Der neue 'Precht' über die internationale Politik im 21. Jahrhundert
Die Welt befindet sich im Umbruch. Von einer von den USA dominierten zu einer multipolaren Weltordnung mit China und Indien als neuen Machtzentren. Das schleichende Ende der Pax Americana stellt die Europäer vor eine enorme Herausforderung: Wie gehen wir mit dem Aufstieg dieser Länder um? Die Gefahr wächst, dass wir es nicht schaffen, auf globaler Ebene auf neue Feindbilder zu verzichten. Auf die Schablonen »Christen gegen Heiden«, »Zivilisierte gegen Wilde«, »Freiheit gegen Kommunismus«, »Christlich-abendländische Kultur gegen den Islam« folgt nun »Demokratien gegen Autokratien«.
-Wer hat dieses Narrativ in die Welt gesetzt?
-Welche Interessen stehen dahinter?
-Warum ist es erfolgreich?
Dieses Hörbuch möchte zeigen, dass die vermeintliche »systemische Rivalität« zu China und anderen Staaten zwar eine Rivalität ist, aber keine systemische. Die Aufgabe unseres Jahrhunderts besteht darin, aus diesen althergebrachten Freund-Feindmustern auszubrechen und unterschiedliche Entwicklungswege und kulturelle Eigenheiten zuzulassen. Denn die Menschenrechte, die keine »westlichen« Werte sind, werden wir nur dann schützen und bewahren, wenn wir ihnen voll und ganz entsprechen. Toleranz, Diversität und Offenheit lassen sich einfordern, wenn wir sie im Umgang mit anderen selbst praktizieren. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit versammelt das 21. Jahrhundert im Zeichen der globalen ökologischen Katastrophe alle im selben Boot. Meistern können wir sie nur, wenn wir auf das schauen, was alle Länder und Kulturen eint, nicht auf das, was sie trennt. Es wird kein Jahrhundert des »Entweder-Oder« nach dem Zuschnitt einer Hegemonialmacht mehr sein, wie die vergangenen - sondern, will sich die menschliche Zivilisation nicht selbst vernichten: das Jahrhundert der Toleranz.
Ungekürzte Lesung mit Richard David Precht
1 MP3-CD, 5h 43min
Die Welt befindet sich im Umbruch. Von einer von den USA dominierten zu einer multipolaren Weltordnung mit China und Indien als neuen Machtzentren. Das schleichende Ende der Pax Americana stellt die Europäer vor eine enorme Herausforderung: Wie gehen wir mit dem Aufstieg dieser Länder um? Die Gefahr wächst, dass wir es nicht schaffen, auf globaler Ebene auf neue Feindbilder zu verzichten. Auf die Schablonen »Christen gegen Heiden«, »Zivilisierte gegen Wilde«, »Freiheit gegen Kommunismus«, »Christlich-abendländische Kultur gegen den Islam« folgt nun »Demokratien gegen Autokratien«.
-Wer hat dieses Narrativ in die Welt gesetzt?
-Welche Interessen stehen dahinter?
-Warum ist es erfolgreich?
Dieses Hörbuch möchte zeigen, dass die vermeintliche »systemische Rivalität« zu China und anderen Staaten zwar eine Rivalität ist, aber keine systemische. Die Aufgabe unseres Jahrhunderts besteht darin, aus diesen althergebrachten Freund-Feindmustern auszubrechen und unterschiedliche Entwicklungswege und kulturelle Eigenheiten zuzulassen. Denn die Menschenrechte, die keine »westlichen« Werte sind, werden wir nur dann schützen und bewahren, wenn wir ihnen voll und ganz entsprechen. Toleranz, Diversität und Offenheit lassen sich einfordern, wenn wir sie im Umgang mit anderen selbst praktizieren. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit versammelt das 21. Jahrhundert im Zeichen der globalen ökologischen Katastrophe alle im selben Boot. Meistern können wir sie nur, wenn wir auf das schauen, was alle Länder und Kulturen eint, nicht auf das, was sie trennt. Es wird kein Jahrhundert des »Entweder-Oder« nach dem Zuschnitt einer Hegemonialmacht mehr sein, wie die vergangenen - sondern, will sich die menschliche Zivilisation nicht selbst vernichten: das Jahrhundert der Toleranz.
