Anita Cornelius ist Notärztin an einem großen Berliner Krankenhaus. Adrian, ihr Ex-Mann, ist Arzt am selben Krankenhaus. Die beiden haben sich vor kurzem in bestem Einvernehmen getrennt, und der gemeinsame Sohn ist zum Vater und dessen neuer Freundin Heidi gezogen. Alles könnte in bester Ordnung sein, ist es aber nicht. Auf ihren Einsätzen ist Anita der sozialen Wirklichkeit auf der Spur, und wie sich das Diktat der Ökonomie in alle Lebensbereiche einschleicht, macht ihr zu schaffen. Zu schaffen macht ihr auch, dass die effiziente Heidi ihr nicht nur Adrian, sondern zunehmend auch ihren Sohn entfremdet. Das hält Anita nicht aus, auch nicht mit einem neuen Liebhaber. Aber was tun?Kristof Magnusson erzählt einen Arztroman, kenntnisreich und witzig, und wenn die bekannte Schauspielerin (und ehemalige Ärztin) Christiane Paul diesen Roman vorliest, ist es ein besonderes Hörvergnügen. Sie weiß, wovon Anita spricht.
CD 1 | |||
1 | Arztroman/CD 1/Track 1 | 00:08:25 | |
2 | Arztroman/CD 1/Track 2 | 00:07:50 | |
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CD 2 | |||
1 | Arztroman/CD 2/Track 1 | 00:08:38 | |
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5 | Arztroman/CD 2/Track 5 | 00:07:49 | |
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CD 3 | |||
1 | Arztroman/CD 3/Track 1 | 00:09:14 | |
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CD 4 | |||
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8 | Arztroman/CD 4/Track 8 | 00:06:23 | |
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10 | Arztroman/CD 4/Track 10 | 00:04:40 |
buecher-magazin.deAls Notärztin am Urban-Krankenhaus in Berlin ist Anita effizient und souverän. Ihr Assistent ist auch ihr bester Freund. Auch ihren Ex-Mann Adrian, der auf der Intensivstation arbeitet, kann sie gut leiden. Und in Bootsbauer Rio hat sie vielleicht einen neuen Partner gefunden. Melancholisch beobachtet sie, wie ihr 14-jähriger Sohn sich von ihr löst. Erst spät bemerkt sie, dass Heidi, Adrians neue Frau, sich zu Anitas Schaden ihren Traum von einem Leben als Landarztgattin zu erfüllen sucht. In diesem Arztroman heiratet keine Krankenschwester einen strahlenden Oberarzt. Die "Götter in Weiß" sind erschöpft, medikamentensüchtig oder von Selbstzweifeln geplagt. Sie leiden unter dem maroden Gesundheitssystem und freuen sich über ein Glas Weißwein am freien Nachmittag. Die meisten Rettungseinsätze sind wenig spektakulär. Magnusson hat den harten Alltag und die Fachsprache der Ärzte im Rettungsdienst sorgfältig recherchiert. Nur mit seiner Heldin scheint er anfangs zu fremdeln. So dauert es eine Weile, bis man in den Roman hineinfindet. Christiane Paul, bis 2004 selbst Ärztin, liest, wie Anita es sich wünschen würde: mit klarer Stimme, analytisch, mitfühlend, aber stets auf Distanz.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2014Nicht jeder Arzt ist auf der Suche nach dem guten Schnitt
Rettung naht in Gestalt einer eindrucksvollen Frau: Nach seinem vergnüglichen Ausflug in die Finanzkrise legt Kristof Magnusson nun einen "Arztroman" vor
Die üblichen Vorwürfe - junge deutsche Autoren hätten nichts zu erzählen, kreisten nur um sich oder flüchteten in die Vergangenheit - musste Kristof Magnusson sich nie anhören. Im Gegenteil: Der Hamburger mit isländischen Wurzeln, Jahrgang 1976, fiel bereits vor bald zehn Jahren mit seinem in Reykjavík angesiedelten Debüt "Zuhause" auf. Davor hatte der Absolvent des Leipziger Literaturinstituts schon auf dem Theater Erfolg; demnächst soll die Verfilmung seiner Komödie "Männerhort" über die Unvereinbarkeit der Lieblingsbeschäftigungen von Männern (irgendwas, Hauptsache, man kann dazu Bier trinken) und Frauen (Einkaufen) ins Kino kommen.
