder abrückt.
Bei einer der zahllosen Londoner Abendgesellschaften, zu denen der Autor in jener Zeit eingeladen war, hörte Henry James aus dem Mund einer Bekannten von der Geschichte einer sitzengelassenen Erbin und skizzierte sie am 21. Februar 1879 in seinem Notizbuch. Eine knappe Seite reichte dafür aus. Weitere Aufzeichnungen zu dem Roman gibt es nicht. Sie schienen nicht erforderlich: Ein allwissender Erzähler manövriert die Figuren geschmeidig von einer Szene zur nächsten. Aus der Halbdistanz betrachtet, entfaltet sich die Grausamkeit des Arrangements. Dr. Sloper, der für seine Tochter angeblich nur das Beste will, verhält sich in seiner ganzen Weltklugheit am Ende genauso gefühllos wie der glatte Mitgiftjäger. Selbst als Catherine zustimmt, ein Jahr zu warten, um den Bewerber zu prüfen, findet der Arzt keine Ruhe. Und als es für ihn viele Jahre später ans Sterben geht und er sich immer noch nicht sicher ist, das Gespenst vertrieben zu haben, ändert er sein Testament.
Die Fixierung des harten Vaters spiegelt James in der Unverfrorenheit des Galans: Auch Townsend taucht Jahrzehnte später noch einmal auf, im Nichtstun verfettet, um sein Glück ein zweites Mal zu versuchen. Beide, die sich geradezu obsessiv um die junge Frau bemühen, verfehlen sie, weil ihnen ihr eigener Egoismus im Weg steht. Catherine Sloper ist das Opfer, von dem eigentlich zu reden wäre; nur dass der Autor sich hüten würde, seine Heldin so billig zu plakatieren.
Henry James hat in einem Brief an seinen Bruder William einmal beklagt, es gelinge ihm einfach nicht, seinen Ernst, seine Gravitas in den eigenen Büchern mit vollem Gewicht spürbar zu machen: Bescheidenheit und sein künstlerisches Gewissen stünden ihm im Weg. Dieses Taktgefühl unterscheidet seine Romane von denen seiner amerikanischen Zeitgenossen, die sich mit den Mitteln des Naturalismus in die Beschreibung der industrialisierten Welt warfen und Themen zutage förderten, die sie als "gesellschaftlich relevant" empfanden. Aber man sollte sich nicht täuschen. Obwohl der Konversationston bei James die Samthandschuhe der feineren Kreise um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts trägt, sprechen die männlichen Protagonisten mit erstaunlicher Brutalität Klartext: Sowohl der Vater als auch der Bewerber sind arrogante Vertreter eines neuen Kapitalismus der Sitten.
Dass das Heiratsbusiness hier als exklusive Männerdomäne betrachtet wird, verwandelt "Washington Square" in ein Lehrstück für die Gender-Forschung. Unterstellt wird, dass die liebe Tochter, obwohl längst jenseits der zwanzig, noch voller Einfalt in der Welt der Herzensempfindungen lebt und in materiellen Dingen auf väterliche Lenkung angewiesen ist. Dass sich das eine nicht restlos mit dem anderen verrechnen lässt, begreift Dr. Sloper bis zum Ende nicht: Dem "Damenarzt" bleiben die durchaus subtilen Gefühlsregungen seiner Tochter vollständig verschlossen.
Das Schicksal dieser Catherine Sloper dürfte den Leser eher verstören als rühren. Darin liegt eine weitere Leistung des Autors. Ihre Würde - die immerhin lässt sie nicht antasten - bezieht sie allein aus Diskretion und Schweigen. Es ist eben die Zeit, als "to make love" noch bedeutete, jemandem den Hof zu machen. Als der "lover" kein Liebhaber, sondern der Bewerber war, der höflicherweise zuerst mit dem Vater, nicht mit der Angebeteten über mögliche Heiratsabsichten sprach. All das klingt in diesem Roman an, und all das würde sich mit dem Ersten Weltkrieg ändern, der welthistorischen Zäsur, die James' letzte Lebensjahre vergiftete und sowohl das Mobiliar wie auch das Personal seines literarischen Universums hinwegfegte.
Bettina Blumenberg hat dieses funkelnde Prosastück mit außerordentlichem Gespür ins Deutsche übersetzt. Ihr feines Ohr geht den Nuancen der Dialogduelle nach und legt Satz für Satz den moralischen Scharfsinn von James' Erzählen frei. Dies sei der Roman, den selbst Henry-James-Verächter mögen, wurde einmal gesagt, und es ist etwas dran: Dies ist der James-Roman, der ohne gewundene Sätze und endlose Spekulationen über die Motive der Figuren auskommt und alles Sahnig-Pralinéhafte von James' Spätstil meidet - so sehr, dass sich der Autor bald von seinem eigenen Werkchen distanzierte. Das Thema des Heiratsschwindlers würde er wenige Monate darauf abermals - und auf der dreifachen Länge - in seinem kapitalen Roman "Bildnis einer Dame" behandeln, und es ist dieses Buch, das im Allgemeinen (und zu Recht) die Bewunderung der Leser für den leisen Tragiker Henry James weckt.