Ungekürzte Lesung mit Richard David Precht
1 MP3-CD, 5h 43min
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.05.2024Krieg
im Gehirn
Richard David Precht macht sich in
„Jahrhundert der Toleranz“ Gedanken
zur Außenpolitik – und zeigt damit einmal mehr,
wie schwer eine wirkliche Debatte zum Thema ist.
VON MORITZ BAUMSTIEGER
Es wäre interessant zu wissen, wie der Textentwurf ausgehen hat, den Pfarrer Joachim Römelt von Richard David Precht zu lesen bekam. Der Germanist, Philosoph und Podcaster hat ein neues Buch geschrieben; nach der Liebe, künstlicher Intelligenz, Tierethik, der Zukunft der Arbeit sowie unserem Mediensystem mit seinen angeblichen Systemmedien ist nun die Zukunft der Menschheit das Thema, die Frage nach Krieg und Frieden. „Das Jahrhundert der Toleranz“ ist der Band überschrieben, „Plädoyer für eine wertegeleitete Außenpolitik“. Und ganz am Ende, in der Danksagung, widmet Precht dem Pfarrer der evangelischen Gemeinde Dorp seiner Heimatstadt Solingen folgenden Satz: „Joachim Römelt glättete manche rhetorische Zuspitzung und bemühte sich um eine Ehrenrettung der Grünen.“
Das Wort „bemühte“ steht hier wohl nicht zufällig, die Außenpolitik der Grünen kommt bei Precht auch nach Römelts Einwirken nicht gut weg. „Die gleiche Intoleranz, die die Partei innenpolitisch in der Genderdebatte zeigt, bestimmt auch die Handschrift ihrer bisherigen wertegeleiteten Außenpolitik“, schreibt er. Und zwar: Zu Hause verlangten die Grünen „größtmögliche Akzeptanz für Diversität“, global aber träumten sie von einer „westlich geprägten Einheitszivilisation“, die „möglichst wenig Diversität an alternativen Lebensvorstellungen“ zulassen wolle.
Als Beispiel einer alternativen Lebensvorstellung nennt Precht immer wieder die der chinesischen Parteien- und Entwicklungsdiktatur. Die Unterdrückung von politisch Andersdenkenden und Minderheiten wie den Uiguren verurteilt er, findet aber, dass man Peking des lieben Friedens willen gewähren lassen sollte. Einspruch ohnehin zwecklos: „Moralisierende Anklagen gegen staatliche Systeme sind leider meist nicht mehr als der Versuch, mit der Luftpumpe die Windrichtung zu ändern.“ Dass grüne Politiker solche Themen überhaupt beackern, ist für Precht nur Kompensation, denn „je weniger die Grünen die moralische Lufthoheit in Deutschland haben, (…) desto hochtrabender benehmen sie sich auf dem internationalen Parkett“.
Man muss die Grünen nicht lieben, um den Gedanken etwas schräg zu finden, dass sie ihren Frust über die am eigenen handwerklichen Unvermögen gescheiterte Heizungswende an Peking auslassen. Um zu wissen, dass Precht mit ihnen noch eine Rechnung offen hat, reicht ein Blick ins vergangene Jahr: Als Annalena Baerbock da im April nach Peking flog, lästerte Precht im Podcast mit Markus Lanz: „Was für ein Unfall, dass diese Frau Außenministerin geworden ist“, unter normalen Bedingungen hätte „die im Auswärtigen Amt noch nicht einmal ein Praktikum gekriegt“. Die Aussagen wurden ziemlich herumgereicht, und zwar eher kritisch, weil sie eine Prise Sexismus enthalten haben könnten. Das scheint Precht getroffen zu haben, sein Buch jetzt liest sich nun wie die kommentierte Langfassung zum Netzhit von damals. Nur eben, Römelt sei dank, ohne solche „rhetorische Zuspitzung“ – und ohne den Namen der Bundesaußenministerin nur einmal zu nennen.
Das alles kann man mit einem Schmunzeln lesen oder mit einer hochgezogenen Augenbraue, Precht eben, der nun auch noch was zur Außenpolitik zu sagen hat, nachdem er sich gerade noch mit Halbwissen zum Judentum blamiert hat. Doch ganz abgesehen von seiner Person ist das „Jahrhundert der Toleranz“ ein symptomatisches Buch: Es zeigt, wie schwer sich die Republik immer noch tut, öffentlich über Außenpolitik nachzudenken und zu streiten – in einer Zeit, in der es auf die Außenpolitik ankommt wie lange nicht.
