An der Seite ihres lebenslustigen Vaters genießt die 17-jährige Cecile das Leben, die erste Liebe und einen langen Sommer an der französischen Riviera. Als sich ihr Vater in die erfolgreiche Modedesignerin Anne verliebt, versucht Cecile den "Eindringling" mit einer Intrige aus dem Weg zu räumen, die tragisch endet.
Iris Berben hat dem Lebensgefühl, dieser Mischung aus unbestimmter Traurigkeit, luxuriöser Langeweile und wohliger Melancholie, das Fran oise Sagan so einzigartig beschreiben konnte, ihre kongeniale Stimme gegeben.
Iris Berben hat dem Lebensgefühl, dieser Mischung aus unbestimmter Traurigkeit, luxuriöser Langeweile und wohliger Melancholie, das Fran oise Sagan so einzigartig beschreiben konnte, ihre kongeniale Stimme gegeben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2017Schnell lieben, heftig, flüchtig
Der Roman war ein Skandal, das Leben seiner Autorin auch: Jetzt erscheint "Bonjour Tristesse" von Françoise Sagan endlich in einer neuen Übersetzung
Was für ein Buch, immer noch. Oder zum ersten Mal. Oder eben schon wieder, zum zweiten, dritten, vierten Mal. Denn egal, wie oft man "Bonjour Tristesse" liest: Jedes Mal kann man erst einmal nicht fassen, in welchem Ausmaß an diesem Debüt einfach alles stimmt, der Titel, der Stil, der Plot, die kurze Länge, ja selbst der Name der Autorin und ihr Alter: Neunzehn Jahre war Françoise Sagan, als sie es in nur wenigen Wochen schrieb, damals, 1954.
Und wüsste man nicht, dass es vor "Bonjour Tristesse" schon ein paar andere Romane gegeben hatte, die in der gleichen Gegend vom gleichen tödlichen Herzschmerz erzählen, "Zärtlich ist die Nacht" von F. Scott Fitzgerald zum Beispiel: Man könnte denken, dass Françoise Sagan die Côte d'Azur überhaupt erst erfunden hat. Ihr Roman war gewissermaßen ein performativer Akt, der eine Welt in die Welt gesetzt hat, indem er sie in Worte fasste.
Eine Welt, nach der sich bis heute vor allem Menschen sehnen, die nicht Franzosen sind: Strand und steile Küstenstraßen, an deren Rändern sich Piniennadeln sammeln, Ferienhäuser am Meer, ausgelegt mit kühlen Fliesen, bevölkert von Männern und Frauen, die schnelle Autos fahren und schwarzen Kaffee und Orangen frühstücken und rauchen, als könnten sie anders nicht atmen. Und die sich umso unglücklicher machen, je schöner sie sind.
Es stimmt natürlich nicht, dass Sagan all das erfunden hätte, im Gegenteil: Sie hat sogar Elemente ihres eigenen, jungen Lebens in der Geschichte von Cécile verarbeitet. Und doch ist die identifikatorische Kraft ihres ersten Romans enorm gewesen, ist es bis heute geblieben: Dieses verzehrende Gefühl, jede Seite, die man gelesen hat, sofort nachleben zu wollen, selbst wenn die Geschichte von "Bonjour Tristesse" die eines unausweichlichen Unglücks ist. Nein, das ist es ja gerade, es ist genau dieses Unglück im Sonnenschein, dass so anziehend wirkt.
"Es war Sommer." Das ist ein typischer Satz aus "Bonjour Tristesse", stilistisch sparsam, setzt er aber mit autoritärer Selbstgewissheit die Szene. "Es war Sommer": In drei Worten ist da auf der dritten Seite des Romans schon alles gesagt, was man wissen muss, geschrieben im Bewusstsein, deswegen auch nicht mehr erklären zu müssen. Sommer, das heißt rechtsfreier Raum, der Mensch noch mal neu, in anderer Temperatur; Sommer, das heißt gefährliche Langeweile, die Wünsche hervorbringt, die man mit kühlerem Kopf vielleicht nicht hätte oder jedenfalls nicht auszuleben wagte.
