Immer wieder gibt es diese Bücher, die einem den Atem nehmen; die sich gleichermaßen wie eine wärmende Decke um einen legen und einem Tränen in die Augen treiben. Bücher, die einen nicht mehr loslassen, etwas bewegen, Gedanken weit über das Ende der Zeile hinaus provozieren.
Schon immer strebte
er danach, ein Anderer zu werden, seiner Herkunft, die sich in Gestik, in Stimme und Haltung in ihm…mehrImmer wieder gibt es diese Bücher, die einem den Atem nehmen; die sich gleichermaßen wie eine wärmende Decke um einen legen und einem Tränen in die Augen treiben. Bücher, die einen nicht mehr loslassen, etwas bewegen, Gedanken weit über das Ende der Zeile hinaus provozieren.
Schon immer strebte er danach, ein Anderer zu werden, seiner Herkunft, die sich in Gestik, in Stimme und Haltung in ihm manifestiert hatte, zu entfliehen. Seinem Vater. Der Armut, der Scham. Er wollte Édouard werden, in Paris studieren und leben, aufsteigen. Frei sein, sich frei machen, ein gutes Leben führen. Doch diese Veränderung hat einen Preis. In "Anleitung ein anderer zu werden" (aus dem Französischen von Sonja Finck) beschreibt Édouard Louis reflektiert, ehrlich und ungemein vulnerabel, wie die letzten Jahre seit der Veröffentlichung seines Debütromans "En finir avec Eddy Bellegueule" und der damit verbundenen Bekanntheit, aber auch welche Personen ihn verändert haben. Aus einer gereiften, erfahreneren Perspektive blickt er zurück auf die Beziehung zu seinem Vater und Szenen seiner Kindheit, die er in seinen drei vorherigen Romanen bereits umriss, und erzeugt so ein Gefühl der Nähe, des „Eingeweihtseins“. Doch nun, Jahre später, ist im vieles klarer, so auch die Rolle seiner einstmals besten Freundin Elena, die ihm ein Vorbild war, seine Metamorphose begünstigte und unterstützte.
Gleichermaßen sehnsuchtsvoll, schambehaftend und ablehnend versucht er in einer fiktiven Ansprache an seinen Vater Distanz- und Fixpunkte zu definieren, um den Erfolg seines Bemühens, seine Herkunft abzulegen, zu objektivieren. Es sind Dinge, die er sich nie traute, ihm zu sagen, aus Angst, sie könnten ihn verletzen; „ich will nur, dass du es weißt, mehr nicht“ (S. 28); Dinge, die er sich im Schreiben immer wieder vergegenwärtigt, um sie zu verarbeiten und mit Abstand betrachten zu können: den Umgang mit Sexualität und Rassismus, seine soziale Klasse und seine Erziehung.
Erst durch seine Freundschaft zu Elena, einem wohlhabenden Mädchen am Gymnasium, das ihn zu sich nach Hause einlud, erkannte er: Was für ihn normal ist, was im suggeriert worden war, normal zu sein – Rauchen in der Wohnung, Essverhalten, von Geschwistern trübes Badewasser –, ist es in anderen gesellschaftlichen Schichten nicht. Er verbringt immer mehr Zeit im Kreise ihrer Familie, schaut sich ab, wie er zu lachen, sprechen, zu essen, wie er sich zu betragen hat. Wie er ein besserer Mensch werden kann. Er färbte seine Haare, begann, andere Kleidung zu tragen; Jahre später unterzog er sich mit der finanziellen Unterstützung seiner Geliebten einer Haartransplantation und umfassender Kieferchirurgie. Bis er endlich Édouard wurde.
In gewisser Weise sollten seine Begegnung mit Didier Eribon und dessen Autobiographie „Retour à Reims“ einen Punkt in seinem Leben markieren, an dem ihm bewusst wurde, was er wirklich will, wohin er will, dass er der sein kann, der er immer sein wollte. Er suchte seine Nähe, sehnte sich danach, von ihm zu lernen, wie er zu sein, talentiert und wohlhabend, und fand schließlich einen Freund in ihm, der ihn leitete, prägte und bei seinem Aufstieg weiterhalf. So hangelte er sich schließlich von einer Bekanntschaft zur nächsten, flog hoch und stürzte tief – und wie er dies so offen darlegt, sich seinem Scheitern und dessen Gründen komplett bewusst ist, das hat mein Herz wirklich berührt. Immer wieder springt er in diesen schwierigen Erinnerungen von der Vergangenheit in die Gegenwart, um eine „Pause zu machen“, schließlich ist es auch für ihn emotional belastend, all das aufzuarbeiten. Und immer wieder: Perspektivwechsel, kurze, schneidende Einwürfe, in denen er sich selbst anspricht, vor einem Spiegel stehend anklagt, um dann, um sich wiederum zu distanzieren, von sich selbst in der dritten Person redet, sich objektiviert. Der Raum zwischen den Zeilen voller Schmerz.
Könnte ich jemals solch drastische Maßnahmen ergreifen, um eine andere zu werden, meine Art zu sprechen, zu schreiben verändern, um mich meiner Herkunft zu entsagen? Ich glaube nicht, es würde sich komisch anfühlen, wie ein Schauspiel hinter geschlossenem Vorhang, das Skript noch in der Hand. Édouard jedoch, er spricht frei aus seinem Herzen, spricht mit all dem Willen und Mut, den es braucht, die Fesseln abzustreifen, mit all der Demut und dem Schmerz, den er erfuhr, und letztlich auch voller Respekt vor all den Menschen, die ihn zu dem machten, der er heute ist. Auch vor seinen Eltern, denn sie werden immer ein Teil von ihm bleiben, auch wenn in seinem Pass ein anderer als sein Geburtsname steht. Und wegen all dieser Aspekte, dieser tiefen Menschlichkeit, Offenheit, seine Geschichte in dieser Art mit uns zu teilen, bleibt sie für immer in meinen Gedanken. Magnifique, monsieur Louis!