Zwölf Episoden über Zeitgenossen und ihre Einrichtungsversuche. Mint und Hellblau gegen ein bedrohliches Außen, Gemütlichkeitsrituale gegen Panikattacken, die perfekt geputzte Küche als pseudo-sakraler Raum. Ein Textmarathon über wackelige Lebensfundamente und sanierungsbedürftige Innenräume, über skurrile, vereinsamte und verunsicherte Menschen, die in ihren kleinen Paralleluniversen Überlebenskämpfe mit sich und ihrer unmittelbaren Umgebung ausfechten. Ingrid Lausund öffnet die Tür zu zwölf Wohnungen und gibt den Blick frei auf Gemütlichkeitsattrappen in Carrara-Marmor-Optik, monströse Plüschsofas und brüchige Fundamente im Schatten von Designermöbeln. Mit Humor und Scharfsinn erzählt sie von der Sehnsucht nach einem funktionierenden Zuhause.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Einen "Glücksfall" nennt Rezensent Wolfgang Schneider die zwölf von Ingrid Lausund verfassten und unter der Regie von Bjarne Mädel vertonten Monologe mit Sprechern wie Matthias Brandt und Angelika Richter. Es geht um Alltags- und Wohnsituationen, erklärt Schneider anhand einiger Beispiele, darum, dass man Wohnungen oft renovieren kann, Beziehungen eher nicht, dass hinter der Fassade, wörtlich wie im übertragenen Sinne, oft einiges anders ist. Dass alle Sprecherinnen den unterschiedlichen Texten ein jeweils ganz eigenes Leben einhauchen und sie in die perfekte, nur zu genießende Form bringen, ist für den Kritiker eine "preiswürdige Meisterleistung." Detailreich, überspitz, grotesk und damit äußerst empfehlenswert, schließt Schneider.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.04.2023Ich bin
mein Esstisch
Zwölf tolle Monologe, in denen
die Figuren sich einreden,
glückliche Menschen zu sein
Er ist der Leander-Typ. Und stolz darauf. Zugleich aber hasst er sich dafür. Läuft durchs Möbelhaus, will ein Sofa kaufen aus der Leander-Serie. Sieht gut aus. Kann sich nicht jeder leisten. Ist aber nicht wirklich individuell. Denn es gibt zu viele Typen wie ihn, Leander-Typen. Berechenbar für die Konsumgüterindustrie. Durchschaubar aber will er nicht sein. Doch soll er sich nur deshalb das hässliche Prollsofa mit Rosenmusterbezug in sein Wohnzimmer stellen?
Dieser Kerl, gespielt von Bastian Pastewka, ist die erste von einem Dutzend Figuren, die durch Ingrid Lausunds Hörstück „Bin nebenan“ taumeln. Alle führen sie innere Monologe, in denen sie mit sich und den Umständen hadern. Stets geht es um ihre Wohnungen, die häufig Ausdruck ihres Selbst sind, in den meistens Episoden halten sie sich in ihnen auf. Aber sie sind, im übertragenen Sinn, nie wirklich zu Hause, sondern, wie es der Titel sagt: nebenan. Also nicht ganz bei sich. Nicht im Reinen mit sich und den Dingen. Obwohl sie sich das Gegenteil hartnäckig einzureden versuchen.
Lausund hat starke Monologe geschrieben, die zum wunden Punkt einer jeden Figur führen. Ohne diese Figuren zu verraten oder zum Abschuss freizugeben. Einige sind unsicher, andere verzweifelt, manche zornig oder selbstgefällig. Aber nie in einem monströsen, einem abstoßenden Ausmaß. Alle sind sie mit irgendetwas unzufrieden, wenn sie nicht sogar gescheitert sind. Matthias Brandt spricht in der Episode „Haus“ einen Mann, der überschuldet ist und dessen Haus zwangsversteigert werden soll. Worüber die Ehe zerbricht. Was in dem Mann finstere Pläne reifen lässt.
Katrin Wichmann spricht in „Esstisch“ eine Frau, die sich die Wohnung ihrer Träume geschaffen hat, gemeinsam mit ihrem Partner. Nur gibt es diese Partnerschaft nicht mehr. Die beiden leben nach wie vor in ihrem Wohntraum, gehen einander dort aber aus dem Weg. In „Bild“ mit Lina Beckmann hat sich die Mutter der Episodenfigur in deren Wohnung so unverrückbar festgesetzt wie ein Einbauschrank. Angelika Richter in „Badezimmer“ und Fritzi Haberlandt in „Teekanne“ können im Reflektieren über ihre Wünsche und Weltsichten Ressentiments nicht verhehlen. Obwohl sie sehr ringen um Aufgeschlossenheit.
Fulminant ist die zehnminütige Suada von Jens Harzer, eine Männerfantasie der schlimmeren Sorte, vertreten mit einer staunenswerten Selbstsicherheit. Und dadurch aber: eben auch sehr lustig. Das ist die Qualität der Autorin Ingrid Lausund und auch von Bjarne Mädel, der sich und seine Schauspielerkollegen und -kolleginnen inszeniert hat in dem Hörspiel: die Ironie, auch Selbstironie, die in vielen Gedankengängen steckt und sich nie zur Satire steigert. Also nie überdreht, überreizt. Es sind Charaktere, denen wir zuhören, nie Karikaturen.