Im Fall von Cécile ist es der Wunsch nach einem Leben ohne Konsequenz, "schnell lieben, heftig und flüchtig". Sagt sie jedenfalls. Handelt auch danach. Alles ist möglich, keinem tut was weh, jeder ist frei, also lieben wir, so weit wir es damit treiben können. Die Halbwaise Cécile lebt seit zwei Jahren bei ihrem Vater Raymond, die beiden sind über den Sommer am Mittelmeer, irgendwo bei Fréjus, Cécile küsst sich mit Cyril, Raymond hat seine junge Freundin Elsa mitgebracht, aber bald auch Anne eingeladen, die nicht mehr ganz so jung ist, aber von so einer kühlen Schönheit und Klugheit, dass Cécile nicht weiß, ob sie Anne lieben oder fürchten soll. Sie tut beides, und als dann ihr Vater plötzlich verkündet, Anne heiraten zu wollen, inszeniert sie eine Intrige, die tödlich endet.
Aber tut sie das? Inszeniert Cécile, handelt sie? Oder schaut sie sich, blinzelnd durch die Wassertropfen auf ihren Wimpern, Sand auf ihrer Haut, selbst fasziniert nur dabei zu, wie sie Elsa und Cyril benutzt, um Raymond eifersüchtig zu machen, damit der Anne so verletzt, dass sie geht? Sie geht dann für immer. Zurück bleiben der Vater und die Tochter, vereint in ewiger Siebzehnjährigkeit: "Man muss meinen Vater schützen", sagt Cécile irgendwann, "er ist ein großes Kind . . . ein großes Kind."
"Bonjour Tristesse" jetzt noch einmal zu lesen, in der neuen Übersetzung von Rainer Moritz, der zweiten überhaupt nach der ersten von Helga Treichl aus dem Jahr 1955, ist zwar nicht weniger aufwühlend und erregend als beim allerersten Mal. Und doch gibt diese neue Ausgabe einem jetzt auch die Chance, auf all das zu achten, was bislang, im Feuer der Überidentifikation (genauso leben, genauso lieben, Ferien für immer!), keine Rolle spielte. Zum Beispiel: Wer erzählt da eigentlich und von wo und wann aus? Wer schaut zurück auf einen tödlichen Sommer? Ist es Cécile, aber inzwischen so alt wie Cyril, sechsundzwanzig? Oder Cécile, Anfang vierzig wie Anne? Oder noch älter? Ist es der schreibende Versuch, alles noch einmal erleben zu dürfen, oder legt sie Rechenschaft ab?
Sagans Roman gibt wenige direkte Hinweise darauf, "selbst heute noch", heißt es einmal, eine seltene Stelle, "kann ich mich nicht an diese Unsitte der Leute gewöhnen, dass sie einen anstarren, wenn sie mit einem sprechen" - dabei ist die Frage, wer spricht, zentral, um zu verstehen, wie schicksalhaft es war, was da geschah. Verschleiert Cécile, wie bewusst ihr war, was sie tat? Oder versteht sie - "selbst heute noch" - nicht, warum sie damals Schicksal spielte? So explosiv die Lebensfreiheit dieses Romans auch ist, wie explosiv wird sie erst 1954 gewirkt haben, neun Jahre nach dem Krieg, vierzehn vor 1968: "Bonjour Tristesse" ist eine Reflexion über menschliche Freiheit - und zugleich darüber, dass man gar nicht jung genug sein kann, um Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen.
Kann alles so sein. Steht da so zwischen den Zeilen und den Piniennadeln. Aber trotzdem, und das ist das Wunder dieses kurzen Romans und sein großer Reiz, trotzdem liest man ihn, wie man die "Swimming Pool"-Filme mit Alain Delon und Romy Schneider oder Charlotte Rampling und Ludivine Sagnier anschaut: hingerissen von der Sinnlichkeit, von der kalten Eleganz des Stils, von der kriminellen Energie der Liebe und der Leidenschaft des Egos.
Da gibt es diese atemlos angedeuteten Sexszenen, Cécile und Cyril auf einem Segelboot. Da gibt es Anne, die Cécile eine brennende Zigarette in den Mund steckt. Da gibt es diese Sätze: "Ich bin mir sicher, dass die meisten meiner damaligen Vergnügungen dem Geld zu verdanken waren: das Vergnügen, in einem schnellen Auto zu fahren, ein neues Kleid zu bekommen, Schallplatten zu kaufen, Bücher, Blumen." Oder: "Ich entdeckte das Vergnügen des Küssens. Ich gebe diesen Erinnerungen keine Namen: Jean, Hubert, Jacques. Namen, die allen jungen Mädchen geläufig sind." Oder: "Dieser Sommer hielt mich mit seiner ganzen Wucht im Sand fest, mit schweren Armen und ausgetrocknetem Mund", oder, der herrlichste von allen: "Ich war siebzehn in jenem Sommer und vollkommen glücklich."
