Das neue Hörbuch von Sarah Kuttner
»Wie viel dicker ist Blut denn tatsächlich als das ganze Wasser, das zwischen uns liegt?«
Nachdem ihr Vater die Familie verlassen hat, ist Jule mit ihrem Bruder und ihrer selbstmordgefährdeten Mutter aufgewachsen. Als Erwachsene hat sie sich einen Alltag geschaffen, in dem sie alles nur noch erträgt, anstatt selber zu handeln: ihren Job als Sängerin in einer Bar, die unzähligen Anrufe ihrer Mutter, den ganzen Hass in ihr, der sie fast verschwinden lässt. Einzig die Achselhöhle ihres Freundes funktioniert als Rückzugort vor dem Leben. Doch als auch dieser Halt zu bröckeln beginnt, flieht sie zu ihrem Bruder nach England, auf der Suche nach Ruhe und Anonymität. Ungewollt trifft sie dort auf ihren Vater. Er liegt im Sterben und zaghaft beginnt Jule einen letzten Versuch, sich dem Mann anzunähern, von dem sie sich ihr ganzes Leben lang im Stich gelassen gefühlt hat.
Eine tragikomische Road-Novel über die Liebe, das komplizierte Verhältnis zu den eigenen Eltern und den Wunsch, Urlaub von sich selber machen zu können.
»Wie viel dicker ist Blut denn tatsächlich als das ganze Wasser, das zwischen uns liegt?«
Nachdem ihr Vater die Familie verlassen hat, ist Jule mit ihrem Bruder und ihrer selbstmordgefährdeten Mutter aufgewachsen. Als Erwachsene hat sie sich einen Alltag geschaffen, in dem sie alles nur noch erträgt, anstatt selber zu handeln: ihren Job als Sängerin in einer Bar, die unzähligen Anrufe ihrer Mutter, den ganzen Hass in ihr, der sie fast verschwinden lässt. Einzig die Achselhöhle ihres Freundes funktioniert als Rückzugort vor dem Leben. Doch als auch dieser Halt zu bröckeln beginnt, flieht sie zu ihrem Bruder nach England, auf der Suche nach Ruhe und Anonymität. Ungewollt trifft sie dort auf ihren Vater. Er liegt im Sterben und zaghaft beginnt Jule einen letzten Versuch, sich dem Mann anzunähern, von dem sie sich ihr ganzes Leben lang im Stich gelassen gefühlt hat.
Eine tragikomische Road-Novel über die Liebe, das komplizierte Verhältnis zu den eigenen Eltern und den Wunsch, Urlaub von sich selber machen zu können.
CD 1 | |||
1 | 180° Meer | 00:01:28 | |
2 | 180° Meer | 00:04:14 | |
3 | 180° Meer | 00:04:12 | |
4 | 180° Meer | 00:04:30 | |
5 | 180° Meer | 00:04:51 | |
6 | 180° Meer | 00:04:45 | |
7 | 180° Meer | 00:03:33 | |
8 | 180° Meer | 00:04:17 | |
9 | 180° Meer | 00:05:18 | |
10 | 180° Meer | 00:05:27 | |
11 | 180° Meer | 00:04:45 | |
12 | 180° Meer | 00:05:23 | |
13 | 180° Meer | 00:04:59 | |
14 | 180° Meer | 00:04:39 | |
15 | 180° Meer | 00:03:26 | |
16 | 180° Meer | 00:03:34 | |
CD 2 | |||
1 | 180° Meer | 00:04:50 | |
2 | 180° Meer | 00:04:28 | |
3 | 180° Meer | 00:04:37 | |
4 | 180° Meer | 00:02:46 | |
5 | 180° Meer | 00:03:46 | |
6 | 180° Meer | 00:04:27 | |
7 | 180° Meer | 00:03:02 | |
8 | 180° Meer | 00:03:55 | |
9 | 180° Meer | 00:04:04 | |
10 | 180° Meer | 00:03:13 | |
11 | 180° Meer | 00:03:14 | |
12 | 180° Meer | 00:03:34 | |
13 | 180° Meer | 00:04:42 | |
14 | 180° Meer | 00:03:17 | |
15 | 180° Meer | 00:04:25 | |
