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Wie sich die Welt verwandelt, wenn es dunkel wird Georg geht bald in Rente. Im Büro wird er schon nicht mehr beachtet, zu Hause wartet kein Essen auf ihn. Er scheint sich langsam aufzulösen und fühlt sich, als würde er schweben. Sabrina ist geschmeichelt, als ein Künstler sie anspricht, und dann erschrickt sie, als sie sich zum ersten Mal als Kunstwerk sieht. Was, wenn die ungeheuerliche Phantasie realer wäre als die Wirklichkeit? In all seinen Büchern lotet Peter Stamm die Facetten menschlicher Existenz aus. Seine Figuren sind Versehrte und Phantasten. In diesen Geschichten führt er uns ins…mehr

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Produktbeschreibung
Wie sich die Welt verwandelt, wenn es dunkel wird Georg geht bald in Rente. Im Büro wird er schon nicht mehr beachtet, zu Hause wartet kein Essen auf ihn. Er scheint sich langsam aufzulösen und fühlt sich, als würde er schweben. Sabrina ist geschmeichelt, als ein Künstler sie anspricht, und dann erschrickt sie, als sie sich zum ersten Mal als Kunstwerk sieht. Was, wenn die ungeheuerliche Phantasie realer wäre als die Wirklichkeit? In all seinen Büchern lotet Peter Stamm die Facetten menschlicher Existenz aus. Seine Figuren sind Versehrte und Phantasten. In diesen Geschichten führt er uns ins Unheimliche, erzählt von zärtlichem Grauen, abgründigem Schwindel und gespenstischer Liebe.

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Autorenporträt
Peter Stamm, geboren 1963, studierte einige Semester Anglistik, Psychologie und Psychopathologie und übte verschiedene Berufe aus, u.a. in Paris und New York. Er lebt in der Schweiz. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor. Er schrieb mehr als ein Dutzend Hörspiele. Seit seinem Romandebüt 'Agnes' 1998 erschienen sechs weitere Romane, fünf Erzählungssammlungen und ein Band mit Theaterstücken, zuletzt die Romane 'Weit über das Land', 'Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt', 'Das Archiv der Gefühle' und zuletzt 'In einer dunkelblauen Stunde' sowie die Erzählung 'Marcia aus Vermont'. Unter dem Titel 'Die Vertreibung aus dem Paradies' erschienen 2014 seine Bamberger Poetikvorlesungen sowie 2024 die Züricher Poetikvorlesungen 'Eine Fantasie der Zeit'. 'Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt' wurde ausgezeichnet mit dem Schweizer Buchpreis 2018. Literaturpreise: Rheingau Literatur Preis 2000 Bodensee-Literaturpreis 2012 Friedrich-Hölderlin-Preis 2014 Cotta Literaturpreis 2017 ZKB-Schillerpreis 2017 Solothurner Literaturpreis 2018 Schweizer Buchpreis 2018
Rezensionen
In sachtem und sachlichem Ton, der gleichwohl emotional berührt, erzählt Peter Stamm vom Alltag, der oft verzaubert wird, wenn die Menschen aus ihrem Trott aussteigen [...]. Georg Patzer Badische Neueste Nachrichten 20210121

