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28 Kundenbewertungen

Die Welt ist in Aufruhr. Doch wie wird sie sich neu sortieren, und wie wird sie im 21. Jahrhundert aussehen? Vor welchen Umwälzungen, Brüchen und Umbrüchen stehen wir? Spätestens seit dem Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan und dem russischen Überfall auf die Ukraine wissen wir, dass die bislang geltende Ordnung an ihr Ende gekommen ist. Eine auf Werten und Normen fußende Weltordnung durchzusetzen, übersteigt die Fähigkeiten des Westens. Die USA, einst "Weltpolizist", befinden sich trotz internationalen Engagements auf dem Rückzug; die UN, der man diese Rolle ebenfalls zugedacht hatte,…mehr

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Produktbeschreibung
Die Welt ist in Aufruhr. Doch wie wird sie sich neu sortieren, und wie wird sie im 21. Jahrhundert aussehen? Vor welchen Umwälzungen, Brüchen und Umbrüchen stehen wir? Spätestens seit dem Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan und dem russischen Überfall auf die Ukraine wissen wir, dass die bislang geltende Ordnung an ihr Ende gekommen ist. Eine auf Werten und Normen fußende Weltordnung durchzusetzen, übersteigt die Fähigkeiten des Westens. Die USA, einst "Weltpolizist", befinden sich trotz internationalen Engagements auf dem Rückzug; die UN, der man diese Rolle ebenfalls zugedacht hatte, blockiert sich selbst. Und die Europäer sind schlicht nicht imstande, eine Weltordnung zu hüten. Eine prekäre, risikoreiche Lage. Herfried Münkler zeigt in dieser gedankenfunkelnden geopolitischen Analyse, wo in Zukunft die Konfliktlinien verlaufen. Viel spricht dafür, dass ein neues System regionaler Einflusszonen entsteht, dominiert von fünf Großmächten. Wo liegen die Gefahren dieser neuen Ordnung, wo ihre Chancen? Wäre es ein austariertes Mächtegleichgewicht - oder Chaos? Und wie sollten sich Europa und Deutschland in den zu erwartenden globalen Auseinandersetzungen verhalten? Ein aufregender, Maßstäbe setzender Ausblick auf die Machtkonstellationen im 21. Jahrhundert.

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Autorenporträt
Herfried Münkler, geboren 1951, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa 'Die Deutschen und ihre Mythen' (2009), das mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, sowie 'Der Große Krieg' (2013), 'Die neuen Deutschen' (2016), 'Der Dreißigjährige Krieg' (2017) oder 'Marx, Wagner, Nietzsche' (2021), die alle monatelang auf der 'Spiegel'-Bestsellerliste standen. Zuletzt erschien 'Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert', ebenfalls ein 'Spiegel'-Bestseller. Herfried Münkler wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung und dem Carl Friedrich von Siemens Fellowship.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Oliver Weber bekommt jede Menge Debattenstoff mit Herfried Münklers neuem Buch, das Münklers Gedanken aus vergangenen Jahrzehnten versammelt, ohne daraus "aufrüttelnde Thesen" abzuleiten. Sinn und Zweck des endnotenstarken Potpourris aus historischen Beschreibungen und Figurenporträts ist laut Weber nicht prophetische Tagesaktualität, sondern die Vermittlung von historischer Erfahrung im Sinne politischer Handlungsfähigkeit. Dabei bleibt der Autor angenehm skeptisch und stellt sein Modell eines Fünfmächte-Systems im 21. Jahrhundert vorbehaltlich vor, meint Weber.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2024

Was kommt nach der bipolaren Weltordnung?
Historische Reflexion und analytische Kombinatorik: Herfried Münkler über die mögliche zukünftige Konstellation von Großmächten

"Es ist möglich, das Kommende vorherzusagen, nur dass man das einzelne nicht prophezeien wolle" - unter dieser methodischen Prämisse wagte der Historiker Lorenz von Stein einst eine Prognose jener sozialen Kämpfe, die das Zeitalter der Industrialisierung mit sich bringen würde. Gestützt auf die Erfahrung, welche die Geschichte bereithält, ließen sich - wenn nicht schon genaue Zukünfte deduzieren - wenigstens Bedingungen angeben, die das Morgen und Übermorgen strukturieren werden. Mit seinem neuesten Buch hat der Politische Theoretiker und Ideenhistoriker Herfried Münkler jetzt eine ähnliche Prognose gewagt: Kein amerikanisches Imperium, keine liberale Rechts- und Wirtschaftsordnung, sondern die Balance von fünf Großmächten wird in diesem Jahrhundert das Geschick des Planeten bestimmen.

