Mit mehr als 18 Millionen verkauften Büchern ist sie die "Königin des russischen Krimis" (Femme), und längst hat Polina Daschkowa auch die Herzen der deutschen Leser erobert. Nun gibt es das erste Daschkowa-Hörspiel: In "Club Kalaschnikow" sucht die Primaballerina Katja Orlowa den Mörder ihres Mannes Gleb. Sie glaubt nicht, dass die Hauptverdächtige Olga - Glebs Geliebte - die Schuldige ist, denn als Casinobesitzer hatte Gleb Zugang zu Moskaus höchsten und zwielichtigsten Kreisen ... Auch als Hörspiel bietet "Club Kalaschnikow" einen glänzenden Krimiplot und zeichnet ein scharfes Bild des Rußlands von heute.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.2002Gottesnärrin im Nachtclub
Polina Daschkowa sucht Mörder und russische Seelchen
Wie im Westen liegt auch in Rußland die Krimiproduktion längst in der Hand von Bestarbeiterinnen, die das Frauensoll an Mord und Totschlag übererfüllen: Alexandra Marinina, Tatjana Poljakowa und Polina Daschkowa werden in Moskau wie Popstars gefeiert. Ein Mann wie Juri Ginsburg sieht im Erfolg der russischen Sisters in Crime schon ein "Alarmzeichen für seriöse Schriftsteller". Aber warum sollte etwa eine Daschkowa, die mit vergleichsweise wenig Sex and Crime die dunklen Abgründe und lichten Höhen ihres Landes ausleuchtet, eine illegitime Enkelin Dostojewskis, ein Schandfleck der neueren russischen Literatur sein?
Ihre zehn Romane haben eine Auflage von fünfzehn Millionen erreicht; nach "Die leichten Schritte des Wahnsinns" ist jetzt der zweite ins Deutsche übersetzt worden, und er muß den Vergleich mit Patricia Cornwall, Sara Paretsky oder Ingrid Noll wahrlich nicht scheuen. Schon wahr, Daschkowa entnimmt ihre Stoffe gern Klatsch- und Boulevardblättern und umschifft nicht immer die Klippen der Kolportage. Aber sie zeichnet auch präzise spannende Psycho- und Soziogramme alter und neuer Russen, und Moskau ist nun einmal die Welthauptstadt des Verbrechens. Die gelernte Literaturwissenschaftlerin und ehemalige Lyrikerin schreibt pro Jahr drei dickleibige Kriminalromane; als Schülerin eines Stalinpreisträgers und Frau eines Fernsehproduzenten weiß sie, worauf es ankommt.
Gleb Kalaschnikow fuchtelt in seinem Nachtclub nicht mit der gleichnamigen Waffe herum. Er mag Gangster, Raffzahn, Säufer und Weiberheld sein, aber als Bilderbuch-Pate verfügt er auch über Charisma und brutalen Charme. Als er eines Nachts erschossen wird, deutet alles auf eine Abrechnung unter Brüdern oder ein Eifersuchtsdrama hin, und wirklich wird bald eine Ex-Geliebte unter dringendem Tatverdacht verhaftet: Olga, die ernste, rechtgläubige Träumerin, die sich nach guter russischer Tradition auch in tiefster Erniedrigung den reinen Sinn einer "Gottesnärrin" bewahrte. Aber die Heilige "mit der Seele einer Nonne und dem Geist einer Revolutionärin" ist natürlich unschuldig. Die Wurzeln des Verbrechens reichen weiter in die sowjetische Vergangenheit zurück, als die Polizei ahnt oder gar erlaubt.
