"Wie viel von diesen Hügeln ist Gold" ist eins von Obamas Lieblingsbüchern 2020 Mit einer Pistole in den Händen und der Leiche des Vaters auf dem Rücken des Pferdes sind die chinesischen Waisenkinder Lucy und Sam auf der Flucht durch die Prärie. Es ist ein unbarmherziges Land, von Bisonknochen übersät und dem Goldrausch verfallen. Die Geschwister wollen den Vater gemäß dem chinesischen Ritual begraben - mit zwei Silberdollars auf den Augen. Nur auf diese Weise kann Ba nach Hause finden. Doch wo in dieser fremden Welt ist für Lucy und Sam das Zuhause, das so unerreichbar scheint wie das versprochene Gold in den Hügeln? Mit wilder Sprachmagie erzählt C Pam Zhang, Tochter chinesischer Einwanderer in Amerika, in ihrem Roman "Wie viel von diesen Hügeln ist Gold" von der Sehnsucht anzukommen - an einem Ort und in einer Identität, die sich über die Grenzen von Herkunft und Gender hinwegsetzt.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Martin Oehlen kann verstehen, warum C Pam Zhangs Debüt "Wie viel von diesen Hügeln ist Gold" vergangenes Jahr auf der Longlist des Booker Prizes stand. Die chinesisch-amerikanische Schriftstellerin erzählt darin in Form eines Westernromans von zwei Geschwistern, der zwölfjährigen, schlauen Lucy und der elfjährigen, trotzigen Sam, die sich auf die Suche nach einem Zuhause und einer geeigneten Begräbnisstelle für ihren verstorbenen Vater Ba begeben, beschreibt Oehlen. Die Figuren sind ihm zufolge markant gezeichnet, ohne idealisiert zu werden. Außerdem findet der Rezensent es mutig, dass die Autorin im dritten Teil des Buches den toten Ba als Erzähler fungieren lässt. Und obwohl die Geschichten im Wilden Westen spielen, sind die behandelten Themen, darunter Rassismus, Sexismus, Umweltschutz, Migration und Selbstfindung hochaktuell und zeigen poetisch und bestimmt, wie der amerikanische Traum zum Alptraum werden kann. Ein glänzendes Debüt in einer glänzenden Übersetzung von Eva Regul, schließt Oehlen zufrieden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.08.2021Im weißgewaschenen Westen
Aus der Erinnerung an die amerikanische Pionierzeit sind die chinesischen Immigranten weitgehend verschwunden.
C Pam Zhangs Debütroman „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ will dieses Versäumnis korrigieren
VON SAMIR SELLAMI
Der Roman „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ ist nicht nur literarischer Western. Er ist auch eine historiografische Intervention. Das Debüt der amerikanischen Autorin C Pam Zhang, die 1990 in Peking geboren wurde, erzählt von Begebenheiten, die aus dem kollektiven Gedächtnis der USA weitgehend ausgeklammert sind: der Geschichte der Chinesen im US-amerikanischen Westen der Pionierjahre.
Das Zusammenspiel von Opiumkrise und Goldrausch hatte die ersten Migranten aus China ins Land gespült. Deren Nachkommen organisierten ihr Überleben als Feld-, Fabrik- und Minenarbeiter, Hausangestellte oder Betreiber von Opiumhöhlen. Bis zu 90 Prozent der Arbeiter, die in den 1860er-Jahren für den Bau der ersten interkontinentalen Eisenbahnstrecke schufteten, waren Schätzungen zufolge Chinesen.
Ihrer vergessenen Präsenz im weißgewaschenen Wilden Westen setzt Zhang ein literarisches Denkmal und leistet damit einen äußerst zeitgemäßen symbolischen Restitutionsakt. Völlig unbesiedeltes Neuland, wie die überwiegend enthusiastischen Reaktionen der Kritik nahelegen, betritt sie damit jedoch nicht. Angefangen mit der zu früh abgesetzten HBO-Serie „Deadwood“ über die breit rezipierte Genre- und Jugendliteratur von Ken Liu und Stacey Lee bis hin zu Kelly Reichardts behutsamem Kinofilm „First Cow“ zeichnet sich eine breite Bewegung ab, die dem blass gewordenen Westerngenre fernöstliches Blut einflößt.
Zu Beginn des Romans sind die jungen Schwestern, Sam, gerade erst zwölf Jahre alt, und Lucy, sogar erst elf, auf der Flucht: vor imaginären Tigertatzen und übergriffigen Trappern, pochendem Hunger und unbarmherziger Dunkelheit. Im Rucksack haben sie den toten Vater („Ba“), den sie begraben müssen, denn ihre Mutter („Ma“) ist schon lange fort. Die groteske Flucht durchs sonnenvertrocknete Hügelland Nordkaliforniens weckt Assoziationen zu Faulkners Meisterwerk „Als ich im Sterben lag“, aber anders als bei Faulkner treibt die Geschwister kein hinterlistiges Kalkül, sondern ein diffuses Pflichtbewusstsein, das mit ihrer Herkunft zu tun haben könnte oder der ähnlich diffusen Gewissheit, nie ganz zu dem Land zu gehören, in das sie hineingeboren wurden.
