Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2005Der Selbstmörder-Club
Ohne den Mut der Verzweiflung: Nick Hornbys "A Long Way Down"
Von den roten Telefonen an der Clifton Suspension Bridge in Bristol, dem am häufigsten aufgesuchten Selbstmordort Großbritanniens, kann man kostenlos die Samariter anrufen. Ob diese den Verzweifelten am anderen Ende der Leitung künftig allerdings tatsächlich ausgerechnet Auszüge aus Nick Hornbys Roman "A Long Way Down" vorlesen werden, wie die englische Presse prophezeit hat? Bestenfalls hätte dies eine ähnliche Wirkung wie einst die Klänge des kitschigen Folksongs "Mhairis Wedding" auf A. L. Kennedy, die sie in "Stierkampf" festhielt: "Die Stimmung des Tages ist dahin. Ich kann nicht hier sitzen und Mhairis Wedding anhören und mich in angemessener, glaubwürdiger Weise auf den Tod vorbereiten. Ich kann mich nicht mit solcher Begleitmusik umbringen."
Daß Nick Hornbys Suizid-Club ebenfalls am Selbstmord-Projekt scheitert, verdankt sich keinem fremden Lied, sondern einzig der eigenen Kakophonie, die alle anderen Lebensnebengeräusche schrill übertönt. In einer Silvesternacht kommen sie einander in die Quere, weil sie alle zur selben Zeit am selben Ort dasselbe suchen: den Sinn des Weiterlebens. Maureen, JJ, Jess und Martin begegnen sich auf dem Dach von Topper's House, alle mit dem latenten Vorsatz, sich hinunterzustürzen. Maureen ("Außerdem bin ich katholisch und glaube darum sowieso weniger an Glück als ans Büßen.") ist nach mehr als fünfzig Probejahren des Lebens vor allem deshalb müde, weil sie sich Tag und Nacht um ihren schwerbehinderten Sohn kümmern muß und sie die Teilnahmslosigkeit ihrer Umgebung nicht mehr erträgt. Der Amerikaner JJ ("Okay, ihr kennt mich nicht, deswegen müßt ihr mir einfach abnehmen, daß ich nicht blöd bin.") ist rettungslos verzweifelt, weil seine Band sich aufgelöst und seine Freundin ihn verlassen hat. Die grundwütende Jess ("Ich weiß die meiste Zeit nicht, warum ich was sage. Ich kotze und kotze mich auf irgendwen aus und kann erst aufhören, wenn ich leer bin.") trauert um ihre verschwundene Schwester und leidet unter dem privilegiert ignoranten Dasein als höhere Tochter. Und Martin ("Ich hatte es geschafft, mir einzureden, daß ich mich irgendwie wieder zurückversetzen könnte, als wäre die ewige Jugend ein Ort, den man aufsuchen kann, wann immer einem danach ist. Und nun die weltbewegende Neuigkeit: Das ist sie nicht. Wer hätte das gedacht."), einst Moderator im Frühstücksfernsehen, hat im Bett einer Fünfzehnjährigen nicht nur seine Ehre und seinen Job, sondern auch seine Familie verloren.
Nur war die generelle Nachvollziehbarkeit der Gründe noch nie ein relevantes Kriterium für Suizidkandidaten. Nick Hornbys Quartett jedoch, das Topper's House statt im freien Fall angeregt schwätzend über die Treppe verläßt, fehlt mit der existentiellen Verzweiflung auch die Glaubwürdigkeit. Das liegt nicht etwa daran, daß Hornby dem Tod, diesem uralten Topos der Literatur, ironisch begegnen will, sondern daran, daß es ihm nicht gelingt. Für ein wahrhaft tragikomisches Stück Literatur fehlt es dem Roman an Aberwitz, Tempo und Drastik. Die zur Verzweiflung aufgebauschte Harmlosigkeit der vier Figuren, in ihrer Jämmerlichkeit, ihren Gedanken und Sehnsüchten angeblich so realistische Durchschnittsbewohner der Moderne, ist weder komisch noch tragisch, sondern sie ist schlicht fad.
Nach so angenehm leichtgewichtigen Romanen wie "Ballfieber", "High Fidelity", "About a Boy" und "How to be Good" hat Nick Hornby zwei Millionen Pfund Vorschuß für seine beiden nächsten Romane eingeheimst. Das ist schön für den Autor und stört keinen Leser. Gestört hat es offenbar jedoch Hornby selbst, der plötzlich eine Art Verantwortung beim Schreiben gefühlt zu haben scheint, ähnlich wie Paulo Coelho, der ebenfalls zu meinen scheint, daß der, der ein Millionenpublikum unterhalten will, auch irgendeine Botschaft gratis mitliefern muß. Doch wer tief in Abgründe schaut, die er nicht versteht, wird darüber nicht unbedingt selbst tiefgründiger.