Rainer Moritz, der neue, elegante Übersetzer, hat sich entschieden, das letzte Wort des Romans, "Tristesse", mit "Trauer" zu übersetzen, nicht mit "Traurigkeit", wie das Helga Treichl 1955 getan hatte - weil Trauer, wie Moritz, danach befragt, erklärt, "die moralischen Grundfragen des Romans stärker gewichtet, also dem nachträglichen Empfinden Céciles mehr Ernst gibt, als im Wort ,Traurigkeit' steckt." Beide Varianten seien allerdings möglich - und es ist genau dieses Flimmern der Bedeutung, was den Roman so unwiderstehlich macht. Cécile könnte traurig sein, dass dieser Sommer vorbei ist und nie wiederkommt - oder Anne betrauern, die sie letztlich in den Tod getrieben hat, als Komplizin der Lebensgeilheit ihres Vaters, der, weil er ein Mann ist, sich nimmt, was er kriegen kann, wer sollte ihn aufhalten. Cécile hat das auch versucht, aber wie wenig selbstverständlich das für eine junge Frau ist: Auch davon handelt "Bonjour Tristesse".
"Sagans Frauenfiguren Cécile und Anne waren für die fünfziger Jahre ein progressiv-feministischer Beitrag zu einem Wandel des Frauenbildes. Doch an dem Zweifel, Frauen als Männern gleichwertig zu betrachten, hat sich bis heute nichts geändert", schreibt die Schriftstellerin Sybille Berg in ihrem klugen Nachwort, das auch das freie, verschwenderische, schnelle Leben der Autorin Françoise Sagan feiert, die Drogen und Rennwagen liebte und ihrem Sohn nach ihrem Tod 2004 einen ordentlichen Berg Schulden hinterließ. "Egal, ob Frauen humorvoll, kämpferisch, selbstbewusst, mit faktischem Wissen und studiertem Intellekt in Erscheinung treten, es herrscht immer noch großes Befremden, dass sie reden können. Dass sie Ansprüche haben. Der Hass auf Frauen hält sich länger als jede Seuche." Bonjour Tristesse.
TOBIAS RÜTHER
Françoise Sagan: "Bonjour Tristesse". Roman. Aus dem Französischen von Rainer Moritz. Mit einem Nachwort von Sybille Berg. Ullstein, 176 Seiten, 18 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Roman war ein Skandal, das Leben seiner Autorin auch: Jetzt erscheint "Bonjour Tristesse" von Françoise Sagan endlich in einer neuen Übersetzung
Was für ein Buch, immer noch. Oder zum ersten Mal. Oder eben schon wieder, zum zweiten, dritten, vierten Mal. Denn egal, wie oft man "Bonjour Tristesse" liest: Jedes Mal kann man erst einmal nicht fassen, in welchem Ausmaß an diesem Debüt einfach alles stimmt, der Titel, der Stil, der Plot, die kurze Länge, ja selbst der Name der Autorin und ihr Alter: Neunzehn Jahre war Françoise Sagan, als sie es in nur wenigen Wochen schrieb, damals, 1954.
Und wüsste man nicht, dass es vor "Bonjour Tristesse" schon ein paar andere Romane gegeben hatte, die in der gleichen Gegend vom gleichen tödlichen Herzschmerz erzählen, "Zärtlich ist die Nacht" von F. Scott Fitzgerald zum Beispiel: Man könnte denken, dass Françoise Sagan die Côte d'Azur überhaupt erst erfunden hat. Ihr Roman war gewissermaßen ein performativer Akt, der eine Welt in die Welt gesetzt hat, indem er sie in Worte fasste.
Eine Welt, nach der sich bis heute vor allem Menschen sehnen, die nicht Franzosen sind: Strand und steile Küstenstraßen, an deren Rändern sich Piniennadeln sammeln, Ferienhäuser am Meer, ausgelegt mit kühlen Fliesen, bevölkert von Männern und Frauen, die schnelle Autos fahren und schwarzen Kaffee und Orangen frühstücken und rauchen, als könnten sie anders nicht atmen. Und die sich umso unglücklicher machen, je schöner sie sind.
