Produktdetails
- Verlag: Der Audio Verlag, Dav
- Gesamtlaufzeit: 53 Min.
- Altersempfehlung: ab 6 Jahren
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783898133333
- Artikelnr.: 12806527
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1999Die Luft ist dünn im Wunderland
Mit niedergeschlagenen Augen: Lisbeth Zwergers Alice-Bilder
Alice im Wunderland hat viele Künstler inspiriert. Auch wenn man daher bei einer Neuausgabe eher auf die Bilder achtet, ist doch der Umgang mit dem Text ebenfalls interessant. In der neuen Ausgabe des Neugebauer Verlages stammt die "deutsche Textbearbeitung von Erika Krammer und Heidi Lexe". Wessen Text die beiden bearbeitet haben, da ihrer offenbar nicht als eigenständige Übersetzung gelten soll, wird nicht mitgeteilt. Das Eingangsgedicht in der Übersetzung von Christian Enzensberger deutet auf seine Version hin. In diesem Fall sind allerdings die Eingriffe beträchtlich. Der neue Text ist manchmal schlanker als der Enzensbergers, aber gelungene Wendungen sind blassen geopfert, zum Beispiel das unvergessliche "Ülkiger und ülkiger!" einem "Sonderbar und sonderbarer!" Manchmal sind die Sprachspiele dem Original näher, dafür sind Enzensbergers Einfälle witziger. Trotz geringfügiger Verbesserungen ist nicht einzusehen, warum nicht Enzensbergers vorzügliche Übersetzung gedruckt wurde.
Lisbeth Zwerger hat das Buch illustriert, jedes der zwölf Kapitel mit einer ganzseitigen Farbtafel, dazu mit kleinen über die Seiten verstreuten kolorierten Zeichnungen. Seit ihrer ersten Inszenierung durch John Tenniel ist Alice in vielerlei Gestalt aufgetreten - als elegante junge Dame, als Garçonne und als Pummelchen, als kecke Göre oder volkstümliche Prinzessin. Zwergers Alice ist ein stilles Kind mit glatten braunen Haaren, brav trägt sie Rock und Bluse. Das Titelblatt zeigt eines der schönsten Bilder des Buchs: Alice sitzt bei der verrückten Teegesellschaft und blickt ernst über die hohe Tischplatte - ein Kind, das eigene Gedanken im Kopf hat und dem man die Diskurse mit sich selbst gern glaubt. Weniger traut man ihm die Neugier, die Abenteuerlust und die Entschiedenheit zu, die Carrolls Heldin auch kennzeichnen. Diese Alice hat die Augen fast immer niedergeschlagen. Kein Blick kreuzt den des Lesers, und auch den wunderlichen Gestalten der Geschichte gegenüber wirkt sie beziehungslos, eine traumbefangene Spaziergängerin.
Die ersten Bildtafeln versprechen viel. Der Schacht, durch den Alice fällt, kombiniert reizvoll einen vertikalen Bibliothekskorridor mit einer Erdhöhle, ihren Tierwohnungen, Abfällen und Knochen. Tränensee und Wettlauf vermitteln im Spiel transparenter Oberflächen, irritierender Raumschichtungen und Schattenwürfe eine schwebende Atmosphäre. Und im bürgerlichen Zimmer des Kaninchenhauses sind nur Alices rot bestrumpfte Beine und ein Teil ihres weißen Rocks zu sehen, ein Stuhl fällt um und verstärkt die Dynamik ihres Wachstums. Die Raupe auf dem Pilz ist als elegante Dame im Schlauchkleid gezeichnet, die mehrfachen Ärmchen zierlich über dem Leib gekreuzt, eine Hand mit Zigarette, eine andere mit Sektglas. Alice sieht man nicht. Zwerger verzichtet auf dialogische Situationen wie auf ein Umfeld der Figuren. Da ist kein Wald, kaum eine Landschaft. Die Luft ist dünn in ihrem Wunderland. Die Küche der Herzogin, voll Pfeffer und scharfer Worte, ist hier ein sauber gefliester leerer Raum, in dem die dicke Herzogin und Alice zu einem graziösen Ballspiel mit dem Baby arrangiert sind. Die Begegnung mit dem Greif und die Hummerquadrille wirken matt und spannungslos.
Diesen Eindruck verstärken die einfallslos gestalteten Textseiten, über die Zwergers Vignetten gestreut sind. Sie übersetzen gehorsam Wörter in Bilder. Die Chance, die der Text bietet, Schrift und Zeichnung in ein spannungsreiches Ineinander zu bringen, ist vertan. Trotz einiger schöner Blätter ist es Lisbeth Zwerger nicht gelungen, nach den großen Illustratoren des Buchs, von Tenniel über Rackham bis zu Kallai, ein eigenes Wunderland zu schaffen, in dem die Energien der Geschichte eine überzeugende bildliche Verwirklichung gefunden hätten.