Wenn Typen wie Rolf Mützenich von der SPD oder Anton Hofreiter von den Grünen in Talkshows entweder die Möglichkeit eines Einfrierens des Konflikts in der Ukraine erörtern oder im Gegenteil Angriffe auf Russland mit deutschen Waffen erlauben wollen, dann sind die Reaktionen stets schrill. Das ist einigermaßen erklärlich, hier geht es schließlich nicht um philosophische Fragen, sondern um Leben und Tod, es ist gewissermaßen Gefahr im Verzug. Gleichzeitig schätzen Wähler, sosehr sie doch hoffen, dass die Regierenden ihr Handeln gründlich abgewogen haben, eines nicht, nämlich Streit in Parteien und Koalitionen. Während die Ampelkoalition grundsätzlich gerne streitet, ist die Außenpolitik in deutschen Regierungen selten der Punkt gewesen, an dem sich Auseinandersetzungen kristallisierten. Und zumindest was die größeren Linien angeht, gab es hier auch nur selten Krach mit der Opposition. Und so finden außenpolitische Debatten, die nicht nur Schaukämpfe sind wie die in den Talkshows, bis heute eher in den diskreten Expertenkreisen statt, in Thinktanks, Stiftungen und auf Sicherheitskonferenzen. Somit nie vor dem breiten Publikum, das Precht nun mutmaßlich wieder erreichen wird – und dem er ja Grundbeobachtungen mitzuteilen hat, die zweifelsohne richtig sind: Auf dem Planeten bildet sich eine multipolare Ordnung aus, die Hegemonie der USA und Europas ist vorbei, Deutschland sollte sich Gedanken machen, wo da sein Platz sein wird.
Staaten wie Indien und China haben immer weniger Lust, sich Belehrungen über westliche Werte anzuhören – die zudem unglaubwürdig werden, wenn der Westen sie verletzt, sobald es ihm in den Kram passt. Und dass in Zeiten, in denen eigentlich jeder Cent in Maßnahmen zum Klimaschutz investiert werden müsste, die Rüstungsausgaben explodieren, ist an sich schon Wahnsinn: Wenn es nicht gelingt, die menschengemachte Erderwärmung zu stoppen, wird es irgendwann auch keine Waffen mehr brauchen, um Gebiete gegen Angriffskriege imperial gestimmter Diktatoren zu verteidigen.
Doch genauso wenig wie die, die eine Verhandlungslösung im Ukrainekrieg fordern, auch auf Nachfrage denk- und machbare Schritte dorthin skizzieren, entwickelt Precht greifbare Ideen. Sondern gibt sich der Hoffnung hin, dass der Weltfrieden schon eintreten werde, wenn „der Westen“ künftig „toleranter“ gegenüber Akteuren auftritt, die anders verfasst sind als er. Dass er aus dieser Haltung heraus und nicht aus Unbedachtheit davon schreibt, dass die „brutalen Morde“ an israelischen Zivilisten im Oktober 2023 von „Hamas-Aktivisten“ verübt wurden und nicht von Terroristen, will man ihm gar nicht unterstellen. Dass er an manchen Stellen recht nah ans Raunen gerät, schon eher.
Die Konfrontationen mit Russland, mit China sieht Precht so als durchaus gewollt und gesteuert an – von der kleinen Gruppe der Neokonservativen in den USA. In ihrem Stammland haben sie zwar nicht einmal mehr die von Trump gekaperten Republikaner unter Kontrolle, ziehen aber angeblich immer noch die Strippen in der Geopolitik. Hierzulande helfen dabei „die Massenmedien“, auf die Precht generell nicht gut zu sprechen ist, und zwar indem sie „Abweichungen von der als solche ausgegebenen gesellschaftlichen Mitte oft heftig brandmarken und anprangern und vielfach vom Journalismus zum Aktivismus übergehen“.
Ziel der Operation sei es, ein neues Feindbild, einen neuen Dualismus zu konstruieren, der die Nato zusammen- und den Westen in der herrschenden Position hält: Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Abkühlen des clash of cultures mit der islamischen Welt brauche es nun neue „systemische Rivalen“ der Demokratie, Russland und namentlich China. Propaganda ist der Nato zu diesem Zweck nicht mehr genug, sie betreibe nun „kognitive Kriegsführung“, um „das kollektive Bewusstsein in den USA und in Europa so zu beeinflussen, dass das WIR-gegen-DIE-Schema tief in den meisten Köpfen verankert wird und alternative Deutungen des Weltgeschehens marginalisiert werden“.