Das ist die eine Hälfte der Geschichte. Die andere Hälfte erzählt, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass sich Lucy und Sam ganz auf sich selbst gestellt im Westernkerngebiet herumtreiben, mitten im unheimlichen 19. Jahrhundert, das durch Zeitangaben wie XX67 und XX42 auf vorsorglich fiktionaler Distanz gehalten wird. Einst folgten, so will es die Familienlegende, Ba und Ma dem Ruf des Goldes an die US-amerikanische Westküste. Das ist lange her, und statt Gold fließt im Jahr XX59 nur noch „ein dünnes Rinnsal an Geld, das niemals reicht, um die leeren Mägen zu füllen“.
Doch dann finden die beiden tatsächlich Gold, so viel, dass der amerikanische Traum für einen Moment zum Greifen nahe scheint, selbst für eine chinesische Einwandererfamilie in rechtsfreiem Gebiet. Doch der Traum zerrinnt, und am Ende behält das unversöhnliche Motto des Romans die Oberhand: „This Land Is Not Your Land“, lautet es, ein Negativzitat von Woody Guthries alternativer Amerika-Hymne.
Zhangs Restitutionsakt besteht also nicht darin, die Erfolgsgeschichte chinesischer Immigranten zu erzählen, sondern darin, ihre Geschichte überhaupt ins kollektive Bewusstsein zu heben. In einem Essay für den New Yorker berichtete sie von einer Erfahrung, die für viele Asian Americans bis heute prägend ist: Das Familienleben aus der Zeit vor der Einwanderung lernen sie in der Regel nur als Prolog für die biografische Haupterzählung kennen, die eine rein amerikanische ist. Sich überhaupt der eigenen Vergangenheit zu stellen, werde angesichts einer in asiatisch-amerikanischen Familien endemischen „Mythologisierung der Zukunft“ bereits zur störenden Intervention gegen das Protokoll reibungsloser Assimilation.
Zhangs Gespür für zeitgemäße Fragestellungen zeigt sich schließlich in einem weiteren Motivkomplex des Romans: der Zerstörung der Umwelt unter den Bedingungen kapitalistischer Modernisierung. Mit bewährter Gewalt bricht im Laufe des Romans die Moderne über die Gegend herein und zieht ihre segmentierenden Linien. Auf den Goldrausch folgen Exzesse aus Kohle und Stahl, „die Eisenbahntrasse wächst, die Hügel werden planiert“. Die Trauer, die Zhang in einem Interview zum zentralen Thema des Buches erklärt hat, betrifft nicht nur den frühen Tod der Eltern, sondern auch das Verschwinden der Natur. In diesem Sinne lautet die Antwort, die sich der Roman im Titel selbst stellt: Es ist ganz egal, wie viel Gold in diesen Hügeln schlummert, es wird nie genug sein in einer Gesellschaft, die von Männern dominiert wird, „die die Erde leergraben“.
Zusammen mit Sams lässigem gender bending, Lucys Scharfsinn und dem nur selten um Überraschungen verlegenen Plot mag man in dieser umfassenden Verjüngungskur des Westerngenres Ursachen vermuten für den überwältigenden Erfolg dieses Romans, der es bis auf Barack Obamas Leseliste geschafft hat. Und doch glänzt nicht alles daran. Zwar knallen Zhangs Sätze auch in Eva Reguls hervorragender Übersetzung wie Peitschenhiebe aufs Papier, doch in der Länge eines Romans verliert auch das an Reiz. Vor allem das Verfahren, direkte Rede mit unübersetztem Pidgin-Mandarin anzureichern, bleibt Ornament, um nicht zu sagen billiger Modeschmuck.
So wird in diesem Western zwar ungewohnt viel, dafür aber nicht besonders vielsprachig geredet. Das Fluide, Offene, Mehrsprachige wird über Identitäts- und Zugehörigkeitsfragen beschworen, formal aber bleibt die Erzählung konventionell. Ihr Ausgang könnte amerikanischer kaum sein. Zwar ist am Ende das Gold zerronnen und die Eltern sind tot, doch in all dem Unglück findet Lucy eine viel wertvollere Währung: „ihre eigene Geschichte, nur für sie selbst geschrieben“.
Mit dieser ästhetischen Utopie, die die Macht der Geschichten beschwört, „damit sich Gnade über Jahre der Verletzungen legt“, ist Zhang in guter Gesellschaft. Überall wimmelt es im Moment von politisch sensibilisierter Kunst, die den Marginalisierten eine Stimme gibt, um – in Lucys Worten – „mit Geschichten gegen die Geschichtsbücher“ vorzugehen.
Das klassische Happy End aus den goldenen Tagen der Hollywood-Sentimentalität, bei dem das vermeintlich Gute das im buchstäblichen Sinne dunkle Böse besiegt, ist für eine gegen den Mythos vom weißen Amerika immunisierte Gegenwartsliteratur keine Option mehr. Aber das formale Happy End, an dem sich jemand die eigene Geschichte erobert und über das Vergessen triumphiert, drängt sich als neue Leitideologie einer US-amerikanischen Kulturindustrie nach vorne, die ihre Produkte so sendungsbewusst wie eh und je in die ganze Welt exportiert. Und damit riskantere Kunst verdrängt, die ihr Glück anderswo sucht als im ewigen Suchen und Finden der eigenen Story.