Magnussons zweiter Roman "Das war ich nicht" (2010) wurde gefeiert, weil er Finanz- und andere Krisen intelligent und unterhaltsam mischte. Die gekonnten Dialoge, die Figuren (Individualisten, keine Außenseiter), der selbstverständlich-selbstbewusste Ton, der Humor - das alles wirkte so erfrischend und so wenig deutsch, dass es nur eines sein konnte: Unterhaltungsliteratur. Und da die deutsche Belletristik nun einmal einem Kreisverkehr ähnelt, der nur zwei Ausfahrten kennt, nämlich E und U, muss der Schupo, vulgo Kritiker, Kristof Magnusson nun auch mit seinem neuen Roman wieder Richtung U schicken. Aber da liegt er deutlich besser in der Kurve als manch schwerfälliger Bollerwagen, der die E-Abzweigung nimmt.
Dank Krankenhaus-Serien wie "Emergency Room" oder "Grey's Anatomy" hat sich herumgesprochen, worum es beim Arztsein geht: den richtigen Schnitt zu machen, ob im OP oder in der Liebe. Dem Umstand, dass manche Mediziner mit solchen Klischeevorstellungen ihres Berufs regelrecht konkurrieren, lassen sich einige schöne Pointen abgewinnen. So ist der Titel von Magnussons neuem Buch durchaus wörtlich zu nehmen: "Arztroman". Ohne die Lust am Klischee zu leugnen, ist der Autor dann aber tief ins Leben eingetaucht: in das einer Notärztin an einem Krankenhaus in Berlin-Kreuzberg.
Dr. Anita Cornelius ist Anfang vierzig, und ihr Leben in ständiger Alarmbereitschaft kommt gelegen seit der Trennung von ihrem Mann Adrian, der am selben Krankenhaus wie sie Arzt ist. Das Ganze liegt ein Jahr zurück; seither sieht Anita ihren Sohn, der zu Vater und Stiefmutter gezogen ist, nur tageweise. Den Rest der Zeit verbringt sie damit, Menschen zu helfen, wo und wie sie nur kann. Magnusson hat eine Heldin geschaffen, wie sie sich jeder, der den Notarzt rufen muss, wünscht: schnell, kompetent, erfahren, einfühlsam. Was das Bild des Berufsstandes angeht, können Praxen und Kliniken die Anschaffung dieses Romans fürs Wartezimmer getrost als Werbekosten ansetzen.
Aber Anitas Engagement bringt sie auch in Schwierigkeiten, nämlich in Fällen, in denen man medizinisch eher wenig, sozialmedizinisch hingegen viel tun kann. Als sie und ihr Lieblingskollege, der schwule Feuerwehrmann Maik, in eine Schrebergartensiedlung gerufen werden, ist dort Erste Hilfe rasch geleistet. Doch im Wissen darum, wie wichtig es für einen alleinstehenden älteren Mann mit Raucherlunge und in kläglichem Allgemeinzustand sein kann, einige Tage im Krankenhaus zu verbringen - "intravenöse Flüssigkeitszufuhr, Versorgung der Wunden an den Beinen und überhaupt: regelmäßige Mahlzeiten und regelmäßiges Waschen" -, geht Anita weiter als notwendig: "Sie musste nur bei der Diagnose etwas übertreiben und ihren Exmann, der diese Woche Dienst auf der Intensivstation hatte, überreden, das Gleiche zu tun."
Adrian und sie haben noch aus Studententagen einen Namen für diese chronisch kranken, meist alten Patienten, "die viel Arbeit machten, ohne dass man wirklich etwas für sie tun konnte": Gomer, "für: Get-Out-Of-My-Emergency-Room". In der Vergangenheit haben Adrian und Anita immer wieder den ein oder anderen Gomer auf der Intensivstation aufgepäppelt. "Es war für sie eine Art Hobby geworden, wie andere Paare Rosen züchteten oder Vogelhäuschen aufstellten, ein gemeinsames, romantisch gefärbtes Kümmern." Doch auf die Einsatzbereitschaft ihres Exmanns ist in Zeiten knapper Krankenhausbudgets kein Verlass mehr, wie Anita feststellen muss. Und das ist nicht das einzige Anzeichen dafür, dass die Kluft zwischen ihnen größer wird.
Magnusson schreibt mit großer Selbstverständlichkeit über die Welt des Rettungsdienstes, schildert dramatische und weniger dramatische Notfälle mit jener nüchternen, fast lässigen Sachlichkeit, die seine Figur braucht, um glaubwürdig zu sein - und die doch staunen macht, weil es dazu auf Seiten des Autors nicht nur Einfühlung, sondern auch genauer Recherche bedarf. Der Radius des Romans entspricht in jeder Hinsicht dem seiner Protagonistin: das ist seine Stärke und zugleich seine Schwäche. Anita ist klug, sympathisch, fähig zur Selbstironie und eine glänzende Diagnostikerin. In einer Welt von Kranken erscheint sie rundum gesund.
