Wer in den zwölf weißen Bänden von Christoph Ransmayrs Spielformen des Erzählens nach dem klassischen Ton großer Erzählungen sucht, wird jene 13 Geschichten entdecken, die nun erstmals in einem Band versammelt sind. Die Entdeckungsreise führt von Irland in den Transhimalaya, aus dem oberösterreichischen Bergland zu den Bürgerkriegsschauplätzen Sri Lankas oder in die Sahara, in den Frieden afrikanischer Nebelwälder und ins Südchinesische Meer.
Das Leben selbst bestimmt den verführerischen Rhythmus der Erzählungen, das Entstehen und die Vergänglichkeit, der Aufbruch in die Welt und die Heimkehr ins Vertraute. In Christoph Ransmayrs Worten, durch seinen scharfen Blick, verwandelt sich die Welt in eine, die farbenprächtiger, detailreicher und ein wenig größer zu sein scheint, als wir sie kennen.
Das Leben selbst bestimmt den verführerischen Rhythmus der Erzählungen, das Entstehen und die Vergänglichkeit, der Aufbruch in die Welt und die Heimkehr ins Vertraute. In Christoph Ransmayrs Worten, durch seinen scharfen Blick, verwandelt sich die Welt in eine, die farbenprächtiger, detailreicher und ein wenig größer zu sein scheint, als wir sie kennen.
»Wunderbares Hörbuch [...]. Wirklich einzigartig. Denn so wie niemand schreibt wie Christoph Ransmayr, so kann auch niemand wie er diese einmaligen Sprachwelten zum Ausdruck bringen. Ich bin - mit Verlaub - normalerweise eher kein Freund davon, wenn Schriftstellerinnen und Schriftsteller ihre Werke selber zu Gehör bringen. Aber in diesem Falle bin ich restlos hingerissen.« Klaus Prangenberg WDR 5 20240309
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2024Des weißen Mannes Nemesis
Zum heutigen siebzigsten Geburtstag von Christoph Ransmayr erscheint ein Band mit Erzählungen
In Japan falten Schwertschmiede beim Fertigungsverfahren die erhitzten Klingenrohlinge immer wieder neu, um sie danach abermals auf dem Amboss zu bearbeiten: Dutzende, Hunderte Male, denn mit jedem weiteren derartigen Schmiedervorgang wird der Stahl durch Zufuhr von Kohlenstoff geschmeidiger - ein physikalischer Prozess. Das Resultat solch tagelanger Anstrengung ist eine Schwertklinge von einzigartiger Härte, die dennoch weniger leicht zerspringt - ein elastisches Wunderwerk für das Teufelszeug des Tötens. Beim Lesen von Christoph Ransmayr wird man an dieses Verfahren erinnert, nur dass seine Wunderwerke das Leben feiern. Aber sie resultieren aus einem vergleichbaren literarischen Prozess: wie da im Streben nach größtmöglicher Prägnanz der Ton vom Wörterschmied gehärtet wird. Und doch immer elastisch-elegant bleibt.
Ransmayrs neues Buch ist, nicht nur weil es als Titelbild eine Tonfigur im Brennofen zeigt (die Geschichte hinter dem Foto, kurz im Vorwort reportiert, ist eine für Ransmayr typische Episode), die ideale Illustration für dieses Verfahren. Diese jüngste Publikation bietet eine Auslese von Älterem. "Als ich noch unsterblich war" heißt der Band, und er versammelt dreizehn Erzählungen aus vier Jahrzehnten, von denen neun ursprünglich als Ansprachen gehalten wurden - zu den unterschiedlichsten Anlässen, die aber alle eines gemein hatten: Sie waren höchstpersönlich. Das merkt man ihnen an. Aber auch die drei anderen Geschichten sind von jener thematischen Schärfe und jenem makellosen Stilgefühl, die Ransmayr eigen sind. Das zeigte schon seine erste literarische Veröffentlichung, "Strahlender Untergang" aus dem Jahr 1982, die nun auch im neuen Buch enthalten ist: Als Vision eines eingefriedeten leeren Wüstenabschnitts, in dem ein Mann ausgesetzt wird, um dort exemplarisch zu verdorren, entfaltet sie einen Schrecken, der seine Rechtfertigung aus der Hybris des Menschen gegenüber der Natur bezieht und zugleich in betörend suggestiver Form erzählt wird.
