Er ist 16, als er nach St. Oswald kommt. Das Internat an der englischen Küste ist sein drittes. St. Oswald ist so grau wie das Meer und der Himmel ringsum. Er weiß nur eins: Er muss die Zeit im Internat irgendwie durchstehen. Die Regeln kennt er gut, besser als das Leben draußen und seine eigenen Ziele. Als er bei einem Geländelauf zufällig auf Finn trifft, einen geheimnisvollen Jungen, der mutterseelenallein in einer baufälligen Hütte auf einer Insel lebt, ahnt er noch nicht, dass diese Begegnung sein Leben für immer verändern wird.
Buch. Der Junge aus dem Internat und der vom Strand: Hilary ist an die Willkür der Welt, seiner Lehrer und Mitschüler gewöhnt. Und Finn lebt ganz allein und unbehelligt in einer der verlassenen Fischerhütten direkt am Meer. Größer können die Gegensätze kaum sein, als sich die beiden 1962 an der Küste Norfolks treffen. Kein Wunder, dass Hilary also Finn beneidet: um die Unabhängigkeit, um die Selbstverständlichkeit seines Lebens, um die Eleganz, mit der er fischt, segelt, Kajak fährt. Und kein Wunder, dass Hilary Kopf und Kragen riskiert, um dem Internatsleben möglichst oft zu entkommen, an den Strand, in die Hütte, zu Finn. Zweihundert Seiten lang erzählt Meg Rosoffs Roman von einer ungleichen Freundschaft, voller Sehnsucht, Seeluft und Salzwasser. Hingebungsvoll auf der einen Seite, leise spöttisch auf der anderen - und zärtlich in seltenen Momenten auf beiden. Es ist die Geschichte einer Freundschaft, die Hilary zum Schluss verraten muss, um Finn zu retten, als der ernstlich krank wird. "Damals, das Meer" wäre schon ein packendes Buch, wenn die Autorin ihre Geschichte nicht auf den letzten Seiten noch einmal komplett auf den Kopf gestellt hätte. Dadurch aber wird es ein unglaubliches Buch. Schwindelerregend. Überragend.
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Meg Rosoff: "Damals, das Meer". Carlsen Verlag, 240 S., 14,90 [Euro].
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