16 | 180° Meer | 00:02:37 | |
17 | 180° Meer | 00:03:24 | |
18 | 180° Meer | 00:04:47 | |
19 | 180° Meer | 00:04:35 | |
CD 3 | |||
1 | 180° Meer | 00:04:55 | |
2 | 180° Meer | 00:03:54 | |
3 | 180° Meer | 00:04:38 | |
4 | 180° Meer | 00:04:25 | |
5 | 180° Meer | 00:03:31 | |
6 | 180° Meer | 00:04:06 | |
7 | 180° Meer | 00:04:21 | |
8 | 180° Meer | 00:05:22 | |
9 | 180° Meer | 00:03:34 | |
10 | 180° Meer | 00:02:47 | |
11 | 180° Meer | 00:05:02 | |
12 | 180° Meer | 00:04:13 | |
13 | 180° Meer | 00:04:29 | |
14 | 180° Meer | 00:03:43 | |
15 | 180° Meer | 00:04:46 | |
16 | 180° Meer | 00:04:01 | |
CD 4 | |||
1 | 180° Meer | 00:03:26 | |
2 | 180° Meer | 00:05:04 | |
3 | 180° Meer | 00:04:49 | |
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7 | 180° Meer | 00:05:20 | |
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9 | 180° Meer | 00:03:45 | |
10 | 180° Meer | 00:04:41 | |
11 | 180° Meer | 00:04:20 | |
12 | 180° Meer | 00:03:36 | |
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2016Die Liebe im geheimen Jutebeutel
Sarah Kuttner hat mit „180 Grad Meer“ einen Roman über das ungeliebte Leben einer Soul-Musikerin
vorgelegt. Ein Werk der tiefen Einsichten und des Dampfgeplauders. Und der klugen Unterhaltung
VON KATHLEEN HILDEBRAND
Eine Prostituierte der menschlichen Emotionen sei sie. Das sagt Jule, wenn sie sich und ihren ungeliebten Job beschreibt. Sie ist Anfang dreißig. Zweimal pro Woche singt Jule in einer Bar in Berlin. Sie singt Soul, schlechten Soul, und selbst wenn ein Song mal eigentlich gar kein Soul ist, dann wird er von ihr und ihrem Pianisten trotzdem „kaputtgesoult“. Dabei mimt sie die Soulsängerin, die sie eigentlich nicht ist, mit einem sehr kleinen Repertoire an Mimik und Gestik, von dem sie weiß, dass die Leute genau diese Mimik und diese Gestik von einer Soulsängerin erwarten. Den Pianisten kann sie auch nicht leiden. Es macht sie wütend, dass er so ambitioniert ist, so zielstrebig, wie sie selbst es nie war. Dass er etwas will.
Jule, die Ich-Erzählerin von Sarah Kuttners drittem Roman, will indes gar nichts. Das heißt, eigentlich will sie schon etwas, nämlich eine Art reines Sein, in dem niemand etwas von ihr will, niemand Ansprüche an sie stellt. So wie Omas und Opas das können, sagt Jule, Eltern aber nicht. Die sind zu nah dran, so wie Jules Mutter, im Buch immer nur „Monika“ genannt, immer zu nah an ihr dran ist.
Diese alleinerziehende Mutter, mit der sie nichts verbindet außer einer gewaltigen Wut, die immer dann aufflammt, wenn Monika bei Jule anruft. Mehrmals hintereinander, auch wenn gar nichts Wichtiges ist. Die Tochter ringt um Distanz und darum, dass die seelischen Zudringlichkeiten dieser schwer egozentrischen, depressiven Frau, für die Jule von Kindheit an Stütze sein musste und Lebensinhalt, endlich ein Ende haben. Der Vater? Hat unerfüllbare Ansprüche an Jule gestellt. Ist dann sehr früh abgehauen und gibt jetzt eines der vielen Ziele von Jules dauernd einsatzbereiter, riesengroßer Wut ab. Auf die Welt. Auf alle anderen.
