Der neue Erzählband des großen Liedermachers - mit Originalaufnahmen des Autors
Poetisch, komisch und wahrhaftig erzählt Wolf Biermann vom mächtigsten aller Gefühle, von der Liebe. In 18 oft hinreißend kuriosen, oft zärtlich-rabiaten Erzählungen führt uns der Poet seine Zeitgenossen vor Augen. Da ist Ruth Berlau, die tragische Geliebte Brechts, die sich ihre übermächtige Feindin Helene Weigel nicht kleinreden lassen will - und schon gar nicht kleinsingen! Biermann erzählt die wahre Geschichte von der »beißwütigen Barbara« und vom Mann, der sich für Rembrandt hält. Vom Ostberliner Stricher, dessen Frau Monika ihm das Brotmesser in den Rücken rammt, oder von seiner Liebesaffäre mit einer zerbrechlichen Geigen-Gitarre. Der nette alte SS-Mann in Ostberlin fragt: Bin ick'n Mensch? Und unvergesslich: Biermanns im doppelten Sinn schlagfertiger Freund Manfred Krug, der einen Volkspolizisten in den Wahnsinn treibt. Erstmals erzählt Wolf Biermann von proletarischer Sexualaufklärung und warum seine Mutter ihn ohrfeigte, ein einziges Mal. In seinem Ostberliner Lotterbett liegt die traumhafte Geliebte Garance, die sich an der langen Leine der Stasi in Westberlin prostituieren muss. In diesen und weiteren Storys zeichnet Wolf Biermann ein berührendes, vielfältiges Bildnis von der Liebe und von tapferen Menschen in bewegten Zeiten.
In bekannten Liedern aus der Zeit und bisher unveröffentlichten, historischen Aufnahmen ist im Hörbuch auch die Stimme des jungen Liedermachers selbst zu hören.
Poetisch, komisch und wahrhaftig erzählt Wolf Biermann vom mächtigsten aller Gefühle, von der Liebe. In 18 oft hinreißend kuriosen, oft zärtlich-rabiaten Erzählungen führt uns der Poet seine Zeitgenossen vor Augen. Da ist Ruth Berlau, die tragische Geliebte Brechts, die sich ihre übermächtige Feindin Helene Weigel nicht kleinreden lassen will - und schon gar nicht kleinsingen! Biermann erzählt die wahre Geschichte von der »beißwütigen Barbara« und vom Mann, der sich für Rembrandt hält. Vom Ostberliner Stricher, dessen Frau Monika ihm das Brotmesser in den Rücken rammt, oder von seiner Liebesaffäre mit einer zerbrechlichen Geigen-Gitarre. Der nette alte SS-Mann in Ostberlin fragt: Bin ick'n Mensch? Und unvergesslich: Biermanns im doppelten Sinn schlagfertiger Freund Manfred Krug, der einen Volkspolizisten in den Wahnsinn treibt. Erstmals erzählt Wolf Biermann von proletarischer Sexualaufklärung und warum seine Mutter ihn ohrfeigte, ein einziges Mal. In seinem Ostberliner Lotterbett liegt die traumhafte Geliebte Garance, die sich an der langen Leine der Stasi in Westberlin prostituieren muss. In diesen und weiteren Storys zeichnet Wolf Biermann ein berührendes, vielfältiges Bildnis von der Liebe und von tapferen Menschen in bewegten Zeiten.
In bekannten Liedern aus der Zeit und bisher unveröffentlichten, historischen Aufnahmen ist im Hörbuch auch die Stimme des jungen Liedermachers selbst zu hören.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2019Lende und Wende
Wenn der Hammer mit der Sichel: Wolf Biermanns kraftvolle neue Novellen handeln von heißer Liebe im Kalten Krieg
Das schelmische Wegducken unter dem Ruhm ist eine sympathische Allüre der politisch alerten Künstler des Landes, man denke nur an Hans Magnus Enzensberger oder Dieter Hildebrandt. Es gibt aber auch eine Ironie aus Unbescheidenheit, ein frech draufgängerisches Brechtzigarrenkauen (selbst ohne Zigarre), und der unangefochtene Meister dieser Klasse ist Wolf Biermann. Ein ganzes Leben hat er gegen das Verstecken angelebt und den vorlauten Edelproletarier gegeben. Drei Jahre nach seiner Autobiographie "Warte nicht auf bessre Zeiten!" ist nun ein Band mit autobiographischen Erzählungen des Dreiundachtzigjährigen erschienen, und sie springen uns, um es biermännisch zu sagen, mit dem Arsch ins Gesicht, diese ungewöhnlich kraftvollen, historisch-burlesken Geschichten. Nostalgie kennen sie wohl, aber nur als dialektische ("trotz alledem"), nicht als belämmerte.