Dass sich ein Militärbündnis zumindest theoretisch auch mit nicht-konventioneller Kriegsführung befasst, ohne gleich eine kollektive Gehirnwäsche für seine Bevölkerung aufzusetzen, dass Baerbock China nicht nur als „systemischen Rivalen“ bezeichnet, sondern „als Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen“, was im Dreiklang dann doch etwas anderes klingt, das sind Details. Aber halt solche, die das Ergebnis weniger sexy erscheinen lassen.
Der Frage nach Visionen für eine künftige Außenpolitik erweist Precht mit solchen Verkürzungen aber genau jenen „Bärendienst“, den er in seinem Buch so oft anderen unterstellt. Und zeigt damit: Eine wirkliche Auseinandersetzung in der breiten Öffentlichkeit darüber, wie Deutschland und Europa sich in einer von neuen Realitäten geprägten Welt positionieren soll, findet auch nach der Zeitenwende nicht statt. Und noch etwas ist symptomatisch: Wie eine wertegeleitete Außenpolitik in Bezug auf den asymmetrischen und für Deutschland aufgrund von Historie und Staatsräson belasteten Konflikt in Nahost aussehen könnte, das bleibt in dem Buch genauso eine Leerstelle wie in der momentanen Diskussion.
Über Baerbock sagte er
vergangenes Jahr:
„Was für ein Unfall“
Wie eine wertegeleitete
Außenpolitik aussehen
kann? Weiß er auch nicht
Richard David Precht: Das Jahrhundert der Außenpolitik. Plädoyer für eine wertegeleitete Außenpolitik. Goldmann, München 2024.
288 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
im Gehirn
Richard David Precht macht sich in
„Jahrhundert der Toleranz“ Gedanken
zur Außenpolitik – und zeigt damit einmal mehr,
wie schwer eine wirkliche Debatte zum Thema ist.
VON MORITZ BAUMSTIEGER
Es wäre interessant zu wissen, wie der Textentwurf ausgehen hat, den Pfarrer Joachim Römelt von Richard David Precht zu lesen bekam. Der Germanist, Philosoph und Podcaster hat ein neues Buch geschrieben; nach der Liebe, künstlicher Intelligenz, Tierethik, der Zukunft der Arbeit sowie unserem Mediensystem mit seinen angeblichen Systemmedien ist nun die Zukunft der Menschheit das Thema, die Frage nach Krieg und Frieden. „Das Jahrhundert der Toleranz“ ist der Band überschrieben, „Plädoyer für eine wertegeleitete Außenpolitik“. Und ganz am Ende, in der Danksagung, widmet Precht dem Pfarrer der evangelischen Gemeinde Dorp seiner Heimatstadt Solingen folgenden Satz: „Joachim Römelt glättete manche rhetorische Zuspitzung und bemühte sich um eine Ehrenrettung der Grünen.“
Das Wort „bemühte“ steht hier wohl nicht zufällig, die Außenpolitik der Grünen kommt bei Precht auch nach Römelts Einwirken nicht gut weg. „Die gleiche Intoleranz, die die Partei innenpolitisch in der Genderdebatte zeigt, bestimmt auch die Handschrift ihrer bisherigen wertegeleiteten Außenpolitik“, schreibt er. Und zwar: Zu Hause verlangten die Grünen „größtmögliche Akzeptanz für Diversität“, global aber träumten sie von einer „westlich geprägten Einheitszivilisation“, die „möglichst wenig Diversität an alternativen Lebensvorstellungen“ zulassen wolle.
Als Beispiel einer alternativen Lebensvorstellung nennt Precht immer wieder die der chinesischen Parteien- und Entwicklungsdiktatur. Die Unterdrückung von politisch Andersdenkenden und Minderheiten wie den Uiguren verurteilt er, findet aber, dass man Peking des lieben Friedens willen gewähren lassen sollte. Einspruch ohnehin zwecklos: „Moralisierende Anklagen gegen staatliche Systeme sind leider meist nicht mehr als der Versuch, mit der Luftpumpe die Windrichtung zu ändern.“ Dass grüne Politiker solche Themen überhaupt beackern, ist für Precht nur Kompensation, denn „je weniger die Grünen die moralische Lufthoheit in Deutschland haben, (…) desto hochtrabender benehmen sie sich auf dem internationalen Parkett“.
