Ein junger Amerikaner kommt in die Ukraine. Er heißt zufällig Jonathan Safran Foer. Im Gepäck hat er das vergilbte Foto einer Frau namens Augustine. Sie soll gegen Ende des 2. Weltkrieges seinen Großvater vor den Nazis gerettet haben. Jonathan will Augustine finden und Trachimbrod, den Ort, aus dem seine Familie stammt. Sein Reiseführer ist ein alter Ukrainer mit einem noch älteren klapprigen Auto, sein Dolmetscher dessen Enkel Alex, ein unglaubliches Großmaul und ein Genie im Verballhornen von Sprache. Mit von der Partie ist noch Sammy Davis jr. jr., eine neurotische Promenadenmischung mit einer Leidenschaft für Jonathan, der Angst vor Hunden hat. Die Reise führt durch eine verwüstete Gegend und in eine Zeit des Grauens. Alex berichtet in seiner unnachahmlichen Sprache von den Abenteuern und irrsinnigen Missverständnissen während dieser Fahrt, Jonathan erzählt die phantastische Geschichte Trachimbrods bis zum furchtbaren Ende, und der alte Ukrainer begegnet den Gespenstern seiner Vergangenheit. Alex und Jonathan aber sind zum Schluss der Reise Freunde geworden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2004Die Komödie des begabten Kindes
Jonathan Safran Foer in der American Academy
Als 1979 der Bestseller „Das Drama des begabten Kindes” von Alice Miller erschien, war Jonathan Safran Foer gerade zwei Jahre alt. Er wuchs in Washington DC auf und wusste weder, von welchen Gefahren ein begabtes Kind umstellt ist, noch ahnte er, dass er selber einmal ein Erfolgsbuch schreiben würde. Später ging er auf eine private High School, dann an die Princeton University, studierte dort Philosophie und belegte Kurse in Creative Writing. Dabei wurde er von Joyce Carol Oates und Jeffrey Eugenides adoptiert.
Seit im Frühjahr 2002 sein Romandebüt „Everything is illuminated” (deutsch: Alles ist erleuchtet, 2003) erschien, ist Jonathan Safran Foer ein Erfolgsautor. Derzeit schreibt er ein Libretto für die Staatsoper in Berlin, am Donnerstagabend eröffnete er das Herbstprogramm der American Academy am Wannsee mit einer denkwürdigen Lesung. Angekündigt war nichts als der Titel seines zweiten, gerade in der Rohfassung fertiggestellten Romans, der im Frühjahr 2005 erscheinen soll: „Extremely loud and incredibly close”.
Jonathan Safran Foer ist inzwischen 27, aber am Pult scheint ein schmaler, überwacher College-Boy zu stehen, der es nicht erwarten kann, sein Referat zu halten. Kaum hat er die ersten Sätze seines Manuskripts gelesen, ist jemand noch Jüngerer im Raum: Oscar, ein sehr begabtes Kind, neun Jahre alt. Es ist der Ich-Erzähler des Romans, und es sprudelt seine Sätze aus sich heraus, als müsse es eine Wette gewinnen, in der der Quotient aus Silbenzahl und Sekundenzahl eine Hauptrolle spielt. Das Kind erzählt, wie es seinem Vater Löcher über Kosmologie und Zeugung in den Bauch fragt, und wie der Vater die New York Times mit rotem Stift liest und in jedem Artikel irgendeinen Fehler findet.
Das begabte Kind ist stolz darauf, einen Vater zu haben, der klüger ist als die New York Times und schreibt gerne Briefe an Prominente, zum Beispiel an eines seiner Idole, den Physiker Stephen Hawking. Es betreibt Archäologie im Central Park. Und es hat eine Mutter, der es lieber nicht erklärt, wie vielen Personen es Nachschlüssel der Wohnung gegeben hat. Das altkluge Kind ist wahrscheinlich eine ziemliche Nervensäge.
Aber vor allem ist es komisch. Der 27-jährige Autor, sein Bauchredner, tut alles, um Oscar der Alice-Miller-Welt zu entführen. In Foers Welt spielt sich das Drama des begabten Kindes nicht als Tragödie ab, sondern als Komödie. Die Pointendichte seiner Oscar-Suada steht der eines Entertainers auf einem Kreuzfahrtschiff nicht nach.
In Foers Erstling suchte ein junger amerikanischer Schriftsteller in der Ukraine nach den Spuren einer Frau, von der die Familienlegende wissen will, sie habe seinen jüdischen Großvater vor den Nazis gerettet. Schon in diesem Roman waren die Stimmenimitationen aus der Gegenwart des Amerikaners und seines ukrainischen Übersetzers stärker als die Mimikry mit dem Epischen, mit einer Schtetl-Chronik aus alten Zeiten.
