Ihre »Zwangsehe«, wie Günter Grass sie einmal nannte, wurde offiziell am 1. Januar 1960 geschlossen: An diesem Tag besprach der Kritiker Marcel Reich- Ranicki »Die Blechtrommel« des gerade 32-jährigen Autors. Er verriss den Roman. Und so begann das wechselhafte Verhältnis von »MRR« und »GG«. Ein halbes Jahrhundert der Auseinandersetzungen, zahlreiche Romane und Verrisse, Liebeserklärungen und Wut folgten. Volker Weidermann erzählt so farbig wie schillernd von der wechselseitigen Abhängigkeit der beiden und entwirft zugleich ein grandioses Panorama der Geschichte des 20. Jahrhunderts.Ungekürzte Lesung mit Gert Heidenreich7 CDs ca. 9 h 1 min
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.20194. Freund oder Feind?
Freundschaften, die lange halten sollen, müssen gepflegt werden. Das Gleiche gilt für Feindschaften, stellt man fest, wenn man Volker Weidermanns Buch liest über die ziemlich innige Beziehung zwischen Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki. Wobei, so Weidermanns These, zwischen den beiden eher eine Art "Zwangsehe" geherrscht hat, also eine Art von merkwürdiger Sympathie, die aus dem resignierten Eingeständnis entsteht, dass man einander in diesem Leben wohl nicht mehr loswird.
Diese Zwangsehe war auch fruchtbar - ihr entsprang Literaturgeschichte. Dass der Schreibende agiert, der Kritiker reagiert, liegt in der Natur der Sache. Weidermann führt allerdings die Biographien des Dichters und seines Kritikers so geschickt zusammen, dass man auch das Schreiben von Grass als eine Art von Reaktion auf die Kritik betrachten kann, auf eine bisweilen beißende Kritik, die durch neue, bessere Romane widerlegt werden sollte. Eigentlich hat Reich-Ranicki wohl große Stücke auf Grass gehalten, das geht aus jeder Rezension hervor. Vielleicht war ja eigentlich seine Absicht, ihn durch vernichtende Kritik zu ermutigen, seinen Kram besser zu erledigen? So etwas kommt ja auch in Ehen vor.
Die beiden hatten eigentlich viel gemeinsam: Polen, die Liebe zur Literatur, zur Sprache, politische Überzeugungen, nicht zuletzt die Zugehörigkeit zur Gruppe 47. Die Zwangsehe hätte auch in eine Liebe münden können. Tat sie aber nicht. Stattdessen vollzog sich zwischen den beiden eine eigenartig antagonistische Aufarbeitung der deutschen Geschichte, zwischen dem Ex-Waffen-SS-Autor, der gern das nationale Gewissen gab, und dem jüdischen Kritiker, der sich in der Nazizeit viele Monate lang in einem polnischen Keller versteckt halten musste.
Weidermanns Buch vermittelt ein interessantes Bild vom westdeutschen Literaturbetrieb. War es damals auch so lustig und aufregend, die Zeitung aufzuschlagen, um zu erfahren, wie denn nun die neueste Folge ausschaute; wie Reich-Ranicki nun wieder auf Grass reagiert oder wie Grass über Reich-Ranicki in einem Interview wieder böse gesprochen hatte? Sehr empfohlen sei das Buch auch allen, die sich schon immer besser mit Grass auskennen wollten, ohne gleich jene Bücher lesen zu müssen, die ja laut Reich-Ranicki ohnehin nicht lesenswert sind.
Shou Aziz
Volker Weidermann: "Das Duell. Die Geschichte von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki". Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, 22 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Freundschaften, die lange halten sollen, müssen gepflegt werden. Das Gleiche gilt für Feindschaften, stellt man fest, wenn man Volker Weidermanns Buch liest über die ziemlich innige Beziehung zwischen Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki. Wobei, so Weidermanns These, zwischen den beiden eher eine Art "Zwangsehe" geherrscht hat, also eine Art von merkwürdiger Sympathie, die aus dem resignierten Eingeständnis entsteht, dass man einander in diesem Leben wohl nicht mehr loswird.
Diese Zwangsehe war auch fruchtbar - ihr entsprang Literaturgeschichte. Dass der Schreibende agiert, der Kritiker reagiert, liegt in der Natur der Sache. Weidermann führt allerdings die Biographien des Dichters und seines Kritikers so geschickt zusammen, dass man auch das Schreiben von Grass als eine Art von Reaktion auf die Kritik betrachten kann, auf eine bisweilen beißende Kritik, die durch neue, bessere Romane widerlegt werden sollte. Eigentlich hat Reich-Ranicki wohl große Stücke auf Grass gehalten, das geht aus jeder Rezension hervor. Vielleicht war ja eigentlich seine Absicht, ihn durch vernichtende Kritik zu ermutigen, seinen Kram besser zu erledigen? So etwas kommt ja auch in Ehen vor.
Die beiden hatten eigentlich viel gemeinsam: Polen, die Liebe zur Literatur, zur Sprache, politische Überzeugungen, nicht zuletzt die Zugehörigkeit zur Gruppe 47. Die Zwangsehe hätte auch in eine Liebe münden können. Tat sie aber nicht. Stattdessen vollzog sich zwischen den beiden eine eigenartig antagonistische Aufarbeitung der deutschen Geschichte, zwischen dem Ex-Waffen-SS-Autor, der gern das nationale Gewissen gab, und dem jüdischen Kritiker, der sich in der Nazizeit viele Monate lang in einem polnischen Keller versteckt halten musste.
Weidermanns Buch vermittelt ein interessantes Bild vom westdeutschen Literaturbetrieb. War es damals auch so lustig und aufregend, die Zeitung aufzuschlagen, um zu erfahren, wie denn nun die neueste Folge ausschaute; wie Reich-Ranicki nun wieder auf Grass reagiert oder wie Grass über Reich-Ranicki in einem Interview wieder böse gesprochen hatte? Sehr empfohlen sei das Buch auch allen, die sich schon immer besser mit Grass auskennen wollten, ohne gleich jene Bücher lesen zu müssen, die ja laut Reich-Ranicki ohnehin nicht lesenswert sind.
Shou Aziz
Volker Weidermann: "Das Duell. Die Geschichte von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki". Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, 22 Euro
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»Ich halte Sie für einen außerordentlichen Schriftsteller, mehr noch: Ich bewundere Sie - nach wie vor. Doch muss ich sagen, was ich nicht verheimlichen kann: dass ich Ihren Roman 'Ein weites Feld' ganz und gar missraten finde.« Marcel Reich-Ranicki an Günter Grass