Kuttners Roman setzt ein, als Jules ungeliebtes Leben zusammenbricht. Ihr einziger Rückzugsort, die Beziehung mit ihrem Freund Tim, gerät in eine schwere Krise – und Jule flieht. In London, bei ihrem jüngeren Bruder Jakob, will niemand etwas von ihr. Die Geschwister rauchen Joints auf der Terrasse, Jakobs Zweck-WG ist wohltuend anonym, und dann ist da noch ein kratzbürstiger kleiner Hund, der auch nichts will, in dem Jule sich wiedererkennt und den sie bald täglich an einer Paketschnur um die Blocks führt. Eine tröstliche Pause, jedenfalls bis zu dem Moment, als Jakob ihr von der tödlichen Krebserkrankung des Vaters erzählt.
Natürlich könnte an diesem Punkt die Klischeemaschine anspringen und den Roman verlässlich tuckernd an ein Happy End mit Träne im Knopfloch führen. Es ist ein großes Verdienst Sarah Kuttners, dass dies nicht geschieht, sondern Jule vielmehr in einem schönen Wutausbruch sagen darf, dass sie jetzt das Gefühl habe, „Teil einer gefeierten Sundance-Tragikomödie über eine dysfunktionale Familie zu sein, in der alle nur mal den Arsch hochkriegen und ihren wahren Gefühlen freien Lauf lassen müssen, damit das widerspenstige Familienoberhaupt am Ende doch irgendwie verstanden wird und dann geliebt sterben kann. Aber so einfach ist es nicht. Und ich kann das alles nicht beschleunigen oder besser machen oder auf den letzten Metern noch mal all meine aufgestaute Liebe aus einem geheimen Jutebeutel kramen und alles wiedergutmachen. Geht einfach nicht. Sorry.“
Geht einfach nicht. Es sind solche grundwahren Einsichten, die immer wieder aus dem konstanten, sanft rotzigen Geplapper und den vielen eher belanglosen Beschreibungen herausstechen. Ihretwegen ist „180° Meer“ keine schlechte Literatur, sondern kluge Unterhaltung. Alles, was man Kuttner als Autorin vorwerfen könnte, die Klischees, die schiefen Bilder, das Gefühlige, nimmt sie vorweg und bricht es. Das tut sie so geschickt, dass man nach einer Weile nicht einmal mehr weiß, ob man sich über das ziemlich nachlässige Lektorat des Buches ärgern soll, oder ob die unmotiviert wechselnden Zeitformen, falschen Adjektive („verwirrendes Haar“) oder die unfassbare Häufigkeit, mit der das Wörtchen „unfassbar“ benutzt wird, irgendwie ja gar nicht dazugehören. Vielleicht soll das ja so sein, vielleicht ist das der Ausdruck von Jules Charakter, dass sie nicht fünfmal überlegt, bevor sie einen Satz sagt, sondern einfach nur reden will. Und dann in Ruhe gelassen werden will.
Sarah Kuttner kann das richtig gut, das Genau-Hinschauen auf Alltäglichkeiten, die sie auch sofort ungefiltert ausspricht. Ihre Zeit als Moderatorin bei Viva, MTV, ARD und ZDFneo merkt man diesem sehr souveränen Überbrückungsplappern an. Ihr Buch liest sich nicht so sehr wie hohe, formbewusste Literatur denn wie ein sehr offenes Gespräch mit – Sarah Kuttner. Überhaupt: dass Jule angeblich „unfassbar stark gelocktes Haupthaar“ hat, glaubt man schon ziemlich früh nicht mehr, sondern sieht Sarah Kuttner mit ihrem glatten Haar an der südenglischen Küste Fahrrad fahren, dem Hund Stöckchen zuwerfen und mit ihrem anstrengenden Vater hadern, der noch weniger Zugang zu seinen Gefühlen findet als Jule selbst.