Kein Zweifel: Hornbys Ausgangsidee ist originell. Vier Menschen stolpern bei der einsamsten Entscheidung des Lebens übereinander, und man beschließt, sich einstweilen weiterhin gegenseitig vom Äußersten abzuhalten. Doch außer Not hat die Notgemeinschaft nicht viel gemeinsam, und so geht die Erleichterung bald in Dauerzank über. Um die vier unterschiedlichen Charaktere und Lebenssituationen zu beleuchten, greift Hornby zu einem alten erzählerischen Trick: Er läßt die Personen abwechselnd berichten. So ergeben sich unterschiedliche Perspektiven auf gemeinsame Erlebnisse wie einen Teneriffa-Urlaub, der für die rührend weltfremde Maureen zur Offenbarung wird, während Jess und Martin nichts als Verachtung für das schlechte Essen und den billigen Fusel aufbringen. Doch es gelingt Hornby nicht, die Charaktere und Stimmen sauber zu trennen. Jess nimmt man Wut, Frust und Verzweiflung noch einigermaßen ab, aber alle anderen verschwimmen in dieser Suada aus Larmoyanz und Vergeblichkeit, und mit Ausnahme von Maureen empfindet man ihre Probleme und sie selbst als so aufgesetzt, daß man auch für die Art ihres Überlebens wenig Interesse und Empathie aufzubringen vermag. Daß Hornbys Roman sich nicht mit dem Tod auseinandersetzt, sei ihm verziehen; daß er sich aber auch dem Leben nur auf die Armeslänge eines Dylan- und Wilde-Zitats nähert, ist unentschuldbar. Man wird den Verdacht nicht los, daß Hornby seine Figuren nur als Spielmasse benutzt, ohne sich wirklich für sie zu interessieren. Der Schock des einzig gewagten Moments des Buches, als die vier nämlich noch einmal sentimentalisch aufs Dach von Topper's House steigen und dort unversehens Zeugen des schnellen, wortlosen Todessprungs eines Fremden werden, wird mit Hornbyscher Effizienz rasch wieder ausgeblendet. Und so kommt Nick Hornby mit diesem Roman vielleicht heil im Erdgeschoß an, aber nicht auf dem Boden der Tatsachen.
FELICITAS VON LOVENBERG
Nick Hornby: "A Long Way Down". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 341 S., geb., 19,90 [Euro].
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Ohne den Mut der Verzweiflung: Nick Hornbys "A Long Way Down"
Von den roten Telefonen an der Clifton Suspension Bridge in Bristol, dem am häufigsten aufgesuchten Selbstmordort Großbritanniens, kann man kostenlos die Samariter anrufen. Ob diese den Verzweifelten am anderen Ende der Leitung künftig allerdings tatsächlich ausgerechnet Auszüge aus Nick Hornbys Roman "A Long Way Down" vorlesen werden, wie die englische Presse prophezeit hat? Bestenfalls hätte dies eine ähnliche Wirkung wie einst die Klänge des kitschigen Folksongs "Mhairis Wedding" auf A. L. Kennedy, die sie in "Stierkampf" festhielt: "Die Stimmung des Tages ist dahin. Ich kann nicht hier sitzen und Mhairis Wedding anhören und mich in angemessener, glaubwürdiger Weise auf den Tod vorbereiten. Ich kann mich nicht mit solcher Begleitmusik umbringen."
Daß Nick Hornbys Suizid-Club ebenfalls am Selbstmord-Projekt scheitert, verdankt sich keinem fremden Lied, sondern einzig der eigenen Kakophonie, die alle anderen Lebensnebengeräusche schrill übertönt. In einer Silvesternacht kommen sie einander in die Quere, weil sie alle zur selben Zeit am selben Ort dasselbe suchen: den Sinn des Weiterlebens. Maureen, JJ, Jess und Martin begegnen sich auf dem Dach von Topper's House, alle mit dem latenten Vorsatz, sich hinunterzustürzen. Maureen ("Außerdem bin ich katholisch und glaube darum sowieso weniger an Glück als ans Büßen.") ist nach mehr als fünfzig Probejahren des Lebens vor allem deshalb müde, weil sie sich Tag und Nacht um ihren schwerbehinderten Sohn kümmern muß und sie die Teilnahmslosigkeit ihrer Umgebung nicht mehr erträgt. Der Amerikaner JJ ("Okay, ihr kennt mich nicht, deswegen müßt ihr mir einfach abnehmen, daß ich nicht blöd bin.") ist rettungslos verzweifelt, weil seine Band sich aufgelöst und seine Freundin ihn verlassen hat. Die grundwütende Jess ("Ich weiß die meiste Zeit nicht, warum ich was sage. Ich kotze und kotze mich auf irgendwen aus und kann erst aufhören, wenn ich leer bin.") trauert um ihre verschwundene Schwester und leidet unter dem privilegiert ignoranten Dasein als höhere Tochter. Und Martin ("Ich hatte es geschafft, mir einzureden, daß ich mich irgendwie wieder zurückversetzen könnte, als wäre die ewige Jugend ein Ort, den man aufsuchen kann, wann immer einem danach ist. Und nun die weltbewegende Neuigkeit: Das ist sie nicht. Wer hätte das gedacht."), einst Moderator im Frühstücksfernsehen, hat im Bett einer Fünfzehnjährigen nicht nur seine Ehre und seinen Job, sondern auch seine Familie verloren.