Es stimmt natürlich nicht, dass Sagan all das erfunden hätte, im Gegenteil: Sie hat sogar Elemente ihres eigenen, jungen Lebens in der Geschichte von Cécile verarbeitet. Und doch ist die identifikatorische Kraft ihres ersten Romans enorm gewesen, ist es bis heute geblieben: Dieses verzehrende Gefühl, jede Seite, die man gelesen hat, sofort nachleben zu wollen, selbst wenn die Geschichte von "Bonjour Tristesse" die eines unausweichlichen Unglücks ist. Nein, das ist es ja gerade, es ist genau dieses Unglück im Sonnenschein, dass so anziehend wirkt.
"Es war Sommer." Das ist ein typischer Satz aus "Bonjour Tristesse", stilistisch sparsam, setzt er aber mit autoritärer Selbstgewissheit die Szene. "Es war Sommer": In drei Worten ist da auf der dritten Seite des Romans schon alles gesagt, was man wissen muss, geschrieben im Bewusstsein, deswegen auch nicht mehr erklären zu müssen. Sommer, das heißt rechtsfreier Raum, der Mensch noch mal neu, in anderer Temperatur; Sommer, das heißt gefährliche Langeweile, die Wünsche hervorbringt, die man mit kühlerem Kopf vielleicht nicht hätte oder jedenfalls nicht auszuleben wagte.
Im Fall von Cécile ist es der Wunsch nach einem Leben ohne Konsequenz, "schnell lieben, heftig und flüchtig". Sagt sie jedenfalls. Handelt auch danach. Alles ist möglich, keinem tut was weh, jeder ist frei, also lieben wir, so weit wir es damit treiben können. Die Halbwaise Cécile lebt seit zwei Jahren bei ihrem Vater Raymond, die beiden sind über den Sommer am Mittelmeer, irgendwo bei Fréjus, Cécile küsst sich mit Cyril, Raymond hat seine junge Freundin Elsa mitgebracht, aber bald auch Anne eingeladen, die nicht mehr ganz so jung ist, aber von so einer kühlen Schönheit und Klugheit, dass Cécile nicht weiß, ob sie Anne lieben oder fürchten soll. Sie tut beides, und als dann ihr Vater plötzlich verkündet, Anne heiraten zu wollen, inszeniert sie eine Intrige, die tödlich endet.
Aber tut sie das? Inszeniert Cécile, handelt sie? Oder schaut sie sich, blinzelnd durch die Wassertropfen auf ihren Wimpern, Sand auf ihrer Haut, selbst fasziniert nur dabei zu, wie sie Elsa und Cyril benutzt, um Raymond eifersüchtig zu machen, damit der Anne so verletzt, dass sie geht? Sie geht dann für immer. Zurück bleiben der Vater und die Tochter, vereint in ewiger Siebzehnjährigkeit: "Man muss meinen Vater schützen", sagt Cécile irgendwann, "er ist ein großes Kind . . . ein großes Kind."
"Bonjour Tristesse" jetzt noch einmal zu lesen, in der neuen Übersetzung von Rainer Moritz, der zweiten überhaupt nach der ersten von Helga Treichl aus dem Jahr 1955, ist zwar nicht weniger aufwühlend und erregend als beim allerersten Mal. Und doch gibt diese neue Ausgabe einem jetzt auch die Chance, auf all das zu achten, was bislang, im Feuer der Überidentifikation (genauso leben, genauso lieben, Ferien für immer!), keine Rolle spielte. Zum Beispiel: Wer erzählt da eigentlich und von wo und wann aus? Wer schaut zurück auf einen tödlichen Sommer? Ist es Cécile, aber inzwischen so alt wie Cyril, sechsundzwanzig? Oder Cécile, Anfang vierzig wie Anne? Oder noch älter? Ist es der schreibende Versuch, alles noch einmal erleben zu dürfen, oder legt sie Rechenschaft ab?
