Was nützen alle Zitate und großen Worte, wenn man einfach keinen Zugang zu der Hauptperson eines Romans finden kann? Angelias lebensbejahende Art ging mir stellenweise auf den Keks, ihre Art ihrem Traum nachzugehen grenzte in meinen Augen beinahe an Größenwahn und ihre Aussagen sind teilweise
richtig krass. So nennt sich nicht die Krebserkrankung als Ursache für den Tod ihres Vaters, sondern in…mehrWas nützen alle Zitate und großen Worte, wenn man einfach keinen Zugang zu der Hauptperson eines Romans finden kann? Angelias lebensbejahende Art ging mir stellenweise auf den Keks, ihre Art ihrem Traum nachzugehen grenzte in meinen Augen beinahe an Größenwahn und ihre Aussagen sind teilweise richtig krass. So nennt sich nicht die Krebserkrankung als Ursache für den Tod ihres Vaters, sondern in ihren Augen war die Mittelmäßigkeit daran Schuld. Einwände ihrer Mutter werden mit Phrasen und Parolen niedergeschmettert, die in meinen Augen zu extrem dargestellt waren, um natürlich zu wirken. Die Protagonisten sind nicht grauschattiert, sondern alle schwarz oder weiß. Träumer sind gut und alle anderen, die ihren Traum aufgegeben haben sind schlecht. Träumen wird gleichgesetzt mit Leben, Mittelmäßigkeit und Sicherheit stehen für Leblosigkeit.
Mir ist bewusst, dass viele Leser ein positives Fazit aus der Geschichte gezogen haben, aber für mich stand am Ende das Fazit, dass Menschen, die ihre Träume nicht leben, kein lebenswertes Dasein führen, auch wenn das ganz sicher nicht die Intention der Autorin war. Nachdem ich das Buch beendet habe, war ich einfach verärgert, schockiert und deprimiert. Stundenlang habe ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen und mich gefragt, was das Leben überhaupt für einen Sinn hat aus Angelias Sicht, aber ohne Möglichkeit seine Träume leben zu können. Nachdem ich zeitgleich mit meiner Lektüre andere Stimmen zu dem Buch gehört habe, scheint es sehr stimmungsabhängig zu sein, wie das Buch beim Leser ankommt. Daneben haben mich auch eine Glaubensdiskussion und der Umgang mit Sex gestört. Nicht der Sex an sich, sondern die Titulierung als Vögeln oder Treiben. Dass ich mich an diesen Punkten gestört habe, liegt vor allen Dingen an meinen im Nachhinein falschen Erwartungshaltungen, mit denen ich an dieses Buch herangegangen bin. An einigen Stellen hätte mich die Geschichte dennoch für sich gewinnen können, wenn einige Punkte nicht zu kurz abgehandelt worden wären, wie die Konfliktbewältigung zwischen Angelia und ihrer Mutter oder das Verhältnis zwischen Josh und Jeremy und ihrem Vater. Die Aussagen, die hier gemacht werden, sind teilweise provokant, aber zu plakativ. Daneben hat mich noch die Vorhersehbarkeit einiger Handlungspunkte gestört. An einem bestimmten Punkt der Geschichte kann sich der Leser recht schnell denken, warum Angelias Vater seiner Heimat den Rücken zugewandt und seine Träume begraben hat und das Angelia an zwei Stellen Niederlagen einstecken muss, konnte man sich eigentlich auch denken, da die Ziele beinahe utopisch hochgesteckt waren. Hätte die Handlung an diesen Stellen eine andere Wendung genommen, wäre sie einfach nicht mehr glaubwürdig gewesen. Zu viel gewollt - zu wenig rübergebracht: neben Lebensmüdigkeit und verlorenen Träumen handelt die Autorin Homosexualität, Alkoholprobleme und althergebrachte Werte wie Ehe und Glauben manchmal nur auf wenigen Seiten ab, dass mir trotz mitreißenden Dialogen und fließendem Schreibstil die Handlung stellenweise zu unausgegoren und halbherzig war.
Tanya Stewner macht keinem vor, dass Lebensträume einfach so erfüllt werden, um Träume zu verwirklichen, muss auch Angelia hart arbeiten, aber ihre Art, wie sie alles außer ihrem Traum als notwendiges Übel sieht und Personen ohne Träume als zweitklassig degradiert werden, hinterließ bei mir nach dem Lesen einen schalen Beigeschmack.
Wer selbst Musik "lebt" kann sich mit "Das Lied der Träumerin" aber sicher mehr identifizieren als ich das konnte, denn ich finde Musik zwar schön, aber sie nimmt keinen so hohen Stellenwert in meinem Leben ein, dass ich mich in Angelias Umgang mit Musik wiederentdecken oder mich zumindest hineinversetzen konnte. Für Angelia ist Musik nicht gleich Musik, vielmehr hat sie einen Soundtrack für ihr Leben und das richtige Lied zur richtigen Zeit wirkt bei ihr beinahe wie ein Wunderheilmittel.