Man muss die Grünen nicht lieben, um den Gedanken etwas schräg zu finden, dass sie ihren Frust über die am eigenen handwerklichen Unvermögen gescheiterte Heizungswende an Peking auslassen. Um zu wissen, dass Precht mit ihnen noch eine Rechnung offen hat, reicht ein Blick ins vergangene Jahr: Als Annalena Baerbock da im April nach Peking flog, lästerte Precht im Podcast mit Markus Lanz: „Was für ein Unfall, dass diese Frau Außenministerin geworden ist“, unter normalen Bedingungen hätte „die im Auswärtigen Amt noch nicht einmal ein Praktikum gekriegt“. Die Aussagen wurden ziemlich herumgereicht, und zwar eher kritisch, weil sie eine Prise Sexismus enthalten haben könnten. Das scheint Precht getroffen zu haben, sein Buch jetzt liest sich nun wie die kommentierte Langfassung zum Netzhit von damals. Nur eben, Römelt sei dank, ohne solche „rhetorische Zuspitzung“ – und ohne den Namen der Bundesaußenministerin nur einmal zu nennen.
Das alles kann man mit einem Schmunzeln lesen oder mit einer hochgezogenen Augenbraue, Precht eben, der nun auch noch was zur Außenpolitik zu sagen hat, nachdem er sich gerade noch mit Halbwissen zum Judentum blamiert hat. Doch ganz abgesehen von seiner Person ist das „Jahrhundert der Toleranz“ ein symptomatisches Buch: Es zeigt, wie schwer sich die Republik immer noch tut, öffentlich über Außenpolitik nachzudenken und zu streiten – in einer Zeit, in der es auf die Außenpolitik ankommt wie lange nicht.
Wenn Typen wie Rolf Mützenich von der SPD oder Anton Hofreiter von den Grünen in Talkshows entweder die Möglichkeit eines Einfrierens des Konflikts in der Ukraine erörtern oder im Gegenteil Angriffe auf Russland mit deutschen Waffen erlauben wollen, dann sind die Reaktionen stets schrill. Das ist einigermaßen erklärlich, hier geht es schließlich nicht um philosophische Fragen, sondern um Leben und Tod, es ist gewissermaßen Gefahr im Verzug. Gleichzeitig schätzen Wähler, sosehr sie doch hoffen, dass die Regierenden ihr Handeln gründlich abgewogen haben, eines nicht, nämlich Streit in Parteien und Koalitionen. Während die Ampelkoalition grundsätzlich gerne streitet, ist die Außenpolitik in deutschen Regierungen selten der Punkt gewesen, an dem sich Auseinandersetzungen kristallisierten. Und zumindest was die größeren Linien angeht, gab es hier auch nur selten Krach mit der Opposition. Und so finden außenpolitische Debatten, die nicht nur Schaukämpfe sind wie die in den Talkshows, bis heute eher in den diskreten Expertenkreisen statt, in Thinktanks, Stiftungen und auf Sicherheitskonferenzen. Somit nie vor dem breiten Publikum, das Precht nun mutmaßlich wieder erreichen wird – und dem er ja Grundbeobachtungen mitzuteilen hat, die zweifelsohne richtig sind: Auf dem Planeten bildet sich eine multipolare Ordnung aus, die Hegemonie der USA und Europas ist vorbei, Deutschland sollte sich Gedanken machen, wo da sein Platz sein wird.
Staaten wie Indien und China haben immer weniger Lust, sich Belehrungen über westliche Werte anzuhören – die zudem unglaubwürdig werden, wenn der Westen sie verletzt, sobald es ihm in den Kram passt. Und dass in Zeiten, in denen eigentlich jeder Cent in Maßnahmen zum Klimaschutz investiert werden müsste, die Rüstungsausgaben explodieren, ist an sich schon Wahnsinn: Wenn es nicht gelingt, die menschengemachte Erderwärmung zu stoppen, wird es irgendwann auch keine Waffen mehr brauchen, um Gebiete gegen Angriffskriege imperial gestimmter Diktatoren zu verteidigen.