Wenn das Eingangskapitel nicht täuscht, hat Foer sich in seinem zweiten Roman auf den Kern seines Talents konzentriert: die Auflösung der Erzählung in der rhetorischen Performance. Die Ermunterung zum Rollenspiel, zum Auftreten, zur Selbstdarstellung im amerikanischen Schulsystem dürfte dazu mehr beigetragen haben als der Bücherschrank der Eltern. Nicht nur Oscar, auch sein Autor ist eher ein Kind der elektronischen Medien und sich überlagernden musikalischen Tonspuren als eine Leseratte.
Die rhetorische Virtuosität läuft nicht leer. Immer dichter mischen sich schwarze Flocken in das Pointengestöber, beginnen Worte wie „the worst day” und Imperfektformen den Vater ins Jenseits zu rücken. Gehirn und Phantasie des begabten Kindes laufen auf Hochtouren, um eine Leerstelle zu füllen. Am Ende dieses ersten Kapitels hat das Gehirn die Erinnerung an die Stimme des Vater auf dem Anrufbeantworter abgerufen. Im letzten Satz ist Oscar selbst am Apparat, am anderen Ende der Vater. Es ist kurz nach 9 Uhr morgens. Das Datum kennt jeder, darum muss es nicht genannt werden.
Gewiss, das ist ein Cliffhanger wie aus dem Creative-Writing-Kurs. Aber diese traurig-komische Suada eines begabten Kindes könnte eine ernst zu nehmende Antwort der amerikanischen Literatur auf den 11. September 2001 werden.
LOTHAR MÜLLER
Jonathan Safran Foer
Foto: Marion Ettlinger
Jonathan Safran Foer in der American Academy
Als 1979 der Bestseller „Das Drama des begabten Kindes” von Alice Miller erschien, war Jonathan Safran Foer gerade zwei Jahre alt. Er wuchs in Washington DC auf und wusste weder, von welchen Gefahren ein begabtes Kind umstellt ist, noch ahnte er, dass er selber einmal ein Erfolgsbuch schreiben würde. Später ging er auf eine private High School, dann an die Princeton University, studierte dort Philosophie und belegte Kurse in Creative Writing. Dabei wurde er von Joyce Carol Oates und Jeffrey Eugenides adoptiert.
Seit im Frühjahr 2002 sein Romandebüt „Everything is illuminated” (deutsch: Alles ist erleuchtet, 2003) erschien, ist Jonathan Safran Foer ein Erfolgsautor. Derzeit schreibt er ein Libretto für die Staatsoper in Berlin, am Donnerstagabend eröffnete er das Herbstprogramm der American Academy am Wannsee mit einer denkwürdigen Lesung. Angekündigt war nichts als der Titel seines zweiten, gerade in der Rohfassung fertiggestellten Romans, der im Frühjahr 2005 erscheinen soll: „Extremely loud and incredibly close”.
Jonathan Safran Foer ist inzwischen 27, aber am Pult scheint ein schmaler, überwacher College-Boy zu stehen, der es nicht erwarten kann, sein Referat zu halten. Kaum hat er die ersten Sätze seines Manuskripts gelesen, ist jemand noch Jüngerer im Raum: Oscar, ein sehr begabtes Kind, neun Jahre alt. Es ist der Ich-Erzähler des Romans, und es sprudelt seine Sätze aus sich heraus, als müsse es eine Wette gewinnen, in der der Quotient aus Silbenzahl und Sekundenzahl eine Hauptrolle spielt. Das Kind erzählt, wie es seinem Vater Löcher über Kosmologie und Zeugung in den Bauch fragt, und wie der Vater die New York Times mit rotem Stift liest und in jedem Artikel irgendeinen Fehler findet.
Das begabte Kind ist stolz darauf, einen Vater zu haben, der klüger ist als die New York Times und schreibt gerne Briefe an Prominente, zum Beispiel an eines seiner Idole, den Physiker Stephen Hawking. Es betreibt Archäologie im Central Park. Und es hat eine Mutter, der es lieber nicht erklärt, wie vielen Personen es Nachschlüssel der Wohnung gegeben hat. Das altkluge Kind ist wahrscheinlich eine ziemliche Nervensäge.
