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Georg Autenrieth ist eine zwielichtige Gestalt in zwiegesichtigen Zeiten, durchsucht die Stadt und zelebriert Laster, Lebensgier und Liebeskunst. Immer wieder taucht er auf in Berlin, der Mann aus Westdeutschland, hält Kontakt mit der Szene. Wohin aber verschwindet er dann? Wer ist der »Glasmann«? Und welche Rolle spielen seine Verbindungen zur RAF? Die Hauptrolle im Roman jedoch spielt die Stadt Berlin, haufenweise gehen Künstlerexistenzen an ihrer magischen Gestalt in die Brüche. Und wenn die RAF sich über den BND mit der Stasi berührt, gerät die Zeitgeschichte unter das Messer der…mehr

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Produktbeschreibung
Georg Autenrieth ist eine zwielichtige Gestalt in zwiegesichtigen Zeiten, durchsucht die Stadt und zelebriert Laster, Lebensgier und Liebeskunst. Immer wieder taucht er auf in Berlin, der Mann aus Westdeutschland, hält Kontakt mit der Szene. Wohin aber verschwindet er dann? Wer ist der »Glasmann«? Und welche Rolle spielen seine Verbindungen zur RAF? Die Hauptrolle im Roman jedoch spielt die Stadt Berlin, haufenweise gehen Künstlerexistenzen an ihrer magischen Gestalt in die Brüche. Und wenn die RAF sich über den BND mit der Stasi berührt, gerät die Zeitgeschichte unter das Messer der Psychiatrie. Am Schluss nimmt der Teufel leibhaftig das Heft in die Hand.

Kühn, groß und verstörend: ein sprachmächtiger Roman über die wilden 1980er- und 90er-Jahre in Berlin, gelesen von Wolfram Koch.
Autorenporträt
Gerhard Falkner, geboren 1951, zählt zu den bedeutendsten Dichtern der Gegenwart. Er veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände, u. a. »Hölderlin Reparatur«, für den er 2009 den Peter-Huchel-Preis erhielt, und zuletzt den Gedichtband »Ignatien« (2014), mit Bildern von Yves Netzhammer. Für seine Novelle »Bruno« bekam er 2008 den Kranichsteiner Literaturpreis. Er gehört zu den meistausgezeichneten deutschsprachigen Autoren mit Aufenthalten in der Villa Massimo (Casa Baldi) und der Akademie Schloss Solitude. Er war 2013 der erste Fellow für Literatur in der neugegründeten Kulturakademie Tarabya in Istanbul und zuletzt, 2014, Stipendiat in der Villa Aurora in Los Angeles, Kalifornien. Er lebt in Berlin und Bayern.

Wolfram Koch, geboren 1962, ist u. a. am Deutschen Theater Berlin auf der Bühne zu sehen. Für seine Darstellung in Samuel Becketts »Warten auf Godot« erhielt er zusammen mit Samuel Finzi den Gertrud-Eysoldt-Ring 2014. Sein Kinodebüt gab er bereits als Dreizehnjähriger in der Romanverfilmung »Ansichten eines Clowns«. Im Fernsehen ermittelt er im Frankfurter »Tatort«. Mit seiner sonoren Stimme überzeugt Koch ebenfalls als Hörbuchsprecher. Seine interpretatorische Bandbreite reicht von Krimis von Arne Dahl bis hin zu Romanen von Stefan Zweig.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.09.2016