Der Goldrausch ist lange her,
in Kalifornien fließt Geld nur
noch als dünnes Rinnsal
Das alte Happy End wird von
einem neuen abgelöst: „die
eigene Geschichte“ zu finden
Die Schriftstellerin C Pam Zhang wurde 1990 in Beijing geboren und wuchs in den USA auf. Ihr Debütroman war unter anderem für den Booker Prize nominiert.
Foto: Gioia Zloczower
C Pam Zhang:
Wie viel von diesen
Hügeln ist Gold.
Aus dem Englischen
von Eva Regul.
S. Fischer, Frankfurt
am Main 2021.
341 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Aus der Erinnerung an die amerikanische Pionierzeit sind die chinesischen Immigranten weitgehend verschwunden.
C Pam Zhangs Debütroman „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ will dieses Versäumnis korrigieren
VON SAMIR SELLAMI
Der Roman „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ ist nicht nur literarischer Western. Er ist auch eine historiografische Intervention. Das Debüt der amerikanischen Autorin C Pam Zhang, die 1990 in Peking geboren wurde, erzählt von Begebenheiten, die aus dem kollektiven Gedächtnis der USA weitgehend ausgeklammert sind: der Geschichte der Chinesen im US-amerikanischen Westen der Pionierjahre.
Das Zusammenspiel von Opiumkrise und Goldrausch hatte die ersten Migranten aus China ins Land gespült. Deren Nachkommen organisierten ihr Überleben als Feld-, Fabrik- und Minenarbeiter, Hausangestellte oder Betreiber von Opiumhöhlen. Bis zu 90 Prozent der Arbeiter, die in den 1860er-Jahren für den Bau der ersten interkontinentalen Eisenbahnstrecke schufteten, waren Schätzungen zufolge Chinesen.
Ihrer vergessenen Präsenz im weißgewaschenen Wilden Westen setzt Zhang ein literarisches Denkmal und leistet damit einen äußerst zeitgemäßen symbolischen Restitutionsakt. Völlig unbesiedeltes Neuland, wie die überwiegend enthusiastischen Reaktionen der Kritik nahelegen, betritt sie damit jedoch nicht. Angefangen mit der zu früh abgesetzten HBO-Serie „Deadwood“ über die breit rezipierte Genre- und Jugendliteratur von Ken Liu und Stacey Lee bis hin zu Kelly Reichardts behutsamem Kinofilm „First Cow“ zeichnet sich eine breite Bewegung ab, die dem blass gewordenen Westerngenre fernöstliches Blut einflößt.
Zu Beginn des Romans sind die jungen Schwestern, Sam, gerade erst zwölf Jahre alt, und Lucy, sogar erst elf, auf der Flucht: vor imaginären Tigertatzen und übergriffigen Trappern, pochendem Hunger und unbarmherziger Dunkelheit. Im Rucksack haben sie den toten Vater („Ba“), den sie begraben müssen, denn ihre Mutter („Ma“) ist schon lange fort. Die groteske Flucht durchs sonnenvertrocknete Hügelland Nordkaliforniens weckt Assoziationen zu Faulkners Meisterwerk „Als ich im Sterben lag“, aber anders als bei Faulkner treibt die Geschwister kein hinterlistiges Kalkül, sondern ein diffuses Pflichtbewusstsein, das mit ihrer Herkunft zu tun haben könnte oder der ähnlich diffusen Gewissheit, nie ganz zu dem Land zu gehören, in das sie hineingeboren wurden.
Das ist die eine Hälfte der Geschichte. Die andere Hälfte erzählt, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass sich Lucy und Sam ganz auf sich selbst gestellt im Westernkerngebiet herumtreiben, mitten im unheimlichen 19. Jahrhundert, das durch Zeitangaben wie XX67 und XX42 auf vorsorglich fiktionaler Distanz gehalten wird. Einst folgten, so will es die Familienlegende, Ba und Ma dem Ruf des Goldes an die US-amerikanische Westküste. Das ist lange her, und statt Gold fließt im Jahr XX59 nur noch „ein dünnes Rinnsal an Geld, das niemals reicht, um die leeren Mägen zu füllen“.
Doch dann finden die beiden tatsächlich Gold, so viel, dass der amerikanische Traum für einen Moment zum Greifen nahe scheint, selbst für eine chinesische Einwandererfamilie in rechtsfreiem Gebiet. Doch der Traum zerrinnt, und am Ende behält das unversöhnliche Motto des Romans die Oberhand: „This Land Is Not Your Land“, lautet es, ein Negativzitat von Woody Guthries alternativer Amerika-Hymne.
Zhangs Restitutionsakt besteht also nicht darin, die Erfolgsgeschichte chinesischer Immigranten zu erzählen, sondern darin, ihre Geschichte überhaupt ins kollektive Bewusstsein zu heben. In einem Essay für den New Yorker berichtete sie von einer Erfahrung, die für viele Asian Americans bis heute prägend ist: Das Familienleben aus der Zeit vor der Einwanderung lernen sie in der Regel nur als Prolog für die biografische Haupterzählung kennen, die eine rein amerikanische ist. Sich überhaupt der eigenen Vergangenheit zu stellen, werde angesichts einer in asiatisch-amerikanischen Familien endemischen „Mythologisierung der Zukunft“ bereits zur störenden Intervention gegen das Protokoll reibungsloser Assimilation.