Es gehe in den Novellen um berühmte Wegbegleiter und ganz normale Menschen, versichert Biermann, aber dann geht es hier doch zuallererst um ihn, das Zentralgestirn in diesem Kosmos, und das so berserkerhaft, wie man es heute nicht mehr gewohnt ist. Schon in den ersten Zeilen des Buches entflieht der junge Wolf, es ist das Jahr 1965, seiner "einzigen Brigitte" in die Charité: "Ich hatte sie mal wieder betrogen mit gleich zwei jungen Frauen." Eingewickelt werden wir sodann in eine pornographische Herrenphantasie, deren Lektüre allein sich in #Metoo-Zeiten schon verboten anfühlt. Eine üppige Krankenschwester, "der saftigste Pfirsich, den ich je gepflückt hatte", versorgt den gurrenden "Frauenversteher" nicht nur in der Klinik, sondern auch hernach, beim schwesterlichen Hausbesuch, und zwar nach Raubtierart: "ein seltener Muskel musste das sein. Der schnappte nach meinem Will, zog ihn immer noch tiefer rein und massierte mein Zentralorgan im aufreizenden Rhythmus".
Eingeschaltet findet sich hier eine traurige DDR-Biographie, denn Garance, so der Kosename für die neue Liebhaberin, war eine Republikflüchtlingsgattin, die der maliziöse Apparat mit der Drohung, ihr den Sohn wegzunehmen, zur Teilzeit-Stasi-Hure in West-Berlin gemacht hatte. All das aber konnte die Leidenschaft des jungen Wolfs nicht zähmen, im Gegenteil: "Ich zappelte als Fisch in ihrer Reuse." Erst ihre absichtslose Bemerkung: "dass du ein Jude bist . . . mich stört das nicht" erstickte das lichterlohste Lendenfeuer, das je hinter der Mauer gelodert hat. Der Gedanke an Auschwitz, mag das heißen, killt in den Söhnen der Ermordeten selbst den wildesten Lebenstrieb. All die Fallhöhe besitzende Selbstinszenierung als potenter Stier und brachiales Genie, über die sich so leicht lächeln ließe (und lässt), ist somit vor allem eines: eine erzählerische Strategie, die auf Installierung eines satisfaktionsfähigen Gegners der Funktionäre drüben wie hüben zielt. Der gegen jedes Eitelkeitsverbot verstoßende Biermann wirkt wie eine Figur, die sich samt des spelunkigen Namens der große Brecht hätte ausgedacht haben können: "Der Rebell raubt seinen Widersachern, den übermächtigen Ober-Genossen, die Weiber." Ein Hammer für die Sicheln.
Darauf zahlen viele persönliche Erinnerungen des Erzählers ein, etwa an seine Regieassistenzzeit am Berliner Ensemble unter Helene Weigel. Dort habe, heißt es, die ältere Schauspielerin Betty Loewen den Sänger qua Amazonenritt von einer Impotenzphase geheilt. Bald lieferte er sich mit dem Brecht-Schwiegersohn Ekkehard Schall wieder Wettkämpfe um nächtlich geschobene Nummern. Ebenfalls der Heldenerhebung dienen Stories, in denen der Verfemte der in der DDR verehrten, radikalen Sängerin Miriam Makeba, "Mama Afrika", mit einem sangestechnischen Kunststückchen imponierte oder vor den Augen seines Ziehsohnes einen sowjetischen Schachgroßmeister (und so irgendwie auch das System) besiegte. Jenseits aller realen Grundierung, die es durchaus geben mag, lesen sich solche Passagen wie ein Bad des Protagonisten im Drachenblut, mit dem jüdischen Erbe als Lindenblatt: Biermanns verwundbare Stelle. Hier also wappnete sich jemand, der der Postkommunist Biermann heute gar nicht mehr unbedingt ist, für den doppelten Klampfenkampf gegen graue und bunte Bonzen, gegen Partei und Kapital.