Da hatte er "Washington Square" schon hinter sich gelassen; später sprach er kaum noch von diesem Roman und fand ihn fünfundzwanzig Jahre später bei der Wiederlektüre so schwer erträglich, dass er ihn ohne Zögern von der definitiven "New York Edition" seiner Romane und Geschichten ausschloss. Aus heutiger Sicht ein grobes Fehlurteil, das man aber umgehend wieder Henry James gutschreiben möchte. Wer mit solcher Leichtigkeit ein kleines Meisterwerk beiseiteschiebt, schöpft aus dem Vollen und hat nicht einmal Zeit, sich über die eigene Größe Gedanken zu machen.
PAUL INGENDAAY
Henry James: "Washington Square". Roman.
Aus dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Bettina Blumenberg. Manesse Verlag, München 2014. 278 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Exquisite Bosheit, psychologischer Röntgenblick und eine haarfein austarierte Dramaturgie: Der frühe Roman "Washington Square" von Henry James ist neu übersetzt worden.
Die Geschichte ist denkbar schlicht: Ein angesehener New Yorker Arzt, früh verwitwet, will seine einzige Tochter von der Ehe mit einem jungen Schönling abbringen. Dr. Austin Sloper hält seine Catherine für einfältig, und er durchschaut mit einem Minimum an Information die Absichten des Heiratsschwindlers Morris Townsend, der sich durch die Verbindung mit dem harmlosen Geschöpf den Müßiggang der folgenden Jahrzehnte sichern will. Catherines Tante, die ebenso beschränkte wie umtriebige Mrs. Penniman, richtet bei der Sache ziemlichen Schaden an, weil sie die Vorstellung einer heimlichen Hochzeit oder gar eines durchgebrannten Liebespaars aufregend findet. Ihr profaner Name erinnert an englische Komödien der Restaurationszeit, und genauso wird sie gebraucht: als komisches Zwischenspiel.
All das ist relativ früh im Buch klar; und dennoch liest man "Washington Square" (1881), Henry James' sechsten Roman, mit bohrender Spannung, weil er auf 250 Seiten exquisite Bosheit, psychologischen Röntgenblick und eine haarfein austarierte Dramaturgie verbindet. James kommt es gar nicht darauf an, sein Raffinement zu verstecken, im Gegenteil. Alles ist von gläserner Klarheit, man sieht gleichsam die Räder und Schräubchen der kleinen Romanmaschine bei der Arbeit.
Da ist der kluge Arzt, der in jeder Lebenslage an die Kraft seines analytischen Verstandes glaubt und den windigen Beau enttarnt, gleichzeitig aber krude damit droht, seine Tochter zu enterben. Da ist Morris Townsend, der sein Spiel mit geübtem Lächeln und beachtlicher Unverschämtheit vorantreibt, immerhin winkt ein Vierzigtausend-Dollar-Vermögen, nach heutiger Rechnung mehr als eine Million. Nur die junge Frau, "die arme Catherine", ist der unberechenbare Faktor in diesem Kammerstück, denn solange sie liebt, liebt sie ernsthaft - und als sie fallengelassen wird, zieht sie Konsequenzen daraus, von denen sie nie wieder abrückt.
Bei einer der zahllosen Londoner Abendgesellschaften, zu denen der Autor in jener Zeit eingeladen war, hörte Henry James aus dem Mund einer Bekannten von der Geschichte einer sitzengelassenen Erbin und skizzierte sie am 21. Februar 1879 in seinem Notizbuch. Eine knappe Seite reichte dafür aus. Weitere Aufzeichnungen zu dem Roman gibt es nicht. Sie schienen nicht erforderlich: Ein allwissender Erzähler manövriert die Figuren geschmeidig von einer Szene zur nächsten. Aus der Halbdistanz betrachtet, entfaltet sich die Grausamkeit des Arrangements. Dr. Sloper, der für seine Tochter angeblich nur das Beste will, verhält sich in seiner ganzen Weltklugheit am Ende genauso gefühllos wie der glatte Mitgiftjäger. Selbst als Catherine zustimmt, ein Jahr zu warten, um den Bewerber zu prüfen, findet der Arzt keine Ruhe. Und als es für ihn viele Jahre später ans Sterben geht und er sich immer noch nicht sicher ist, das Gespenst vertrieben zu haben, ändert er sein Testament.