Zhangs Gespür für zeitgemäße Fragestellungen zeigt sich schließlich in einem weiteren Motivkomplex des Romans: der Zerstörung der Umwelt unter den Bedingungen kapitalistischer Modernisierung. Mit bewährter Gewalt bricht im Laufe des Romans die Moderne über die Gegend herein und zieht ihre segmentierenden Linien. Auf den Goldrausch folgen Exzesse aus Kohle und Stahl, „die Eisenbahntrasse wächst, die Hügel werden planiert“. Die Trauer, die Zhang in einem Interview zum zentralen Thema des Buches erklärt hat, betrifft nicht nur den frühen Tod der Eltern, sondern auch das Verschwinden der Natur. In diesem Sinne lautet die Antwort, die sich der Roman im Titel selbst stellt: Es ist ganz egal, wie viel Gold in diesen Hügeln schlummert, es wird nie genug sein in einer Gesellschaft, die von Männern dominiert wird, „die die Erde leergraben“.
Zusammen mit Sams lässigem gender bending, Lucys Scharfsinn und dem nur selten um Überraschungen verlegenen Plot mag man in dieser umfassenden Verjüngungskur des Westerngenres Ursachen vermuten für den überwältigenden Erfolg dieses Romans, der es bis auf Barack Obamas Leseliste geschafft hat. Und doch glänzt nicht alles daran. Zwar knallen Zhangs Sätze auch in Eva Reguls hervorragender Übersetzung wie Peitschenhiebe aufs Papier, doch in der Länge eines Romans verliert auch das an Reiz. Vor allem das Verfahren, direkte Rede mit unübersetztem Pidgin-Mandarin anzureichern, bleibt Ornament, um nicht zu sagen billiger Modeschmuck.
So wird in diesem Western zwar ungewohnt viel, dafür aber nicht besonders vielsprachig geredet. Das Fluide, Offene, Mehrsprachige wird über Identitäts- und Zugehörigkeitsfragen beschworen, formal aber bleibt die Erzählung konventionell. Ihr Ausgang könnte amerikanischer kaum sein. Zwar ist am Ende das Gold zerronnen und die Eltern sind tot, doch in all dem Unglück findet Lucy eine viel wertvollere Währung: „ihre eigene Geschichte, nur für sie selbst geschrieben“.
Mit dieser ästhetischen Utopie, die die Macht der Geschichten beschwört, „damit sich Gnade über Jahre der Verletzungen legt“, ist Zhang in guter Gesellschaft. Überall wimmelt es im Moment von politisch sensibilisierter Kunst, die den Marginalisierten eine Stimme gibt, um – in Lucys Worten – „mit Geschichten gegen die Geschichtsbücher“ vorzugehen.
Das klassische Happy End aus den goldenen Tagen der Hollywood-Sentimentalität, bei dem das vermeintlich Gute das im buchstäblichen Sinne dunkle Böse besiegt, ist für eine gegen den Mythos vom weißen Amerika immunisierte Gegenwartsliteratur keine Option mehr. Aber das formale Happy End, an dem sich jemand die eigene Geschichte erobert und über das Vergessen triumphiert, drängt sich als neue Leitideologie einer US-amerikanischen Kulturindustrie nach vorne, die ihre Produkte so sendungsbewusst wie eh und je in die ganze Welt exportiert. Und damit riskantere Kunst verdrängt, die ihr Glück anderswo sucht als im ewigen Suchen und Finden der eigenen Story.
Der Goldrausch ist lange her,
in Kalifornien fließt Geld nur
noch als dünnes Rinnsal
Das alte Happy End wird von
einem neuen abgelöst: „die
eigene Geschichte“ zu finden
Die Schriftstellerin C Pam Zhang wurde 1990 in Beijing geboren und wuchs in den USA auf. Ihr Debütroman war unter anderem für den Booker Prize nominiert.
Foto: Gioia Zloczower
C Pam Zhang:
Wie viel von diesen
Hügeln ist Gold.
Aus dem Englischen
von Eva Regul.
S. Fischer, Frankfurt
am Main 2021.
341 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2021Ein schmaler, verwilderter Pfad
Unerfüllter amerikanischer Traum: C Pam Zhangs chinesische Einwanderergeschichte
Früher war alles gewaltiger, die Bisons beispielsweise: "War eine kalte Zeit damals. Fast das ganze Jahr über lag Schnee. Aber ich glaube, es ist nach und nach wärmer geworden, die Tiere wurden kleiner. Auch der See ist geschrumpft", so erzählt der Vater seinen jungen Töchtern von der Welt, in der sie leben und von der sie offenkundig nur die Schrumpfform kennen. Was von der alten Herrlichkeit noch übrig bleiben mag, hofft er im Gold zu finden, das die Hügel ringsum bergen sollen: ein Glücksversprechen, dem er mit der Familie jahrelang gefolgt ist. Wie zigtausend andere zog er nach Westen, um zu schürfen. Doch zu Reichtum kam er nie, und sein amerikanischer Traum ist schon deshalb unerfüllt geblieben, weil er sich nie zugehörig fühlen durfte: Chinesische Einwanderer und ihre Nachkommen werden im gelobten Land allenfalls als Lohnsklaven geduldet. Wenn der Vater daher von den großen Urzeiten des Landes fantasiert, formuliert er seinen Claim, dass auch er und die Seinen dort zu Hause sind.
