Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 18,71 €
Produktdetails
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Friederike Mayröcker wurde am 20. Dezember 1924 in Wien geboren und starb am 4. Juni 2021 ebendort. Sie besuchte zunächst die Private Volksschule, ging dann auf die Hauptschule und besuchte schließlich die kaufmännische Wirtschaftsschule. Die Sommermonate verbrachte sie bis zu ihrem 11. Lebensjahr stets in Deinzendorf, welche einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterließen. Nach der Matura legte sie die Staatsprüfung auf Englisch ab und arbeitete zwischen 1946 bis 1969 als Englischlehrerin an verschiedenen Wiener Hauptschulen. Bereits 1939 begann sie mit ersten literarischen Arbeiten, sieben Jahre später folgten kleinere Veröffentlichungen von Gedichten. Im Jahre 1954 lernte sie Ernst Jandl kennen, mit dem sie zunächst eine enge Freundschaft verbindet, später wird sie zu seiner Lebensgefährtin. Nach ersten Gedichtveröffentlichungen in der Wiener Avantgarde-Zeitschrift "Plan" erfolgte 1956 ihre erste Buchveröffentlichung. Seitdem folgten Lyrik und Prosa, Erzählungen und Hörspiele, Kinderbücher und Bühnentexte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.1998

Die Gelüste des Pappkameraden
Vertan, versäumt, verloren: Friederike Mayröckers seufzende Gärten / Von Ernst Osterkamp

Ein atemloses, ein wunderbares Buch! "Du fragst, wovon handelt die ganze Sache? Es handelt von nichts", sagt die Ich-Erzählerin zu Blum, dem als "einziger Konstante" ihres Lebens die Rolle eines "fiktiven Ohrs" und damit eine "Art Schweigepart" in ihrem Text zugewiesen wird. Doch es geht um nicht weniger als das Leben.

"Wo bleiben die großen Themen, frage ich mich, sage ich zu Blum, die weltbewegenden Themen, 1 Säckchen mit Medikamenten fällt zu Boden, gibt mir die Antwort, mein Leben liegt vor mir auf dem Boden, wie engstirnig auch immer die Perspektive." Über die "weltbewegenden" aktuellen Probleme in Politik und Gesellschaft wird man in Friederike Mayröckers neuem Buch nichts finden. Doch könnten ihre Themen größer nicht sein: Es sind Liebe und Tod. "Ich erlebe nun eine Liebesgeschichte: meine letzte", diesen Satz, den sie dem Brief eines Freundes entnommen hat, stellt die Erzählerin an den Anfang ihres Buches. Zunächst hatte sie ihn mit dem Wort "vermutlich" abmildern wollen. Aber sie gönnt sich diesen trügerischen Trost nicht mehr.

Denn die Erzählerin ist eine alte Frau, sie weiß genau, daß diese Liebesgeschichte ihre letzte sein wird. Und so erzählt sie, indem sie von ihrer Liebe spricht, um ihr Leben. Deshalb fällt es ihr auch so schwer, ein Ende für ihre Erzählung zu finden, mag die Liebe selbst auch schon längst zu Ende gegangen sein. Denn solange sie an ihrer Liebe festhält und von ihr erzählt, lebt sie: erlebt sie Glück und Unglück. An das Ende ihres Buches aber denkt sie wie "an das Ende des Lebens". Auch das erklärt den für Friederike Mayröcker ungewöhnlichen Umfang des neuen Buchs: "da sei etwas noch offen, unversorgt, am Korpus dieser Schrift, etwas blute noch, zeige Wundmale, sei nicht verheilt. Alles müsse verheilt sein, sage ich zu Blum, dann erst besäße der Text Gültigkeit und dürfe als abgeschlossen gelten, nicht wahr." Wohl wahr. Aber die Heilung tritt hier nicht ein, die kann vermutlich nur der Tod bringen.

Gegen den Tod aber schreibt die Erzählerin mit staunenswerter Kraft an, indem sie von ihrer Liebe spricht: "ich hasse den Tod, ich verpasse ihm den Todeskuß, es ist 1 Unrecht 1 Frevel 1 Skandal, daß es den Tod gibt." Denn nicht nur alle Lust, sondern auch alles Schreiben will Ewigkeit, und so steht am Schluß dieses Buches das Eingeständnis, "daß ich permanente provokative Bücher zu schreiben vorhabe, in alle Ewigkeit fort". Deshalb läßt ihre "Schreib Hysterie" die Ich-Erzählerin, deren Lebenswille sich bevorzugt in ihrer Schreibenergie manifestiert, ein Bild der Ewigkeit imaginieren, in der an allen Plätzen "Stifte und Blätter bereitliegen werden, um in Paradieses Eile etwas hinfetzen zu können". Die Verlegerfrage hat sie dabei vorläufig ausgeklammert. Dieses ernste Buch ist, wie man sieht, oft auch heiter.