Nur war die generelle Nachvollziehbarkeit der Gründe noch nie ein relevantes Kriterium für Suizidkandidaten. Nick Hornbys Quartett jedoch, das Topper's House statt im freien Fall angeregt schwätzend über die Treppe verläßt, fehlt mit der existentiellen Verzweiflung auch die Glaubwürdigkeit. Das liegt nicht etwa daran, daß Hornby dem Tod, diesem uralten Topos der Literatur, ironisch begegnen will, sondern daran, daß es ihm nicht gelingt. Für ein wahrhaft tragikomisches Stück Literatur fehlt es dem Roman an Aberwitz, Tempo und Drastik. Die zur Verzweiflung aufgebauschte Harmlosigkeit der vier Figuren, in ihrer Jämmerlichkeit, ihren Gedanken und Sehnsüchten angeblich so realistische Durchschnittsbewohner der Moderne, ist weder komisch noch tragisch, sondern sie ist schlicht fad.
Nach so angenehm leichtgewichtigen Romanen wie "Ballfieber", "High Fidelity", "About a Boy" und "How to be Good" hat Nick Hornby zwei Millionen Pfund Vorschuß für seine beiden nächsten Romane eingeheimst. Das ist schön für den Autor und stört keinen Leser. Gestört hat es offenbar jedoch Hornby selbst, der plötzlich eine Art Verantwortung beim Schreiben gefühlt zu haben scheint, ähnlich wie Paulo Coelho, der ebenfalls zu meinen scheint, daß der, der ein Millionenpublikum unterhalten will, auch irgendeine Botschaft gratis mitliefern muß. Doch wer tief in Abgründe schaut, die er nicht versteht, wird darüber nicht unbedingt selbst tiefgründiger.
Kein Zweifel: Hornbys Ausgangsidee ist originell. Vier Menschen stolpern bei der einsamsten Entscheidung des Lebens übereinander, und man beschließt, sich einstweilen weiterhin gegenseitig vom Äußersten abzuhalten. Doch außer Not hat die Notgemeinschaft nicht viel gemeinsam, und so geht die Erleichterung bald in Dauerzank über. Um die vier unterschiedlichen Charaktere und Lebenssituationen zu beleuchten, greift Hornby zu einem alten erzählerischen Trick: Er läßt die Personen abwechselnd berichten. So ergeben sich unterschiedliche Perspektiven auf gemeinsame Erlebnisse wie einen Teneriffa-Urlaub, der für die rührend weltfremde Maureen zur Offenbarung wird, während Jess und Martin nichts als Verachtung für das schlechte Essen und den billigen Fusel aufbringen. Doch es gelingt Hornby nicht, die Charaktere und Stimmen sauber zu trennen. Jess nimmt man Wut, Frust und Verzweiflung noch einigermaßen ab, aber alle anderen verschwimmen in dieser Suada aus Larmoyanz und Vergeblichkeit, und mit Ausnahme von Maureen empfindet man ihre Probleme und sie selbst als so aufgesetzt, daß man auch für die Art ihres Überlebens wenig Interesse und Empathie aufzubringen vermag. Daß Hornbys Roman sich nicht mit dem Tod auseinandersetzt, sei ihm verziehen; daß er sich aber auch dem Leben nur auf die Armeslänge eines Dylan- und Wilde-Zitats nähert, ist unentschuldbar. Man wird den Verdacht nicht los, daß Hornby seine Figuren nur als Spielmasse benutzt, ohne sich wirklich für sie zu interessieren. Der Schock des einzig gewagten Moments des Buches, als die vier nämlich noch einmal sentimentalisch aufs Dach von Topper's House steigen und dort unversehens Zeugen des schnellen, wortlosen Todessprungs eines Fremden werden, wird mit Hornbyscher Effizienz rasch wieder ausgeblendet. Und so kommt Nick Hornby mit diesem Roman vielleicht heil im Erdgeschoß an, aber nicht auf dem Boden der Tatsachen.
FELICITAS VON LOVENBERG
Nick Hornby: "A Long Way Down". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 341 S., geb., 19,90 [Euro].
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