Aber vor allem ist es komisch. Der 27-jährige Autor, sein Bauchredner, tut alles, um Oscar der Alice-Miller-Welt zu entführen. In Foers Welt spielt sich das Drama des begabten Kindes nicht als Tragödie ab, sondern als Komödie. Die Pointendichte seiner Oscar-Suada steht der eines Entertainers auf einem Kreuzfahrtschiff nicht nach.
In Foers Erstling suchte ein junger amerikanischer Schriftsteller in der Ukraine nach den Spuren einer Frau, von der die Familienlegende wissen will, sie habe seinen jüdischen Großvater vor den Nazis gerettet. Schon in diesem Roman waren die Stimmenimitationen aus der Gegenwart des Amerikaners und seines ukrainischen Übersetzers stärker als die Mimikry mit dem Epischen, mit einer Schtetl-Chronik aus alten Zeiten.
Wenn das Eingangskapitel nicht täuscht, hat Foer sich in seinem zweiten Roman auf den Kern seines Talents konzentriert: die Auflösung der Erzählung in der rhetorischen Performance. Die Ermunterung zum Rollenspiel, zum Auftreten, zur Selbstdarstellung im amerikanischen Schulsystem dürfte dazu mehr beigetragen haben als der Bücherschrank der Eltern. Nicht nur Oscar, auch sein Autor ist eher ein Kind der elektronischen Medien und sich überlagernden musikalischen Tonspuren als eine Leseratte.
Die rhetorische Virtuosität läuft nicht leer. Immer dichter mischen sich schwarze Flocken in das Pointengestöber, beginnen Worte wie „the worst day” und Imperfektformen den Vater ins Jenseits zu rücken. Gehirn und Phantasie des begabten Kindes laufen auf Hochtouren, um eine Leerstelle zu füllen. Am Ende dieses ersten Kapitels hat das Gehirn die Erinnerung an die Stimme des Vater auf dem Anrufbeantworter abgerufen. Im letzten Satz ist Oscar selbst am Apparat, am anderen Ende der Vater. Es ist kurz nach 9 Uhr morgens. Das Datum kennt jeder, darum muss es nicht genannt werden.
Gewiss, das ist ein Cliffhanger wie aus dem Creative-Writing-Kurs. Aber diese traurig-komische Suada eines begabten Kindes könnte eine ernst zu nehmende Antwort der amerikanischen Literatur auf den 11. September 2001 werden.
LOTHAR MÜLLER
Jonathan Safran Foer
Foto: Marion Ettlinger
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2003Erleuchtung garantiert
Ein Schelmenroman machte den jungen Jonathan Safran Foer über Nacht zum gefeierten Starautor
Bevor er liest, muß er erst noch das Bonbon zu Ende lutschen. Zum Entzücken des Publikums in New Yorks feierlich vertäfelter Kaufmann Hall in der 92. Straße, wo sonst nur die Stars der literarischen Zunft am Rednerpult stehen. Der 24jährige Jonathan Safran Foer hat zwar einen Bestseller geschrieben, hat letztes Jahr mit "Alles ist erleuchtet" ein Debüt hingelegt, wie es seit Norman Mailer oder J. D. Salinger keinem amerikanischen Schriftsteller mehr vergönnt war. Aber zumindest sein Erscheinungsbild und sein Auftreten sind noch frei von jeglicher Starqualität. Dafür hat er sich viel Primanerhaftes bewahrt, und auch das kurzärmelige, gestreifte Polohemd und die Jeans eignen sich nur bedingt dazu, ihm Autorität oder zumindest einen Touch genialischer Exzentrik zu verleihen.
Foer sieht vielleicht aus wie ein Musterschüler, aber er schreibt wie ein subversiver Entertainer. Und so liest er auch vor. Ich bin ganz allein am Rande des Universums, beginnt die Passage, die er im Buch seinem kleinen Bruder Oscar in den Mund legt, und schon geht es im wilden Galopp durch quasiphilosophisches Revier, vorbei an Betrachtungen zu singenden Teekesseln und freiem Willen, Karatetraining, in die Erde versenkten Wolkenkratzern für die Verstorbenen, Flugangst, dem Ursprung der Tränen, Sinn des Leidens, Gefühlsleben der Pflanzen und dem Niesen als Quelle orgasmischer Lust. Locker und lose schwillt der Bewußtseinsstrom an, bis die Heiterkeit des Publikums gefährliche Formen annimmt. Da erhebt der Autor sachte den Zeigefinger und macht seine Fans darauf aufmerksam, daß er ihnen keine Witze vorsetze, sondern sie mit Antworten auf die Unangemessenheit der Welt konfrontiere.