Diesem Anspruch stellt sich dieser Roman: Er will zeigen, dass amerikanische Geschichte vielfältiger und vielsprachiger ist, als sie in gängigen Darstellungen erscheint, und dass auch ein prägendes Ereignis wie der kalifornische Goldrausch nicht im Mythos starker weißer Männer aufgeht, den wir aus so vielen Büchern oder Filmen kennen. Die Autorin C Pam Zhang, Jahrgang 1990, kam in China zur Welt und als Kind in die Vereinigten Staaten. Dort wurde ihr Erzähldebüt im letzten Jahr zu einem Sensationserfolg; sogar mit einer Empfehlung von Barack Obama lässt sich ihr Buch jetzt bewerben. Wie also setzt es sein zweifellos wichtiges Anliegen um?
Die Kapitel heißen "Gold", "Salz", "Schädel", "Wind", "Erde", "Fleisch" oder "Blut" und deuten schon durch diese Titel an, dass hier jemand ganz aufs Essenzielle setzt. Die Schauplätze werden durch bloße Versatzstücke markiert: Von "Creek" ist die Rede, von "Saloon" oder "Hufschmiede" - das muss reichen, um die Atmosphäre von Goldgräberstädten und Frontier-Siedlungen zu entwerfen. Die historische Lokalisierung wird durch geheimnisvolle Jahresangaben wie "XX62" gezielt verunklart. Das ganze Wildwest-Szenario wirkt durchweg wie Found-Footage-Material, das grell nachkoloriert und mit allerhand rätselhaften Zutaten versehen worden ist, mit Tigern beispielsweise, die nachts durch die Prärie streunen, oder Schakalen, die sich unversehens in bärtige Männer verwandeln und alles zerstören.
Die Geschichte setzt ein, als der Vater stirbt und die beiden Töchter, elf- und zwölfjährig, den verwesenden Leichnam auf der Suche nach einem passenden Begräbnisort wochenlang im Treck hinter sich herziehen. Und schon finden Belesene ein weiteres Versatzstück, das William Faulkners modernistisch vielstimmigem Südstaatenepos "Als ich im Sterben lag" entnommen scheint, in dem eine solche Konstellation bereits erzählt wird und ebenfalls die Totenstimme einen Erzählpart erhält. Doch bei Zhang gibt es noch mehr: Eine der Töchter wäre lieber ein Sohn und steckt sich daher Steine oder Möhren in die Hose - ein transsexuelles Verlangen, das offenbar nicht nur eigenem Begehren folgt, sondern zugleich dem Vater über den Verlust des dritten Kindes hinweghelfen soll, eines Sohnes, der bei der Geburt verstarb und dabei auch die Mutter von der Restfamilie entfernt hat. Weiterhin finden sich Überschwemmungen, Feuersbrünste und Verfolgungsjagden.
Erzählt wird das alles im historischen Präsens und in einer Sprache, die in amerikanischen Rezensionen als "lyrisch" gepriesen wurde und sich in Eva Reguls deutscher Übersetzung so ausnimmt: "Ein Leben aus knospenden Möglichkeiten, die nur darauf warteten aufzublühen." Oder: Lucy "staunt, hat sie doch das Grab ihrer Kindheit so festgetrampelt, dass kaum noch Gefühle herausflattern". Oder: "Lucy sehnt sich einfach nur nach der leeren Straße und dem Nachhall von Sams Brüllen, das immer noch in ihr klingt wie ein schmaler, verwilderter Pfad." Oder: "Lucy lässt einen Schwall Flüche los. Das Gras verschluckt sie mit zustimmendem Nicken." Diese Mischung aus Klischees und Stilblüten, fast beliebig herausgegriffen, findet sich innerhalb weniger Seiten.
Dies ist ein Debüt, das alles zugleich sein will - historischer Roman, Geschichtsrevision, Familiensaga, Western, Coming-of-Age-Geschichte, Abenteuerstory, Magischer Realismus, Traumabewältigung - und doch mit seinen Möglichkeiten nichts davon erreicht. Vielleicht ist das wie mit den Bisons: Früher war eben alles gewaltiger. TOBIAS DÖRING
C Pam Zhang: "Wie viel von diesen Hügeln ist Gold". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Regul. Verlag S. Fischer,
Frankfurt am Main 2021. 342 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unerfüllter amerikanischer Traum: C Pam Zhangs chinesische Einwanderergeschichte
Früher war alles gewaltiger, die Bisons beispielsweise: "War eine kalte Zeit damals. Fast das ganze Jahr über lag Schnee. Aber ich glaube, es ist nach und nach wärmer geworden, die Tiere wurden kleiner. Auch der See ist geschrumpft", so erzählt der Vater seinen jungen Töchtern von der Welt, in der sie leben und von der sie offenkundig nur die Schrumpfform kennen. Was von der alten Herrlichkeit noch übrig bleiben mag, hofft er im Gold zu finden, das die Hügel ringsum bergen sollen: ein Glücksversprechen, dem er mit der Familie jahrelang gefolgt ist. Wie zigtausend andere zog er nach Westen, um zu schürfen. Doch zu Reichtum kam er nie, und sein amerikanischer Traum ist schon deshalb unerfüllt geblieben, weil er sich nie zugehörig fühlen durfte: Chinesische Einwanderer und ihre Nachkommen werden im gelobten Land allenfalls als Lohnsklaven geduldet. Wenn der Vater daher von den großen Urzeiten des Landes fantasiert, formuliert er seinen Claim, dass auch er und die Seinen dort zu Hause sind.