Ransmayr hat dieses Geschehen in gebundene Rede gefasst - eine Versform, die später in seinem Roman "Der fliegende Berg" und zuletzt auch im Lyrikzyklus "Unter einem Zuckerhimmel" wiederkehren sollte. Inhaltlich wiederum nahm sie ein Leitmotiv vorweg, das man im Gegensatz zu Kiplings "white man's burden" als des weißen Mannes Nemesis bezeichnen könnte: "Er räkelte sich / dehnte sich / auf dem Rücken ihm fremder Kulturen / und erklärte das Fremde zum Rohstoff / und Baumaterial der eigenen Zivilisation. / Er bedient sich / der zweckmäßigsten Formen des Denkens, / errichtete so Industrien / und gelegentlich Weltreiche, / und alles geriet ihm zur Herrschaft." Sechsunddreißig Jahre später heißt es dann in Ransmayrs "Mädchen im gelben Kleid": "Wohin immer ein Afrikareisender sich auf diesem Kontinent wandte, selbst wenn er nur unterwegs war, um weiße Nashörner, Elefanten, Hyänen oder Leoparden zu bestaunen (oder zu jagen) - mußte er auf die Spuren Europas stoßen, auf eine zertrampelte Bühne der Grausamkeit, dazu aber auch: auf die Quellgebiete des europäischen Reichtums." Ransmayr schmiedet seinen Rohstoff immer wieder neu.
In seinem Werk hängt alles zusammen: die journalistischen Arbeiten, die ihn um die ganze Welt führten (vor allem im Auftrag von Hans Magnus Enzensbergers Zeitschrift "Transatlantik"), und die Kopfgeburten seiner Romane, die aber so lebendig erzählt sind, dass sie wie erlebt wirken - der Erstling "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" (1984) entstand nicht aus Reiseeindrücken von arktischen Regionen, in denen die Handlung angesiedelt ist, sondern im Kartensaal der Österreichischen Nationalbibliothek, wie Ransmayr hier in seiner Erzählung "Floßfahrt" berichtet. Jahre später reiste er dann doch noch mit einem russischen Eisbrecher zum Franz-Josef-Land, und davon wiederum hat er im "Atlas eines ängstlichen Mannes" berichtet, seinem Lebensbuch von 2012, das auf der Schwelle des Todes geschrieben wurde und all jene Geschichten versammelte, die dem damals noch nicht Sechzigjährigen auf den Nägeln brannten, von denen er aber fürchtete, sie nicht mehr auserzählen zu können. So machte Ransmayr daraus kurze Preziosen, und als er wider Erwarten dem Tod doch noch von der Schippe sprang, entwickelte er daraus seine Überzeugung vom Erzählen als "Arznei gegen die Sterblichkeit" - einen Begriff, den er zwar schon 1999 geprägt, damals aber noch buchstäblich gemeint hatte: In Hongkong war ihm mit Morgentau vermischte Jade als lebensverlängerndes Remedium angeboten worden.
"Als ich noch unsterblich war" bietet einige Erzählungen, die auch in den "Atlas" gepasst hätten, und wie dieser ist die neue Publikation von Ransmayr viel mehr als eine Sammlung: Sie ist eine Offenbarung. Auch seiner selbst. Wir erfahren etwa in zwei Geschichten vom Tod der Eltern: Ransmayrs Mutter starb nach langer Krankheit im Frieden mit sich und der Welt, sein Vater ohne jede Vorankündigung im Krieg mit seiner Umgebung. Beiden setzt der Sohn unvergessliche Denkmäler.
"Spielformen des Erzählens" heißt eine Publikationsserie, die Ransmayr seit 1997 in unregelmäßigen Abständen fortführt - zwölf schmale Bücher umfasst sie bis heute -, und aus sechs davon stammen die Geschichten der neuen Zusammenstellung. Sie sind das Experimentierfeld des Schriftstellers, und was er an unvergesslichen Romanen geschaffen hat - "Die letzte Welt", "Morbus Kitahara" , "Cox oder Im Lauf der Zeit", "Der Fallmeister" -, ist eher Fingerübung für die "Spielformen" gewesen als umgekehrt. "Als ich noch unsterblich war" ist aus diesem Kernholz seines Schaffens geschnitzt.
"Ein einziges zu Buchstaben geronnenes Wort vermochte die geheimsten Gedanken seines Schreibers nicht bloß über Gebirge, Meere und Kontinente tragen, sondern ihn über die Zeit erheben und noch lesbar bleiben, wenn er selbst bereits seit Jahren oder Jahrhunderten wieder verstummt war", heißt es in der Titelgeschichte. Christoph Ransmayr, der heute in Wien oder im oberösterreichischen Toten Gebirge, den beiden Ruhepolen dieses rastlos Reisenden, seinen siebzigsten Geburtstag feiert, wird hoffentlich noch lange nicht verstummen. Ihm möge reichlich mit Morgentau vermischte Jade beschert werden. Und er uns jede Menge Geschichten erzählen. Das sollte für langes Leben reichen. ANDREAS PLATTHAUS
Christoph Ransmayr: "Als ich noch unsterblich war".