Das liegt an ihrer robusten Lebenseinstellung. Von welcher Art diese ist, zeigt sich beim Rückblick auf ihre Trennung. Nachdem Adrian in Heidi, einer erfolgreichen Sachbuchautorin aus dem gemeinsamen Bekanntenkreis, die scheinbar perfekte neue Partnerin gefunden hat, passt Anita sich ohne Groll "den neuen Umständen an, denn auch sie hatte erkannt, dass eine Trennung kaum besser hätte laufen können". Was die schmerzvolle Entscheidung angeht, dass der gemeinsame Sohn sein erstes Zuhause beim Vater und dessen neuer Frau nimmt, so leidet Anita zwar darunter, sieht aber ein, dass Heidi die größere Wohnung und mehr Zeit hat: "Es war das Praktischste gewesen. Und für das Praktische war Anita immer zu haben."
Unterm Kittel dieses Arztromans steckt nämlich noch ein zweiter, sehr genauer und kluger Roman: über Patchwork und die vielen kleinen und großen Opfer, die diese Familienform ihren Mitgliedern abverlangt, wenn sie gelingen soll. Und hier gelingt sie - nicht perfekt, sondern etwas holprig, also mit jenem Quentchen Schuldgefühl, Unsicherheit, Sehnsucht und Eifersucht auf allen Seiten, das für Wahrhaftigkeit sorgt. Die Passagen, die von der fragmentierten Familie handeln, sind die besten, weil komplexesten des Buches; das Drumherum liest sich als packendes Doku-Drama über all die unterschiedlichen Milieus und Lebensformen, mit denen ihr Beruf Anita in Berührung bringt. Spannend wird es immer da, wo das Berufliche und das Private kollidieren.
Die Handlung wird beherrscht von Anitas erklärtem Willen, dass es den Menschen möglichst gut gehen soll - und weil sie sich auf ihre Konsequenz einiges zugutehält, gilt das sogar dann, wenn das Wohl der anderen ihrem eigenen entgegensteht. Doch gerade, als Magnusson seine Protagonistin endgültig zu verklären und der Roman sich in Wohlgefallen aufzulösen droht, wird Anita mit den Folgen ihrer idealistischen Einmischungsbereitschaft konfrontiert. Als sie ausgerechnet in ihrem Exmann einen Patienten erkennt, bringt die Situation ihr ärztliches Anstands- und ihr familiäres Verantwortungsgefühl durcheinander. Allerdings wird der Konflikt dann nicht ausgetragen, sondern durch eine neuerliche Heldentat Anitas beendet.
Wenn man diesem Buch etwas vorwerfen kann, dann ist es diese Glätte: Es geht alles immer ein bisschen zu gut aus, nicht nur in medizinischer Hinsicht. Dennoch ist dies ein ernsteres, reiferes Werk als die beiden Vorläufer. Es gibt weniger zu lachen und mehr zu erfahren, und das ohne eitle Bedeutungshuberei. Kristof Magnussons "Arztroman" hat es verdient, dass ihn mindestens so viele Menschen lesen wie "Grey's Anatomy" gucken.
FELICITAS VON LOVENBERG
Kristof Magnusson: "Arztroman". Roman.
Verlag Antje Kunstmann, München 2014. 317 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rettung naht in Gestalt einer eindrucksvollen Frau: Nach seinem vergnüglichen Ausflug in die Finanzkrise legt Kristof Magnusson nun einen "Arztroman" vor
Die üblichen Vorwürfe - junge deutsche Autoren hätten nichts zu erzählen, kreisten nur um sich oder flüchteten in die Vergangenheit - musste Kristof Magnusson sich nie anhören. Im Gegenteil: Der Hamburger mit isländischen Wurzeln, Jahrgang 1976, fiel bereits vor bald zehn Jahren mit seinem in Reykjavík angesiedelten Debüt "Zuhause" auf. Davor hatte der Absolvent des Leipziger Literaturinstituts schon auf dem Theater Erfolg; demnächst soll die Verfilmung seiner Komödie "Männerhort" über die Unvereinbarkeit der Lieblingsbeschäftigungen von Männern (irgendwas, Hauptsache, man kann dazu Bier trinken) und Frauen (Einkaufen) ins Kino kommen.