Diesem Anspruch stellt sich dieser Roman: Er will zeigen, dass amerikanische Geschichte vielfältiger und vielsprachiger ist, als sie in gängigen Darstellungen erscheint, und dass auch ein prägendes Ereignis wie der kalifornische Goldrausch nicht im Mythos starker weißer Männer aufgeht, den wir aus so vielen Büchern oder Filmen kennen. Die Autorin C Pam Zhang, Jahrgang 1990, kam in China zur Welt und als Kind in die Vereinigten Staaten. Dort wurde ihr Erzähldebüt im letzten Jahr zu einem Sensationserfolg; sogar mit einer Empfehlung von Barack Obama lässt sich ihr Buch jetzt bewerben. Wie also setzt es sein zweifellos wichtiges Anliegen um?
Die Kapitel heißen "Gold", "Salz", "Schädel", "Wind", "Erde", "Fleisch" oder "Blut" und deuten schon durch diese Titel an, dass hier jemand ganz aufs Essenzielle setzt. Die Schauplätze werden durch bloße Versatzstücke markiert: Von "Creek" ist die Rede, von "Saloon" oder "Hufschmiede" - das muss reichen, um die Atmosphäre von Goldgräberstädten und Frontier-Siedlungen zu entwerfen. Die historische Lokalisierung wird durch geheimnisvolle Jahresangaben wie "XX62" gezielt verunklart. Das ganze Wildwest-Szenario wirkt durchweg wie Found-Footage-Material, das grell nachkoloriert und mit allerhand rätselhaften Zutaten versehen worden ist, mit Tigern beispielsweise, die nachts durch die Prärie streunen, oder Schakalen, die sich unversehens in bärtige Männer verwandeln und alles zerstören.
Die Geschichte setzt ein, als der Vater stirbt und die beiden Töchter, elf- und zwölfjährig, den verwesenden Leichnam auf der Suche nach einem passenden Begräbnisort wochenlang im Treck hinter sich herziehen. Und schon finden Belesene ein weiteres Versatzstück, das William Faulkners modernistisch vielstimmigem Südstaatenepos "Als ich im Sterben lag" entnommen scheint, in dem eine solche Konstellation bereits erzählt wird und ebenfalls die Totenstimme einen Erzählpart erhält. Doch bei Zhang gibt es noch mehr: Eine der Töchter wäre lieber ein Sohn und steckt sich daher Steine oder Möhren in die Hose - ein transsexuelles Verlangen, das offenbar nicht nur eigenem Begehren folgt, sondern zugleich dem Vater über den Verlust des dritten Kindes hinweghelfen soll, eines Sohnes, der bei der Geburt verstarb und dabei auch die Mutter von der Restfamilie entfernt hat. Weiterhin finden sich Überschwemmungen, Feuersbrünste und Verfolgungsjagden.
Erzählt wird das alles im historischen Präsens und in einer Sprache, die in amerikanischen Rezensionen als "lyrisch" gepriesen wurde und sich in Eva Reguls deutscher Übersetzung so ausnimmt: "Ein Leben aus knospenden Möglichkeiten, die nur darauf warteten aufzublühen." Oder: Lucy "staunt, hat sie doch das Grab ihrer Kindheit so festgetrampelt, dass kaum noch Gefühle herausflattern". Oder: "Lucy sehnt sich einfach nur nach der leeren Straße und dem Nachhall von Sams Brüllen, das immer noch in ihr klingt wie ein schmaler, verwilderter Pfad." Oder: "Lucy lässt einen Schwall Flüche los. Das Gras verschluckt sie mit zustimmendem Nicken." Diese Mischung aus Klischees und Stilblüten, fast beliebig herausgegriffen, findet sich innerhalb weniger Seiten.
Dies ist ein Debüt, das alles zugleich sein will - historischer Roman, Geschichtsrevision, Familiensaga, Western, Coming-of-Age-Geschichte, Abenteuerstory, Magischer Realismus, Traumabewältigung - und doch mit seinen Möglichkeiten nichts davon erreicht. Vielleicht ist das wie mit den Bisons: Früher war eben alles gewaltiger. TOBIAS DÖRING
C Pam Zhang: "Wie viel von diesen Hügeln ist Gold". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Regul. Verlag S. Fischer,
Frankfurt am Main 2021. 342 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
'Wie viel von diesen Hügel ist Gold' ist eines der erstaunlichsten Bücher des letzten Jahres. Victor Lachner Ultimo 20220225
Ein schmaler, verwilderter Pfad
Unerfüllter amerikanischer Traum: C Pam Zhangs chinesische Einwanderergeschichte
Früher war alles gewaltiger, die Bisons beispielsweise: "War eine kalte Zeit damals. Fast das ganze Jahr über lag Schnee. Aber ich glaube, es ist nach und nach wärmer geworden, die Tiere wurden kleiner. Auch der See ist geschrumpft", so erzählt der Vater seinen jungen Töchtern von der Welt, in der sie leben und von der sie offenkundig nur die Schrumpfform kennen. Was von der alten Herrlichkeit noch übrig bleiben mag, hofft er im Gold zu finden, das die Hügel ringsum bergen sollen: ein Glücksversprechen, dem er mit der Familie jahrelang gefolgt ist. Wie zigtausend andere zog er nach Westen, um zu schürfen. Doch zu Reichtum kam er nie, und sein amerikanischer Traum ist schon deshalb unerfüllt geblieben, weil er sich nie zugehörig fühlen durfte: Chinesische Einwanderer und ihre Nachkommen werden im gelobten Land allenfalls als Lohnsklaven geduldet. Wenn der Vater daher von den großen Urzeiten des Landes fantasiert, formuliert er seinen Claim, dass auch er und die Seinen dort zu Hause sind.