Teufel mit roter Harfe
Auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis I: Mit seinem ersten Roman „Apollokalypse“
schlägt der 65-jährige Gerhard Falkner ein neues Kapitel der Berlin-Literatur auf
VON JENS BISKY
In den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, vielleicht auch ein wenig früher, ging ein junger Mann aus Franken gegen Mitternacht in die Rote Harfe am Heinrichplatz, Berlin-Kreuzberg, SO 36. Er würde dort, hatten Bekannte, Desperados, ihm gesagt, den Schlüssel zu einer Wohnung bekommen, in der schlafen könnte. Lieber wäre er bei Henriette geblieben, mit der er soeben gevögelt hatte, aber sie war zusammen mit einem Typen, der Strickmaske und Waffe besaß. Rote Harfe also, das Lokal, indem Kreuzberg nach Arbeitstag oder Demonstration sich gern erholte. Dort gab ihm „ein kleiner Mann mit fanatischen Augen und einem Gipsfuß“ den Schlüssel. „Teufel noch eins“, zischte es dem jungen Mann aus Franken durchs Hirn, „hier mischen sich aber die Sphären“. Er nannte sich Georg Autenrieth und war längst verloren an die Stadt, in der RAF, BND, Stasi und viele mehr ihre Kreise zogen, die so politisiert war wie keine andere und doch im Windschatten der Geschichte zu liegen schien. Sie bot Zeit und Raum, sich ausgiebig mit dem eigenen Ich zu befassen. Diese Freiheit wird Georg Autenrieth ausgiebig nutzen, er wird sehr viel Sex haben, mit den geheimen Diensten innige Verbindungen knüpfen, sich auf sich selbst einen Reim machen.
  Ein junger Mann von irgendwo gerät in Berliner Wirrnisse und findet, was man ein Ich nennen mag, er verberlinert seine Jugend – dieser Plot liegt vielen Leben und noch mehr Romanen zugrunde. Gerhard Falkner spielt mit diesem Plot, weitet ihn zur Agentengeschichte, aber das ist nur die eine Seite des Romans „Apollokalypse“, realistischer Schein. Hinter dieser Fassade, zur ihre Aufrechterhaltung wie zu ihrer Zertrümmerung, setzt Falkner eine große literarische Maschinerie in Bewegung: effektsicher, im Gespräch mit der Literaturgeschichte, diese parodierend, fort- und umschreibend.
  „Apollokalypse“ wird von Georg Autenrieth selbst erzählt, einer unfassbar bleibenden Person, auch wenn sie redet, liebt, trinkt. Wer da eigentlich spricht und wie viele dieser Autenrieth in sich birgt, bleibt das Rätsel, das dem Roman Spannung verleiht. Nicht chronologisch, diskontinuierlich führt der Erzähler, dem man weder glauben noch nicht glauben kann, durch das Berlin zwischen 1985 und 1995. Dazwischen liegt der Fall der Mauer, wovon hier kein großes Aufheben gemacht wird. West, Ost, mit oder ohne Mauer: Die Geschichte spielt in allen Teilen der Stadt, die Zäsuren setzen die Frauen: Isabel, die Kunststudentin, und Billy, die Bulgarin Bilijana. Beide sind anderen Männern verbunden, als Autenrieth mit ihnen, nacheinander, in eine Zeit der erotischen Raserei eintritt, Isabel dem Künstler Büttner, Billy einem deutschen Militär.
  Der Künstler nimmt sich nach faszinierenden Projektideen, Therapie und Psychiatrieaufenthalten das Leben, der Militär wird impotent. Im Übergang zwischen den Frauen, den Welten der Kunst und der bewaffneten Organe, trainiert Autenrieth das Unsichtbarwerden, erringt sozusagen eine Tarnkappe, wird „Glasmann“. Dazu muss er, wie der Roman plausibel macht, nach Steglitz, wohin sonst. Viel Berliner Wirklichkeit ist hier eingefangen, und da von den heroischen Jahren der coolen Stadt die Rede ist, treten Iggy Pop, David Bowie und Martin Kippenberger höchstpersönlich auf. Aber dieser Roman ist keine fiktionalisierte Kulturgeschichte, vielmehr tritt Berlin als Kraftfeld in Erscheinung, werden die Energien, die es durchzucken, gestaltet. Fast ist man enttäuscht, wenn sie dann Namen bekommen, Eros und Thanatos etwa. Im Titel treffen aufeinander Apollo für das Schöne, Calypso für die Verführung und die Apokalypse als zerstörendes und enthüllendes Ereignis.