"Welt in Aufruhr" ist kein Sachbuch, das seine Leser mit aufrüttelnden Thesen und journalistischer Tagesaktualität zu einem schnellen Kauf und einer schnellen Lektüre überreden will. Von stattlichem Umfang und ausgestattet mit beinahe siebzig Seiten Endnoten, findet man in ihm die meisten Gedanken wieder, die sein Autor in den vergangenen Jahrzehnten öffentlich entwickelt hat: Etwa die These von den "neuen Kriegen" (2002), deren asymmetrische oder hybride Natur die Üblichkeiten konventioneller Staatenkriege ablöse, was man - Ausnahmen wie der Ukrainekrieg bestätigen die Regel - hauptsächlich an der Einmischung Russlands und Chinas in die Konflikte des afrikanischen Kontinents beobachten könne. Oder die Analyse der "Imperien" (2005), die Münkler stets mit der Warnung vor einer "imperialen Überdehnung" verband, einem Zuviel an Aufgaben bei einem Zuwenig an Kraft. Der hektische Rückzug der Vereinigten Staaten aus Afghanistan lieferte hierfür zuletzt ein anschauliches Beispiel. Auch die ausführlich in "Macht in der Mitte" (2015) begründete Doktrin, wonach die Europäische Union zum weltpolitikfähigen Akteur werden und die Bundesrepublik zu diesem Zweck als Hegemon wirken muss, spielt in "Welt in Aufruhr" wieder eine wichtige Rolle.

Nicht immer ist im jüngsten Buch ganz klar, wie diese und andere Grundgedanken zusammenhängen. Auf historische Beschreibungen von "Großreichsbildungen" und Kriegskonstellationen folgen Clausewitz- und Machiavelli-Porträts - auch sie Ergebnisse zurückliegender Studien - und ausführliche Referate von Klassikern der Geopolitik, unterbrochen von häufigen Anknüpfungen an Carl Schmitt und stets neuen Verweisen auf den Ukrainekrieg.

Nach und nach begreift man erst, wie diese kaleidoskopartige Anordnung letztlich der Sache dient: Wenn es stimmt, dass die politische Ordnung des Planeten gerade eine grundsätzlich andere Gestalt annimmt, wäre es dann wirklich sinnvoll, dem Leser mit Theorien, die sich genaue Vorhersagen zutrauen, eine falsche Gewissheit vorzugaukeln? Münkler wählt einen anderen Weg. Sein Buch will genügend geschichtliche Erfahrungen, typische weltpolitische Konstellationen und Probleme, vergangene Analysestrategien versammeln, damit die Leser Einsicht in eine "Grammatik des politischen Handelns" gewinnen, die auch die Gegenwart bestimmt. Wer in der Lage ist zu vergleichen, so die didaktische Maxime, der sieht auch das Beharrliche im Neuen und - noch wichtiger - den Bruch im scheinbar Gleichen. So ist es nur konsequent, dass erst das letzte Kapitel sich explizit und umfangreich der eigentlichen Gegenwartsfrage zuwendet: Wie könnte die "Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert" aussehen?

Münkler modelliert ein "System der fünf Vormächte, die Pentarchie des 21. Jahrhunderts". Die Vereinigten Staaten werden nicht mehr Ressourcen genug haben und willens sein, ein wirklich planetarisches Imperium aufrechtzuerhalten, trotzdem aber die wohl bedeutendste Macht der neuen Ordnung bleiben. Dicht gefolgt von China, das, so Münkler, entlang der "neuen Seidenstraße" einen Block von Staaten anführen wird. Die Zukunft der restlichen drei Großmächte ist mit mehr Fragezeichen versehen: Wird Russland den Ukrainekrieg militärisch, ökonomisch und politisch überstehen oder weltpolitisch in die dritte oder vierte Reihe verbannt werden? Kann Indien seine demographischen und ökonomischen Potentiale nutzen, um eine globale Ordnungsrolle zu spielen? Und nicht zuletzt: Wird die Europäische Union über ihre Funktion als "Regelgeber und Regelbewirtschafter" hinauswachsen können, das heißt andere Machtformen ausspielen lernen als nur ökonomische Interdependenz und völkerrechtliche Sentenzen?