Natürlich ist die Liebe, von der hier erzählt, geschwärmt, geträumt wird, eine unglückliche Liebe. Der Joseph, auf den sich das Begehren der Erzählerin richtet, ist ein keuscher Joseph, der Berührungen und erotischen Avancen möglichst aus dem Wege zu gehen sucht, und auch sonst bleibt er in der Erzählung recht blaß. Aber eben seine "schmerzliche Unberührbarkeit" und Unerreichbarkeit erheben ihn zur idealen Projektionsfläche für die Sehnsüchte und das Verlangen der Erzählerin. Was geschieht zwischen den beiden? Man trifft einander in Cafés, auch in der Wohnung der Erzählerin, man telefoniert, schickt Briefe, bis jener Brief eintrifft, bei dem die Erzählerin an Josephs Handschrift auf dem Umschlag erkennt, daß er die von ihr befürchtete Botschaft enthält: Es sei alles nur ein Irrtum gewesen. Der Rest ist ein mühsamer Ablösungsprozeß.

Genau registriert Friederike Mayröcker die Verletzungen, die der Erzählerin von dem Geliebten zugefügt werden: "wir haben einander kaum berührt, und wenn du die Wange küßt, du zielst auf die Wange die linke die rechte, streifst wie unwissentlich, nein beiläufig, meine Lippen was mich eher demütigt als beglückt." Selbstpreisgabe und Kopflosigkeit, Eruption und Exzeß der Liebe gewinnen in dieser Prosa Gestalt in einer Eruption der Sprache und einem Exzeß des Schreibens; was nicht gelebt werden kann, realisiert sich als ein betörendes Sprachgeschehen: "es ist kein Mysterium: weit gefehlt, es ist etwas ganz Fleischiges Blutiges, es ist 1 süchtiges Aufreißen, Blut Verlieren Verbluten, so ungefähr und dabei Glück empfinden, überirdisches Glück." Wer vernarrt ist, diese Gleichung stellt Friederike Mayröckers Text auf, der kann realistisch nur schreiben, indem er verrückt schreibt.

In dieser Prosa freilich ist alles Geschehen ein Sprachgeschehen, alles Begehren ein "Kopfbegehren", alle Handlung eine Handlung allein in der Sprache, die Begierde des Leibes eine "Begierde des Wortleibes", mit einem Wort: Bei Friederike Mayröcker sind alle Gelüste "Schreib Gelüste". Die Frage, wovon das Buch handle, findet hier ihre Antwort: Es handelt, wie immer bei dieser Autorin, vom Schreiben. Indem die Erzählerin die Geschichte ihrer Liebe schreibt, erzählt sie den Roman ihres Romans; die Liebesgeschichte ist identisch mit der Entstehungsgeschichte des Buchs, das von dieser Liebe erzählt. Friederike Mayröckers Erzählerin erlebt ihre Liebe nur, wenn sie über sie schreibt.

Diese Liebe hat deshalb nur einen Handlungsort: die Wohnung der Erzählerin, eine Zettellandschaft und Buchstabengegend ohnegleichen. In der furios erzählten Eingangssequenz läßt Friederike Mayröcker die gealterte Schriftstellerin, deren Wahrnehmungs- und Reaktionsvermögen nachgelassen haben, panisch aus der bedrohlichen Außenwelt in den Schutzraum ihres Schreibzimmers fliehen, und in diesem Imaginationsraum entfalten sich die Sehnsucht nach dem Geliebten und die Erinnerung: "die Begegnungen die Lieblinge der Regen die bezaubernden Töne das berauschende Wort die geliebte Stimme, der Blick der überspringende Blick und in Flammen." Hier schreibt sie sich den Geliebten herbei, auf dessen Briefe und Telefonate sie sehnsüchtig wartet, eine Gestalt aus Sprache in einem Sprachgeschehen, "als seist du tatsächlich 1 lebendiges Wesen, wo du doch nur etwas Schriftliches, etwas Geschriebenes, eine Zettel Figur, 1 Pappkamerad, was weiß ich, bist". So verlebendigt sich der herbeiphantasierte Geliebte aus dem Geist der Erzählung, und das führt zu Frustrationen.

