Krieg in Europa. Mit rücksichtsloser Gewalt überfällt Wladimir Putins Russland die Ukraine und bringt sämtliche Eckpfeiler zum Einsturz, die den Frieden in Europa seit mehr als einem halben Jahrhundert gesichert haben. Zeitenwende. In was für einer Welt werden wir morgen aufwachen? Wie wird Europa am Ende dieses Krieges aussehen? Rüdiger von Fritsch, ehemaliger Botschafter in Moskau, ist Wladimir Putin oft begegnet. Was diesen antreibt, was ihn stoppen könnte und was sein Krieg für uns bedeutet - davon handelt sein neues Buch.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Julien Reitzenstein begreift mit Rüdiger von Fritschs Buch, wie ideologisch Wladimir Putin agiert. Der 1953 geborene Diplomat besitzt aufgrund seiner Karriere vom Vizepräsidenten des Bundesnachrichtendienstes hin zum Botschafter in Moskau eine ausgeprägte Sachkenntnis, die er in diesem Buch in einer klaren Sprache kundtut, ohne zu polarisieren oder besserzuwissen, meint Reitzenstein. Hier bekommt der Rezensent nicht nur eine Definition des Begriffs "Putinismus", sondern auch Hinweise auf dessen Einflüsse und persönliche Einschätzungen von Fritsch und anderen ExpertInnen, darunter auch die Osteuropa-Kennerin Sabine Fischer. Ein Buch, dass den LeserInnen durchaus neue Perspektiven eröffnet, schließt Reitzenstein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2022Wer grundlos lächelt, ist schwach
Rüdiger von Fritsch beschreibt kenntnisreich den Weg Wladimir Putins in den Krieg
Ein Buch über einen großen Krieg zu schreiben, der gerade begonnen hat, ist ein schwieriges Unterfangen. Rüdiger von Fritsch nimmt den Überfall Moskaus auf die Ukraine zum Anlass, vor allem über das zu schreiben, was zu diesem Krieg geführt hat. Das macht der Autor, der auf seiner letzten diplomatischen Station von 2014 bis 2019 Botschafter in Moskau war, kenntnisreich, mit analytischem Blick und trotz der raschen Produktion bis Mitte April in einem gut lesbaren Band. Fritsch beschreibt nicht zuletzt den Mann, der diesen Krieg ausgedacht und befohlen hat. Er führt Wladimir Putins Verhalten zurück auf dessen Sozialisation durch den KGB, in der Verschwörungstheorien, die traditionelle Feindschaft zum Westen und die Annahme, dass dunkle Mächte im Ausland Russland vernichten wollen, eine zentrale Rolle spielen. Und er geht auf die traumatische Erfahrung des ehemaligen Geheimdienstmannes ein, dass die Sowjetunion zusammenbrechen konnte.
Das Land verlor, wie Putin selbst vorrechnete, ein Viertel seines Territoriums, knapp die Hälfte der Bevölkerung und fast 50 Prozent des militärischen Potentials - die "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" in Putins Sicht. Fritsch setzt Putins Neoimperialismus, seine Großmachtvisionen in Verbindung mit dessen zunehmender Leidenschaft für Geopolitik und Geschichte. Putin bewundert den autoritären Zaren Alexander III., dem der Satz nachgesagt wird, Russland habe keine Verbündeten außer seiner Armee und Flotte, und der eine Politik der Russifizierung in den nichtrussischen Binnenkolonien seines Reiches vorantrieb.
Der russische Präsident hängt auch den altrussischen Vorstellungen über die Kiewer Rus nach, symbolisiert durch die mythische Taufe des Großfürsten Wladimir 988, und träumt von einer Zeit, als Russen, Ukrainer und Weißrussen angeblich noch eins waren.
Kursorisch, aber erhellend beschreibt der Autor die innenpolitische Verhärtung des Regimes, den Weg von einer autoritären Herrschaft zu einer Diktatur, auch wenn er dieses Wort nicht verwendet. Er erinnert an die Niederschlagung der Proteste gegen die Wahlfälschungen 2012, an die politischen Morde an Oppositionellen und Abtrünnigen in Russland selbst wie im Ausland bis hin zum Mord im Berliner Tiergarten sowie an den Versuch, den Oppositionspolitiker Alexej Nawalnyj zu vergiften, der freiwillig zur Verhaftung nach Russland zurückkehrte und der in seiner Opferbereitschaft Fritsch "wie eine Figur aus Dostojewskis Romanen" erscheint.