Erzählungen.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2024. 221 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zum heutigen siebzigsten Geburtstag von Christoph Ransmayr erscheint ein Band mit Erzählungen
In Japan falten Schwertschmiede beim Fertigungsverfahren die erhitzten Klingenrohlinge immer wieder neu, um sie danach abermals auf dem Amboss zu bearbeiten: Dutzende, Hunderte Male, denn mit jedem weiteren derartigen Schmiedervorgang wird der Stahl durch Zufuhr von Kohlenstoff geschmeidiger - ein physikalischer Prozess. Das Resultat solch tagelanger Anstrengung ist eine Schwertklinge von einzigartiger Härte, die dennoch weniger leicht zerspringt - ein elastisches Wunderwerk für das Teufelszeug des Tötens. Beim Lesen von Christoph Ransmayr wird man an dieses Verfahren erinnert, nur dass seine Wunderwerke das Leben feiern. Aber sie resultieren aus einem vergleichbaren literarischen Prozess: wie da im Streben nach größtmöglicher Prägnanz der Ton vom Wörterschmied gehärtet wird. Und doch immer elastisch-elegant bleibt.
Ransmayrs neues Buch ist, nicht nur weil es als Titelbild eine Tonfigur im Brennofen zeigt (die Geschichte hinter dem Foto, kurz im Vorwort reportiert, ist eine für Ransmayr typische Episode), die ideale Illustration für dieses Verfahren. Diese jüngste Publikation bietet eine Auslese von Älterem. "Als ich noch unsterblich war" heißt der Band, und er versammelt dreizehn Erzählungen aus vier Jahrzehnten, von denen neun ursprünglich als Ansprachen gehalten wurden - zu den unterschiedlichsten Anlässen, die aber alle eines gemein hatten: Sie waren höchstpersönlich. Das merkt man ihnen an. Aber auch die drei anderen Geschichten sind von jener thematischen Schärfe und jenem makellosen Stilgefühl, die Ransmayr eigen sind. Das zeigte schon seine erste literarische Veröffentlichung, "Strahlender Untergang" aus dem Jahr 1982, die nun auch im neuen Buch enthalten ist: Als Vision eines eingefriedeten leeren Wüstenabschnitts, in dem ein Mann ausgesetzt wird, um dort exemplarisch zu verdorren, entfaltet sie einen Schrecken, der seine Rechtfertigung aus der Hybris des Menschen gegenüber der Natur bezieht und zugleich in betörend suggestiver Form erzählt wird.
Ransmayr hat dieses Geschehen in gebundene Rede gefasst - eine Versform, die später in seinem Roman "Der fliegende Berg" und zuletzt auch im Lyrikzyklus "Unter einem Zuckerhimmel" wiederkehren sollte. Inhaltlich wiederum nahm sie ein Leitmotiv vorweg, das man im Gegensatz zu Kiplings "white man's burden" als des weißen Mannes Nemesis bezeichnen könnte: "Er räkelte sich / dehnte sich / auf dem Rücken ihm fremder Kulturen / und erklärte das Fremde zum Rohstoff / und Baumaterial der eigenen Zivilisation. / Er bedient sich / der zweckmäßigsten Formen des Denkens, / errichtete so Industrien / und gelegentlich Weltreiche, / und alles geriet ihm zur Herrschaft." Sechsunddreißig Jahre später heißt es dann in Ransmayrs "Mädchen im gelben Kleid": "Wohin immer ein Afrikareisender sich auf diesem Kontinent wandte, selbst wenn er nur unterwegs war, um weiße Nashörner, Elefanten, Hyänen oder Leoparden zu bestaunen (oder zu jagen) - mußte er auf die Spuren Europas stoßen, auf eine zertrampelte Bühne der Grausamkeit, dazu aber auch: auf die Quellgebiete des europäischen Reichtums." Ransmayr schmiedet seinen Rohstoff immer wieder neu.