Auch die hübsche Hommage auf die Großmutter, die erfahren hat, was der Kapitalismus der Unterschicht antut - er lässt sie, aus Boshaftigkeit, weichgekochte Mäuse essen -, ist keine simple Klage, sondern vor allem Herkunftsnachweis der Überzeugungen eines Jungen, dem man den Vater ermordet hatte und der als Sechzehnjähriger in den Osten übersiedelte, um den Kommunismus mit aufzubauen: "Meine Oma Meume hat mir so manches anvertraut, was sie nie jemandem erzählte." Wir haben es, alles in allem, mit einer Kunstfigur zu tun, an der das Privateste politisch ist und alles Politische intim, die mit jeder Faser eingewoben scheint ins deutsch-deutsche Gewebe, eine Schlaufe bildend von Hamburg nach Ostberlin und zurück. Zugleich aber wehrt sich diese Figur gegen den in der Literatur stets zudringlichen Symbolismus, beharrt darauf, und das macht sie so interessant, aus Fleisch und Blut zu bestehen. Selten wird Geschichte in so zupackender Weise lebendig.
Der mitunter grobianische Stil verdeckt nicht das feine Gespür des selbsternannten Brecht-Erben für treffende Formulierungen und bestechende Tonwechsel. Selbstredend beherrscht der Autor das Pathetische, wie allein die starke Novelle über ein privat errichtetes Denkmal für die ermordeten Hamburger Juden zeigt: Eine Bahnschwelle wird darin verhaftet. Melancholisch heroisch erzählt er indes vom "Kohlen-Otto", dessen Arbeiterselbstbewusstsein selbst DDR-Haft nicht brechen konnte. Lakonisch wiederum wird es in der Anekdote über den Heißsporn Manfred Krug. Hat der rabiate Verkehrsrowdy Krug tatsächlich Robert Havemann, weil der ihm im Trabi zu langsam fuhr, drei Zähne ausgeschlagen? Von nun an jedenfalls hat er es: Die Geschichte ist zu gut, um nicht zu stimmen.
Dass dieser "Ich"-Sager (statt "ja" oder "nein") doch auch schelmisch-ironische Demut kennt, zeigt er wenigstens einmal in einem köstlichen Dramolett, in dem zwei Bauarbeiter gegenüber dem nicht erkannten Biermann, der einen Witz auf eigene Kosten macht, den Sänger verteidigen - "Oh, wie genoss ich diese Szene!" -, ihm dann aber nicht glauben wollen, wirklich der echte Biermann zu sein, denn der Angesprochene kann sich einfach nicht an sein Poem mit dem zerschnittenen Fisch ("Det is'n berühmted Jedicht") erinnern. Treffender könnte man es nicht auf den Punkt bringen: Jede Zeit und jede Schicht macht sich ihren eigenen Biermann, mal Spötter, mal Träumer, mal Kumpel, mal Verräter. Er selbst präsentiert uns hier noch einmal die Wer-zuletzt-lacht-Version, und weil er das mit solch einer Energie tut, mit so viel Liebe zum Liebesdetail im "ewigen Spiel um nur einen Kuss", wie es in der weitgehend pointenfreien Titelgeschichte "Die beißwütige Barbara" heißt, gelingt es dem Draufgängerpoeten, jene Ära, die heute zwischen falscher Nostalgie und kühlem Desinteresse zu verdämmern droht, noch einmal lebensprall heraufzubeschwören. Für Wolf Biermann, der in schrägen Momenten (wie im Bundestag) auch schon zu glauben schien, den real gescheiterten Sozialismus ganz allein "zersungen" zu haben, ist das sogar bescheiden.
OLIVER JUNGEN
Wolf Biermann: "Barbara". Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten.
Ullstein Verlag, Berlin 2019. 289 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn der Hammer mit der Sichel: Wolf Biermanns kraftvolle neue Novellen handeln von heißer Liebe im Kalten Krieg
Das schelmische Wegducken unter dem Ruhm ist eine sympathische Allüre der politisch alerten Künstler des Landes, man denke nur an Hans Magnus Enzensberger oder Dieter Hildebrandt. Es gibt aber auch eine Ironie aus Unbescheidenheit, ein frech draufgängerisches Brechtzigarrenkauen (selbst ohne Zigarre), und der unangefochtene Meister dieser Klasse ist Wolf Biermann. Ein ganzes Leben hat er gegen das Verstecken angelebt und den vorlauten Edelproletarier gegeben. Drei Jahre nach seiner Autobiographie "Warte nicht auf bessre Zeiten!" ist nun ein Band mit autobiographischen Erzählungen des Dreiundachtzigjährigen erschienen, und sie springen uns, um es biermännisch zu sagen, mit dem Arsch ins Gesicht, diese ungewöhnlich kraftvollen, historisch-burlesken Geschichten. Nostalgie kennen sie wohl, aber nur als dialektische ("trotz alledem"), nicht als belämmerte.