Magnussons zweiter Roman "Das war ich nicht" (2010) wurde gefeiert, weil er Finanz- und andere Krisen intelligent und unterhaltsam mischte. Die gekonnten Dialoge, die Figuren (Individualisten, keine Außenseiter), der selbstverständlich-selbstbewusste Ton, der Humor - das alles wirkte so erfrischend und so wenig deutsch, dass es nur eines sein konnte: Unterhaltungsliteratur. Und da die deutsche Belletristik nun einmal einem Kreisverkehr ähnelt, der nur zwei Ausfahrten kennt, nämlich E und U, muss der Schupo, vulgo Kritiker, Kristof Magnusson nun auch mit seinem neuen Roman wieder Richtung U schicken. Aber da liegt er deutlich besser in der Kurve als manch schwerfälliger Bollerwagen, der die E-Abzweigung nimmt.
Dank Krankenhaus-Serien wie "Emergency Room" oder "Grey's Anatomy" hat sich herumgesprochen, worum es beim Arztsein geht: den richtigen Schnitt zu machen, ob im OP oder in der Liebe. Dem Umstand, dass manche Mediziner mit solchen Klischeevorstellungen ihres Berufs regelrecht konkurrieren, lassen sich einige schöne Pointen abgewinnen. So ist der Titel von Magnussons neuem Buch durchaus wörtlich zu nehmen: "Arztroman". Ohne die Lust am Klischee zu leugnen, ist der Autor dann aber tief ins Leben eingetaucht: in das einer Notärztin an einem Krankenhaus in Berlin-Kreuzberg.
Dr. Anita Cornelius ist Anfang vierzig, und ihr Leben in ständiger Alarmbereitschaft kommt gelegen seit der Trennung von ihrem Mann Adrian, der am selben Krankenhaus wie sie Arzt ist. Das Ganze liegt ein Jahr zurück; seither sieht Anita ihren Sohn, der zu Vater und Stiefmutter gezogen ist, nur tageweise. Den Rest der Zeit verbringt sie damit, Menschen zu helfen, wo und wie sie nur kann. Magnusson hat eine Heldin geschaffen, wie sie sich jeder, der den Notarzt rufen muss, wünscht: schnell, kompetent, erfahren, einfühlsam. Was das Bild des Berufsstandes angeht, können Praxen und Kliniken die Anschaffung dieses Romans fürs Wartezimmer getrost als Werbekosten ansetzen.
Aber Anitas Engagement bringt sie auch in Schwierigkeiten, nämlich in Fällen, in denen man medizinisch eher wenig, sozialmedizinisch hingegen viel tun kann. Als sie und ihr Lieblingskollege, der schwule Feuerwehrmann Maik, in eine Schrebergartensiedlung gerufen werden, ist dort Erste Hilfe rasch geleistet. Doch im Wissen darum, wie wichtig es für einen alleinstehenden älteren Mann mit Raucherlunge und in kläglichem Allgemeinzustand sein kann, einige Tage im Krankenhaus zu verbringen - "intravenöse Flüssigkeitszufuhr, Versorgung der Wunden an den Beinen und überhaupt: regelmäßige Mahlzeiten und regelmäßiges Waschen" -, geht Anita weiter als notwendig: "Sie musste nur bei der Diagnose etwas übertreiben und ihren Exmann, der diese Woche Dienst auf der Intensivstation hatte, überreden, das Gleiche zu tun."
Adrian und sie haben noch aus Studententagen einen Namen für diese chronisch kranken, meist alten Patienten, "die viel Arbeit machten, ohne dass man wirklich etwas für sie tun konnte": Gomer, "für: Get-Out-Of-My-Emergency-Room". In der Vergangenheit haben Adrian und Anita immer wieder den ein oder anderen Gomer auf der Intensivstation aufgepäppelt. "Es war für sie eine Art Hobby geworden, wie andere Paare Rosen züchteten oder Vogelhäuschen aufstellten, ein gemeinsames, romantisch gefärbtes Kümmern." Doch auf die Einsatzbereitschaft ihres Exmanns ist in Zeiten knapper Krankenhausbudgets kein Verlass mehr, wie Anita feststellen muss. Und das ist nicht das einzige Anzeichen dafür, dass die Kluft zwischen ihnen größer wird.