  In dem Langgedicht „Gegensprechstadt – ground zero“ hat Gerhard Falkner 2005 schon einmal den Zustand Berlin vergegenwärtigt. Sein erster Roman teilt mit dem Langgedicht den Impuls, urbaner Wahrnehmungsschwäche aufzuhelfen. Dem Städtebewohner wird leicht alles zum Immergleichen, zum Metropolenhaften eben. Vor lauter Fassaden und Straßen und ständig wiederholten Wegen sieht er die Stadt nicht mehr. Um sie erscheinen zu lassen, als Stadt eines bestimmten Tages, einer einmaligen Stimmung, einer unwiederholbaren Konstellation, lässt Falkner seine Protagonisten weit herumkommen, schickt sie nach Amsterdam, New York und Sofia.
  Auch dort wird gevögelt. Sex spielt eine Hauptrolle, Falkner kann Akt, Vorspiel, Begehren schreibend nachvollziehen, ohne dabei peinlich zu werden. Dennoch wird der Roman für Streit sorgen: Es gibt darin kaum beiläufige Sätze, der Erzähler ist unglaublich gebildet, er liebt Großmetaphern und Metaphernhäufungen. Das Leben der Figuren wie der Stadt verwandelt sich vollständig in Kunst, der Text zeigt moralischen oder politischen Fragen die kalte Schulter der vollendeten Form. Mag sich die Fraktion derer, die allein karge, unkomplizierte, lebensnahe Romane schätzen, daran stören – Leser werden ihr Vergnügen haben an der Sinnlichkeit der Beschreibungen, an der klugen Komik der Szenen und dem Witz des Erzählers, der seinem Lektor widerspricht oder sich vor seiner Vermieterin rechtfertigen muss und dann Filmskripts erfindet, Kurzgeschichten über Verwandlungen.
  Autenrieth hieß der Arzt Hölderlins, die Metamorphosen Ovids grüßen ebenso wie Bulgakows Teufel aus „Der Meister und Margarita“, Doppelgänger und andere romantische Motive geistern durch den Text. Keiner wird sämtliche Anspielungen erfassen, aber jeder Leser ein paar. Sie dienen alle dem Ganzen des Buches. An seiner scheinrealistischen Oberfläche wirkt dieser Roman wild, überbordend, rasend. Zugleich aber ist er streng konstruiert. Deshalb gelingen unvergessliche Szenen.
  Etwa die einer mehrfach nacherzählten Verführung der Therapeutin, ohne dass die entscheidende Frage eine eindeutige Antwort fände: Haben sie oder haben sie nicht? Die Vorbereitungen zu einem Attentat werden überblendet mit einem Film über die Manson-Family, der gerade im Fernseher läuft. Prügel- und Party-Ereignisse mischen sich mit Kindheitserinnerungen. Wenn man kopfschüttelnd denkt, jetzt verliere sich der Erzähler im Gewühl, muss man sich bald korrigieren, entdeckt Parallelen, Kontraste, Wiederholungen.
  Von der Auflösung sei nur verraten, dass es sie gibt. Falkner entwirrt am Ende die Fäden, ohne dabei dem Roman die Spannung zu nehmen. Es bleibt trotz buchstäblicher Auflösung alles in der Schwebe und zugleich ist der Schluss an den wahrhaft wirklichen Alltag der Stadt zurückgebunden, an den Mann mit dem bunten Turban, der früher am Helmholtzplatz zu treffen war. Beschwingt blickt man noch einmal auf den Anfang, den ersten Satz: „Wenn man verliebt ist und gut gefickt hat, verdoppelt die Welt ihre Anstrengung in Erscheinung zu treten“. Die gesamte Apollokalypse ist darin enthalten. In der Geschichte der Berlin-Literatur beginnt mit diesem Roman ein neues Kapitel.   
Gerhard Falkner: Apollokalypse. Roman. Berlin Verlag, Berlin 2016. 432 Seiten, 22 Euro. E-Book: 19,99 Euro.
Erzählt wird von den heroischen
Jahren der Stadt, 1985 bis 1995,
es geht um Energien, Kunst, Sex
„Auch Momente
des Glücks nahmen hier
notfalls behelfsmäßig
ihren Lauf“, schreibt
Falkner über die Stadt,
in die Wim Wenders
1987 Engel zur Beobachtung schickte: Bruno
Ganz und Peter Falk in „Der Himmel über
Berlin“.
Foto: ddp images
Gerhard Falkner,
Lyriker und Erzähler
Foto: Alexander Paul Englert
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2016