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2020

Wer ist schon
gern einseitig
Peter Stamm erzählt von
verstörten Alltagsmenschen
Georg ist ein Angestellter kurz vor der Pensionierung. Seine Aufgabe ist es, anhand einer Liste bestimmte Bauteile von Verkehrsflugzeugen zu kontrollieren. Im Verlauf seiner letzten Arbeitstage macht er merkwürdige Beobachtungen: Kollegen lassen ihn vor dem Aufzug stehen, seine Mails kommen ungelesen zurück. Mehr noch: In der Tram setzt sich eine Frau fast auf seinen Sitz, die Kassiererin im Supermarkt lässt ihn, ohne dass er bezahlt hat, einfach durch. Zu Hause kocht und isst seine Frau Hedwig allein, als sei er gar nicht da.
Für die Leser ist Georg dagegen sehr präsent, nämlich als Ich-Erzähler. Er lässt sie daran teilhaben, wie er quasi aus der Welt verschwindet. Am Schluss geht Hedwig „einfach durch ihn durch“, sein Körper wird schwerelos, und er erhebt sich vom Fenster zu einem Flug in die Freiheit: „Ich steige. Der See, die Hügel, in der Ferne die schneebedeckten Berge. Bald werde ich das Mittelmeer sehen, dann Afrika, den Atlantik, Amerika. Ich steige.“
Seit Iwan Turgenjews „Tagebuch eines überflüssigen Menschen“ sind Männer wie Georg ein Typus der Literaturgeschichte. Peter Stamm verortet in der Erzählung „Supermond“ diesen Typus in der mitteleuropäischen Gegenwart. Es ist ein wunderbares Erzählstück, in dem das Überflüssigmachen von Arbeitnehmern – Georg begreift, dass seine Tätigkeit künftig mühelos von einem Kollegen mit links erledigt werden kann – hier eine realistisch-fantastische Gestalt gewinnt. In der Ich-Form zeigt sich das deformierte Bewusstsein eines Beschäftigten, dem die Beschäftigung selbst längst zweifelhaft geworden ist: Wofür war seine Liste eigentlich gut, wer hat sie überhaupt gelesen?
Als er ohne zu bezahlen den Supermarkt verlässt, imaginiert er sich kurz und abenteuerlich als Ladendieb. „Vielleicht gefällt mir der Gedanke, eine andere Seite zu haben, die niemand kennt, Dinge zu tun, die mir keiner zutrauen würde. Aber ich habe keine andere Seite, ich bin sozusagen ein einseitiger Mensch.“
Peter Stamms neuer Erzählband „Wenn es dunkel wird“ ist voll solch unschuldig-treffender Formulierungen, voll auch von Menschen, die gern eine andere Seite hätten. Die des jungen David ist die eines Bankräubers. Der Lehrling plant, die Bankfiliale neben seinem Betrieb zu überfallen – mit einer Eichhörnchenmaske getarnt – und er beobachtet und notiert das Treiben dort über Wochen, akribisch, wie das Bankräuber eben tun. Der Ausbruch aus dem Existenztrott bedient sich geliehener Gesten, er ist genauso eine Kostümierung wie die lächerliche Eichhörnchenmaske.
Der naive Traum vom großen Auftritt als Ganove verdeckt sein wahres Bedürfnis: wahrgenommen zu werden und durch die Wahrnehmung erst als Subjekt zu existieren. Ausbruchsfantasien finden sich immer wieder in den Romanen Peter Stamms; in manchen, etwa in „Weit über das Land“, bricht er selbst aus, nämlich aus den Fesseln des Realismus – in eine Verzweigung der Handlung, die verschiedenste Lesarten gleichzeitig möglich macht.
Für die Helden dieser Erzählungen ist das schwieriger, sie haben nur ein einziges Leben, das sie zu führen meinen, obwohl es ihnen längst aus der Hand genommen worden ist. Für Adrian in der Erzählung „Der erste Schnee“ setzt sich der Alltags- und Berufsstress auf der Fahrt in die Skiferien fort: Autokolonnen, Schlangen, zuviel Menschen – eben, was der Schweizer „Dichtestress“ nennt. Ehestress kommt dazu, als er noch in der Raststätte von einem Kunden angerufen wird. Das Auto mit Frau und Kindern ist weg, Adrian stapft zu Fuß durch den nahen Wald und gerät in eine Märchenszenerie. Das Hexenhaus ist ein Schulhaus, die Hexe eine Lehrerin, die ihn einen Aufsatz schreiben lässt, in dem ihm sein ganzer Lebensfrust zu Bewusstsein kommt. Die Szene könnte ein Katalysator sein, in Wirklichkeit verdichtet sie die Fremdbestimmtheit.
Das raffinierteste Stück des Bandes heißt „Dietrichs Knie“ und erzählt von einem gekündigten Werber, dem auch das Selbstbewusstsein als Ehemann abhanden gekommen ist. Er glaubt auf dem Laptop seiner Frau einen Mailwechsel mit einem Nebenbuhler zu finden und schaltet sich in die Korrespondenz ein – die Deutung der Folgen überlässt Stamm den Lesern.
Gerade diese Geschichte zeigt, wie Stamm mit Konstruktion und Sprache zaubert. Welche Freiheit er den Lesern schenkt – und sie zugleich zu dieser Freiheit zwingt. Sie müssen ihre Wahl treffen, auch was den Charakter der Ehefrau des Werbers betrifft, über die ja einzig der eifersüchtige und gedemütigte Ehemann Auskunft gibt.
Stamms Sprache ist von gewohnt täuschender Schlichtheit und Oberflächlichkeit, sie ist nie schlauer als die Figuren, die sie benutzen. Aber sie ist transparent. Man schaut quasi durch sie hindurch und tief hinein: in Verstörungen und Verdrängungen, in Träume und Sehnsüchte. Der Autor bewerkstelligt das manchmal mit einem kleinen Schlenker, vom Konditional in den Indikativ, vom Seinkönnen zum Sein. In diesen Erzählungen aufgehoben, sind die Menschen nicht mehr überflüssig. Sie sind wahrgenommen.
MARTIN EBEL
Peter Stamm: Wenn es dunkel wird. Erzählungen. S. Fischer, Frankfurt 2020. 190 Seiten, 21 Euro.
Den Lesern bleibt
überlassen, wie sie zu den
Figuren stehen
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