Magnusson schreibt mit großer Selbstverständlichkeit über die Welt des Rettungsdienstes, schildert dramatische und weniger dramatische Notfälle mit jener nüchternen, fast lässigen Sachlichkeit, die seine Figur braucht, um glaubwürdig zu sein - und die doch staunen macht, weil es dazu auf Seiten des Autors nicht nur Einfühlung, sondern auch genauer Recherche bedarf. Der Radius des Romans entspricht in jeder Hinsicht dem seiner Protagonistin: das ist seine Stärke und zugleich seine Schwäche. Anita ist klug, sympathisch, fähig zur Selbstironie und eine glänzende Diagnostikerin. In einer Welt von Kranken erscheint sie rundum gesund.
Das liegt an ihrer robusten Lebenseinstellung. Von welcher Art diese ist, zeigt sich beim Rückblick auf ihre Trennung. Nachdem Adrian in Heidi, einer erfolgreichen Sachbuchautorin aus dem gemeinsamen Bekanntenkreis, die scheinbar perfekte neue Partnerin gefunden hat, passt Anita sich ohne Groll "den neuen Umständen an, denn auch sie hatte erkannt, dass eine Trennung kaum besser hätte laufen können". Was die schmerzvolle Entscheidung angeht, dass der gemeinsame Sohn sein erstes Zuhause beim Vater und dessen neuer Frau nimmt, so leidet Anita zwar darunter, sieht aber ein, dass Heidi die größere Wohnung und mehr Zeit hat: "Es war das Praktischste gewesen. Und für das Praktische war Anita immer zu haben."
Unterm Kittel dieses Arztromans steckt nämlich noch ein zweiter, sehr genauer und kluger Roman: über Patchwork und die vielen kleinen und großen Opfer, die diese Familienform ihren Mitgliedern abverlangt, wenn sie gelingen soll. Und hier gelingt sie - nicht perfekt, sondern etwas holprig, also mit jenem Quentchen Schuldgefühl, Unsicherheit, Sehnsucht und Eifersucht auf allen Seiten, das für Wahrhaftigkeit sorgt. Die Passagen, die von der fragmentierten Familie handeln, sind die besten, weil komplexesten des Buches; das Drumherum liest sich als packendes Doku-Drama über all die unterschiedlichen Milieus und Lebensformen, mit denen ihr Beruf Anita in Berührung bringt. Spannend wird es immer da, wo das Berufliche und das Private kollidieren.
Die Handlung wird beherrscht von Anitas erklärtem Willen, dass es den Menschen möglichst gut gehen soll - und weil sie sich auf ihre Konsequenz einiges zugutehält, gilt das sogar dann, wenn das Wohl der anderen ihrem eigenen entgegensteht. Doch gerade, als Magnusson seine Protagonistin endgültig zu verklären und der Roman sich in Wohlgefallen aufzulösen droht, wird Anita mit den Folgen ihrer idealistischen Einmischungsbereitschaft konfrontiert. Als sie ausgerechnet in ihrem Exmann einen Patienten erkennt, bringt die Situation ihr ärztliches Anstands- und ihr familiäres Verantwortungsgefühl durcheinander. Allerdings wird der Konflikt dann nicht ausgetragen, sondern durch eine neuerliche Heldentat Anitas beendet.
Wenn man diesem Buch etwas vorwerfen kann, dann ist es diese Glätte: Es geht alles immer ein bisschen zu gut aus, nicht nur in medizinischer Hinsicht. Dennoch ist dies ein ernsteres, reiferes Werk als die beiden Vorläufer. Es gibt weniger zu lachen und mehr zu erfahren, und das ohne eitle Bedeutungshuberei. Kristof Magnussons "Arztroman" hat es verdient, dass ihn mindestens so viele Menschen lesen wie "Grey's Anatomy" gucken.
FELICITAS VON LOVENBERG
Kristof Magnusson: "Arztroman". Roman.
Verlag Antje Kunstmann, München 2014. 317 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
"Leichte Lektüre" im besten Sinne kann Rezensentin Katharina Granzin mit Kristof Magnussons "Arztroman" empfehlen. Denn der Roman, der die Kritikerin ein wenig an die Serie "Emergency Room" erinnert, ist menschlich packend und vor allem intelligent gemacht, lobt Granzin. Und so folgt sie hier der Notfallmedizinerin Anita Cornelius, die atemlos von Notfall zu Notfall hetzt, einen kettenrauchenden Rentner aus seiner Gartenlaube befreit, eine "Hipster-Hypochonderin" betreut und gleichzeitig ihr chaotisches Leben mit Ex-Mann, gemeinsamem Sohn und Liebhaber zu ordnen versucht. Dieses Buch hat der Kritikerin ausgesprochen gut gefallen und so hofft sie auf weitere Folgen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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