Münkler ist durchaus skeptisch, was die Beantwortbarkeit der einzelnen Fragen betrifft, stellt sein Modell deswegen "unter den Vorbehalt, dass die politischen Eliten der fraglichen Mächte keine gravierenden Fehlentscheidungen treffen und obendrein die erforderlichen Schritte machen, um den ihnen möglichen, aber keineswegs sicheren Platz in einem System der globalen Vormächte einzunehmen". Die daraus abgeleitete Prognose selber gründet sich auf einer Mischung aus historischer Reflexion und analytischer Kombinatorik: In der europäischen Geschichte habe es meist eine Neigung zu Pentarchien gegeben, weil eine kleinere Zahl von Großmächten zu unflexibel und, gemessen an den Kosten globaler Ordnungsproduktion, auch zu teuer wäre, und weil eine größere Zahl im "Direktorium der globalen Ordnung" zu Instabilität und Trittbrettfahrern tendiert. Ungerade muss die Zahl der Mächte sein, weil nur so ein "Zünglein an der Waage" existiert, um das Gleichgewicht des Systems zu garantieren.

Man kann, wie Münkler selbst zugibt, über diese Prognose trefflich streiten - die Zukunft fügt sich allzu leicht den Kalkulationen des Modells. Aber der Autor hat wohl recht, wenn er für sich beansprucht, von weitaus realistischeren Annahmen auszugehen als jene, die von einem neuen Kalten Krieg, einer bipolaren Ordnung also, sprechen oder an eine von Freihandel und supranationalen Organisationen geprägten Fortsetzung der letzten Jahrzehnte glauben. "Das Weltordnungsmodell des freien Marktes ist inzwischen zur wirtschaftspolitischen Binnenordnung des Westens" geworden. "Mit dem System der Fünf wird sich anstelle der zeitweilig erwarteten und auch erhofften global integrierten Wirtschaft ein Nebeneinander von mehreren ökonomisch hochgradig integrierten Großräumen entwickeln." Wie genau diese Weltordnung aussehen wird, muss am Ende wohl doch der Geschichte überlassen bleiben. Wenn sie aber eine lebenswerte sein soll, kann man sich kaum früh genug mit ihr befassen. OLIVER WEBER

Herfried Münkler: "Welt in Aufruhr". Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert.

Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2023. 528 S., geb., 30,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2023