Bei Daschkowa sind die "Untersuchungsführer" (wie der Beruf des Kriminalkommissars in der ansonsten flüssigen Übersetzung heißt) meist schwache, blasse Figuren, denen, wenn die Täter sich nicht beim Showdown selber richten, intelligente, selbstbewußte Frauen unter die lahmen Arme des Gesetzes greifen müssen. Auch im "Club Kalaschnikow" machen sie den Fall fast unter sich aus. Die Männer - Mafiosi, abgehalfterte Filmschauspieler, smarte Skandalpolitiker und Boris, der Penner - sind bloß Statisten und Abziehbilder. Um so liebevoller und souveräner zeichnet die Autorin die Frauenfiguren. Katja, Primaballerina und auf eigene Faust ermittelnde Witwe Kalaschnikows, und seine Stiefmutter, die zynisch-zickige Diva Margarita, mögen noch nach den Schnittmustern der Frauenillustrierten geschaffen sein; aber bei den Porträts der Schlampen und "Masseusen", Angestellten und Babuschkas, die sich nach den Brosamen vom Tisch der Reichen und Schönen verzehren, läuft die Daschkowa zu großer Form und fast dostojewskijschem Erbarmen auf.
Sie kümmert sich weniger um die kriminellen Balz- und Imponierrituale der "Diebe im Gesetz" als um die einfühlsame Schilderung von Menschen, Milieus und Motiven, und dieser genuin weibliche Blick in die russische Seele, hinter die Kulissen von Glanz und Elend, zahlt sich aus. Noch die Nebenerwerbskurtisane bekommt eine eigene Vergangenheit, biographische Kontur und soziale Tiefenschärfe. Das Geschwätz der verwirrten Sowjetrentnerin, der Voodoozauber der neidischen Schulkameradin, die Wohnzimmergardinen und Einkaufszettel der Hausfrauen: die gute Untersuchungsführerin liest aus allem Spuren von Sehnsucht, Gier und Enttäuschung. Der Küchendunst heruntergekommener Kommunalwohnungen sagt über das moderne Rußland immer noch mehr als das Parfum der Luxusweibchen oder der Wodkageruch der Ölmagnaten, und glücklicherweise kennt Daschkowa die Gemeinschaftsküchen, Friseursalons und Trödelmärkte Moskaus mindestens so gut wie Datscha und Duma, Sauna und Filmstudio. Und weil sie ihre Breitseiten auf die neuen Russen mit dem Pulver alter Meister von Puschkin bis Nabokov abschießt, verzeiht man Frau Kalaschnikow sogar die gelegentlichen Moralsalven und sentimentalen Fehlschüsse.
MARTIN HALTER
Polina Daschkowa: "Club Kalaschnikow". Roman. Aus dem Russischen übersetzt von Margret Fieseler. Aufbau-Verlag, Berlin 2002. 444 S., geb., 22,- [Euro].
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Polina Daschkowa sucht Mörder und russische Seelchen
Wie im Westen liegt auch in Rußland die Krimiproduktion längst in der Hand von Bestarbeiterinnen, die das Frauensoll an Mord und Totschlag übererfüllen: Alexandra Marinina, Tatjana Poljakowa und Polina Daschkowa werden in Moskau wie Popstars gefeiert. Ein Mann wie Juri Ginsburg sieht im Erfolg der russischen Sisters in Crime schon ein "Alarmzeichen für seriöse Schriftsteller". Aber warum sollte etwa eine Daschkowa, die mit vergleichsweise wenig Sex and Crime die dunklen Abgründe und lichten Höhen ihres Landes ausleuchtet, eine illegitime Enkelin Dostojewskis, ein Schandfleck der neueren russischen Literatur sein?
Ihre zehn Romane haben eine Auflage von fünfzehn Millionen erreicht; nach "Die leichten Schritte des Wahnsinns" ist jetzt der zweite ins Deutsche übersetzt worden, und er muß den Vergleich mit Patricia Cornwall, Sara Paretsky oder Ingrid Noll wahrlich nicht scheuen. Schon wahr, Daschkowa entnimmt ihre Stoffe gern Klatsch- und Boulevardblättern und umschifft nicht immer die Klippen der Kolportage. Aber sie zeichnet auch präzise spannende Psycho- und Soziogramme alter und neuer Russen, und Moskau ist nun einmal die Welthauptstadt des Verbrechens. Die gelernte Literaturwissenschaftlerin und ehemalige Lyrikerin schreibt pro Jahr drei dickleibige Kriminalromane; als Schülerin eines Stalinpreisträgers und Frau eines Fernsehproduzenten weiß sie, worauf es ankommt.