Um diese Nähe zwischen Autorin und Figur festzustellen, muss man gar nicht wissen, dass es da ein paar autobiografische Parallelen gibt. Dass Sarah Kuttner nach der Trennung ihrer Eltern bei ihrer Mutter aufwuchs zum Beispiel, oder dass sie nach dem Abitur für ein Jahr nach London ging und dort in einem Secondhandshop jobbte wie Jule im Buch. Solche Realitätsbezüge sind gar nicht wichtig, wenn ein Buch denn nur etwas Wahres zu sagen hat und – wie in diesem Fall – mit seinem perfekt zwischen Trotz und Rührung austarierten Ende sogar ein tiefes Gefühl hinterlässt. Nur eins sei noch gesagt zum Schluss: Sarah Kuttner lebt mit ihrem Hund in Berlin.
Statt Happy End mit Tränen gibt
es einen schönen Wutausbruch
Kuttners Zeit als Moderatorin bei Viva, MTV, ARD und ZDFneo merkt man dem souveränen Überbrückungsplappern im Buch an.
Foto: Erik Weiss
Sarah Kuttner: 180° Meer. Roman. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2016.
272 Seiten, 18,99 Euro. E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Sarah Kuttner hat mit „180 Grad Meer“ einen Roman über das ungeliebte Leben einer Soul-Musikerin
vorgelegt. Ein Werk der tiefen Einsichten und des Dampfgeplauders. Und der klugen Unterhaltung
VON KATHLEEN HILDEBRAND
Eine Prostituierte der menschlichen Emotionen sei sie. Das sagt Jule, wenn sie sich und ihren ungeliebten Job beschreibt. Sie ist Anfang dreißig. Zweimal pro Woche singt Jule in einer Bar in Berlin. Sie singt Soul, schlechten Soul, und selbst wenn ein Song mal eigentlich gar kein Soul ist, dann wird er von ihr und ihrem Pianisten trotzdem „kaputtgesoult“. Dabei mimt sie die Soulsängerin, die sie eigentlich nicht ist, mit einem sehr kleinen Repertoire an Mimik und Gestik, von dem sie weiß, dass die Leute genau diese Mimik und diese Gestik von einer Soulsängerin erwarten. Den Pianisten kann sie auch nicht leiden. Es macht sie wütend, dass er so ambitioniert ist, so zielstrebig, wie sie selbst es nie war. Dass er etwas will.
Jule, die Ich-Erzählerin von Sarah Kuttners drittem Roman, will indes gar nichts. Das heißt, eigentlich will sie schon etwas, nämlich eine Art reines Sein, in dem niemand etwas von ihr will, niemand Ansprüche an sie stellt. So wie Omas und Opas das können, sagt Jule, Eltern aber nicht. Die sind zu nah dran, so wie Jules Mutter, im Buch immer nur „Monika“ genannt, immer zu nah an ihr dran ist.
Diese alleinerziehende Mutter, mit der sie nichts verbindet außer einer gewaltigen Wut, die immer dann aufflammt, wenn Monika bei Jule anruft. Mehrmals hintereinander, auch wenn gar nichts Wichtiges ist. Die Tochter ringt um Distanz und darum, dass die seelischen Zudringlichkeiten dieser schwer egozentrischen, depressiven Frau, für die Jule von Kindheit an Stütze sein musste und Lebensinhalt, endlich ein Ende haben. Der Vater? Hat unerfüllbare Ansprüche an Jule gestellt. Ist dann sehr früh abgehauen und gibt jetzt eines der vielen Ziele von Jules dauernd einsatzbereiter, riesengroßer Wut ab. Auf die Welt. Auf alle anderen.
