Reizüberflutung
Hochsensible Menschen haben eine überdurchschnittlich differenzierte Wahrnehmung. Sie erfassen mehr Reize als andere Menschen und diese auch besonders intensiv. Es ist so, als ob ihre Antennen im Verhältnis zum Empfangsgerät überdimensioniert sind. Mangels wirksamer Filter
entsteht eine Reizüberflutung.
Autor Rolf Sellin beschäftigt sich beruflich als Therapeut mit dem Thema.…mehrReizüberflutung
Hochsensible Menschen haben eine überdurchschnittlich differenzierte Wahrnehmung. Sie erfassen mehr Reize als andere Menschen und diese auch besonders intensiv. Es ist so, als ob ihre Antennen im Verhältnis zum Empfangsgerät überdimensioniert sind. Mangels wirksamer Filter entsteht eine Reizüberflutung.
Autor Rolf Sellin beschäftigt sich beruflich als Therapeut mit dem Thema. Er bezeichnet sich selbst als hochsensibel und weiß damit aus eigener Erfahrung, wovon er spricht. Um den persönlichen Bezug zu verdeutlichen, gebraucht er in seinen Ausführungen häufig die Ich-Form. Nach seiner Einschätzung wird das Thema bislang von der Psychologie nicht hinreichend beachtet.
Der Autor bietet einen einfach gestrickten Selbsttest an. Da Hochsensibilität leicht verwechselt werden kann mit anderen psychischen Besonderheiten, wie Sellin in "Therapeutische Wege, therapeutische Abwege" deutlich macht, kann ein Test nur ein Indiz sein, ob Hochsensibilität vorliegt. Letztlich muss ein Fachmann hinzugezogen werden.
Widersprüchlich wird es, wenn hochsensible Menschen gleichzeitig High Sensation Seekers sind und zeitweilig große Risiken eingehen, weil sie den besonderen Kick benötigen. Auch hierfür bietet der Autor einen kleinen Test an. „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, erkannte schon Goethe und so stellt sich die Frage, ob die (natürliche) menschliche Zerrissenheit unbedingt kategorisiert werden muss.
Ich bezweifele, dass man Menschen einteilen kann in „hochsensibel“ und „nicht hochsensibel“. Für wahrscheinlicher halte ich, dass es fließende Übergänge gibt und auch zahlreiche Überlagerungen mit anderen psychischen Merkmalen, sodass eine Kategorisierung nur ein künstliches Raster darstellen kann. In diesem Sinne kommt es nur darauf an, ob man mit dem eigenen Profil zufrieden ist oder ob man es als Belastung empfindet.
Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich der Autor in „Wenn die eigene Wahrnehmung immer nur stört“. Eine Reizüberflutung kann dazu führen, dass wir uns selbst nicht mehr wahrnehmen, und damit geht die eigene Perspektive verloren. Wir werden abhängig von der Meinung anderer. Die spannende Frage lautet daher: "Wie lässt sich die eigene Wahrnehmung steuern?"
Die Antworten auf diese Frage sind dürftig. "Wenn man es gelernt hat, bewusst mit seiner Wahrnehmung umzugehen, verändert sich das Leben grundlegend und damit auch das Lebensgefühl." (72) Das mag stimmen, ist aber keine hinreichende Antwort. Es folgen mehr Problembeschreibungen als Lösungen.
In "Leichter leben im Alltag" finden sich Aussagen wie "Hochsensible nehmen mehr Reize auf" (109), "Anpassungsüberforderung löst Stress aus" (110) oder "Sie [die Hochsensiblen] fühlen sich hin und her gerissen, wenn sie wahrnehmen, dass sie nicht Herr ihres eigenen Denkens sind". Auch hier werden mehr Probleme beschrieben als gelöst.
Ja, Hochsensible denken anders, weil sie mehr Reize aufnehmen. (118) "Bewusst arbeiten" (138) klingt recht allgemein und auch die Fragen "Wo bin ich? Und wo will ich hin?" (139) kann man sich unabhängig von der psychischen Befindlichkeit stellen. Zu guter Letzt soll man "Spiritualität leben" (155), weil die tiefe Sehnsucht, die viele von uns spüren, in zwischenmenschlichen Kontakten nicht auf Dauer befriedigt werden kann.
Vieles von dem, was der Autor schreibt, ist sicherlich richtig. Seine Ausführungen, insbesondere seine Lösungen sind recht allgemein gehalten und passen so auch in viele sonstige Psycho-Ratgeber. Das Buch enthält zahlreiche Wiederholungen. Die Beschreibung des Phänomens einschließlich Abgrenzung und Wechselwirkung zu psychischen Erkrankungen kommt m.E. zu kurz. Es mangelt dem Buch an Tiefe.