Phantome
aus Schmerz
Die Ordnung des Kalten
Krieges ist Geschichte.
Der Politikwissenschaftler
Herfried Münkler sortiert
die globalen Machtzentren
neu. Behaglicher wird
einem nicht dabei
Das Symptom war nicht neu, aber wenige Ärzte hatten je damit zu tun gehabt. Dies änderte sich 1914 mit Beginn des Ersten Weltkrieges. Noch lange nach dem Grauen der Grabenkämpfe klagten Überlebende über „Phantomschmerzen“. Männer, die beim Gemetzel von Ypern, Verdun oder an der Somme Gliedmaßen verloren hatten oder denen sie im Lazarett amputiert wurden, spürten lange später noch Schmerzen in Händen oder Unterschenkeln, die längst nicht mehr da waren.
Mit diesem Krieg verschoben sich die Machtverhältnisse in Europa und der Welt dramatisch. Erst 1989 schienen die Umwälzungen, die er ausgelöst hatte, vorläufig an ein Ende gekommen zu sein, als sich die Supermacht Sowjetunion auflöste. Es folgte eine Zeit der Illusion, die Welt werde sich nach westlichem Muster demokratisieren, das nach dem einschlägigen Buch des amerikanischen Demokratietheoretikers Francis Fukuyama so oft zitierte „Ende der Geschichte“ sei gekommen, das Ende der großen Ideologien und Kriege nämlich. Das hat sich leider als falsch erwiesen.
Den letzten Sargnagel für diese Fantasie schlug Wladimir Putin ein, als er am 24. Februar 2022 seine Armeen die Ukraine überfallen ließ. Und glaubt man dem Politiktheoretiker Herfried Münkler, dann waren Phantomschmerzen der Grund, diesmal solche von „postimperialer“ Natur. Russland griff zu den Waffen, um diese Schmerzen zu betäuben und einen Teil des imperialen Reiches zurückzugewinnen, so irrational und selbstschädigend das nach westlichen Maßstäben war. Den Perspektiven dieser seltsamen, beunruhigenden „Welt in Aufruhr“ widmet Münkler sein neues Buch. Die brutale, aber klare Ordnung des Kalten Krieges, die von zwei Machtblöcken und Herrschaftsformen dominiert, also bipolar war, sie ist Geschichte. Und eine neue ist erst schemenhaft zu erkennen. Münkler geht davon aus, dass sich aus Krieg, Krisen und dem Wettstreit der Werte eine multipolare Welt herausbilden wird, genauer: eine „Pentarchie“, also fünf Machtzentren.
Die werden die USA und die Europäische Union sein, sowie Russland, Indien und China. Doch sie alle haben Schwächen und Probleme, weshalb Münkler aus gutem Grund einen „Vorbehalt des Ungefähren“ macht: Russland ist moralisch, politisch und militärisch geschwächt; die Demokratie der USA gespalten und im Kern bedroht; die EU von Zerfallskräften herausgefordert und Indien von massiven inneren Problemen.
Und China? Derzeit wächst die Macht der Volksrepublik besorgniserregend, in den USA gilt sie längst als größte globale Herausforderung. Aber auch Pekings System hat, wie Münkler überzeugend argumentiert, eine Achillesferse: „Die USA verfügen im Portfolio der Machtsorten über große ideologische Macht, vom American Dream bis zu dessen Ausfabulierung in Hollywood-Filmen oder im globalen Klang amerikanischer Musik. China hat nichts Vergleichbares zu bieten.“ Eine einzelne Nation, deren tyrannische Regierung überdies ihre eigenen Bürger in digitalen Orwell-Szenarien überwacht, kann bei aller Stärke keine geistige Strahlkraft entfalten wie einst der Sozialismus, der ein weltanschaulicher Gegenentwurf zum Westen gewesen war, eine säkulare Heilslehre, die Verheißung einer gerechteren Ordnung.
Schon weil Münkler bereits vor zwei Jahrzehnten in „Die neuen Kriege“ (2002) und „Imperien. Die Logik der Weltherrschaft“ (2005) auch die Frage stellte, wie denn die freie Welt auf die künftigen Bedrohungen reagieren müsse, galt er bei linken Nostalgikern als eine Art Gottseibeiuns. Als verdächtigen Vordenker „einer Neubestimmung imperialer Politik“ schmähte ihn einst im Stile eines spätmarxistischen Schauermärchens ein Kritiker, obwohl der damals noch an der Humboldt-Universität lehrende, inzwischen emeritierte Politologe die Fehler und Untaten auch des Westens stets deutlich anspricht. Vor allem hatte Münkler kühl analysiert, dass das Ringen der großen und kleine Mächte keineswegs vorbei sei, wie man gerade in Deutschland so lange gern glauben wollte. Und so sehr man das bedauern mag: Die jüngere Geschichte hat ihm recht gegeben.
All die Kräfte, an deren Verschwinden die Realos der Politikanalyse wie Münkler nie geglaubt haben, sind also wieder erwacht. Populismus, Nationalismus, ideologischer Furor und sogar nackter, kriegführender Imperialismus, wie ihn Putins Russland gegen die Ukraine entfesselte oder Xis China über Taiwan bringen könnte.