Kuttners Roman setzt ein, als Jules ungeliebtes Leben zusammenbricht. Ihr einziger Rückzugsort, die Beziehung mit ihrem Freund Tim, gerät in eine schwere Krise – und Jule flieht. In London, bei ihrem jüngeren Bruder Jakob, will niemand etwas von ihr. Die Geschwister rauchen Joints auf der Terrasse, Jakobs Zweck-WG ist wohltuend anonym, und dann ist da noch ein kratzbürstiger kleiner Hund, der auch nichts will, in dem Jule sich wiedererkennt und den sie bald täglich an einer Paketschnur um die Blocks führt. Eine tröstliche Pause, jedenfalls bis zu dem Moment, als Jakob ihr von der tödlichen Krebserkrankung des Vaters erzählt.
Natürlich könnte an diesem Punkt die Klischeemaschine anspringen und den Roman verlässlich tuckernd an ein Happy End mit Träne im Knopfloch führen. Es ist ein großes Verdienst Sarah Kuttners, dass dies nicht geschieht, sondern Jule vielmehr in einem schönen Wutausbruch sagen darf, dass sie jetzt das Gefühl habe, „Teil einer gefeierten Sundance-Tragikomödie über eine dysfunktionale Familie zu sein, in der alle nur mal den Arsch hochkriegen und ihren wahren Gefühlen freien Lauf lassen müssen, damit das widerspenstige Familienoberhaupt am Ende doch irgendwie verstanden wird und dann geliebt sterben kann. Aber so einfach ist es nicht. Und ich kann das alles nicht beschleunigen oder besser machen oder auf den letzten Metern noch mal all meine aufgestaute Liebe aus einem geheimen Jutebeutel kramen und alles wiedergutmachen. Geht einfach nicht. Sorry.“
Geht einfach nicht. Es sind solche grundwahren Einsichten, die immer wieder aus dem konstanten, sanft rotzigen Geplapper und den vielen eher belanglosen Beschreibungen herausstechen. Ihretwegen ist „180° Meer“ keine schlechte Literatur, sondern kluge Unterhaltung. Alles, was man Kuttner als Autorin vorwerfen könnte, die Klischees, die schiefen Bilder, das Gefühlige, nimmt sie vorweg und bricht es. Das tut sie so geschickt, dass man nach einer Weile nicht einmal mehr weiß, ob man sich über das ziemlich nachlässige Lektorat des Buches ärgern soll, oder ob die unmotiviert wechselnden Zeitformen, falschen Adjektive („verwirrendes Haar“) oder die unfassbare Häufigkeit, mit der das Wörtchen „unfassbar“ benutzt wird, irgendwie ja gar nicht dazugehören. Vielleicht soll das ja so sein, vielleicht ist das der Ausdruck von Jules Charakter, dass sie nicht fünfmal überlegt, bevor sie einen Satz sagt, sondern einfach nur reden will. Und dann in Ruhe gelassen werden will.
Sarah Kuttner kann das richtig gut, das Genau-Hinschauen auf Alltäglichkeiten, die sie auch sofort ungefiltert ausspricht. Ihre Zeit als Moderatorin bei Viva, MTV, ARD und ZDFneo merkt man diesem sehr souveränen Überbrückungsplappern an. Ihr Buch liest sich nicht so sehr wie hohe, formbewusste Literatur denn wie ein sehr offenes Gespräch mit – Sarah Kuttner. Überhaupt: dass Jule angeblich „unfassbar stark gelocktes Haupthaar“ hat, glaubt man schon ziemlich früh nicht mehr, sondern sieht Sarah Kuttner mit ihrem glatten Haar an der südenglischen Küste Fahrrad fahren, dem Hund Stöckchen zuwerfen und mit ihrem anstrengenden Vater hadern, der noch weniger Zugang zu seinen Gefühlen findet als Jule selbst.
Um diese Nähe zwischen Autorin und Figur festzustellen, muss man gar nicht wissen, dass es da ein paar autobiografische Parallelen gibt. Dass Sarah Kuttner nach der Trennung ihrer Eltern bei ihrer Mutter aufwuchs zum Beispiel, oder dass sie nach dem Abitur für ein Jahr nach London ging und dort in einem Secondhandshop jobbte wie Jule im Buch. Solche Realitätsbezüge sind gar nicht wichtig, wenn ein Buch denn nur etwas Wahres zu sagen hat und – wie in diesem Fall – mit seinem perfekt zwischen Trotz und Rührung austarierten Ende sogar ein tiefes Gefühl hinterlässt. Nur eins sei noch gesagt zum Schluss: Sarah Kuttner lebt mit ihrem Hund in Berlin.
