Zwei auf einer Reise mit unbekanntem Ziel: Eine Frau und ein Mann, die sich kaum kennen und nicht besonders mögen, die ganz unterschiedlich leben. Dieser Mann und diese Frau machen sich gemeinsam auf die Suche, nach dem einzigen, was sie im Leben gemeinsam haben: eine Tochter. Schon erwachsen. Und plötzlich verschwunden. Heidi verlässt ihr Kleinbürgerparadies bei Frankfurt, Georg seinen österreichischen Landgasthof, wo sie mit ihren neuen Familien leben. Im Flugzeug, auf Booten und auf Mopeds reisen sie durch Vietnam und Kambodscha den Hinweisen auf ihre Tochter hinterher. Die Hindernisse, die sich ihnen in den Weg stellen, stecken auch nicht zuletzt in ihnen selbst, in ihrer Vergangenheit, in der Unfähigkeit, sich der Gegenwart zu stellen.
Doris Knecht erzählt von Entscheidungen, deren Gewicht nie geringer wird, vom Festhalten und Loslassen, vom Erwachsenwerden und davon, wie man über sich selbst hinauswächst; ein bisschen wenigstens.
Mal einfühlsam, mal lakonisch und immer wieder mit ironischem Augenzwinker erzählt Oda Thormeyer von Heidis und Georgs Suche.
Die gleichnamige Buchausgabe ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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Doris Knecht kann erzählen. Schnell und scharf umrissen und ganz zeitgenössisch exemplarisch. Hubert Winkels Süddeutsche Zeitung 20190524
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2019Sie kommt gut allein zurecht
Kolportagenzapfsäule: Doris Knechts Roman "Weg"
Gepasst hatte es schon damals nicht, als sie sich in Wien kennenlernten. Ein paar aufgeladene Wochen, eine ungeplante Schwangerschaft. Heidi geht zurück in die hessische Provinz, Georg übernimmt das Gasthaus seiner Eltern, die Tochter kommt zur Mutter. Die Mutter wollte das so. Was sie aber laut Erzählerin nicht davon abhält zu klagen, Georg wäre ein Vater, der es sich leichtmache und nie zur Stelle sei, wenn man ihn brauche. Und nun braucht Heidi Georg, denn Charlotte ist weg. Und damit hat es eine besondere Bewandtnis. Charlotte wurde nämlich mit sechzehn in eine Psychiatrie eingewiesen. Die Diagnose: substanzinduzierte Psychose. Das Kind hatte ein bisschen gekifft und ist seitdem ein Problemkind. Zwar mit Anfang zwanzig halbwegs selbständig, aber doch stets in Gefahr. Nun ist sie abgehauen, und keiner weiß, wohin. Das ist der große Beweger dieses fünften Romans der österreichischen Kolumnistin Doris Knecht. Und tatsächlich braucht es so einen dramatischen Wendepunkt im Leben des Vorstadtmenschen, damit die kleinbürgerliche Fassade zu bröckeln beginnt und somit Romanstoff bietet.
Wie auch schon in den Vorgängerbüchern kreist die durchaus außergewöhnliche Geschichte eines kranken Teenagers um die großen Fragen moderner Individualisten: um ihre Lebensmodelle, Lebenslügen, Lebensträume. Sie werden unter die Lupe genommen und unter dem Vergrößerungsglas der Gesellschaftsreporterin seziert. "Sie wollte die Abgründe auch in ihrem Kind nicht sehen", heißt es einmal über Heidi. Der Leser soll begreifen: Das abgründige Kind ist nur die Spitze des bürgerlichen Eisbergs. So geht es in "Weg" bald auch gar nicht mehr um das verschwundene Kind, sondern um das Privatleben von Heidi und Georg.
Beide haben neu geheiratet. Und noch mal Kinder bekommen. Heidi, die in ihrer Freizeit Foodblogs liest, entpuppt sich nach und nach als frustrierte Vorstadtpflanze, der nun auch der zweite Kindsvater abhandengekommen ist. Und das, nachdem sie ihm endlich ihre schöne Ordnung beigebracht hatte. Dann verliert er seinen Job als Redakteur einer Lokalzeitung. Darüber wird der Mann larmoyant. Er lässt sich gehen. Wird dick. Irgendwann ist er weg. Frauen, weiß dieser nicht zu knapp an der Kolportagezapfsäule getankte Roman, gehen anders mit Scheitern und Verfall um. "Vielleicht, weil sie wissen, dass es eh keinen Sinn hat." Am Ende lassen sie sich nicht gehen, sondern den Busen richten.