"Alles ist erleuchtet" handelt von einem Amerikaner, der nicht ganz zufällig Jonathan Safran Foer heißt und in die Ukraine reist, um die Frau zu finden, die seinen Großvater vor den Nazis rettete. Die anfangs heitere Atmosphäre trübt sich im Laufe der Geschichte immer dramatischer ein. Ein moderner Schelmenroman mit Ausflügen in die Geschichte, die für den Ort Trachimbrod viele Wunder des magischen Realismus bereithält. Sehr unterschiedliche und auch sehr unterschiedlich orchestrierte Erzählstränge werden schließlich im Holocaust miteinander verknüpft. Die ungelenk formulierten, verballhornten Weisheiten von Alex, dem ukrainischen Reiseführer, mit dem der als Held apostrophierte Protagonist sich die schriftstellerische Arbeit am zeitgenössischen Teil der Story teilt, attackieren anfangs noch das Zwerchfell auch des einsamen Lesers. Doch bald wird klar, daß sich hier keine lustige Person den Zeitgeist mit poppigen Tricks gefügig macht.
Am Morgen nach der Lesung sitzt Foer im Second Street Café in Brooklyn, wo er sich gerade eine Wohnung einrichtet, und läßt sich über einem Bagel mit Lachs noch einmal ausfragen. Nein, die Promotiontour, auf die er seit einem Jahr geschickt wird, ist ihm noch nicht zuwider. Nein, er hat sich noch immer nicht an seinen Ruhm gewöhnt, findet es im Gegenteil völlig verrückt, einem Journalisten aus Europa gegenüberzusitzen. Und, nein, er ist nicht so komisch, wie es die komischen Passagen seines Romans nahelegen.
Er sei sogar eher scheu und zurückhaltend, sagt er, und damit wäre auch schon einer der Gründe genannt, warum er überhaupt schreibe. Während er im wirklichen Leben merklich Mühe hat, seiner Umwelt mitzuteilen, wer er ist und was er fühlt, gibt der Roman ihm die Chance zu erklären, was in ihm vorgeht. Der Bekenntnisdrang aber, den er mit einigen Kollegen aus seiner Generation teilt, ist streng literarisch geformt. Nicht umsonst hat Foer vier Jahre lang bei Joyce Carol Oates in Princeton das Schreiben und Erzählen gelernt. Seine Bezugspunkte sucht und findet er bei den Altmeistern des Fachs, bei Kafka, Grass, Calvino, Roth und Bellow. Mit Rilke glaubt er sich einig, daß ein guter Roman das Leben des Lesers verändern könne. Literatur soll die Dringlichkeit und Brisanz eines Notfalls annehmen. "Ich will nichts beweisen", sagt er, "ich will nicht moralisieren, ich will nicht nur unterhalten - ich will das Leben widerspiegeln und mich ausdrücken, auf ganz altmodische Weise." Wäre jemand geneigt, diese Haltung romantisch zu nennen, hätte er auch nichts dagegen.
Humor, und von ihm aus auch die Tradition des jüdischen Humors, ist dabei das Kunstmittel, das vielleicht einem Köder ähnelt. Mit Humor versucht er den Leser zu fangen und, wichtiger noch, den Charakter einer Figur so schnell wie möglich zu umreißen, um die Geschichte ins Rollen zu bringen. Foer hält Humor für den besten Weg, möglichst schnell möglichst viele Informationen zu transportieren. Am wichtigsten aber ist ihm, daß Humor den Leser verletzlich macht und ihn dazu bringt, seine Abwehrhaltung aufzugeben. Ist das geschehen, wird er für die Story um so empfänglicher.
Foer war neunzehn, als er die Rohfassung seines Romans nach einem Dreitagetrip durch die Ukraine niederschrieb, in Prag, innerhalb von zwei Monaten. Vom Schreiben will er nicht allzu viel verstehen. Das sei doch ohnehin nichts weiter als eine Serie von Zufällen, sagt er. Seine Aufgabe als Schriftsteller: sich darum zu bemühen, Zufälle in Gang zu bringen. Und noch ein Lehrsatz zwischen zwei Bissen Lachs-Bagel: "Man kann nicht vorsätzlich etwas Bedeutendes schreiben."