Statt Happy End mit Tränen gibt
es einen schönen Wutausbruch
Kuttners Zeit als Moderatorin bei Viva, MTV, ARD und ZDFneo merkt man dem souveränen Überbrückungsplappern im Buch an.
Foto: Erik Weiss
Sarah Kuttner: 180° Meer. Roman. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2016.
272 Seiten, 18,99 Euro. E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2017Wenn die Selbstverachtung an der Tür kratzt, sollte man nicht auf sie hören
Bei dieser Autorin ist man in bester Gesellschaft: Sarah Kuttner liest im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm aus ihrem Roman "180 Grad Meer"
Was Sarah Kuttner zu sagen hat, und sie sagt viel, wenn Gelegenheit dazu ist, gefällt nicht jedem. Sie hat Jahre vor der Kamera verbracht, als Moderatorin eines Musiksenders, den es so nicht mehr gibt, und in nach ihr benannten Fernsehsendungen, die mal mehr, mal weniger erfolgreich waren. Sie hat angesagte Prominente interviewt und sich mit anderen angelegt. Provokation gehört zum Business. Aber aufgesetzt, das ist sie nicht. Wenn sie ihr aktuelles Buch als "ernster als die anderen" vorstellt und daraus Sätze wie "Da draußen ist eine Welt, die mir zuwider ist, in der jeder nur mit sich selbst beschäftigt ist" liest, dann kaufen die Zuhörer ihr das ab, ganz egal, ob sie kurz zuvor noch herumgealbert hat.
Bei Kuttners Lesung im Frankfurter Mousonturm sind die Zuhörer vor allem junge Leute, die alt genug dafür sind, dass ihnen die Namen der Sender von damals noch ein Begriff sind. Sie sitzen in den Reihen vor Kuttner wie alte Freunde, die sich Zeit zum Zuhören nehmen. Sie lachen, wenn Kuttner witzig ist, nicken, wenn sie recht zu haben scheint, und werden ganz ruhig, wenn sie von menschlichen Abgründen erzählt. Und Kuttner dankt es ihnen, indem sie so nahbar ist, wie sie auf einer Bühne nur sein kann. "Irgendwann lese ich auch ein bisschen", sagt sie nach zwanzig Minuten Geplänkel unter zustimmendem Gelächter: "Das hier ist der Teil, der mir wirklich Spaß macht."
Kuttner liest in Frankfurt schon zum zweiten Mal aus ihrem Roman "180 Grad Meer". Im Frühjahr vergangenen Jahres waren die Karten im Literaturhaus sofort ausverkauft, so ist es auch im Saal des Mousonturms. Neben ihr auf der Bühne steht ein Bild, das die britische Königin als junge Frau mit einem ihrer Hunde zeigt. In Kuttners Geschichte geht es ziemlich viel um Hunde, sie hat selbst einen. Aber die eigentliche Protagonistin des Romans ist Jule, eine Frau Anfang 30, die kein Ziel im Leben hat und davon lebt, in Musikkneipen schnulzige Lieder zu singen.
Es ist eine traurige, aber keine neue Familiengeschichte, die Kuttner erzählt: Jules Eltern haben sich früh getrennt, als Kind sah sie ihren Vater mit einer anderen Frau und erzählte der Mutter davon. Seitdem lebt der Erzeuger in England, die seltenen Treffen mit ihm erlebt Jule als Scheitern, weil sie seine Erwartungen nicht erfüllen kann. Später stellt sich heraus, dass er Krebs hat und sie ihm einen letzten Besuch machen sollte. Und dann ist da noch die depressive, den Schlaftabletten zugetane Mutter, von der Jule sich erst spät lösen konnte. "Ich werde nie wieder jemanden verraten", sagt sie und schmeißt ihre Ideale gleich mit über Bord. Weil "180 Grad Meer" ein Roman von Sarah Kuttner ist, geht es natürlich auch um allerlei Alltägliches: um die beruhigende Wirkung von Achselhöhlen, in die man sich schmiegt, um Eiscreme mit Schokoladenstücken in Fischform, um geschmacklos eingerichtete Wohngemeinschaftszimmer. Das alles trägt die Autorin in atemberaubender Geschwindigkeit vor, wenn sie sich nicht gerade unterbricht und zu kommentieren beginnt, als säße sie wirklich mit ein paar Freunden am Küchentisch.