Diesem Anspruch stellt sich dieser Roman: Er will zeigen, dass amerikanische Geschichte vielfältiger und vielsprachiger ist, als sie in gängigen Darstellungen erscheint, und dass auch ein prägendes Ereignis wie der kalifornische Goldrausch nicht im Mythos starker weißer Männer aufgeht, den wir aus so vielen Büchern oder Filmen kennen. Die Autorin C Pam Zhang, Jahrgang 1990, kam in China zur Welt und als Kind in die Vereinigten Staaten. Dort wurde ihr Erzähldebüt im letzten Jahr zu einem Sensationserfolg; sogar mit einer Empfehlung von Barack Obama lässt sich ihr Buch jetzt bewerben. Wie also setzt es sein zweifellos wichtiges Anliegen um?
Die Kapitel heißen "Gold", "Salz", "Schädel", "Wind", "Erde", "Fleisch" oder "Blut" und deuten schon durch diese Titel an, dass hier jemand ganz aufs Essenzielle setzt. Die Schauplätze werden durch bloße Versatzstücke markiert: Von "Creek" ist die Rede, von "Saloon" oder "Hufschmiede" - das muss reichen, um die Atmosphäre von Goldgräberstädten und Frontier-Siedlungen zu entwerfen. Die historische Lokalisierung wird durch geheimnisvolle Jahresangaben wie "XX62" gezielt verunklart. Das ganze Wildwest-Szenario wirkt durchweg wie Found-Footage-Material, das grell nachkoloriert und mit allerhand rätselhaften Zutaten versehen worden ist, mit Tigern beispielsweise, die nachts durch die Prärie streunen, oder Schakalen, die sich unversehens in bärtige Männer verwandeln und alles zerstören.
Die Geschichte setzt ein, als der Vater stirbt und die beiden Töchter, elf- und zwölfjährig, den verwesenden Leichnam auf der Suche nach einem passenden Begräbnisort wochenlang im Treck hinter sich herziehen. Und schon finden Belesene ein weiteres Versatzstück, das William Faulkners modernistisch vielstimmigem Südstaatenepos "Als ich im Sterben lag" entnommen scheint, in dem eine solche Konstellation bereits erzählt wird und ebenfalls die Totenstimme einen Erzählpart erhält. Doch bei Zhang gibt es noch mehr: Eine der Töchter wäre lieber ein Sohn und steckt sich daher Steine oder Möhren in die Hose - ein transsexuelles Verlangen, das offenbar nicht nur eigenem Begehren folgt, sondern zugleich dem Vater über den Verlust des dritten Kindes hinweghelfen soll, eines Sohnes, der bei der Geburt verstarb und dabei auch die Mutter von der Restfamilie entfernt hat. Weiterhin finden sich Überschwemmungen, Feuersbrünste und Verfolgungsjagden.
Erzählt wird das alles im historischen Präsens und in einer Sprache, die in amerikanischen Rezensionen als "lyrisch" gepriesen wurde und sich in Eva Reguls deutscher Übersetzung so ausnimmt: "Ein Leben aus knospenden Möglichkeiten, die nur darauf warteten aufzublühen." Oder: Lucy "staunt, hat sie doch das Grab ihrer Kindheit so festgetrampelt, dass kaum noch Gefühle herausflattern". Oder: "Lucy sehnt sich einfach nur nach der leeren Straße und dem Nachhall von Sams Brüllen, das immer noch in ihr klingt wie ein schmaler, verwilderter Pfad." Oder: "Lucy lässt einen Schwall Flüche los. Das Gras verschluckt sie mit zustimmendem Nicken." Diese Mischung aus Klischees und Stilblüten, fast beliebig herausgegriffen, findet sich innerhalb weniger Seiten.
