Ein Buch, das auch mir die Sprache verschlagen hat
Sich zu verlieben ist, als würde man Zirkusartisten dabei zusehen, wie sie durch die Luft wirbeln, sich drehen und rollen, immer mit dem Risiko, in den Tod zu stürzen, aber mühelos die Schwerkraft überwinden wie eine Zeitfalte.“ (S. 24/25)
Syd
hat gerade eine gescheiterte Ehe hinter sich, als sie Theo kennenlernt. Sie wollen es langsam…mehrEin Buch, das auch mir die Sprache verschlagen hat
Sich zu verlieben ist, als würde man Zirkusartisten dabei zusehen, wie sie durch die Luft wirbeln, sich drehen und rollen, immer mit dem Risiko, in den Tod zu stürzen, aber mühelos die Schwerkraft überwinden wie eine Zeitfalte.“ (S. 24/25)
Syd hat gerade eine gescheiterte Ehe hinter sich, als sie Theo kennenlernt. Sie wollen es langsam angehen lassen, auch wegen ihres kleinen Sohnes, aber es passt einfach zwischen ihnen und so vervollständigt bald ein gemeinsamer zweiter Sohn die Beziehung. Und auch wenn sie hin und wieder Probleme haben, sind sie insgesamt doch glücklich. Alles läuft gut, Syd startet nach der Kinderpause beruflich wieder voll durch und hat Erfolg. Doch dann der Schock. Nach 9 Jahren Beziehung wird bei Theo ALS diagnostiziert. Während er sich sofort damit abfindet und die Diagnose hinnimmt, kann Syd das nicht. Sie konsultieren mehrere Spezialisten, probieren diverse alternative Heilmethoden und Heiler aus, jedes Fitzelchen Hoffnung zählt.
So weit, so schlecht. Jahrelang reibt sich Syd zwischen Theo, ihren Kindern und ihrem Job auf. Er braucht bald eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung und sie muss Geld verdienen, um alles zu bezahlen. Sie will es immer allen recht machen und kommt dabei selbst stets zu kurz. Und dann entdeck Syd etwas, was ihr den Boden unter den Füßen wegzieht …
„Das Jahr ohne Worte“ beruht auf auf Syd Atlas‘ wirklichem Leben. Es ist einerseits die Geschichte einer wunderbaren großen Liebe und andererseits die schonungslos offene und ehrliche Schilderung der Krankheit ihres Mannes und was diese aus ihm und ihr gemacht hat. „Kann man jemanden lieben und trotzdem nicht wollen, dass er weiterlebt? Kann man jemanden lieben und doch nicht das Leben mit ihm verbringen wollen?“ (S. 183)
Über ALS hatte ich vor einigen Jahren schon mal in dem Buch „Meine scheißkranke Familie“ gelesen und obwohl ich dadurch schon wusste, was Theo blüht und wie die Krankheit verläuft, war ich wieder geschockt. Es hat mich extrem berührt, wie Syd trotz allem an ihm festgehalten hat, denn auch wenn er sich verändert, liebt sie ihn natürlich immer noch. „Mit jedem Tag verliert er etwas von dem Mann, der er einmal gewesen ist.“ (S. 171) Und mit Veränderung ist nicht nur sein Äußeres oder seine Leistungsfähigkeit gemeint, sondern auch sein Charakter. Es ist zwar verständlich, dass man als Kranker traurig, wütend und sauer ist und das gegen die richtet, die einem am nächsten stehen, aber was Theo sich geleistet hat, war für mich unvorstellbar, einfach krass. Ich will nicht zu viel verraten, aber ich war im Moment der Enthüllung sprachlos, weil ich mit etwas ganz anderem gerechnet hatte. „Wir zerbrechen alle. Wir sind Crashtest-Dummys, aber es gibt keine Airbags, und wir bereiten uns auf den Aufprall vor.“ (S. 144) – mit dieser Art der Kollision aber konnte sie gar nicht rechnen.
„Das Jahr ohne Worte“ hat auch mir die Sprache verschlagen und ist ein weiteres Jahreshighlight für mich.