Jule beschließt also, zu verschwinden, Urlaub von sich selbst zu nehmen, von ihrer Mutter, ihrem Freund und der Welt um sie herum. Sie reist zu ihrem Bruder nach London. Dort sitzt sie mit ihm auf der Dachterrasse, raucht und versucht zu ergründen, was sie vom Leben erwartet und ob sie ihren Vater noch einmal besuchen soll: "Wieder kratzt ein bisschen Selbstverachtung an meiner Tür, aber ich bin bekifft genug, um sie einfach zu ignorieren." In Sätzen wie diesen steckt die Oberflächlichkeit. Aber wenn Kuttner sie vorliest, klingt es, als erzähle eine mitteilsame Freundin von den Zwängen ihrer Welt. Ungekünstelt. Natürlich geht es viel um das Scheitern und um anstrengende Menschen, von den Hunden ganz zu schweigen. Kuttner kann selbst anstrengend sein, das weiß sie. Aber ihre Welt ist voll von Kuriosem und Tragischem. Die depressive Mutter, das tiefe Minderwertigkeitsgefühl und der Bedarf nach schützenden Achselhöhlen gehören eben irgendwie zusammen. Kuttners Welt ist authentisch, und deshalb fühlen ihre Zuhörer sich wohl in ihr. Besonders, wenn sie dabei ist.
ELENA WITZECK
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bei dieser Autorin ist man in bester Gesellschaft: Sarah Kuttner liest im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm aus ihrem Roman "180 Grad Meer"
Was Sarah Kuttner zu sagen hat, und sie sagt viel, wenn Gelegenheit dazu ist, gefällt nicht jedem. Sie hat Jahre vor der Kamera verbracht, als Moderatorin eines Musiksenders, den es so nicht mehr gibt, und in nach ihr benannten Fernsehsendungen, die mal mehr, mal weniger erfolgreich waren. Sie hat angesagte Prominente interviewt und sich mit anderen angelegt. Provokation gehört zum Business. Aber aufgesetzt, das ist sie nicht. Wenn sie ihr aktuelles Buch als "ernster als die anderen" vorstellt und daraus Sätze wie "Da draußen ist eine Welt, die mir zuwider ist, in der jeder nur mit sich selbst beschäftigt ist" liest, dann kaufen die Zuhörer ihr das ab, ganz egal, ob sie kurz zuvor noch herumgealbert hat.
Bei Kuttners Lesung im Frankfurter Mousonturm sind die Zuhörer vor allem junge Leute, die alt genug dafür sind, dass ihnen die Namen der Sender von damals noch ein Begriff sind. Sie sitzen in den Reihen vor Kuttner wie alte Freunde, die sich Zeit zum Zuhören nehmen. Sie lachen, wenn Kuttner witzig ist, nicken, wenn sie recht zu haben scheint, und werden ganz ruhig, wenn sie von menschlichen Abgründen erzählt. Und Kuttner dankt es ihnen, indem sie so nahbar ist, wie sie auf einer Bühne nur sein kann. "Irgendwann lese ich auch ein bisschen", sagt sie nach zwanzig Minuten Geplänkel unter zustimmendem Gelächter: "Das hier ist der Teil, der mir wirklich Spaß macht."