Dies ist ein Debüt, das alles zugleich sein will - historischer Roman, Geschichtsrevision, Familiensaga, Western, Coming-of-Age-Geschichte, Abenteuerstory, Magischer Realismus, Traumabewältigung - und doch mit seinen Möglichkeiten nichts davon erreicht. Vielleicht ist das wie mit den Bisons: Früher war eben alles gewaltiger. TOBIAS DÖRING
C Pam Zhang: "Wie viel von diesen Hügeln ist Gold". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Regul. Verlag S. Fischer,
Frankfurt am Main 2021. 342 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unerfüllter amerikanischer Traum: C Pam Zhangs chinesische Einwanderergeschichte
Früher war alles gewaltiger, die Bisons beispielsweise: "War eine kalte Zeit damals. Fast das ganze Jahr über lag Schnee. Aber ich glaube, es ist nach und nach wärmer geworden, die Tiere wurden kleiner. Auch der See ist geschrumpft", so erzählt der Vater seinen jungen Töchtern von der Welt, in der sie leben und von der sie offenkundig nur die Schrumpfform kennen. Was von der alten Herrlichkeit noch übrig bleiben mag, hofft er im Gold zu finden, das die Hügel ringsum bergen sollen: ein Glücksversprechen, dem er mit der Familie jahrelang gefolgt ist. Wie zigtausend andere zog er nach Westen, um zu schürfen. Doch zu Reichtum kam er nie, und sein amerikanischer Traum ist schon deshalb unerfüllt geblieben, weil er sich nie zugehörig fühlen durfte: Chinesische Einwanderer und ihre Nachkommen werden im gelobten Land allenfalls als Lohnsklaven geduldet. Wenn der Vater daher von den großen Urzeiten des Landes fantasiert, formuliert er seinen Claim, dass auch er und die Seinen dort zu Hause sind.
Diesem Anspruch stellt sich dieser Roman: Er will zeigen, dass amerikanische Geschichte vielfältiger und vielsprachiger ist, als sie in gängigen Darstellungen erscheint, und dass auch ein prägendes Ereignis wie der kalifornische Goldrausch nicht im Mythos starker weißer Männer aufgeht, den wir aus so vielen Büchern oder Filmen kennen. Die Autorin C Pam Zhang, Jahrgang 1990, kam in China zur Welt und als Kind in die Vereinigten Staaten. Dort wurde ihr Erzähldebüt im letzten Jahr zu einem Sensationserfolg; sogar mit einer Empfehlung von Barack Obama lässt sich ihr Buch jetzt bewerben. Wie also setzt es sein zweifellos wichtiges Anliegen um?
Die Kapitel heißen "Gold", "Salz", "Schädel", "Wind", "Erde", "Fleisch" oder "Blut" und deuten schon durch diese Titel an, dass hier jemand ganz aufs Essenzielle setzt. Die Schauplätze werden durch bloße Versatzstücke markiert: Von "Creek" ist die Rede, von "Saloon" oder "Hufschmiede" - das muss reichen, um die Atmosphäre von Goldgräberstädten und Frontier-Siedlungen zu entwerfen. Die historische Lokalisierung wird durch geheimnisvolle Jahresangaben wie "XX62" gezielt verunklart. Das ganze Wildwest-Szenario wirkt durchweg wie Found-Footage-Material, das grell nachkoloriert und mit allerhand rätselhaften Zutaten versehen worden ist, mit Tigern beispielsweise, die nachts durch die Prärie streunen, oder Schakalen, die sich unversehens in bärtige Männer verwandeln und alles zerstören.
Die Geschichte setzt ein, als der Vater stirbt und die beiden Töchter, elf- und zwölfjährig, den verwesenden Leichnam auf der Suche nach einem passenden Begräbnisort wochenlang im Treck hinter sich herziehen. Und schon finden Belesene ein weiteres Versatzstück, das William Faulkners modernistisch vielstimmigem Südstaatenepos "Als ich im Sterben lag" entnommen scheint, in dem eine solche Konstellation bereits erzählt wird und ebenfalls die Totenstimme einen Erzählpart erhält. Doch bei Zhang gibt es noch mehr: Eine der Töchter wäre lieber ein Sohn und steckt sich daher Steine oder Möhren in die Hose - ein transsexuelles Verlangen, das offenbar nicht nur eigenem Begehren folgt, sondern zugleich dem Vater über den Verlust des dritten Kindes hinweghelfen soll, eines Sohnes, der bei der Geburt verstarb und dabei auch die Mutter von der Restfamilie entfernt hat. Weiterhin finden sich Überschwemmungen, Feuersbrünste und Verfolgungsjagden.
Erzählt wird das alles im historischen Präsens und in einer Sprache, die in amerikanischen Rezensionen als "lyrisch" gepriesen wurde und sich in Eva Reguls deutscher Übersetzung so ausnimmt: "Ein Leben aus knospenden Möglichkeiten, die nur darauf warteten aufzublühen." Oder: Lucy "staunt, hat sie doch das Grab ihrer Kindheit so festgetrampelt, dass kaum noch Gefühle herausflattern". Oder: "Lucy sehnt sich einfach nur nach der leeren Straße und dem Nachhall von Sams Brüllen, das immer noch in ihr klingt wie ein schmaler, verwilderter Pfad." Oder: "Lucy lässt einen Schwall Flüche los. Das Gras verschluckt sie mit zustimmendem Nicken." Diese Mischung aus Klischees und Stilblüten, fast beliebig herausgegriffen, findet sich innerhalb weniger Seiten.
Dies ist ein Debüt, das alles zugleich sein will - historischer Roman, Geschichtsrevision, Familiensaga, Western, Coming-of-Age-Geschichte, Abenteuerstory, Magischer Realismus, Traumabewältigung - und doch mit seinen Möglichkeiten nichts davon erreicht. Vielleicht ist das wie mit den Bisons: Früher war eben alles gewaltiger. TOBIAS DÖRING
C Pam Zhang: "Wie viel von diesen Hügeln ist Gold". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Regul. Verlag S. Fischer,
Frankfurt am Main 2021. 342 S., geb., 22,- Euro.
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