In seinem Werk hängt alles zusammen: die journalistischen Arbeiten, die ihn um die ganze Welt führten (vor allem im Auftrag von Hans Magnus Enzensbergers Zeitschrift "Transatlantik"), und die Kopfgeburten seiner Romane, die aber so lebendig erzählt sind, dass sie wie erlebt wirken - der Erstling "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" (1984) entstand nicht aus Reiseeindrücken von arktischen Regionen, in denen die Handlung angesiedelt ist, sondern im Kartensaal der Österreichischen Nationalbibliothek, wie Ransmayr hier in seiner Erzählung "Floßfahrt" berichtet. Jahre später reiste er dann doch noch mit einem russischen Eisbrecher zum Franz-Josef-Land, und davon wiederum hat er im "Atlas eines ängstlichen Mannes" berichtet, seinem Lebensbuch von 2012, das auf der Schwelle des Todes geschrieben wurde und all jene Geschichten versammelte, die dem damals noch nicht Sechzigjährigen auf den Nägeln brannten, von denen er aber fürchtete, sie nicht mehr auserzählen zu können. So machte Ransmayr daraus kurze Preziosen, und als er wider Erwarten dem Tod doch noch von der Schippe sprang, entwickelte er daraus seine Überzeugung vom Erzählen als "Arznei gegen die Sterblichkeit" - einen Begriff, den er zwar schon 1999 geprägt, damals aber noch buchstäblich gemeint hatte: In Hongkong war ihm mit Morgentau vermischte Jade als lebensverlängerndes Remedium angeboten worden.
"Als ich noch unsterblich war" bietet einige Erzählungen, die auch in den "Atlas" gepasst hätten, und wie dieser ist die neue Publikation von Ransmayr viel mehr als eine Sammlung: Sie ist eine Offenbarung. Auch seiner selbst. Wir erfahren etwa in zwei Geschichten vom Tod der Eltern: Ransmayrs Mutter starb nach langer Krankheit im Frieden mit sich und der Welt, sein Vater ohne jede Vorankündigung im Krieg mit seiner Umgebung. Beiden setzt der Sohn unvergessliche Denkmäler.
"Spielformen des Erzählens" heißt eine Publikationsserie, die Ransmayr seit 1997 in unregelmäßigen Abständen fortführt - zwölf schmale Bücher umfasst sie bis heute -, und aus sechs davon stammen die Geschichten der neuen Zusammenstellung. Sie sind das Experimentierfeld des Schriftstellers, und was er an unvergesslichen Romanen geschaffen hat - "Die letzte Welt", "Morbus Kitahara" , "Cox oder Im Lauf der Zeit", "Der Fallmeister" -, ist eher Fingerübung für die "Spielformen" gewesen als umgekehrt. "Als ich noch unsterblich war" ist aus diesem Kernholz seines Schaffens geschnitzt.
"Ein einziges zu Buchstaben geronnenes Wort vermochte die geheimsten Gedanken seines Schreibers nicht bloß über Gebirge, Meere und Kontinente tragen, sondern ihn über die Zeit erheben und noch lesbar bleiben, wenn er selbst bereits seit Jahren oder Jahrhunderten wieder verstummt war", heißt es in der Titelgeschichte. Christoph Ransmayr, der heute in Wien oder im oberösterreichischen Toten Gebirge, den beiden Ruhepolen dieses rastlos Reisenden, seinen siebzigsten Geburtstag feiert, wird hoffentlich noch lange nicht verstummen. Ihm möge reichlich mit Morgentau vermischte Jade beschert werden. Und er uns jede Menge Geschichten erzählen. Das sollte für langes Leben reichen. ANDREAS PLATTHAUS
Christoph Ransmayr: "Als ich noch unsterblich war".
Erzählungen.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2024. 221 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Unverkennbar ist der Christoph-Ransmayr-Sound, auch in diesem Erzählband, der Texte aus den Jahren 1982 bis 2019 versammelt laut Rezensent Harald Eggebrecht. Auch wo Ransmayr auf Humor abzielt, ist er auf sprachliche Genauigkeit bedacht, erläutert Eggebrecht, und ganz frei von Pathos ist sein Schreiben selten. Die 13 Texte, die der Band enthält, gefallen dem Rezensenten stets da am besten, wo sie sich streng dem Erzählen verpflichten und nicht allzu viele gedankliche Abschweifungen unternehmen. Der Rezensent skizziert die Handlung einiger dieser Geschichten, eine spielt in einer Unterwasserwelt, eine andere an einem irischen Kneipentresen. Allzu marmoriert und kulturbeflissen mag das alles dem einen oder anderen erscheinen, gesteht Eggebrecht ein, aber wer sich auf dieses Schreiben einlässt, blickt hinterher anders auf die Welt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Er kann Sätze von einer klaren Schönheit schreiben. Christoph Schröder Deutschlandfunk - Büchermarkt 20240410