Reise ins Zentrum der Nacht

Sexbesessene Raserei: Gerhard Falkners Roman "Apollokalypse" lässt das aus der Zeit gefallene Berlin der Wendezeit opulent wiederauferstehen.

Die einstige Welthauptstadt der Negation hat es schwer getroffen. Aus dem Dark Room der Ideologie wurde ein pummelgesunder Touristenspielplatz mit einer Literatur, die man niemandem wünscht. Während in New York ein Virtuose wie Jonathan Lethem den Mythos der Stadt am offenen Herzen operierte, wurde das neue Berlin von sogenannten Popliteraten breitgelatscht. Der Rückstand aber scheint allmählich aufgeholt zu werden. So legt Gerhard Falkner, mit Herz und Rhythmus Lyriker, also ein Sezierer, jetzt einen Roman über die "lost years" der deutsch-deutschen Hauptstadt vor - die achtziger und neunziger Jahre -, für den man ihn mit Recht als neuen Mythopoeten Berlins ansehen darf.

Es reißt einen in die eigenen Erinnerungen zurück, dieses sprudelnde, überbordende Buch, in dem ein Doppelgänger des Autors seinen irgendwie allegorischen Helden durch die Niederungen der Identitätssuche führt und dabei das doppelgesichtige Berlin retrospektiv so genau vermisst, dass der verblasste (und ein wenig auch klebrige) Mythos der Zerrissenheit für einen Moment wieder seinen alten Glanz erhält. Hier ersteht der Osten noch einmal in seiner ganzen Pracht, "geronnen wie altes Blut", "ein deutsches Pompeji": "Die meisten Leute, denen ich begegnete, sahen aus, als ob sie steckbrieflich gesucht würden . . . Abgeblättertes, aufplatzendes, ungeschöntes, ruchloses Wohnmaterial erhob sich längs der Straßen, ohne Farbe . . . Sogar der Himmel sah aus, als hätte man ihn im Neuen Deutschland gedruckt."

Gespiegelt wird diese herrliche Kaputtheit vom bordellhaften Westen mit seinen Billigläden, "die sich mit ihrem Gekröse auf die Gehsteige ergossen. Wie Soldaten nach dem Bauchschuss." Dazu die Clubs, das Konspirative, der geistige Hedonismus und der Sex. Auf vier Worte gebracht: "Berlin bot außerplanmäßiges Existieren."

Der beherzte Kopfsprung in die Frontstadt des Wahnsinns beginnt trotz des nicht ganz greifbaren Ich-Erzählers, der in kreisenden Erinnerungen zurückblickt, vergleichsweise übersichtlich. In den frühen achtziger Jahren zog es Georg Autenrieth nach Berlin, wo er gemeinsam mit dem psychisch labilen Künstler Heinrich Büttner und dem geldbefleckten Müßiggänger Dirk Pruy seine Jugend vergeudete und zum Intellektuellen heranreifte: ein Dandyleben, ausgezeichnet durch eine "hochmütige Melancholie, die mit einer stetigen Angst vor dem Versagen und vor dem Erhaschen eines Blicks auf die Überflüssigkeit und die Unvertretbarkeit der eigenen Existenz einherging". Zwar pflegte Autenrieth Beziehungen zum linksradikalen Milieu, aber im Kern war er ein Zyniker, der allenfalls die akademische Daseinsweise gelten ließ und auch einmal verblasen den "Blitzsieg des Geistes gegen die Kräfte des Nachtkollers" herbeisehnte.

Trotzdem ergaben sich die Freunde mit Haut und Haaren dem Rausch. Wofür hat man denn sonst einen Körper? Außerdem kannten sie ihren Nietzsche gut genug, um zu wissen, dass aus dem Zusammenprall des Dionysischen mit dem Apollinischen die (Lebens-)Kunst hervorgeht.

Der Phallozentrismus habe Berlin zu dieser Zeit fest im Griff gehabt, weiß der Erzähler. Seinem Helden lässt er es in dieser Hinsicht an nichts mangeln. Den zahlreichen Nahaufnahmen aus dem Intimleben gelingt dabei das Kunststück, authentisch, aber nicht anstößig zu wirken. Dass Autenrieth, sexbesessen bis zur Raserei, dem manisch-depressiven Büttner die junge Geliebte Isabel ausspannte, wurde erst in dem Moment zum Problem, als Büttner sich vor einen Zug warf. Die Folge war der komplette Rückzug Autenrieths aus der Öffentlichkeit. Als transparenter "Glasmann" wollte er Buße tun, abwesend unter Anwesenden sein, was sich am Steglitzer Kreisel, einem Ort ohne jede Anschaulichkeit, perfekt verwirklichen ließ.

