Nicht weit von Ulfs Haus wohnt ein Riese. Er heißt Oskarsson und ist die unheimlichste Erscheinung der ganzen Gegend: riesengroß, laut und lebensgefährlich! Zumindest wenn man Bernt glauben soll, Ulfs bestem Freund. Die beiden gruseln sich gewaltig. Als ein Sturm im Wald die Hütte von Ulfs Mama zerstört und sie nicht mehr Klavier spielen kann und zudem Bernt nicht mehr Ulfs Freund sein will, muss Ulf sich zum Äußersten entschließen und sich in den Garten des Riesen wagen ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2020Seltsam, meine Mutter? Ach was!
Wenn dich ein Riese ins Visier nimmt, ist Flucht keine schlechte Idee: Das letzte Buch des großen Ulf Stark.
Von Lena Bopp
Das Problem mit dem Riesen ist, dass sein bloßer Anblick die Perspektive verzerrt. Nicht nur sehen die schwarzen, gekräuselten Haare auf seinem Bauch gewaltig aus und die Blumen seines Hemdes ausgesprochen grell, auch der kurze Stummel seiner Baskenmütze könnte als Antenne durchgehen. Richtig verstehen lässt sich der Riese sowieso nicht. Er gräbt gerade in seinem Garten, als Ulf mit seinem Freund Bernt einen Blick über die Hecke wagt. "Bald blüht hier was, Ulf!", ruft er. Doch Ulf versteht nur: "Bald blüht dir was!" Und schläft fortan schlecht.
Dass er hört, was seiner Erwartung entspricht, wird ihm später klar. Bis dahin wird ihn diese unergründliche Freude am Spiel mit der Gefahr auf Bäume klettern und im Sturm spielen lassen und in die Nähe des Riesen treiben. Der Widerspruch zwischen dem Angezogen- und Abgestoßensein von Oskarsson, so heißt der Riese, ist aber nicht das einzig Rätselhafte, dem sich Ulf in dem neuen Buch des 2017 verstorbenen Schriftstellers Ulf Stark stellen muss. "Warum mache ich mit meinen Freunden immer lauter schreckliche Sachen, obwohl kein Mensch uns dazu zwingt? Sachen, bei denen uns vor Angst schlecht wird?" Das ist die Frage in diesem Buch, das wunderbar leicht davon erzählt, wie sich Unvereinbares vereinbaren lässt.
Dass Ulf Stark, der nicht nur in seiner Heimat Schweden, sondern auch hierzulande schon lange zu den renommierten Kinderbuchautoren zählt, in diesem jüngsten Werk auf Erklärungen verzichtet und seinen Lesern zutraut, Widersprüche auszuhalten, macht seinen Reiz aus. Das betrifft nicht nur den Riesen. Gegensätze liegen überall nah beieinander. In der Freundschaft von Ulf und Bernt, dem Jungen aus der Nachbarschaft beispielsweise, denn Bernt ist ein unerträglicher Besserwisser. Oft fühlt Ulf sich in seiner Gegenwart dumm. Aber Bernt ist auch schlau, Ulf hat viel von ihm gelernt und vermisst ihn, als Bernt ihm eines Tages die Freundschaft kündigt. Er fehlt ihm so sehr, dass sich Ulf auf eine Mutprobe einlässt, die ihn in gefährliche Nähe zu ebenjenem Riesen Oskarsson bringt, was den so gut wie sicheren Tod bedeutet.
Dass Ulf überlebt, ist seiner Mutter zu verdanken. Einer herrlichen Figur, ebenfalls voll scheinbar widerstreitender Bedürfnisse. Sie kümmert sich hingebungsvoll um ihre Familie. Aber jeden Abend braucht sie eine halbe Stunde zum Klavierspielen, und immer samstags radelt sie allein in die "Einsamkeit" - das ist eine Hütte auf einem Hügel, in der sie "sich selbst findet". Kommt sie Ulf deswegen seltsam vor? Im Gegenteil. Kein Wunder, dass sie es ist, die hilft, das Befremden aufzulösen, das der Riese hervorruft. Selbst in den klugen Illustrationen von Regina Kehn schrumpft er schließlich auf ein normales Maß. Alles ist eine Frage der Perspektive.