GUNDEL MATTENKLOTT
Lewis Carroll: "Alice im Wunderland". Illustriert von Lisbeth Zwerger. Deutsche Textbearbeitung von Erika Krammer und Heidi Lexe. Neugebauer Verlag, Zürich 1999. 104 S., geb., 39,80 DM. Für jedes Alter.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit niedergeschlagenen Augen: Lisbeth Zwergers Alice-Bilder
Alice im Wunderland hat viele Künstler inspiriert. Auch wenn man daher bei einer Neuausgabe eher auf die Bilder achtet, ist doch der Umgang mit dem Text ebenfalls interessant. In der neuen Ausgabe des Neugebauer Verlages stammt die "deutsche Textbearbeitung von Erika Krammer und Heidi Lexe". Wessen Text die beiden bearbeitet haben, da ihrer offenbar nicht als eigenständige Übersetzung gelten soll, wird nicht mitgeteilt. Das Eingangsgedicht in der Übersetzung von Christian Enzensberger deutet auf seine Version hin. In diesem Fall sind allerdings die Eingriffe beträchtlich. Der neue Text ist manchmal schlanker als der Enzensbergers, aber gelungene Wendungen sind blassen geopfert, zum Beispiel das unvergessliche "Ülkiger und ülkiger!" einem "Sonderbar und sonderbarer!" Manchmal sind die Sprachspiele dem Original näher, dafür sind Enzensbergers Einfälle witziger. Trotz geringfügiger Verbesserungen ist nicht einzusehen, warum nicht Enzensbergers vorzügliche Übersetzung gedruckt wurde.
Lisbeth Zwerger hat das Buch illustriert, jedes der zwölf Kapitel mit einer ganzseitigen Farbtafel, dazu mit kleinen über die Seiten verstreuten kolorierten Zeichnungen. Seit ihrer ersten Inszenierung durch John Tenniel ist Alice in vielerlei Gestalt aufgetreten - als elegante junge Dame, als Garçonne und als Pummelchen, als kecke Göre oder volkstümliche Prinzessin. Zwergers Alice ist ein stilles Kind mit glatten braunen Haaren, brav trägt sie Rock und Bluse. Das Titelblatt zeigt eines der schönsten Bilder des Buchs: Alice sitzt bei der verrückten Teegesellschaft und blickt ernst über die hohe Tischplatte - ein Kind, das eigene Gedanken im Kopf hat und dem man die Diskurse mit sich selbst gern glaubt. Weniger traut man ihm die Neugier, die Abenteuerlust und die Entschiedenheit zu, die Carrolls Heldin auch kennzeichnen. Diese Alice hat die Augen fast immer niedergeschlagen. Kein Blick kreuzt den des Lesers, und auch den wunderlichen Gestalten der Geschichte gegenüber wirkt sie beziehungslos, eine traumbefangene Spaziergängerin.
Die ersten Bildtafeln versprechen viel. Der Schacht, durch den Alice fällt, kombiniert reizvoll einen vertikalen Bibliothekskorridor mit einer Erdhöhle, ihren Tierwohnungen, Abfällen und Knochen. Tränensee und Wettlauf vermitteln im Spiel transparenter Oberflächen, irritierender Raumschichtungen und Schattenwürfe eine schwebende Atmosphäre. Und im bürgerlichen Zimmer des Kaninchenhauses sind nur Alices rot bestrumpfte Beine und ein Teil ihres weißen Rocks zu sehen, ein Stuhl fällt um und verstärkt die Dynamik ihres Wachstums. Die Raupe auf dem Pilz ist als elegante Dame im Schlauchkleid gezeichnet, die mehrfachen Ärmchen zierlich über dem Leib gekreuzt, eine Hand mit Zigarette, eine andere mit Sektglas. Alice sieht man nicht. Zwerger verzichtet auf dialogische Situationen wie auf ein Umfeld der Figuren. Da ist kein Wald, kaum eine Landschaft. Die Luft ist dünn in ihrem Wunderland. Die Küche der Herzogin, voll Pfeffer und scharfer Worte, ist hier ein sauber gefliester leerer Raum, in dem die dicke Herzogin und Alice zu einem graziösen Ballspiel mit dem Baby arrangiert sind. Die Begegnung mit dem Greif und die Hummerquadrille wirken matt und spannungslos.
Diesen Eindruck verstärken die einfallslos gestalteten Textseiten, über die Zwergers Vignetten gestreut sind. Sie übersetzen gehorsam Wörter in Bilder. Die Chance, die der Text bietet, Schrift und Zeichnung in ein spannungsreiches Ineinander zu bringen, ist vertan. Trotz einiger schöner Blätter ist es Lisbeth Zwerger nicht gelungen, nach den großen Illustratoren des Buchs, von Tenniel über Rackham bis zu Kallai, ein eigenes Wunderland zu schaffen, in dem die Energien der Geschichte eine überzeugende bildliche Verwirklichung gefunden hätten.
GUNDEL MATTENKLOTT
Lewis Carroll: "Alice im Wunderland". Illustriert von Lisbeth Zwerger. Deutsche Textbearbeitung von Erika Krammer und Heidi Lexe. Neugebauer Verlag, Zürich 1999. 104 S., geb., 39,80 DM. Für jedes Alter.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main