Ein großes Verdienst des Buches ist es, dass Fritsch gründlich mit der nicht nur in Russland verbreiteten Annahme aufräumt, der Westen habe Russland in den vergangenen Jahrzehnten fortwährend gedemütigt. Er erinnert daran, dass Russland 1998 in die G 8 aufgenommen wurde, eine Mitgliedschaft, die erst mit dem Überfall Nummer eins auf die Ukraine 2014 beendet wurde. Zur Frage, ob Russland versprochen worden sei, dass die NATO sich nicht ausdehne, zitiert der Autor den ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, dass es solche Zusagen nicht gegeben habe, denn während der Zwei-plus-vier-Verhandlungen über die deutsche Einheit habe der Warschauer Pakt schließlich noch existiert. Auch den in Russland beliebten Vergleich der Annexion der Krim 2014 mit dem Eingreifen der NATO im Kosovo 1999 weist Fritsch zurück.
Damals habe der Westen versucht, über die OSZE und die Vereinten Nationen einen Militäreinsatz zum Stopp der Massaker im Kosovo mandatiert zu bekommen. Russland hingegen habe weder in Gesprächen mit Kiew noch in den internationalen Organisationen seine Ambitionen auf die Krim vorgebracht, stattdessen "höfliche Leute" in nicht gekennzeichneten grünen Uniformen in Gang gesetzt.
Putin gehe davon aus, dass überall, wo Russen leben, sie auch von Russland geschützt werden dürften. Es ist diese Vorstellung einer die Grenzen seines Landes überschreitenden "russischen Welt", die Putin auch jetzt für seinen Überfall bemüht und die in seinem ideologischen Amalgam eine besondere Rolle spielt. Wie freihändig Putin mit Fakten jongliert, kommt selten in Fritschs Buch vor. Wie der russische Präsident lügt, zeigt er allerdings am Beispiel des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. Februar 2022. Als in der Pressekonferenz im Kreml die Sprache auf die mögliche Anerkennung der von Moskau gesteuerten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk kam, sagte Putin, das könne nur im Rahmen des Minsker Prozesses geschehen, dessen Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft seien. Sechs Tage später vollzog Putin die Anerkennung der "Volksrepubliken".
Ausführlich geht Fritsch auf die Fehleinschätzungen Putins, seiner Militärs und Geheimdienste ein, was den gescheiterten "Blitzkrieg" gegen die Ukraine betrifft. Nicht nur die militärische Stärke der Ukraine habe Moskau unterschätzt, sondern auch die Stimmung der 38 Millionen Ukrainer, die 30 Jahre Freiheit erlebt hatten. Putin, der sich zusehends in der Corona-Pandemie von der Außenwelt abschirmte, habe schon zuvor kein realistisches Bild vom Nachbarland gehabt. Er habe zudem Russland durch den Krieg einer enormen "Selbstschädigung" ausgesetzt, die weder die Analysten in Moskau noch im Westen für möglich gehalten hätten.
Schwierig scheint die Einschätzung des Autors, dass es richtig gewesen sei, dass der Westen immer wieder auf Putin zugegangen sei. Schließlich nennt er selbst den Satz "Wer grundlos lächelt, ist schwach" als eine Grundüberzeugung russischer Politik. Mit seinem Bild, dass Putin das Schachbrett einfach umgeworfen habe, dass aber dieser Umstand nicht gegen die Regeln des Schachspiels spreche, macht es sich Fritsch zu einfach. Ausdrücklich wendet er sich gegen jene, die sagen, die deutsche Politik gegenüber Russland sei naiv und blauäugig gewesen. "Solch rückblickende Rechthaberei ist wohlfeil", schreibt Fritsch. Sie unterstelle eine Linearität der Politik Russlands und eine Zielgerichtetheit Putins, die es so nicht gegeben habe. Freilich zeigten viele Entwicklungen, die der Autor selbst beschreibt, genau in diese Richtung. Fritsch weist selbst darauf hin, dass die sowjetische Formel von der "friedlichen Koexistenz" im Handbuch des Marxismus-Leninismus als "Fortsetzung des Klassenkampfes mit anderen Mitteln" dechiffriert wurde. Doch das haben im Westen eben viele nicht verstanden - so wie sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Zeichen der Putin'schen Machtpolitik nicht erkennen wollten.