Ulf Stark: "Als ich die Pflaumen des Riesen klaute". Roman.
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer. Bilder von Regina Kehn. Urachhaus, Stuttgart 2020. 93 S., geb., 16,- [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn dich ein Riese ins Visier nimmt, ist Flucht keine schlechte Idee: Das letzte Buch des großen Ulf Stark.
Von Lena Bopp
Das Problem mit dem Riesen ist, dass sein bloßer Anblick die Perspektive verzerrt. Nicht nur sehen die schwarzen, gekräuselten Haare auf seinem Bauch gewaltig aus und die Blumen seines Hemdes ausgesprochen grell, auch der kurze Stummel seiner Baskenmütze könnte als Antenne durchgehen. Richtig verstehen lässt sich der Riese sowieso nicht. Er gräbt gerade in seinem Garten, als Ulf mit seinem Freund Bernt einen Blick über die Hecke wagt. "Bald blüht hier was, Ulf!", ruft er. Doch Ulf versteht nur: "Bald blüht dir was!" Und schläft fortan schlecht.
Dass er hört, was seiner Erwartung entspricht, wird ihm später klar. Bis dahin wird ihn diese unergründliche Freude am Spiel mit der Gefahr auf Bäume klettern und im Sturm spielen lassen und in die Nähe des Riesen treiben. Der Widerspruch zwischen dem Angezogen- und Abgestoßensein von Oskarsson, so heißt der Riese, ist aber nicht das einzig Rätselhafte, dem sich Ulf in dem neuen Buch des 2017 verstorbenen Schriftstellers Ulf Stark stellen muss. "Warum mache ich mit meinen Freunden immer lauter schreckliche Sachen, obwohl kein Mensch uns dazu zwingt? Sachen, bei denen uns vor Angst schlecht wird?" Das ist die Frage in diesem Buch, das wunderbar leicht davon erzählt, wie sich Unvereinbares vereinbaren lässt.
Dass Ulf Stark, der nicht nur in seiner Heimat Schweden, sondern auch hierzulande schon lange zu den renommierten Kinderbuchautoren zählt, in diesem jüngsten Werk auf Erklärungen verzichtet und seinen Lesern zutraut, Widersprüche auszuhalten, macht seinen Reiz aus. Das betrifft nicht nur den Riesen. Gegensätze liegen überall nah beieinander. In der Freundschaft von Ulf und Bernt, dem Jungen aus der Nachbarschaft beispielsweise, denn Bernt ist ein unerträglicher Besserwisser. Oft fühlt Ulf sich in seiner Gegenwart dumm. Aber Bernt ist auch schlau, Ulf hat viel von ihm gelernt und vermisst ihn, als Bernt ihm eines Tages die Freundschaft kündigt. Er fehlt ihm so sehr, dass sich Ulf auf eine Mutprobe einlässt, die ihn in gefährliche Nähe zu ebenjenem Riesen Oskarsson bringt, was den so gut wie sicheren Tod bedeutet.
Dass Ulf überlebt, ist seiner Mutter zu verdanken. Einer herrlichen Figur, ebenfalls voll scheinbar widerstreitender Bedürfnisse. Sie kümmert sich hingebungsvoll um ihre Familie. Aber jeden Abend braucht sie eine halbe Stunde zum Klavierspielen, und immer samstags radelt sie allein in die "Einsamkeit" - das ist eine Hütte auf einem Hügel, in der sie "sich selbst findet". Kommt sie Ulf deswegen seltsam vor? Im Gegenteil. Kein Wunder, dass sie es ist, die hilft, das Befremden aufzulösen, das der Riese hervorruft. Selbst in den klugen Illustrationen von Regina Kehn schrumpft er schließlich auf ein normales Maß. Alles ist eine Frage der Perspektive.
Ulf Stark: "Als ich die Pflaumen des Riesen klaute". Roman.
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer. Bilder von Regina Kehn. Urachhaus, Stuttgart 2020. 93 S., geb., 16,- [Euro]. Ab 8 J.
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