Dann schließt sich nach dem Modell des doppelten Cursus ein zweiter Umlauf des Helden an, der eine noch ausschweifendere Kopie des ersten zu sein scheint. Wieder gibt es eine tabulose Geliebte, Bilijana mit Namen. Die Bulgarin ist verheiratet mit einem wichtigen Bundesnachrichtendienst-Funktionär und später mausetot. Spätestens jetzt aber sind die Unschärfen von Heisenbergschem Format nicht mehr zu übersehen. Auch zuvor schon hatte Autenrieth geahnt, "dass nicht nur ich es bin, der in meiner Haut steckt", doch nun mehren sich die Hinweise auf eine konkurrierende Biographie. Falkner spielt das Doppelgängermotiv in allen Schattierungen durch, lässt den Leser nicht einmal ganz gewiss sein, ob die drei Freunde wirklich getrennte Personen waren (zumal auch die Figur Dirk Pruy einfach aus der Handlung verschwindet). Von Kellerträumen verfolgt, nagt der Zweifel an Autenrieth: "Der See der Erinnerungslosigkeit, für den das Wort Amnesie nun immer häufiger fiel, wurde immer größer." Hat er eine Tarnidentität gelebt? Steht er viel enger mit der RAF und der Stasi in Verbindung?

Bis in den metaphysischen Existentialismus hinein treibt der Autor das Verwirrspiel, wenn schließlich eine expressionistische Teufelsfigur, die zugleich die Züge eines maliziösen Therapeuten, Kiez-Verrückten und Geheimagenten besitzt, mit der sich selbst unheimlich gewordenen Hauptfigur über deren Integrität als Person spricht. Während das Geschehen im Todesstreifen zwischen Agenten-B-Movie und Depersonalisations-Fallstudie um Fassung ringt, rundet sich das Buch so zum postmodern poetologischen Roman erster Güte, denn natürlich ist es ein Zwiegespräch zwischen Autor und Figur, das wir hier belauschen. Da erschließen sich dann auch die endlos vielen literarischen Bezugnahmen auf Hölderlin, Kleist, Goethe, Balzac, Rilke, Kafka und immer wieder - klar! - Proust, da ergeben die lässig eingestreuten Bemerkungen der Figuren über seinerzeit führende Poststrukturalisten Sinn: Georg Autenrieth ist nicht nur eine Chiffre für Berlin, mit dem er den Wesenskern - die Schizophrenie - teilt, sondern, wenn man so will, Quintessenz und Kulmination der literarischen Tradition selbst, als Konglomerat aus Diskursen autopoietisch in die Welt gekommen und keinem Autor mehr gefügig.

Wenn man es nicht derart hochgedreht will (und das Buch lässt diese Möglichkeit zu), mag man sich die Ichschwäche des Helden vielleicht mit Verdrängung erklären. Wenn die Wahrheit gut dekonstruktiv nur eine "in Sicherheit gebrachte Lüge" ist, kann es auch mehrere nebeneinander geben. In jedem Fall stellt sich beim Leser zunehmend das Gefühl ein, das auch Autenrieth beschlichen haben muss: sich zwischen zwei einander gegenüberstehenden Spiegeln zu befinden. Dass die Kaskaden von Metaphern, Kalauern und Einfällen manchmal gar kein Ende zu nehmen scheinen - auf hohem Niveau ist das Buch durchaus ein wenig verquatscht -, soll kein echter Einwand sein. Man will ja schließlich nicht zu jener Kategorie von Lesern gehören, für die im Roman "meine Vermieterin" herhalten muss, die zeternd den fehlenden Zusammenhang oder die Frauenfeindlichkeit beklagt.

Freuen wir uns lieber, wie verspielt, humorvoll und sprachgewandt der Autor das Berlin der auf dem Boden liegenden Matratzen einfängt. Auf jeder Seite findet sich mindestens ein Satz, der im bonbonbunten Prenzlauer Berg - man hat sich für eine Identität entschieden - auf einen Jutebeutel gedruckt zu werden verdient.

OLIVER JUNGEN

Gerhard Falkner: "Apollokalypse". Roman. Berlin Verlag, Berlin 2016. 430 S., geb., 22,- [Euro].

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»Man liest Falkners Roman mit grossem Vergnügen, weil er nicht wie die einschlägigen Wenderomane mit wohlfeilen politischen Deutungen die Deformationen des Wiedervereinigungsprozesses blosslegen will. Vielmehr konzentriert er sich ganz auf die Obsessionen seines Helden, der die Energien der Metropole aufsaugt und eine Sprache findet für die sinnliche Grossstadterfahrung. Die poetisch leuchtenden, flackernden Bilder und grellen Orts- und Landschaftsbeschreibungen, mit denen Falkner die Metropolen Berlin und New York ausmisst und seinen Protagonisten immer wieder mit den Banalitäten des Alltags kollidieren lässt, zeugen von imponierender Sprachmächtigkeit.« NZZ (CH) 20161018