Die Fixierung des harten Vaters spiegelt James in der Unverfrorenheit des Galans: Auch Townsend taucht Jahrzehnte später noch einmal auf, im Nichtstun verfettet, um sein Glück ein zweites Mal zu versuchen. Beide, die sich geradezu obsessiv um die junge Frau bemühen, verfehlen sie, weil ihnen ihr eigener Egoismus im Weg steht. Catherine Sloper ist das Opfer, von dem eigentlich zu reden wäre; nur dass der Autor sich hüten würde, seine Heldin so billig zu plakatieren.
Henry James hat in einem Brief an seinen Bruder William einmal beklagt, es gelinge ihm einfach nicht, seinen Ernst, seine Gravitas in den eigenen Büchern mit vollem Gewicht spürbar zu machen: Bescheidenheit und sein künstlerisches Gewissen stünden ihm im Weg. Dieses Taktgefühl unterscheidet seine Romane von denen seiner amerikanischen Zeitgenossen, die sich mit den Mitteln des Naturalismus in die Beschreibung der industrialisierten Welt warfen und Themen zutage förderten, die sie als "gesellschaftlich relevant" empfanden. Aber man sollte sich nicht täuschen. Obwohl der Konversationston bei James die Samthandschuhe der feineren Kreise um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts trägt, sprechen die männlichen Protagonisten mit erstaunlicher Brutalität Klartext: Sowohl der Vater als auch der Bewerber sind arrogante Vertreter eines neuen Kapitalismus der Sitten.
Dass das Heiratsbusiness hier als exklusive Männerdomäne betrachtet wird, verwandelt "Washington Square" in ein Lehrstück für die Gender-Forschung. Unterstellt wird, dass die liebe Tochter, obwohl längst jenseits der zwanzig, noch voller Einfalt in der Welt der Herzensempfindungen lebt und in materiellen Dingen auf väterliche Lenkung angewiesen ist. Dass sich das eine nicht restlos mit dem anderen verrechnen lässt, begreift Dr. Sloper bis zum Ende nicht: Dem "Damenarzt" bleiben die durchaus subtilen Gefühlsregungen seiner Tochter vollständig verschlossen.
Das Schicksal dieser Catherine Sloper dürfte den Leser eher verstören als rühren. Darin liegt eine weitere Leistung des Autors. Ihre Würde - die immerhin lässt sie nicht antasten - bezieht sie allein aus Diskretion und Schweigen. Es ist eben die Zeit, als "to make love" noch bedeutete, jemandem den Hof zu machen. Als der "lover" kein Liebhaber, sondern der Bewerber war, der höflicherweise zuerst mit dem Vater, nicht mit der Angebeteten über mögliche Heiratsabsichten sprach. All das klingt in diesem Roman an, und all das würde sich mit dem Ersten Weltkrieg ändern, der welthistorischen Zäsur, die James' letzte Lebensjahre vergiftete und sowohl das Mobiliar wie auch das Personal seines literarischen Universums hinwegfegte.
Bettina Blumenberg hat dieses funkelnde Prosastück mit außerordentlichem Gespür ins Deutsche übersetzt. Ihr feines Ohr geht den Nuancen der Dialogduelle nach und legt Satz für Satz den moralischen Scharfsinn von James' Erzählen frei. Dies sei der Roman, den selbst Henry-James-Verächter mögen, wurde einmal gesagt, und es ist etwas dran: Dies ist der James-Roman, der ohne gewundene Sätze und endlose Spekulationen über die Motive der Figuren auskommt und alles Sahnig-Pralinéhafte von James' Spätstil meidet - so sehr, dass sich der Autor bald von seinem eigenen Werkchen distanzierte. Das Thema des Heiratsschwindlers würde er wenige Monate darauf abermals - und auf der dreifachen Länge - in seinem kapitalen Roman "Bildnis einer Dame" behandeln, und es ist dieses Buch, das im Allgemeinen (und zu Recht) die Bewunderung der Leser für den leisen Tragiker Henry James weckt.
Da hatte er "Washington Square" schon hinter sich gelassen; später sprach er kaum noch von diesem Roman und fand ihn fünfundzwanzig Jahre später bei der Wiederlektüre so schwer erträglich, dass er ihn ohne Zögern von der definitiven "New York Edition" seiner Romane und Geschichten ausschloss. Aus heutiger Sicht ein grobes Fehlurteil, das man aber umgehend wieder Henry James gutschreiben möchte. Wer mit solcher Leichtigkeit ein kleines Meisterwerk beiseiteschiebt, schöpft aus dem Vollen und hat nicht einmal Zeit, sich über die eigene Größe Gedanken zu machen.
PAUL INGENDAAY
Henry James: "Washington Square". Roman.
Aus dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Bettina Blumenberg. Manesse Verlag, München 2014. 278 S., geb., 24,95 [Euro].
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»Ein Leben ohne Henry James ist möglich, aber sinnlos.« DIE ZEIT, 31.07.2014