Und Georg? Der lebt mit seiner neuen Frau Lea, seiner Mutter und seinen Kindern im alten Gasthaus. Es geht ihm gut. Bis ihn eines Tages der besorgte Anruf seiner Ex erreicht. Charlotte ist weg, und alle Beteiligten wissen, was das bei einer Psychotikerin bedeutet. Nun will es dieser Roman, dass zwei Leute, die sich mal heiß fanden, wieder zusammengeführt werden. Zunächst fehlt von Charlotte jede Spur, dann gibt es einen Hinweis, dass sie sich in Südostasien aufhält. Als Leser von Hera-Lind-Romanen weiß man schon etliche Seiten vorher, was nun passieren wird: Heidi und Georg werden Charlotte gemeinsam in Vietnam suchen. In Hanoi dann verwandelt sich dieser Nichteheroman dann in eine südostasiatische Roadnovel mit lebensgefährlichen Mopedmanövern. Georg und Heidi gehen Hinweisen nach, streiten sich, biegen kurz ab in Richtung Vergangenheit und gelangen schließlich nach Kambodscha, wo ihnen Charlotte mit wehendem Haar und in Begleitung eines jungen Mannes - glücklich und fidel - an einem Strand entgegenläuft. Und sofort wieder Reißaus nimmt. Denn die Sorge der Eltern, die ständige Kontrolle durch Ärzte, Medikamente und ein misstrauisches Umfeld machen sie zutiefst unfrei.
So viel zu einer Story, die einerseits ein angenehm unspektakuläres Happy Ending hat, die einen andererseits aber auch etwas ratlos zurücklässt. Denn das gleich auf den ersten Seiten vorgegebene Thema dient nur als Cliffhanger für eine ziemlich triviale Sozialstudie von Leuten um die fünfzig. Aber wieso soll uns interessieren, dass Heidi unter Kontrollzwang leidet? Dass Georg ein bisschen bequem ist? Dass er eine passiv aggressive Mutter hat. Dass die Ehe eine schwierige Institution ist und das Leben manchmal mühsam? Legt man diesen durchaus schmissig geschriebenen Text aus der Hand, hat man das Gefühl, um sein eigentliches Potential betrogen worden zu sein. Sein einziges wirklich abgründiges Thema nämlich wird vor lauter Lebenslügendechiffriererei einfach links liegengelassen: was es mit einer Familie macht, wenn ein Kind zur Black Box wird.
Warum Doris Knecht dieses Potential nicht ausschöpft, bleibt ihr Geheimnis. Sie ist die einzige Person im Roman, die eines hat.
KATHARINA TEUTSCH
Doris Knecht: "Weg". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2019. 304 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kolportagenzapfsäule: Doris Knechts Roman "Weg"
Gepasst hatte es schon damals nicht, als sie sich in Wien kennenlernten. Ein paar aufgeladene Wochen, eine ungeplante Schwangerschaft. Heidi geht zurück in die hessische Provinz, Georg übernimmt das Gasthaus seiner Eltern, die Tochter kommt zur Mutter. Die Mutter wollte das so. Was sie aber laut Erzählerin nicht davon abhält zu klagen, Georg wäre ein Vater, der es sich leichtmache und nie zur Stelle sei, wenn man ihn brauche. Und nun braucht Heidi Georg, denn Charlotte ist weg. Und damit hat es eine besondere Bewandtnis. Charlotte wurde nämlich mit sechzehn in eine Psychiatrie eingewiesen. Die Diagnose: substanzinduzierte Psychose. Das Kind hatte ein bisschen gekifft und ist seitdem ein Problemkind. Zwar mit Anfang zwanzig halbwegs selbständig, aber doch stets in Gefahr. Nun ist sie abgehauen, und keiner weiß, wohin. Das ist der große Beweger dieses fünften Romans der österreichischen Kolumnistin Doris Knecht. Und tatsächlich braucht es so einen dramatischen Wendepunkt im Leben des Vorstadtmenschen, damit die kleinbürgerliche Fassade zu bröckeln beginnt und somit Romanstoff bietet.