Gleb Kalaschnikow fuchtelt in seinem Nachtclub nicht mit der gleichnamigen Waffe herum. Er mag Gangster, Raffzahn, Säufer und Weiberheld sein, aber als Bilderbuch-Pate verfügt er auch über Charisma und brutalen Charme. Als er eines Nachts erschossen wird, deutet alles auf eine Abrechnung unter Brüdern oder ein Eifersuchtsdrama hin, und wirklich wird bald eine Ex-Geliebte unter dringendem Tatverdacht verhaftet: Olga, die ernste, rechtgläubige Träumerin, die sich nach guter russischer Tradition auch in tiefster Erniedrigung den reinen Sinn einer "Gottesnärrin" bewahrte. Aber die Heilige "mit der Seele einer Nonne und dem Geist einer Revolutionärin" ist natürlich unschuldig. Die Wurzeln des Verbrechens reichen weiter in die sowjetische Vergangenheit zurück, als die Polizei ahnt oder gar erlaubt.
Bei Daschkowa sind die "Untersuchungsführer" (wie der Beruf des Kriminalkommissars in der ansonsten flüssigen Übersetzung heißt) meist schwache, blasse Figuren, denen, wenn die Täter sich nicht beim Showdown selber richten, intelligente, selbstbewußte Frauen unter die lahmen Arme des Gesetzes greifen müssen. Auch im "Club Kalaschnikow" machen sie den Fall fast unter sich aus. Die Männer - Mafiosi, abgehalfterte Filmschauspieler, smarte Skandalpolitiker und Boris, der Penner - sind bloß Statisten und Abziehbilder. Um so liebevoller und souveräner zeichnet die Autorin die Frauenfiguren. Katja, Primaballerina und auf eigene Faust ermittelnde Witwe Kalaschnikows, und seine Stiefmutter, die zynisch-zickige Diva Margarita, mögen noch nach den Schnittmustern der Frauenillustrierten geschaffen sein; aber bei den Porträts der Schlampen und "Masseusen", Angestellten und Babuschkas, die sich nach den Brosamen vom Tisch der Reichen und Schönen verzehren, läuft die Daschkowa zu großer Form und fast dostojewskijschem Erbarmen auf.
Sie kümmert sich weniger um die kriminellen Balz- und Imponierrituale der "Diebe im Gesetz" als um die einfühlsame Schilderung von Menschen, Milieus und Motiven, und dieser genuin weibliche Blick in die russische Seele, hinter die Kulissen von Glanz und Elend, zahlt sich aus. Noch die Nebenerwerbskurtisane bekommt eine eigene Vergangenheit, biographische Kontur und soziale Tiefenschärfe. Das Geschwätz der verwirrten Sowjetrentnerin, der Voodoozauber der neidischen Schulkameradin, die Wohnzimmergardinen und Einkaufszettel der Hausfrauen: die gute Untersuchungsführerin liest aus allem Spuren von Sehnsucht, Gier und Enttäuschung. Der Küchendunst heruntergekommener Kommunalwohnungen sagt über das moderne Rußland immer noch mehr als das Parfum der Luxusweibchen oder der Wodkageruch der Ölmagnaten, und glücklicherweise kennt Daschkowa die Gemeinschaftsküchen, Friseursalons und Trödelmärkte Moskaus mindestens so gut wie Datscha und Duma, Sauna und Filmstudio. Und weil sie ihre Breitseiten auf die neuen Russen mit dem Pulver alter Meister von Puschkin bis Nabokov abschießt, verzeiht man Frau Kalaschnikow sogar die gelegentlichen Moralsalven und sentimentalen Fehlschüsse.
MARTIN HALTER
Polina Daschkowa: "Club Kalaschnikow". Roman. Aus dem Russischen übersetzt von Margret Fieseler. Aufbau-Verlag, Berlin 2002. 444 S., geb., 22,- [Euro].
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"Atemberaubend gut." (Freundin)
"Das ist große Kriminalliteratur." (Literaturen)
"Das ist große Kriminalliteratur." (Literaturen)