Es gehe in den Novellen um berühmte Wegbegleiter und ganz normale Menschen, versichert Biermann, aber dann geht es hier doch zuallererst um ihn, das Zentralgestirn in diesem Kosmos, und das so berserkerhaft, wie man es heute nicht mehr gewohnt ist. Schon in den ersten Zeilen des Buches entflieht der junge Wolf, es ist das Jahr 1965, seiner "einzigen Brigitte" in die Charité: "Ich hatte sie mal wieder betrogen mit gleich zwei jungen Frauen." Eingewickelt werden wir sodann in eine pornographische Herrenphantasie, deren Lektüre allein sich in #Metoo-Zeiten schon verboten anfühlt. Eine üppige Krankenschwester, "der saftigste Pfirsich, den ich je gepflückt hatte", versorgt den gurrenden "Frauenversteher" nicht nur in der Klinik, sondern auch hernach, beim schwesterlichen Hausbesuch, und zwar nach Raubtierart: "ein seltener Muskel musste das sein. Der schnappte nach meinem Will, zog ihn immer noch tiefer rein und massierte mein Zentralorgan im aufreizenden Rhythmus".
Eingeschaltet findet sich hier eine traurige DDR-Biographie, denn Garance, so der Kosename für die neue Liebhaberin, war eine Republikflüchtlingsgattin, die der maliziöse Apparat mit der Drohung, ihr den Sohn wegzunehmen, zur Teilzeit-Stasi-Hure in West-Berlin gemacht hatte. All das aber konnte die Leidenschaft des jungen Wolfs nicht zähmen, im Gegenteil: "Ich zappelte als Fisch in ihrer Reuse." Erst ihre absichtslose Bemerkung: "dass du ein Jude bist . . . mich stört das nicht" erstickte das lichterlohste Lendenfeuer, das je hinter der Mauer gelodert hat. Der Gedanke an Auschwitz, mag das heißen, killt in den Söhnen der Ermordeten selbst den wildesten Lebenstrieb. All die Fallhöhe besitzende Selbstinszenierung als potenter Stier und brachiales Genie, über die sich so leicht lächeln ließe (und lässt), ist somit vor allem eines: eine erzählerische Strategie, die auf Installierung eines satisfaktionsfähigen Gegners der Funktionäre drüben wie hüben zielt. Der gegen jedes Eitelkeitsverbot verstoßende Biermann wirkt wie eine Figur, die sich samt des spelunkigen Namens der große Brecht hätte ausgedacht haben können: "Der Rebell raubt seinen Widersachern, den übermächtigen Ober-Genossen, die Weiber." Ein Hammer für die Sicheln.
Darauf zahlen viele persönliche Erinnerungen des Erzählers ein, etwa an seine Regieassistenzzeit am Berliner Ensemble unter Helene Weigel. Dort habe, heißt es, die ältere Schauspielerin Betty Loewen den Sänger qua Amazonenritt von einer Impotenzphase geheilt. Bald lieferte er sich mit dem Brecht-Schwiegersohn Ekkehard Schall wieder Wettkämpfe um nächtlich geschobene Nummern. Ebenfalls der Heldenerhebung dienen Stories, in denen der Verfemte der in der DDR verehrten, radikalen Sängerin Miriam Makeba, "Mama Afrika", mit einem sangestechnischen Kunststückchen imponierte oder vor den Augen seines Ziehsohnes einen sowjetischen Schachgroßmeister (und so irgendwie auch das System) besiegte. Jenseits aller realen Grundierung, die es durchaus geben mag, lesen sich solche Passagen wie ein Bad des Protagonisten im Drachenblut, mit dem jüdischen Erbe als Lindenblatt: Biermanns verwundbare Stelle. Hier also wappnete sich jemand, der der Postkommunist Biermann heute gar nicht mehr unbedingt ist, für den doppelten Klampfenkampf gegen graue und bunte Bonzen, gegen Partei und Kapital.
