Westberlin im Jahr 1987: Die leichtlebige DDR-Aussiedlerin Soja trifft den Westberliner Harry: groß, still-entschlossen, abgründige Vergangenheit, düstere Zukunft. Und fortan bestimmt sein Schicksal ihr Leben. Geblieben ist ein Schulheft mit undatierten Einträgen, in denen Harry festhielt, was ihn beschäftigte. Vieles kommt vor, eine fehlt: Soja. Jahre später macht sie sich daran, die gemeinsame Geschichte zu erzählen. Geist und Sinnlichkeit gehören bei Katja Lange-Müller zusammen wie Ein- und Ausatmen - eine Lesung, die Herz und Verstand erobert und noch lange im Hörer nachhallen wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2008Über den Tod hinaus
Sommerlesungen
Gerade ist bekanntgeworden, dass in diesem Herbst Josef Winkler (Foto) mit dem Büchnerpreis ausgezeichnet wird, dem angesehensten deutschen Literaturpreis. Den Frankfurter Lesern ist der österreichische Schriftsteller freilich bereits wohlvertraut. Nicht nur im Literaturhaus hat der Autor schon öfters gelesen, sondern er hielt vergangenen Winter auch die Poetikvorlesungen an der Goethe-Universität und lebte Mitte der neunziger Jahre als Stadtschreiber in Bergen-Enkheim.
Am Montag, 30. Juni, um 20 Uhr kommt Winkler nun wieder ins Frankfurter Literaturhaus. Er präsentiert dort sein neues Buch "Roppongi. Requiem für einen Vater", in dem er offen und persönlich und in gewohnt radikaler, sinnlicher Sprache von seinem Vater Abschied nimmt. Noch einmal wird dieser "Ackermann aus Kärnten" als ein übermächtiger, strafender und liebloser Patriarch vorgestellt, der seinen kleinen Sohn niemals auch nur auf den Schoß nehmen wollte.
"Ich sag dir eines, wenn es so weit ist, möchte ich nicht, dass du zu meinem Begräbnis kommst", hatte der alte Mann geschimpft, weil er sich darüber ärgerte, dass Winkler, der "Sauhund", über seine Nachbarn aus dem Heimatdorf "Unwahrheiten" geschrieben habe. Als Winkler dann vom Tod seines 99 Jahre alten Vaters erfuhr, war er gerade in Roppongi, einem Stadtteil von Tokio. Er verpasste die Beerdigung tatsächlich. Und stellte sich deshalb in seinem neuen Buch die Zeremonie im Kreise der "verhassten Dorfgemeinschaft" bis ins kleinste Detail vor - verbunden mit Berichten seiner Reisen nach Varanasi und den dortigen Bestattungsritualen sowie Erinnerungen an das bedrückende Kärtner Dorfleben.
Eine Liebesgeschichte über den Tod hinaus schildert Katja Lange-Müller in ihrem Roman "Böse Schafe", aus dem sie am Sonntag, 13. Juli, um 11 Uhr bei den Burgfestspielen Bad Vilbel liest: Ende der achtziger Jahre trifft die Ostfrau Soja den Westjunkie Harry in West-Berlin. In schnoddrigem Ton, aber doch zärtlich berichtet die Ich-Erzählerin viele Jahre später von dieser Begegnung, die für sie die große Liebe war. Noch immer spricht sie so liebevoll und wütend mit dem Toten, als würde er leben, verdrängend, dass er ihre Gefühle wohl nicht erwiderte.
KATHARINA DESCHKA-HOECK
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Sommerlesungen
Gerade ist bekanntgeworden, dass in diesem Herbst Josef Winkler (Foto) mit dem Büchnerpreis ausgezeichnet wird, dem angesehensten deutschen Literaturpreis. Den Frankfurter Lesern ist der österreichische Schriftsteller freilich bereits wohlvertraut. Nicht nur im Literaturhaus hat der Autor schon öfters gelesen, sondern er hielt vergangenen Winter auch die Poetikvorlesungen an der Goethe-Universität und lebte Mitte der neunziger Jahre als Stadtschreiber in Bergen-Enkheim.
Am Montag, 30. Juni, um 20 Uhr kommt Winkler nun wieder ins Frankfurter Literaturhaus. Er präsentiert dort sein neues Buch "Roppongi. Requiem für einen Vater", in dem er offen und persönlich und in gewohnt radikaler, sinnlicher Sprache von seinem Vater Abschied nimmt. Noch einmal wird dieser "Ackermann aus Kärnten" als ein übermächtiger, strafender und liebloser Patriarch vorgestellt, der seinen kleinen Sohn niemals auch nur auf den Schoß nehmen wollte.
"Ich sag dir eines, wenn es so weit ist, möchte ich nicht, dass du zu meinem Begräbnis kommst", hatte der alte Mann geschimpft, weil er sich darüber ärgerte, dass Winkler, der "Sauhund", über seine Nachbarn aus dem Heimatdorf "Unwahrheiten" geschrieben habe. Als Winkler dann vom Tod seines 99 Jahre alten Vaters erfuhr, war er gerade in Roppongi, einem Stadtteil von Tokio. Er verpasste die Beerdigung tatsächlich. Und stellte sich deshalb in seinem neuen Buch die Zeremonie im Kreise der "verhassten Dorfgemeinschaft" bis ins kleinste Detail vor - verbunden mit Berichten seiner Reisen nach Varanasi und den dortigen Bestattungsritualen sowie Erinnerungen an das bedrückende Kärtner Dorfleben.
Eine Liebesgeschichte über den Tod hinaus schildert Katja Lange-Müller in ihrem Roman "Böse Schafe", aus dem sie am Sonntag, 13. Juli, um 11 Uhr bei den Burgfestspielen Bad Vilbel liest: Ende der achtziger Jahre trifft die Ostfrau Soja den Westjunkie Harry in West-Berlin. In schnoddrigem Ton, aber doch zärtlich berichtet die Ich-Erzählerin viele Jahre später von dieser Begegnung, die für sie die große Liebe war. Noch immer spricht sie so liebevoll und wütend mit dem Toten, als würde er leben, verdrängend, dass er ihre Gefühle wohl nicht erwiderte.
KATHARINA DESCHKA-HOECK
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»Eine der sprachmächtigsten Autorinnen der deutschen Gegenwartsliteratur.« Süddeutsche Zeitung 20130518