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Nach seinem beinahe tödlichen Unfall erklärt sich Mark Schluters Schwester Karin widerwillig bereit, ihn mit seiner schweren Kopfverletzung zu pflegen. Doch als er erwacht, erklärt er Karin für eine Doppelgängerin, die gar nicht seine wahre Schwester sei. Sie zieht einen Arzt hinzu, der ein Hirnsyndrom diagnostiziert. Alle drei versuchen nun auf ihre Weise zu ergründen, was vor dem Unfall geschah

Produktbeschreibung
Nach seinem beinahe tödlichen Unfall erklärt sich Mark Schluters Schwester Karin widerwillig bereit, ihn mit seiner schweren Kopfverletzung zu pflegen. Doch als er erwacht, erklärt er Karin für eine Doppelgängerin, die gar nicht seine wahre Schwester sei. Sie zieht einen Arzt hinzu, der ein Hirnsyndrom diagnostiziert. Alle drei versuchen nun auf ihre Weise zu ergründen, was vor dem Unfall geschah
Autorenporträt
Richard Powers, geb. 1957, lebt in Urbana/Illinois. Er studierte Physik, arbeitete als Programmierer, bis er mit 32 seinen ersten Roman schrieb. Mittlerweile zählt er zu den ganz großen amerikanischen Erzählern der Gegenwart. Seine Bücher wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem National Book Award. Seine Beiträge erschienen in der New York Times, Esquire, Times und Harper's.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2006

Mein Bruder Kranich
Ulrich Matthes liest Richard Powers

Hat das Wissen einen Körper? Das hatte sich schon Novalis gefragt. Ja, es hat einen, und wenn dieser verletzt wird, geht womöglich das Wissen um das eigene Ich verloren, sagen die Neurobiologen. Oder das Fühlen, wie bei Mark Schluter, der nach einem Schädel-Hirn-Trauma seine Schwester nicht mehr wiedererkennt. Mehrere Wochen nach seinem nächtlichen Autounfall auf der Prärie von Nebraska weiß er, wer er ist, welchem Beruf er nachgeht und erkennt seine Freunde. Nur Karin, die ihren Job aufgegeben hat und in ihre Heimatstadt Kearney zurückgezogen ist, um ihn zu pflegen, hält er für eine Schauspielerin und Schwindlerin, die er fürchtet. Das Hirnareal, das für das emotionale Gedächtnis zuständig ist, hat buchstäblich den Geist aufgegeben, nachdem sich die synaptischen Verbindungen gelöst haben.

Ein Roman auf der Höhe einer Zeit, die sich der Leitwissenschaft Biologie verschrieben hat. Richard Powers hat ihn verfaßt: ein faszinierendes Buch über die Einheit des Ichs. "Das Echo der Erinnerung", in der deutschen Übersetzung von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié bei S. Fischer erschienen, ist aber auch ein leidenschaftliches Plädoyer für den Natur- und Artenschutz. Im Chagallsaal des Frankfurter Schauspiels trug Ulrich Matthes jetzt die ersten 80 Seiten des Romans in gekürzter Fassung vor - eine Uraufführung der Deutschen Grammophon, für die der Berliner Schauspieler gerade das entsprechende Hörbuch aufgenommen hat, das weltweit erste des amerikanischen Autors. Vor lichten Reihen gelang es dem Ensemblemitglied des Deutschen Theaters, sich mit verschiedenen Tempi in die Geschwister Mark (Largo) und Karin (Allegro) einzufühlen, mit modulierter Stimme aber auch den skurrilen Freundeskreis des Koma-Patienten lebendig zu machen.

Der Unfall, der Marks emotionale Erinnerung an Karin auslöscht, ist nur ein beiläufiger Augenblick in der Evolution. Dafür hat Powers auf den ersten zwei Seiten ein großartiges Bild gefunden: Tausende von Kranichen, die letzten ihrer seit dem Eozän existierenden Art, fliegen verschreckt auf und weiden danach auf ihrem Rastplatz am Platte River weiter, als wäre nichts geschehen. Daniel, Marks Jugendfreund und mittlerweile professioneller Artenschützer, kümmert sich um die bedrohten Zugvögel und um Karin, die ebenfalls verstört bei ihm Zuflucht sucht. Auf der Suche nach dem emotionalen Zugang zum Bruder bröckelt nämlich auch ihr eigenes Ich. Die gemeinsame familiäre Vergangenheit, die sie stets sorgsam vor sich und den anderen verborgen hatte, meldet sich düster und unabweisbar zurück: Die verlorene Erinnerung des Bruders läßt die unliebsamen Erinnerungen der Schwester nicht mehr zur Ruhe kommen.

Als hätte er nicht schon genug Themen aufgenommen, wartet der Wissenschafts-, Naturschutz- und Familienroman auch noch mit einem geheimnisvollen Zettel auf, den Karin auf Marks Nachttisch im Krankenhaus entdeckt - eine Botschaft wie aus dem Jenseits, hingekrakelt von anonymer Hand wie ein Spinnennetz, in dessen Mitte das Wort "Gott" prangt. War der Verfasser Zeuge des Unfalls? Oder gar ursächlich daran beteiligt? Karin, die der Polizei Rede und Antwort stehen muß, hütet ihren Fund und ihre Zunge. Beginnt hier ein esoterischer Krimi? Das läßt sich erst nach der Lektüre aller 533 Seiten beantworten. Jedenfalls hat Powers seinen Roman gemäß den fünf Zeilen auf dem Zettel fünfteilig strukturiert, so daß dessen Botschaft das gesamte Buch grundiert: "Ich bin Niemand aber/Heute Nacht auf der North Line Road/Führte GOTT mich zu dir/damit Du leben kannst/und jemand anderen zurückholen."

CLAUDIA SCHÜLKE

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