Meine Meinung:
Olivier Norek hat einen sehr flüssigen, gut zu lesenden Schreibstil, der den Leser gleich abholt: Noémie, deren Verletztheit (physisch wie auch psychisch) während des ganzen Kriminalromans gefangen nimmt und die mit Hilfe eines Psychologen versucht, ihre Persönlichkeit so
anzunehmen, wie sie jetzt ist, sich selbst zu mögen, trotz des entstellten Gesichts, hat mich zutiefst…mehrMeine Meinung:
Olivier Norek hat einen sehr flüssigen, gut zu lesenden Schreibstil, der den Leser gleich abholt: Noémie, deren Verletztheit (physisch wie auch psychisch) während des ganzen Kriminalromans gefangen nimmt und die mit Hilfe eines Psychologen versucht, ihre Persönlichkeit so anzunehmen, wie sie jetzt ist, sich selbst zu mögen, trotz des entstellten Gesichts, hat mich zutiefst beeindruckt. Die Dialoge mit Melchior haben mich trotz der Schwere ihrer Verletzungen zuweilen sehr zum Schmunzeln gebracht, wie es auch an anderen Stellen nicht an Humor mangelte (entfernt erinnerte mich "la facon d'écrire" - der Schreibstil von Norek an meine Lieblingskrimiautorin, die ebenfalls Französin ist: Fred Vargas). Die Figuren und Hintergründe werden authentisch und nachvollziehbar beschrieben, besonders Noémie charakterlich sehr gut ausgeleuchtet: Sie ist lieber Kämpferin als Opfer und arbeitet daran, den Cold Case mit Erfolg abzuschließen, um Schlimmeres zu vermeiden (ihre Tätigkeit bei der Polizei ist ihr absolut wichtig) und evtl. sogar degradiert zu werden. Der "Fall" um das Verschwinden von Alex, Cyril und Elsa legt auch offen, durch welche Hölle Eltern gehen, deren Kind spurlos verschwunden ist oder entführt wurde. Wir lernen die Familien Dorin, Madame Saulnier und die Familie Casteran kennen, deren Leben auf die eine oder andere Weise im Jahre 1994 endete und die noch heute von dem Verlust und der Ungewissheit gezeichnet sind. Da auch die hinzugerufene Flussbrigade aus Paris unter dem erfahrenen Taucher Hugo Massey keine weiteren eindeutigen Beweise zutage fördert, trotz lebensgefährlicher Tauchgänge im See, wird der Stausee auf Weisung der Staatsanwaltschaft geleert: Nun wird sich zeigen, ob der See weitere Kinderleichen birgt - und auch, wer hier Blut an den Händen hat: Da Noémie, starrsinnig, stur und sehr vorsichtig in ihrem Job, in der weiteren Ermittlung niemandem trauen kann (es wurden mehrere Anschläge auf sie verübt), hält sie wichtige Informationen zunächst zurück, bis es zum shut down kommt, der absolut nicht vorhersehbar für mich war und mich überraschte.
Viele sozialkritische Aspekte habe ich in dem Krimi gefunden (z.B. wie ausländische Arbeitnehmer als Billigkräfte zum Hungerlohn schuften, Sékour war mit die tragischste Figur in diesem Krimi!; aber auch Rassismus, Ausgrenzung und auch Vorurteile der Städter gegenüber der Provinz: Trottel gibt es auch (in allen Diensten, nicht nur bei der Polizei) in Haupt- und Großstädten! Insofern ist der spannende, im Plot stimmige und sehr unterhaltsame Kriminalroman aus der Feder von Olivier Norek auch eine Hommage an das Aveyron im Herzen Frankreichs: Der Autor ist selbst dort aufgewachsen und daher "ortskundig". "Das versunkene Dorf" weckt in mir das Bedürfnis, diesen schönen französischen Landstrich, der mir selbst unbekannt ist, auch einmal sehen zu wollen!
Fazit:
Spannend, sozialkritisch, psychologisch raffiniert und auch humorvoll. Norek gelingt es, den Spannungsbogen bis zum Schluss zu halten; ein sehr lesenswerter Kriminalroman, dessen knifflige Lösung bis zum Schluss den Leser in Spannung hält. Gelungen! Kleiner Kritikpunkt: Ich bin sicher, dass Noémie (oder eine andere Person) viel längere Zeit benötigt, um nach einer Gesichtsentstellung wieder zu sich selbst zu finden. Ja stärker aus der Verletzung hervorzugehen, sich selbst wieder annehmen und lieben zu können, wie sie dies zuvor konnte. Dennoch eine Empfehlung und 4,5 Sterne am Krimifirmament!