Kuttner liest in Frankfurt schon zum zweiten Mal aus ihrem Roman "180 Grad Meer". Im Frühjahr vergangenen Jahres waren die Karten im Literaturhaus sofort ausverkauft, so ist es auch im Saal des Mousonturms. Neben ihr auf der Bühne steht ein Bild, das die britische Königin als junge Frau mit einem ihrer Hunde zeigt. In Kuttners Geschichte geht es ziemlich viel um Hunde, sie hat selbst einen. Aber die eigentliche Protagonistin des Romans ist Jule, eine Frau Anfang 30, die kein Ziel im Leben hat und davon lebt, in Musikkneipen schnulzige Lieder zu singen.
Es ist eine traurige, aber keine neue Familiengeschichte, die Kuttner erzählt: Jules Eltern haben sich früh getrennt, als Kind sah sie ihren Vater mit einer anderen Frau und erzählte der Mutter davon. Seitdem lebt der Erzeuger in England, die seltenen Treffen mit ihm erlebt Jule als Scheitern, weil sie seine Erwartungen nicht erfüllen kann. Später stellt sich heraus, dass er Krebs hat und sie ihm einen letzten Besuch machen sollte. Und dann ist da noch die depressive, den Schlaftabletten zugetane Mutter, von der Jule sich erst spät lösen konnte. "Ich werde nie wieder jemanden verraten", sagt sie und schmeißt ihre Ideale gleich mit über Bord. Weil "180 Grad Meer" ein Roman von Sarah Kuttner ist, geht es natürlich auch um allerlei Alltägliches: um die beruhigende Wirkung von Achselhöhlen, in die man sich schmiegt, um Eiscreme mit Schokoladenstücken in Fischform, um geschmacklos eingerichtete Wohngemeinschaftszimmer. Das alles trägt die Autorin in atemberaubender Geschwindigkeit vor, wenn sie sich nicht gerade unterbricht und zu kommentieren beginnt, als säße sie wirklich mit ein paar Freunden am Küchentisch.
Jule beschließt also, zu verschwinden, Urlaub von sich selbst zu nehmen, von ihrer Mutter, ihrem Freund und der Welt um sie herum. Sie reist zu ihrem Bruder nach London. Dort sitzt sie mit ihm auf der Dachterrasse, raucht und versucht zu ergründen, was sie vom Leben erwartet und ob sie ihren Vater noch einmal besuchen soll: "Wieder kratzt ein bisschen Selbstverachtung an meiner Tür, aber ich bin bekifft genug, um sie einfach zu ignorieren." In Sätzen wie diesen steckt die Oberflächlichkeit. Aber wenn Kuttner sie vorliest, klingt es, als erzähle eine mitteilsame Freundin von den Zwängen ihrer Welt. Ungekünstelt. Natürlich geht es viel um das Scheitern und um anstrengende Menschen, von den Hunden ganz zu schweigen. Kuttner kann selbst anstrengend sein, das weiß sie. Aber ihre Welt ist voll von Kuriosem und Tragischem. Die depressive Mutter, das tiefe Minderwertigkeitsgefühl und der Bedarf nach schützenden Achselhöhlen gehören eben irgendwie zusammen. Kuttners Welt ist authentisch, und deshalb fühlen ihre Zuhörer sich wohl in ihr. Besonders, wenn sie dabei ist.
ELENA WITZECK
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Sarah Kuttner schreibt in ihrem neuen Roman "180° Meer" ein derart unbeholfenes Deutsch, dass Rezensentin Ursula März sich unsicher ist, ob sie es einem grob fahrlässigen Lektorat, einer allgemeinen Schreibschwäche oder einer Generationenkluft im Sprachgebrauch zuschreiben soll. Jedenfalls konnte sich die Rezensentin angesichts der Fülle von Stilblüten nur schwer auf die Handlung konzentrieren, gesteht sie. Ganz grob gehe es aber wohl um eine junge Sängerin und deren Beziehungsprobleme, verrät März doch.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Aus Sarah Kuttner, berühmt geworden als TV-Rampensau mit Kodderschnauze, ist eine ernsthafte Bestsellerautorin geworden. Stephan Bartels Brigitte 20160105