Als Foer anfing, "Alles ist erleuchtet" zu schreiben, wußte er, daß er nicht nur eine Geschichte von nur einem Standpunkt aus erzählen wollte. Aber wie sich daraufhin der Roman dreiteilte, wie der Plot bald von dem Helden Jonathan Safran Foer, bald vom virtuos radebrechenden Alex illuminiert wurde und die Geschichte sich in ein Sammelbecken für viele talmudisch schillernde, die Jahrhunderte durcheilende Geschichten verwandelte, das stellte sich, sagt Foer, erst nach und nach beim Schreiben heraus. Alex' Kampf mit der englischen Sprache, der natürlich auch in der deutschen Übersetzung ein Kampf mit Sprache ist, enthüllte sich gleichsam als Metapher, als Karikatur des Grundproblems eines jeden Schriftstellers. Wie sein ukrainischer Freund steht Foer als Held und Autor vor der Schwierigkeit, seine innerste Regung in Sprache zu kleiden. Deshalb begegnet er Alex' Sprachproblem, das ihm zunächst nur eine willkommene Gelegenheit für Humor zu bieten schien, am Ende mit tiefer Sympathie.
Neben all den Lobeshymnen für den Roman wartete das Magazin "Atlantic Monthly" mit einer scharfen Attacke auf, in der es um die literarische Behandlung des Holocausts ging. Sollte ein Nachgeborener, noch dazu ein Sohn aus jüdischer Familie, sich die Freiheit nehmen dürfen, historische durch erfinderische Genauigkeit zu ersetzen? Noch, tadelte die Kritikerin, gebe es Überlebende, die sich genau erinnerten. Foer antwortet darauf aus der Distanz der Nachfolgegeneration. Ja, dazu stehe er, auch die historische Genauigkeit werde vom Wandel nicht verschont. Aber der Ersatz des Augenzeugenberichts durch die Fiktion sei ein annehmbarer Preis, um emotional relevant zu bleiben. Im übrigen handle sein Roman nicht vom Holocaust. Foer war vielmehr entschlossen, über den Holocaust im Kontext von Liebe und Schuld und Verantwortung zu schreiben. Das sollte kein Affront gegen die Generation seiner Väter und Großmütter sein, sondern ein Akt der Generosität. Zumal der Humor seines Buches längst versiegt ist, wenn die Zeitreise den Holocaust erreicht.
Nun ist Foer gespannt, wie sein Buch in Deutschland aufgenommen wird. Er weiß natürlich, daß es längst ein Eigenleben angenommen hat, daß er die Kontrolle darüber verlieren mußte. "Ich bin nicht klüger als andere", sagt er, "aber mein Buch könnte es sein, denn die Leser machen es jetzt klüger." In einer solch kommunikativen Zusammenarbeit liegt für ihn der wahre Reiz seines Berufs.
Was er im Alltag nicht immer schafft, nämlich seinem Denken und Fühlen Ausdruck zu verleihen, kann er im Buch gut komponiert und genau formuliert nachholen. Kern der Übung bleibt indes das Gespräch, die Unterhaltung, der Meinungsaustausch. Welche Form dies alles annimmt, ist zweitrangig. Darum steht keineswegs fest, ob Foer in ein paar Jahren immer noch Bücher schreibt. Aber daß es zumindest ein zweites Buch von ihm geben wird, kann er versprechen. Und sicher wird darin auch Jonathan Safran Foer wieder auftreten. Als Held.
JORDAN MEJIAS
Jonathan Safran Foer: Alles ist erleuchtet. Kiepenheuer & Witsch, 2003. 384 Seiten. 22,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Schelmenroman machte den jungen Jonathan Safran Foer über Nacht zum gefeierten Starautor
Bevor er liest, muß er erst noch das Bonbon zu Ende lutschen. Zum Entzücken des Publikums in New Yorks feierlich vertäfelter Kaufmann Hall in der 92. Straße, wo sonst nur die Stars der literarischen Zunft am Rednerpult stehen. Der 24jährige Jonathan Safran Foer hat zwar einen Bestseller geschrieben, hat letztes Jahr mit "Alles ist erleuchtet" ein Debüt hingelegt, wie es seit Norman Mailer oder J. D. Salinger keinem amerikanischen Schriftsteller mehr vergönnt war. Aber zumindest sein Erscheinungsbild und sein Auftreten sind noch frei von jeglicher Starqualität. Dafür hat er sich viel Primanerhaftes bewahrt, und auch das kurzärmelige, gestreifte Polohemd und die Jeans eignen sich nur bedingt dazu, ihm Autorität oder zumindest einen Touch genialischer Exzentrik zu verleihen.