Mit einer Ausnahme, die trotzdem nicht aus dem Rahmen fällt: Sophie Rois spricht in „Accessoires“ eine Frau, die als Accessoires ausschließlich Geld hat und nur in Beträgen spricht: mein Hunderter, mein Zwanzigtausender. Auch das ist ein Reiz von „Bin nebenan“: Man bekommt nicht zwölf Varianten des gleichen Grundschemas. Sondern stets anders gelagerte Konflikte und jeweils neue potenzielle Adressaten der Monologe.
STEFAN FISCHER
Ingrid Lausund: Bin nebenan. Monologe für zuhause. Mit Bjarne Mädel, Matthias Brandt, Fritzi Haberlandt, u. a. 1 CD, 4 h. Speak low, Berlin 2023, 25 Euro.
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mein Esstisch
Zwölf tolle Monologe, in denen
die Figuren sich einreden,
glückliche Menschen zu sein
Er ist der Leander-Typ. Und stolz darauf. Zugleich aber hasst er sich dafür. Läuft durchs Möbelhaus, will ein Sofa kaufen aus der Leander-Serie. Sieht gut aus. Kann sich nicht jeder leisten. Ist aber nicht wirklich individuell. Denn es gibt zu viele Typen wie ihn, Leander-Typen. Berechenbar für die Konsumgüterindustrie. Durchschaubar aber will er nicht sein. Doch soll er sich nur deshalb das hässliche Prollsofa mit Rosenmusterbezug in sein Wohnzimmer stellen?
Dieser Kerl, gespielt von Bastian Pastewka, ist die erste von einem Dutzend Figuren, die durch Ingrid Lausunds Hörstück „Bin nebenan“ taumeln. Alle führen sie innere Monologe, in denen sie mit sich und den Umständen hadern. Stets geht es um ihre Wohnungen, die häufig Ausdruck ihres Selbst sind, in den meistens Episoden halten sie sich in ihnen auf. Aber sie sind, im übertragenen Sinn, nie wirklich zu Hause, sondern, wie es der Titel sagt: nebenan. Also nicht ganz bei sich. Nicht im Reinen mit sich und den Dingen. Obwohl sie sich das Gegenteil hartnäckig einzureden versuchen.
Lausund hat starke Monologe geschrieben, die zum wunden Punkt einer jeden Figur führen. Ohne diese Figuren zu verraten oder zum Abschuss freizugeben. Einige sind unsicher, andere verzweifelt, manche zornig oder selbstgefällig. Aber nie in einem monströsen, einem abstoßenden Ausmaß. Alle sind sie mit irgendetwas unzufrieden, wenn sie nicht sogar gescheitert sind. Matthias Brandt spricht in der Episode „Haus“ einen Mann, der überschuldet ist und dessen Haus zwangsversteigert werden soll. Worüber die Ehe zerbricht. Was in dem Mann finstere Pläne reifen lässt.
Katrin Wichmann spricht in „Esstisch“ eine Frau, die sich die Wohnung ihrer Träume geschaffen hat, gemeinsam mit ihrem Partner. Nur gibt es diese Partnerschaft nicht mehr. Die beiden leben nach wie vor in ihrem Wohntraum, gehen einander dort aber aus dem Weg. In „Bild“ mit Lina Beckmann hat sich die Mutter der Episodenfigur in deren Wohnung so unverrückbar festgesetzt wie ein Einbauschrank. Angelika Richter in „Badezimmer“ und Fritzi Haberlandt in „Teekanne“ können im Reflektieren über ihre Wünsche und Weltsichten Ressentiments nicht verhehlen. Obwohl sie sehr ringen um Aufgeschlossenheit.
Fulminant ist die zehnminütige Suada von Jens Harzer, eine Männerfantasie der schlimmeren Sorte, vertreten mit einer staunenswerten Selbstsicherheit. Und dadurch aber: eben auch sehr lustig. Das ist die Qualität der Autorin Ingrid Lausund und auch von Bjarne Mädel, der sich und seine Schauspielerkollegen und -kolleginnen inszeniert hat in dem Hörspiel: die Ironie, auch Selbstironie, die in vielen Gedankengängen steckt und sich nie zur Satire steigert. Also nie überdreht, überreizt. Es sind Charaktere, denen wir zuhören, nie Karikaturen.
Mit einer Ausnahme, die trotzdem nicht aus dem Rahmen fällt: Sophie Rois spricht in „Accessoires“ eine Frau, die als Accessoires ausschließlich Geld hat und nur in Beträgen spricht: mein Hunderter, mein Zwanzigtausender. Auch das ist ein Reiz von „Bin nebenan“: Man bekommt nicht zwölf Varianten des gleichen Grundschemas. Sondern stets anders gelagerte Konflikte und jeweils neue potenzielle Adressaten der Monologe.
STEFAN FISCHER
Ingrid Lausund: Bin nebenan. Monologe für zuhause. Mit Bjarne Mädel, Matthias Brandt, Fritzi Haberlandt, u. a. 1 CD, 4 h. Speak low, Berlin 2023, 25 Euro.
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