Es kann nicht überraschen, dass die westlichen, zumal die deutschen Versuche, den Kremlherrn über wirtschaftliche Verflechtungen – und großzügiges Hinwegsehen über die Aggressionen gegen Georgien oder in Syrien, ja selbst die Annexion der Krim 2014 – einzubinden und zu zähmen, nur kaum die Gnade des Gelehrten finden. Es spricht aber für ihn, dass er das Scheitern dieser Politik nicht zum Anlass für eine der nun so beliebten „Hab ich’s euch Traumtänzern nicht gleich gesagt“-Polemiken nimmt. Er bevorzugt die ruhige, auch um Verständnis für die Motive und Möglichkeiten der Handelnden bemühte Analyse, wie es gute Wissenschaft tun soll.
Die deutsche und dann auch größtenteils von der EU betriebene Methode, in Osteuropa nach dem Ende der sowjetischen Tyrannei Stabilität zu erzeugen, nennt Münkler „Wohlstandstransfer“. Und sie war erfolgreich. Aufnahme vieler Staaten in die EU, Frieden schaffen mit allein ökonomischen Waffen: So wurden von Riga bis Bukarest die früheren Satelliten des Kreml Teil der europäischen Wohlstands- und Friedenszone. Besonders die Deutschen (West) holten so einen Teil der eigenen Geschichte nach: ihre gelungene Integration in die Institutionen der freien Welt nach 1949. Anstelle verheerender Kriege um Territorien und Rohstoffe „tritt der Imperativ der Gütervermehrung, des wohlbedachten Umgangs mit prinzipiell knappen Ressourcen und damit einer kontinuierlichen Steigerung des Wohlstandsniveaus“. Zudem gibt es einen „Begleiteffekt“: dass nämlich „durch das hohe Maß an ökonomischer Verflechtung die einer solchen Friedensordnung zugehörigen Staaten tendenziell nicht mehr fähig sind, Krieg zu führen“.
Doch gegenüber dem neoimperialen Anspruch von Putins Russland schlug dieser Versuch fehl. Die einseitige Abhängigkeit von russischen Gas und Öl, die törichte De-facto-Preisgabe der eigenen Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung und eine gravierende Fehleinschätzung davon, wie Russlands Führungsschicht denkt, bilden die Marksteine einer gescheiterten Politik: „Eine weitere Schwachstelle der Pazifizierung durch Wohlstandstransfer besteht darin, dass von ihr die Macht des Ressentiments zumeist unterschätzt wird.“ Zu diesen Irrtümern gehört, so Münkler, mit Putins Russland so verhandeln zu können wie früher mit Breschnew oder Andropow: „Im Unterschied zu Russland war die Sowjetunion kein revisionistischer Akteur, sondern ein saturierter Besitzstandswahrer.“
Das ist kein schnell hingeschriebenes, sondern ein tiefschürfendes und wissenschaftlich überzeugendes Buch. Und obwohl der Autor darin hier und dort der Versuchung des Fachjargons erliegt und in solchen Passagen unter seinen erheblichen stilistischen Möglichkeiten bleibt, ist es insgesamt gut und verständlich zu lesen. Wie stets greift Münkler tief und kenntnisreich in die Geschichte zurück, um uns die Gegenwart besser zu erklären. Und seine gelegentlichen Exkurse ermüden keineswegs, sondern eröffnen spannende Erkenntnisse.
So arbeitet er etwa heraus, dass die Regimes „in Russland, aber auch in China Carl Schmitt als Vordenker und Gewährsmann für sich entdeckt haben“. Carl Schmitt, Staatsrechtler oder besser: Prediger staatlichen Unrechts („Der Führer schützt das Recht (...) wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft“), der Macht über Moral stellte und von 1933 an NSDAP-Mitglied war, passt perfekt in eine freiheitsfeindliche Gedankenwelt.
Dennoch dürfte die neue Ordnung der fünf, so nimmt Münkler an – auch wenn manche Mächte, vor allem die USA und Europa, einander näherstehen als den anderen – nicht mehr dem Gut-Böse-Schema des Kalten Krieges entsprechen. Hier freilich mag man widersprechen: Vieles spricht leider dafür, dass die Idee der Freiheit, der Universalität der Menschenrechte, des Westens als „normativem Projekt“ (Heinrich August Winkler) künftig von Gefahren bedroht sein wird, vor denen sie sich viel zu lange viel zu sicher gewähnt hatte. Der Sieg der Freiheit, so wie 1945 oder 1989, ist dabei alles andere als vorbestimmt. Daher könnte die Geltung, ja Rettung dieser Werte die zentrale moralische Frage werden und jede Macht, ob groß oder klein, in die Lage geraten, sich am Ende für eine Seite entscheiden zu müssen.
So oder so, eines wird für die Welt im Aufruhr gelten, schreibt Herfried Münkler: „Die Imperative der Machtordnung sind unerbittlich.“
JOACHIM KÄPPNER
Kein schnell
hingeschriebenes, sondern
ein tiefschürfendes Buch
Herfried Münkler:
Welt in Aufruhr.
Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert. Rowohlt Berlin, 2023.
528 Seiten, 30 Euro.
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Analysestark, einleuchtend und bestechend klug. Denis Scheck