Foer sieht vielleicht aus wie ein Musterschüler, aber er schreibt wie ein subversiver Entertainer. Und so liest er auch vor. Ich bin ganz allein am Rande des Universums, beginnt die Passage, die er im Buch seinem kleinen Bruder Oscar in den Mund legt, und schon geht es im wilden Galopp durch quasiphilosophisches Revier, vorbei an Betrachtungen zu singenden Teekesseln und freiem Willen, Karatetraining, in die Erde versenkten Wolkenkratzern für die Verstorbenen, Flugangst, dem Ursprung der Tränen, Sinn des Leidens, Gefühlsleben der Pflanzen und dem Niesen als Quelle orgasmischer Lust. Locker und lose schwillt der Bewußtseinsstrom an, bis die Heiterkeit des Publikums gefährliche Formen annimmt. Da erhebt der Autor sachte den Zeigefinger und macht seine Fans darauf aufmerksam, daß er ihnen keine Witze vorsetze, sondern sie mit Antworten auf die Unangemessenheit der Welt konfrontiere.
"Alles ist erleuchtet" handelt von einem Amerikaner, der nicht ganz zufällig Jonathan Safran Foer heißt und in die Ukraine reist, um die Frau zu finden, die seinen Großvater vor den Nazis rettete. Die anfangs heitere Atmosphäre trübt sich im Laufe der Geschichte immer dramatischer ein. Ein moderner Schelmenroman mit Ausflügen in die Geschichte, die für den Ort Trachimbrod viele Wunder des magischen Realismus bereithält. Sehr unterschiedliche und auch sehr unterschiedlich orchestrierte Erzählstränge werden schließlich im Holocaust miteinander verknüpft. Die ungelenk formulierten, verballhornten Weisheiten von Alex, dem ukrainischen Reiseführer, mit dem der als Held apostrophierte Protagonist sich die schriftstellerische Arbeit am zeitgenössischen Teil der Story teilt, attackieren anfangs noch das Zwerchfell auch des einsamen Lesers. Doch bald wird klar, daß sich hier keine lustige Person den Zeitgeist mit poppigen Tricks gefügig macht.
Am Morgen nach der Lesung sitzt Foer im Second Street Café in Brooklyn, wo er sich gerade eine Wohnung einrichtet, und läßt sich über einem Bagel mit Lachs noch einmal ausfragen. Nein, die Promotiontour, auf die er seit einem Jahr geschickt wird, ist ihm noch nicht zuwider. Nein, er hat sich noch immer nicht an seinen Ruhm gewöhnt, findet es im Gegenteil völlig verrückt, einem Journalisten aus Europa gegenüberzusitzen. Und, nein, er ist nicht so komisch, wie es die komischen Passagen seines Romans nahelegen.
Er sei sogar eher scheu und zurückhaltend, sagt er, und damit wäre auch schon einer der Gründe genannt, warum er überhaupt schreibe. Während er im wirklichen Leben merklich Mühe hat, seiner Umwelt mitzuteilen, wer er ist und was er fühlt, gibt der Roman ihm die Chance zu erklären, was in ihm vorgeht. Der Bekenntnisdrang aber, den er mit einigen Kollegen aus seiner Generation teilt, ist streng literarisch geformt. Nicht umsonst hat Foer vier Jahre lang bei Joyce Carol Oates in Princeton das Schreiben und Erzählen gelernt. Seine Bezugspunkte sucht und findet er bei den Altmeistern des Fachs, bei Kafka, Grass, Calvino, Roth und Bellow. Mit Rilke glaubt er sich einig, daß ein guter Roman das Leben des Lesers verändern könne. Literatur soll die Dringlichkeit und Brisanz eines Notfalls annehmen. "Ich will nichts beweisen", sagt er, "ich will nicht moralisieren, ich will nicht nur unterhalten - ich will das Leben widerspiegeln und mich ausdrücken, auf ganz altmodische Weise." Wäre jemand geneigt, diese Haltung romantisch zu nennen, hätte er auch nichts dagegen.
Humor, und von ihm aus auch die Tradition des jüdischen Humors, ist dabei das Kunstmittel, das vielleicht einem Köder ähnelt. Mit Humor versucht er den Leser zu fangen und, wichtiger noch, den Charakter einer Figur so schnell wie möglich zu umreißen, um die Geschichte ins Rollen zu bringen. Foer hält Humor für den besten Weg, möglichst schnell möglichst viele Informationen zu transportieren. Am wichtigsten aber ist ihm, daß Humor den Leser verletzlich macht und ihn dazu bringt, seine Abwehrhaltung aufzugeben. Ist das geschehen, wird er für die Story um so empfänglicher.