Fritsch, der in den Achtzigerjahren in Polen die Kontakte zur damaligen antikommunistischen Opposition hielt, weiß allerdings aus eigener Erfahrung, dass es zu ganz unerwarteten Entwicklungen in einer Diktatur kommen kann. Er plädiert einstweilen dafür, auf eine "geordnete Konfrontation" mit Russland zu setzen und auf die Zeit nach Putin zu hoffen. Es sei nicht ausgemacht, dass Russland sich nicht wandelt. Man wünschte sehr, dass er recht behalten wird. MARKUS WEHNER
Rüdiger von Fritsch: Zeitenwende. Putins Krieg und die Folgen
Aufbau Verlag, Berlin 2022. 183 S., 18,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rüdiger von Fritsch beschreibt kenntnisreich den Weg Wladimir Putins in den Krieg
Ein Buch über einen großen Krieg zu schreiben, der gerade begonnen hat, ist ein schwieriges Unterfangen. Rüdiger von Fritsch nimmt den Überfall Moskaus auf die Ukraine zum Anlass, vor allem über das zu schreiben, was zu diesem Krieg geführt hat. Das macht der Autor, der auf seiner letzten diplomatischen Station von 2014 bis 2019 Botschafter in Moskau war, kenntnisreich, mit analytischem Blick und trotz der raschen Produktion bis Mitte April in einem gut lesbaren Band. Fritsch beschreibt nicht zuletzt den Mann, der diesen Krieg ausgedacht und befohlen hat. Er führt Wladimir Putins Verhalten zurück auf dessen Sozialisation durch den KGB, in der Verschwörungstheorien, die traditionelle Feindschaft zum Westen und die Annahme, dass dunkle Mächte im Ausland Russland vernichten wollen, eine zentrale Rolle spielen. Und er geht auf die traumatische Erfahrung des ehemaligen Geheimdienstmannes ein, dass die Sowjetunion zusammenbrechen konnte.
Das Land verlor, wie Putin selbst vorrechnete, ein Viertel seines Territoriums, knapp die Hälfte der Bevölkerung und fast 50 Prozent des militärischen Potentials - die "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" in Putins Sicht. Fritsch setzt Putins Neoimperialismus, seine Großmachtvisionen in Verbindung mit dessen zunehmender Leidenschaft für Geopolitik und Geschichte. Putin bewundert den autoritären Zaren Alexander III., dem der Satz nachgesagt wird, Russland habe keine Verbündeten außer seiner Armee und Flotte, und der eine Politik der Russifizierung in den nichtrussischen Binnenkolonien seines Reiches vorantrieb.
Der russische Präsident hängt auch den altrussischen Vorstellungen über die Kiewer Rus nach, symbolisiert durch die mythische Taufe des Großfürsten Wladimir 988, und träumt von einer Zeit, als Russen, Ukrainer und Weißrussen angeblich noch eins waren.
Kursorisch, aber erhellend beschreibt der Autor die innenpolitische Verhärtung des Regimes, den Weg von einer autoritären Herrschaft zu einer Diktatur, auch wenn er dieses Wort nicht verwendet. Er erinnert an die Niederschlagung der Proteste gegen die Wahlfälschungen 2012, an die politischen Morde an Oppositionellen und Abtrünnigen in Russland selbst wie im Ausland bis hin zum Mord im Berliner Tiergarten sowie an den Versuch, den Oppositionspolitiker Alexej Nawalnyj zu vergiften, der freiwillig zur Verhaftung nach Russland zurückkehrte und der in seiner Opferbereitschaft Fritsch "wie eine Figur aus Dostojewskis Romanen" erscheint.
Ein großes Verdienst des Buches ist es, dass Fritsch gründlich mit der nicht nur in Russland verbreiteten Annahme aufräumt, der Westen habe Russland in den vergangenen Jahrzehnten fortwährend gedemütigt. Er erinnert daran, dass Russland 1998 in die G 8 aufgenommen wurde, eine Mitgliedschaft, die erst mit dem Überfall Nummer eins auf die Ukraine 2014 beendet wurde. Zur Frage, ob Russland versprochen worden sei, dass die NATO sich nicht ausdehne, zitiert der Autor den ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, dass es solche Zusagen nicht gegeben habe, denn während der Zwei-plus-vier-Verhandlungen über die deutsche Einheit habe der Warschauer Pakt schließlich noch existiert. Auch den in Russland beliebten Vergleich der Annexion der Krim 2014 mit dem Eingreifen der NATO im Kosovo 1999 weist Fritsch zurück.