Sagans Roman gibt wenige direkte Hinweise darauf, "selbst heute noch", heißt es einmal, eine seltene Stelle, "kann ich mich nicht an diese Unsitte der Leute gewöhnen, dass sie einen anstarren, wenn sie mit einem sprechen" - dabei ist die Frage, wer spricht, zentral, um zu verstehen, wie schicksalhaft es war, was da geschah. Verschleiert Cécile, wie bewusst ihr war, was sie tat? Oder versteht sie - "selbst heute noch" - nicht, warum sie damals Schicksal spielte? So explosiv die Lebensfreiheit dieses Romans auch ist, wie explosiv wird sie erst 1954 gewirkt haben, neun Jahre nach dem Krieg, vierzehn vor 1968: "Bonjour Tristesse" ist eine Reflexion über menschliche Freiheit - und zugleich darüber, dass man gar nicht jung genug sein kann, um Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen.
Kann alles so sein. Steht da so zwischen den Zeilen und den Piniennadeln. Aber trotzdem, und das ist das Wunder dieses kurzen Romans und sein großer Reiz, trotzdem liest man ihn, wie man die "Swimming Pool"-Filme mit Alain Delon und Romy Schneider oder Charlotte Rampling und Ludivine Sagnier anschaut: hingerissen von der Sinnlichkeit, von der kalten Eleganz des Stils, von der kriminellen Energie der Liebe und der Leidenschaft des Egos.
Da gibt es diese atemlos angedeuteten Sexszenen, Cécile und Cyril auf einem Segelboot. Da gibt es Anne, die Cécile eine brennende Zigarette in den Mund steckt. Da gibt es diese Sätze: "Ich bin mir sicher, dass die meisten meiner damaligen Vergnügungen dem Geld zu verdanken waren: das Vergnügen, in einem schnellen Auto zu fahren, ein neues Kleid zu bekommen, Schallplatten zu kaufen, Bücher, Blumen." Oder: "Ich entdeckte das Vergnügen des Küssens. Ich gebe diesen Erinnerungen keine Namen: Jean, Hubert, Jacques. Namen, die allen jungen Mädchen geläufig sind." Oder: "Dieser Sommer hielt mich mit seiner ganzen Wucht im Sand fest, mit schweren Armen und ausgetrocknetem Mund", oder, der herrlichste von allen: "Ich war siebzehn in jenem Sommer und vollkommen glücklich."
Rainer Moritz, der neue, elegante Übersetzer, hat sich entschieden, das letzte Wort des Romans, "Tristesse", mit "Trauer" zu übersetzen, nicht mit "Traurigkeit", wie das Helga Treichl 1955 getan hatte - weil Trauer, wie Moritz, danach befragt, erklärt, "die moralischen Grundfragen des Romans stärker gewichtet, also dem nachträglichen Empfinden Céciles mehr Ernst gibt, als im Wort ,Traurigkeit' steckt." Beide Varianten seien allerdings möglich - und es ist genau dieses Flimmern der Bedeutung, was den Roman so unwiderstehlich macht. Cécile könnte traurig sein, dass dieser Sommer vorbei ist und nie wiederkommt - oder Anne betrauern, die sie letztlich in den Tod getrieben hat, als Komplizin der Lebensgeilheit ihres Vaters, der, weil er ein Mann ist, sich nimmt, was er kriegen kann, wer sollte ihn aufhalten. Cécile hat das auch versucht, aber wie wenig selbstverständlich das für eine junge Frau ist: Auch davon handelt "Bonjour Tristesse".
"Sagans Frauenfiguren Cécile und Anne waren für die fünfziger Jahre ein progressiv-feministischer Beitrag zu einem Wandel des Frauenbildes. Doch an dem Zweifel, Frauen als Männern gleichwertig zu betrachten, hat sich bis heute nichts geändert", schreibt die Schriftstellerin Sybille Berg in ihrem klugen Nachwort, das auch das freie, verschwenderische, schnelle Leben der Autorin Françoise Sagan feiert, die Drogen und Rennwagen liebte und ihrem Sohn nach ihrem Tod 2004 einen ordentlichen Berg Schulden hinterließ. "Egal, ob Frauen humorvoll, kämpferisch, selbstbewusst, mit faktischem Wissen und studiertem Intellekt in Erscheinung treten, es herrscht immer noch großes Befremden, dass sie reden können. Dass sie Ansprüche haben. Der Hass auf Frauen hält sich länger als jede Seuche." Bonjour Tristesse.
TOBIAS RÜTHER
Françoise Sagan: "Bonjour Tristesse". Roman. Aus dem Französischen von Rainer Moritz. Mit einem Nachwort von Sybille Berg. Ullstein, 176 Seiten, 18 Euro
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