Wie auch schon in den Vorgängerbüchern kreist die durchaus außergewöhnliche Geschichte eines kranken Teenagers um die großen Fragen moderner Individualisten: um ihre Lebensmodelle, Lebenslügen, Lebensträume. Sie werden unter die Lupe genommen und unter dem Vergrößerungsglas der Gesellschaftsreporterin seziert. "Sie wollte die Abgründe auch in ihrem Kind nicht sehen", heißt es einmal über Heidi. Der Leser soll begreifen: Das abgründige Kind ist nur die Spitze des bürgerlichen Eisbergs. So geht es in "Weg" bald auch gar nicht mehr um das verschwundene Kind, sondern um das Privatleben von Heidi und Georg.
Beide haben neu geheiratet. Und noch mal Kinder bekommen. Heidi, die in ihrer Freizeit Foodblogs liest, entpuppt sich nach und nach als frustrierte Vorstadtpflanze, der nun auch der zweite Kindsvater abhandengekommen ist. Und das, nachdem sie ihm endlich ihre schöne Ordnung beigebracht hatte. Dann verliert er seinen Job als Redakteur einer Lokalzeitung. Darüber wird der Mann larmoyant. Er lässt sich gehen. Wird dick. Irgendwann ist er weg. Frauen, weiß dieser nicht zu knapp an der Kolportagezapfsäule getankte Roman, gehen anders mit Scheitern und Verfall um. "Vielleicht, weil sie wissen, dass es eh keinen Sinn hat." Am Ende lassen sie sich nicht gehen, sondern den Busen richten.
Und Georg? Der lebt mit seiner neuen Frau Lea, seiner Mutter und seinen Kindern im alten Gasthaus. Es geht ihm gut. Bis ihn eines Tages der besorgte Anruf seiner Ex erreicht. Charlotte ist weg, und alle Beteiligten wissen, was das bei einer Psychotikerin bedeutet. Nun will es dieser Roman, dass zwei Leute, die sich mal heiß fanden, wieder zusammengeführt werden. Zunächst fehlt von Charlotte jede Spur, dann gibt es einen Hinweis, dass sie sich in Südostasien aufhält. Als Leser von Hera-Lind-Romanen weiß man schon etliche Seiten vorher, was nun passieren wird: Heidi und Georg werden Charlotte gemeinsam in Vietnam suchen. In Hanoi dann verwandelt sich dieser Nichteheroman dann in eine südostasiatische Roadnovel mit lebensgefährlichen Mopedmanövern. Georg und Heidi gehen Hinweisen nach, streiten sich, biegen kurz ab in Richtung Vergangenheit und gelangen schließlich nach Kambodscha, wo ihnen Charlotte mit wehendem Haar und in Begleitung eines jungen Mannes - glücklich und fidel - an einem Strand entgegenläuft. Und sofort wieder Reißaus nimmt. Denn die Sorge der Eltern, die ständige Kontrolle durch Ärzte, Medikamente und ein misstrauisches Umfeld machen sie zutiefst unfrei.
So viel zu einer Story, die einerseits ein angenehm unspektakuläres Happy Ending hat, die einen andererseits aber auch etwas ratlos zurücklässt. Denn das gleich auf den ersten Seiten vorgegebene Thema dient nur als Cliffhanger für eine ziemlich triviale Sozialstudie von Leuten um die fünfzig. Aber wieso soll uns interessieren, dass Heidi unter Kontrollzwang leidet? Dass Georg ein bisschen bequem ist? Dass er eine passiv aggressive Mutter hat. Dass die Ehe eine schwierige Institution ist und das Leben manchmal mühsam? Legt man diesen durchaus schmissig geschriebenen Text aus der Hand, hat man das Gefühl, um sein eigentliches Potential betrogen worden zu sein. Sein einziges wirklich abgründiges Thema nämlich wird vor lauter Lebenslügendechiffriererei einfach links liegengelassen: was es mit einer Familie macht, wenn ein Kind zur Black Box wird.
Warum Doris Knecht dieses Potential nicht ausschöpft, bleibt ihr Geheimnis. Sie ist die einzige Person im Roman, die eines hat.
KATHARINA TEUTSCH
Doris Knecht: "Weg". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2019. 304 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main