Damals habe der Westen versucht, über die OSZE und die Vereinten Nationen einen Militäreinsatz zum Stopp der Massaker im Kosovo mandatiert zu bekommen. Russland hingegen habe weder in Gesprächen mit Kiew noch in den internationalen Organisationen seine Ambitionen auf die Krim vorgebracht, stattdessen "höfliche Leute" in nicht gekennzeichneten grünen Uniformen in Gang gesetzt.
Putin gehe davon aus, dass überall, wo Russen leben, sie auch von Russland geschützt werden dürften. Es ist diese Vorstellung einer die Grenzen seines Landes überschreitenden "russischen Welt", die Putin auch jetzt für seinen Überfall bemüht und die in seinem ideologischen Amalgam eine besondere Rolle spielt. Wie freihändig Putin mit Fakten jongliert, kommt selten in Fritschs Buch vor. Wie der russische Präsident lügt, zeigt er allerdings am Beispiel des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. Februar 2022. Als in der Pressekonferenz im Kreml die Sprache auf die mögliche Anerkennung der von Moskau gesteuerten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk kam, sagte Putin, das könne nur im Rahmen des Minsker Prozesses geschehen, dessen Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft seien. Sechs Tage später vollzog Putin die Anerkennung der "Volksrepubliken".
Ausführlich geht Fritsch auf die Fehleinschätzungen Putins, seiner Militärs und Geheimdienste ein, was den gescheiterten "Blitzkrieg" gegen die Ukraine betrifft. Nicht nur die militärische Stärke der Ukraine habe Moskau unterschätzt, sondern auch die Stimmung der 38 Millionen Ukrainer, die 30 Jahre Freiheit erlebt hatten. Putin, der sich zusehends in der Corona-Pandemie von der Außenwelt abschirmte, habe schon zuvor kein realistisches Bild vom Nachbarland gehabt. Er habe zudem Russland durch den Krieg einer enormen "Selbstschädigung" ausgesetzt, die weder die Analysten in Moskau noch im Westen für möglich gehalten hätten.
Schwierig scheint die Einschätzung des Autors, dass es richtig gewesen sei, dass der Westen immer wieder auf Putin zugegangen sei. Schließlich nennt er selbst den Satz "Wer grundlos lächelt, ist schwach" als eine Grundüberzeugung russischer Politik. Mit seinem Bild, dass Putin das Schachbrett einfach umgeworfen habe, dass aber dieser Umstand nicht gegen die Regeln des Schachspiels spreche, macht es sich Fritsch zu einfach. Ausdrücklich wendet er sich gegen jene, die sagen, die deutsche Politik gegenüber Russland sei naiv und blauäugig gewesen. "Solch rückblickende Rechthaberei ist wohlfeil", schreibt Fritsch. Sie unterstelle eine Linearität der Politik Russlands und eine Zielgerichtetheit Putins, die es so nicht gegeben habe. Freilich zeigten viele Entwicklungen, die der Autor selbst beschreibt, genau in diese Richtung. Fritsch weist selbst darauf hin, dass die sowjetische Formel von der "friedlichen Koexistenz" im Handbuch des Marxismus-Leninismus als "Fortsetzung des Klassenkampfes mit anderen Mitteln" dechiffriert wurde. Doch das haben im Westen eben viele nicht verstanden - so wie sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Zeichen der Putin'schen Machtpolitik nicht erkennen wollten.
Fritsch, der in den Achtzigerjahren in Polen die Kontakte zur damaligen antikommunistischen Opposition hielt, weiß allerdings aus eigener Erfahrung, dass es zu ganz unerwarteten Entwicklungen in einer Diktatur kommen kann. Er plädiert einstweilen dafür, auf eine "geordnete Konfrontation" mit Russland zu setzen und auf die Zeit nach Putin zu hoffen. Es sei nicht ausgemacht, dass Russland sich nicht wandelt. Man wünschte sehr, dass er recht behalten wird. MARKUS WEHNER
Rüdiger von Fritsch: Zeitenwende. Putins Krieg und die Folgen
Aufbau Verlag, Berlin 2022. 183 S., 18,- Euro.
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»Politische Bücher haben oft ein Problem: Sie sind schnell überholt - in Themen wie Thesen. Dieses Problem zu lösen, gelingt nur wenigen Autoren. Rüdiger von Fritsch zählt zu ihnen. Dies dürfte nicht zuletzt an seinem klaren analytischen Blick liegen.« Cicero 20220525