Foer war neunzehn, als er die Rohfassung seines Romans nach einem Dreitagetrip durch die Ukraine niederschrieb, in Prag, innerhalb von zwei Monaten. Vom Schreiben will er nicht allzu viel verstehen. Das sei doch ohnehin nichts weiter als eine Serie von Zufällen, sagt er. Seine Aufgabe als Schriftsteller: sich darum zu bemühen, Zufälle in Gang zu bringen. Und noch ein Lehrsatz zwischen zwei Bissen Lachs-Bagel: "Man kann nicht vorsätzlich etwas Bedeutendes schreiben."
Als Foer anfing, "Alles ist erleuchtet" zu schreiben, wußte er, daß er nicht nur eine Geschichte von nur einem Standpunkt aus erzählen wollte. Aber wie sich daraufhin der Roman dreiteilte, wie der Plot bald von dem Helden Jonathan Safran Foer, bald vom virtuos radebrechenden Alex illuminiert wurde und die Geschichte sich in ein Sammelbecken für viele talmudisch schillernde, die Jahrhunderte durcheilende Geschichten verwandelte, das stellte sich, sagt Foer, erst nach und nach beim Schreiben heraus. Alex' Kampf mit der englischen Sprache, der natürlich auch in der deutschen Übersetzung ein Kampf mit Sprache ist, enthüllte sich gleichsam als Metapher, als Karikatur des Grundproblems eines jeden Schriftstellers. Wie sein ukrainischer Freund steht Foer als Held und Autor vor der Schwierigkeit, seine innerste Regung in Sprache zu kleiden. Deshalb begegnet er Alex' Sprachproblem, das ihm zunächst nur eine willkommene Gelegenheit für Humor zu bieten schien, am Ende mit tiefer Sympathie.
Neben all den Lobeshymnen für den Roman wartete das Magazin "Atlantic Monthly" mit einer scharfen Attacke auf, in der es um die literarische Behandlung des Holocausts ging. Sollte ein Nachgeborener, noch dazu ein Sohn aus jüdischer Familie, sich die Freiheit nehmen dürfen, historische durch erfinderische Genauigkeit zu ersetzen? Noch, tadelte die Kritikerin, gebe es Überlebende, die sich genau erinnerten. Foer antwortet darauf aus der Distanz der Nachfolgegeneration. Ja, dazu stehe er, auch die historische Genauigkeit werde vom Wandel nicht verschont. Aber der Ersatz des Augenzeugenberichts durch die Fiktion sei ein annehmbarer Preis, um emotional relevant zu bleiben. Im übrigen handle sein Roman nicht vom Holocaust. Foer war vielmehr entschlossen, über den Holocaust im Kontext von Liebe und Schuld und Verantwortung zu schreiben. Das sollte kein Affront gegen die Generation seiner Väter und Großmütter sein, sondern ein Akt der Generosität. Zumal der Humor seines Buches längst versiegt ist, wenn die Zeitreise den Holocaust erreicht.
Nun ist Foer gespannt, wie sein Buch in Deutschland aufgenommen wird. Er weiß natürlich, daß es längst ein Eigenleben angenommen hat, daß er die Kontrolle darüber verlieren mußte. "Ich bin nicht klüger als andere", sagt er, "aber mein Buch könnte es sein, denn die Leser machen es jetzt klüger." In einer solch kommunikativen Zusammenarbeit liegt für ihn der wahre Reiz seines Berufs.
Was er im Alltag nicht immer schafft, nämlich seinem Denken und Fühlen Ausdruck zu verleihen, kann er im Buch gut komponiert und genau formuliert nachholen. Kern der Übung bleibt indes das Gespräch, die Unterhaltung, der Meinungsaustausch. Welche Form dies alles annimmt, ist zweitrangig. Darum steht keineswegs fest, ob Foer in ein paar Jahren immer noch Bücher schreibt. Aber daß es zumindest ein zweites Buch von ihm geben wird, kann er versprechen. Und sicher wird darin auch Jonathan Safran Foer wieder auftreten. Als Held.