Auch die hübsche Hommage auf die Großmutter, die erfahren hat, was der Kapitalismus der Unterschicht antut - er lässt sie, aus Boshaftigkeit, weichgekochte Mäuse essen -, ist keine simple Klage, sondern vor allem Herkunftsnachweis der Überzeugungen eines Jungen, dem man den Vater ermordet hatte und der als Sechzehnjähriger in den Osten übersiedelte, um den Kommunismus mit aufzubauen: "Meine Oma Meume hat mir so manches anvertraut, was sie nie jemandem erzählte." Wir haben es, alles in allem, mit einer Kunstfigur zu tun, an der das Privateste politisch ist und alles Politische intim, die mit jeder Faser eingewoben scheint ins deutsch-deutsche Gewebe, eine Schlaufe bildend von Hamburg nach Ostberlin und zurück. Zugleich aber wehrt sich diese Figur gegen den in der Literatur stets zudringlichen Symbolismus, beharrt darauf, und das macht sie so interessant, aus Fleisch und Blut zu bestehen. Selten wird Geschichte in so zupackender Weise lebendig.
Der mitunter grobianische Stil verdeckt nicht das feine Gespür des selbsternannten Brecht-Erben für treffende Formulierungen und bestechende Tonwechsel. Selbstredend beherrscht der Autor das Pathetische, wie allein die starke Novelle über ein privat errichtetes Denkmal für die ermordeten Hamburger Juden zeigt: Eine Bahnschwelle wird darin verhaftet. Melancholisch heroisch erzählt er indes vom "Kohlen-Otto", dessen Arbeiterselbstbewusstsein selbst DDR-Haft nicht brechen konnte. Lakonisch wiederum wird es in der Anekdote über den Heißsporn Manfred Krug. Hat der rabiate Verkehrsrowdy Krug tatsächlich Robert Havemann, weil der ihm im Trabi zu langsam fuhr, drei Zähne ausgeschlagen? Von nun an jedenfalls hat er es: Die Geschichte ist zu gut, um nicht zu stimmen.
Dass dieser "Ich"-Sager (statt "ja" oder "nein") doch auch schelmisch-ironische Demut kennt, zeigt er wenigstens einmal in einem köstlichen Dramolett, in dem zwei Bauarbeiter gegenüber dem nicht erkannten Biermann, der einen Witz auf eigene Kosten macht, den Sänger verteidigen - "Oh, wie genoss ich diese Szene!" -, ihm dann aber nicht glauben wollen, wirklich der echte Biermann zu sein, denn der Angesprochene kann sich einfach nicht an sein Poem mit dem zerschnittenen Fisch ("Det is'n berühmted Jedicht") erinnern. Treffender könnte man es nicht auf den Punkt bringen: Jede Zeit und jede Schicht macht sich ihren eigenen Biermann, mal Spötter, mal Träumer, mal Kumpel, mal Verräter. Er selbst präsentiert uns hier noch einmal die Wer-zuletzt-lacht-Version, und weil er das mit solch einer Energie tut, mit so viel Liebe zum Liebesdetail im "ewigen Spiel um nur einen Kuss", wie es in der weitgehend pointenfreien Titelgeschichte "Die beißwütige Barbara" heißt, gelingt es dem Draufgängerpoeten, jene Ära, die heute zwischen falscher Nostalgie und kühlem Desinteresse zu verdämmern droht, noch einmal lebensprall heraufzubeschwören. Für Wolf Biermann, der in schrägen Momenten (wie im Bundestag) auch schon zu glauben schien, den real gescheiterten Sozialismus ganz allein "zersungen" zu haben, ist das sogar bescheiden.
OLIVER JUNGEN
Wolf Biermann: "Barbara". Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten.
Ullstein Verlag, Berlin 2019. 289 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Außerhalb des Deutschunterrichts ist die Novelle schon lange aus der Mode gekommen, stellt Ulrich Gutmair fest und freut sich, dass Wolf Biermann ihr mit "Barbara" wieder zur Ehre verhilft. Für den Rezensenten ist dieser Prosaband das ideale Pendant zu Biermanns 2016 erschienener Autobiografie "Warte nicht auf bessre Zeiten!", aus dem viele Figuren vor allem aus dem familiären Umfeld des Autors auftauchen, etwa die Eltern Dagobert und Emma oder die Großmutter "Ome Meume". Daneben spielen Zeitgenossen Biermanns wichtige Rollen, prominente wie Ruth Berlau, Hanns Eisler und Manfred Krug, aber auch unbekannte wie eine Ostberliner Krankenschwester oder die Baletttänzerin Barbara aus der Titelnovelle, fasst Gutmair zusammen. Wie es Biermann gelingt, "historische Ereignisse mit persönlichen Erlebnissen" pointiert zu verknüpfen, ringt dem Rezensenten höchsten Respekt ab.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Getragen von selbstironisch funkelnder Eitelkeit, von Humor, Liebe und einem großen Herzen." Münchner Merkur 20190409