Auf kunstvolle Weise verbindet Friederike Mayröcker die Erzählung einer Liebe mit theoretischen Reflexionen über das Erzählen, als könne die Liebe nur dann zur Erfüllung gelangen, wenn sich in Form eines Romans von ihr erzählen lasse. Da räsoniert die im Papiergelände ihrer Wohnung hockende Erzählerin, die die beginnende Entfremdung von Joseph spürt, über die "Versäumnisse meines bisherigen Lebens", wobei sie weiß, daß ihr Leben "beinahe abgelaufen" ist. Der vom Scheitern der Liebe ausgelöste lebensgeschichtliche Katzenjammer verbindet sich mit Zweifeln an Sinn und Zweck ihrer bisherigen schriftstellerischen Unternehmungen, und das liest sich wie eine Absage Friederike Mayröckers an die sprachexperimentellen Verfahren ihres bisherigen Werks: "ich habe alles falsch gemacht, ich habe alles verloren, vertan, versäumt, ich habe die falsche Richtung eingeschlagen, vielleicht ist Sprachästhetik, um die es mir seit den Anfängen gegangen ist, die falsche Zielsetzung gewesen, in dieser von Ungeheuerlichkeiten erschütterten Zeit." Die Lektüre der Bücher von Peter Weiss und Wolfgang Koeppen bestärkt sie in dem Gefühl, alles falsch gemacht zu haben. Wo findet sich eine Lösung? Wie läßt sich die Liebe erzählen? Etwa durch ein Bekenntnis zum guten alten Roman? Ja, sagt die Erzählerin beherzt, "ich strebe eine Art Romanhaftigkeit an, was immer das heißen mag".

Ja, was mag das heißen? Natürlich wird in diesem Buch von der Liebe erzählt, aber die Anstrengung der Erzählerin ist darauf gerichtet, alle traditionellen Muster der Liebeserzählung in einem vielfach gebrochenen Fiktionsspiel aufzulösen: "diese Beschreibungen haben etwas Anachronistisches an sich: tausendmal und treffender formuliert von allen Heiligen der Weltliteratur." Deshalb tilgt die Erzählerin aus der Rohfassung ihres tagebuchartig aufgebauten Textes alle Passagen, "die sich allzusehr nähern einer narrativen Besetzung". Wer der Ankündigung des Klappentextes, er werde einen "Liebesroman" zu lesen bekommen, glaubt, wird enttäuscht werden. "Armer Leser, sage ich zu Blum, die Verkehrung, die Enge die Weite der Person von Joseph: nicht zu ergreifen nicht zu begreifen nicht zu greifen." Reicher Leser, denn gerade aus dem Verzicht auf die geradlinige Erzählung entfaltet Friederike Mayröcker einen Reichtum der Sprache für die Liebe voll Übermut und Eigensinn, "wohlgestaltet und flammend".

Sie habe, so die Erzählerin, in ihrer Liebe zu Joseph "das schöne Erzählen erfunden: gefunden, gegen welches ich mich so oft, so beharrlich gewehrt hatte, also gewettert hatte". Und dann nimmt sie den Wunsch nach der schönen Erzählung sogleich wieder zurück: Das sei nur "Augentäuschung" und "Vorspiegelung". Im Sinne dieses hochkomplexen ironischen Spiels mit dem Leser stellt das neue Buch von Friederike Mayröcker ein Beispiel schönsten Erzählens dar: als Übertragung des Aberwitzes der Liebe in einen rationalen Schreibprozeß, als Umpolung des extrovertierten Habitus der Erzählerin in den introvertierten Habitus der Erzählung, als "eine unhaltbare weil arbiträre Mixtur zwischen intimem Briefstil und strenger poetischer Textfiguration", ein sinnliches Vergnügen von hoher Intellektualität, ein intellektuelles Vergnügen von großer Sinnlichkeit. Friederike Mayröcker, wie wir sie kennen, nur besser denn je.

Friederike Mayröcker: "brütt oder Die seufzenden Gärten". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 351 S., geb., 44,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
»Friederike Mayröcker verzaubert, weil sie Sprache und Leben verbindet.« DIE ZEIT