JORDAN MEJIAS
Jonathan Safran Foer: Alles ist erleuchtet. Kiepenheuer & Witsch, 2003. 384 Seiten. 22,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Uwe Ebbinghaus findet die Wohltemperiertheit dieser Aufnahme zunächst durchaus angenehm. Sprecher Boris Aljinoviv hört er "aufgeräumt und abgeklärt" Jonathan Safran Foers legendenhafte Chronik des Stetls Trachimbrod sprechen. Auch Florian Lukas, dem Sprecher des Ukrainers Alex, hört er gerne zu, und findet auch die Entscheidung richtig, auf einen ukrainischen Akzent zu verzichten. Beide Sprecher verpflichten sich zur Zufriedenheit des Rezensenten "dem trockenen Humor" des Textes, der in seinen Augen ohnehin ein Glücksfall für jeden Hörbuch-Einrichter ist. Denn es handele sich um eine Art Briefroman und schon bei "der stillen Lektüre" hat der Rezensent eigenem Bekunden zufolge gespürt, wie stark der Autor selbst von der gesprochenen Sprache her denke. Die Wohltemperiertheit der Einlesung empfindet Ebbinghaus jedoch zunehmend als routiniertes "gleichförmiges Dahinplätschern". Manchmal will sich die Komik des Textes auf ihn dann auch nicht mehr übertragen. Erst als die ersten deutschen Bomber am Himmel über Trachimbrod erscheinen, vollziehe sich in den Stimmen der Sprecher, so Ebbinghaus, ein Wandel Richtung "verdichtende Beteiligung". Höhepunkt schließlich werde Lukas' Lesung von Foers Schilderung des Pogroms von Kolki.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein todkomisches, todlustiges Romandebüt. Es stürzt einen in ähnliche Wechselbäder wie der Film 'Das Leben ist schön' von Roberto Benigni." (Der Spiegel)
"Der neue Superstar der amerikanischen Literaturszene. Das komische und berührende Duett einer Erinnerung, die im Medium Literatur noch einmal erfunden wird. (NZZ)
"Ein Debüt, wie es lange keines gegeben hat: Foer vollbringt das Wunder der erfundenen Erinnerung." (FAZ)
"Jonathan Safran Foer landet einen Geniestreich ... so witzig und gescheit, mit so viel Komik und einem Übermaß an klein verpackter großer Weisheit gemacht, dass man sich gelegentlich fragt, wie das einem so jungen Autor überhaupt passieren konnte." (Die Zeit)
"Der neue Superstar der amerikanischen Literaturszene. Das komische und berührende Duett einer Erinnerung, die im Medium Literatur noch einmal erfunden wird. (NZZ)
"Ein Debüt, wie es lange keines gegeben hat: Foer vollbringt das Wunder der erfundenen Erinnerung." (FAZ)
"Jonathan Safran Foer landet einen Geniestreich ... so witzig und gescheit, mit so viel Komik und einem Übermaß an klein verpackter großer Weisheit gemacht, dass man sich gelegentlich fragt, wie das einem so jungen Autor überhaupt passieren konnte." (Die Zeit)
»Eine wunderbar vielschichtige Chronik ... Selten hat ein so junger Autor solche Virtuosität und Klugheit bewiesen.« (Washington Post Book World)
»Mit seinen verschiedenen Erzählern, den vielfachen Spiralen von Witz und den halsbrecherischen Wechseln zwischen Horror und Heiterkeit, mit seinen Seitenhieben auf den Nach-Wende-Kapitalismus und zeitgenössischen Antisemitismus, mit all dem ist ›Alles ist erleuchtet‹ eine wahre Wundertüte.« (Los Angeles Times Book Review)
»Jonathan Safran Foer, das 25-jährige literarische Wunderkind, entwickelt die Geschichte eines Schtetls, indem er jeden nur denkbaren literarischen Kniff nutzt. So entsteht eine dichte Erzählung aus Geschichte, Erinnerung und Versöhnung.« (New York Magazine)
»Seit Anthony Burgess’ Roman ›Clockwork Orange‹ ist die englische Sprache nicht mehr mit solcher Brillanz und solcher Kraft durcheinander gewirbelt und gestaltet worden.« (New York Times Book Review)
»Mit seinen verschiedenen Erzählern, den vielfachen Spiralen von Witz und den halsbrecherischen Wechseln zwischen Horror und Heiterkeit, mit seinen Seitenhieben auf den Nach-Wende-Kapitalismus und zeitgenössischen Antisemitismus, mit all dem ist ›Alles ist erleuchtet‹ eine wahre Wundertüte.« (Los Angeles Times Book Review)
»Jonathan Safran Foer, das 25-jährige literarische Wunderkind, entwickelt die Geschichte eines Schtetls, indem er jeden nur denkbaren literarischen Kniff nutzt. So entsteht eine dichte Erzählung aus Geschichte, Erinnerung und Versöhnung.« (New York Magazine)
»Seit Anthony Burgess’ Roman ›Clockwork Orange‹ ist die englische Sprache nicht mehr mit solcher Brillanz und solcher Kraft durcheinander gewirbelt und gestaltet worden.« (New York Times Book Review)
»Der neue Superstar der amerikanischen Literaturszene. Das komische und berührende Duett einer Erinnerung, die im Medium Literatur noch einmal erfunden wird.« NZZ