Doch genauso wenig wie die, die eine Verhandlungslösung im Ukrainekrieg fordern, auch auf Nachfrage denk- und machbare Schritte dorthin skizzieren, entwickelt Precht greifbare Ideen. Sondern gibt sich der Hoffnung hin, dass der Weltfrieden schon eintreten werde, wenn „der Westen“ künftig „toleranter“ gegenüber Akteuren auftritt, die anders verfasst sind als er. Dass er aus dieser Haltung heraus und nicht aus Unbedachtheit davon schreibt, dass die „brutalen Morde“ an israelischen Zivilisten im Oktober 2023 von „Hamas-Aktivisten“ verübt wurden und nicht von Terroristen, will man ihm gar nicht unterstellen. Dass er an manchen Stellen recht nah ans Raunen gerät, schon eher.
Die Konfrontationen mit Russland, mit China sieht Precht so als durchaus gewollt und gesteuert an – von der kleinen Gruppe der Neokonservativen in den USA. In ihrem Stammland haben sie zwar nicht einmal mehr die von Trump gekaperten Republikaner unter Kontrolle, ziehen aber angeblich immer noch die Strippen in der Geopolitik. Hierzulande helfen dabei „die Massenmedien“, auf die Precht generell nicht gut zu sprechen ist, und zwar indem sie „Abweichungen von der als solche ausgegebenen gesellschaftlichen Mitte oft heftig brandmarken und anprangern und vielfach vom Journalismus zum Aktivismus übergehen“.
Ziel der Operation sei es, ein neues Feindbild, einen neuen Dualismus zu konstruieren, der die Nato zusammen- und den Westen in der herrschenden Position hält: Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Abkühlen des clash of cultures mit der islamischen Welt brauche es nun neue „systemische Rivalen“ der Demokratie, Russland und namentlich China. Propaganda ist der Nato zu diesem Zweck nicht mehr genug, sie betreibe nun „kognitive Kriegsführung“, um „das kollektive Bewusstsein in den USA und in Europa so zu beeinflussen, dass das WIR-gegen-DIE-Schema tief in den meisten Köpfen verankert wird und alternative Deutungen des Weltgeschehens marginalisiert werden“.
Dass sich ein Militärbündnis zumindest theoretisch auch mit nicht-konventioneller Kriegsführung befasst, ohne gleich eine kollektive Gehirnwäsche für seine Bevölkerung aufzusetzen, dass Baerbock China nicht nur als „systemischen Rivalen“ bezeichnet, sondern „als Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen“, was im Dreiklang dann doch etwas anderes klingt, das sind Details. Aber halt solche, die das Ergebnis weniger sexy erscheinen lassen.
Der Frage nach Visionen für eine künftige Außenpolitik erweist Precht mit solchen Verkürzungen aber genau jenen „Bärendienst“, den er in seinem Buch so oft anderen unterstellt. Und zeigt damit: Eine wirkliche Auseinandersetzung in der breiten Öffentlichkeit darüber, wie Deutschland und Europa sich in einer von neuen Realitäten geprägten Welt positionieren soll, findet auch nach der Zeitenwende nicht statt. Und noch etwas ist symptomatisch: Wie eine wertegeleitete Außenpolitik in Bezug auf den asymmetrischen und für Deutschland aufgrund von Historie und Staatsräson belasteten Konflikt in Nahost aussehen könnte, das bleibt in dem Buch genauso eine Leerstelle wie in der momentanen Diskussion.
Über Baerbock sagte er
vergangenes Jahr:
„Was für ein Unfall“
Wie eine wertegeleitete
Außenpolitik aussehen
kann? Weiß er auch nicht
Richard David Precht: Das Jahrhundert der Außenpolitik. Plädoyer für eine wertegeleitete Außenpolitik. Goldmann, München 2024.
288 Seiten, 22 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Moritz Baumstieger findet zu viele Leerstellen im neuen Buch des philosophierenden Podcasters Richard David Precht, in dem es um Krieg und Frieden geht und um die Haltung Deutschlands dazu. Dass die Grünen und besonders Annalena Baerbock und ihre Politik im Text nicht gut wegkommen, hat für Baumstieger vor allem mit einer persönlichen Vendetta Prechts zu tun und mit Sexismus. Den sachlichen Teil findet der Rezensent aber kaum überzeugender. Prechts Aussagen zur mulitpolaren Weltordnung scheinen ihm alles andere als neu. Der Mangel an Ideen in Sachen deutsche Außenpolitik (Ukraine, Nahost) und Weltfrieden, den der Autor an den Tag legt, lässt Baumstieger fragen, wozu das Buch eigentlich gut sein soll.
© Perlentaucher Medien GmbH
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