Produktdetails
- Verlag: Der Audio Verlag, DAV
- ISBN-13: 9783898131735
- Artikelnr.: 24832837
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.1995Nur Krempel bei Hempel
Kleiner Klassiker: Joseph Moncure March besucht ein wildes Fest
Es ist ungewöhnlich genug, daß sich ein Verlag marginaler älterer Texte erinnert, und es ist dankenswert, daß ein Buch aus dem Jahre 1928 wiederentdeckt worden ist: Im letzten Jahr hat Random House "The Wild Party" herausgebracht - ein längeres Gedicht des auch in den Vereinigten Staaten vergessenen Schriftstellers Joseph Moncure March (1899 bis 1977), der in den zwanziger Jahren eine winzige Berühmtheit mit zwei solchen erzählenden Poemen erlangt hat: "The Wild Party" und "The Set-Up", der Geschichte eines abgekarteten Boxkampfes.
March hat nach diesen beiden 1928 jeweils in Buchform erschienenen Balladen kaum mehr etwas veröffentlicht. Er ging nach Hollywood und arbeitete als Drehbuchautor. In den Jahren 1930 bis 1940 sind sechzehn Filme mit ganz oder teilweise von ihm verfaßten Drehbüchern erschienen, fast alles zu Recht vergessene B-Pictures. 1949 und 1978 kamen Filme auf die Leinwand, denen die Gedichte von March als Vorlage gedient hatten: "The Set-Up", ein geglückter film noir mit Robert Ryan als Boxer, der weiterkämpft, auch als er erfährt, daß sein Manager den Fight verkauft hat, und "The Wild Party", als grelles Melodram mit James Coco und Raquel Welch.
"The Wild Party" ist ein triviales, aber kunstreiches Gedicht. Hier begegnen sich die in den Klassenzimmern skandierten melodramatischen Balladen der Jahrhundertwende à la "Dangerous Dan McGrew" mit Cole Porters Reimwitz, einem domestizierten Blues und dem dekorativen Zynismus des "New Yorker", für den March in der Gründerzeit als Redakteur und Intimus von Harold Ross gearbeitet hat. Der Inhalt ist rasch erzählt: Queenie und Burrs wohnen zusammen und lieben und streiten sich leidenschaftlich. Auf einer Party will Queenie ihren renitenten Liebhaber eifersüchtig machen und flirtet mit Black. Als es über den zusammengesackten Gästen langsam Morgen wird, geht Burrs auf die beiden los; Black erschießt ihn. Da stehen in der letzten Zeile des Gedichtes die von einem wütenden Nachbarn gerufenen Polizisten im Raum.
Die Story ist nicht bedeutend - wichtig sind das schäbige Chaos in der Wohnung, die Schatten an den Wänden. Die "Wild Party" ist ein Topos des Lebensgefühls jener Zeit - ein 1929 gedrehter Film mit Clara Bow heißt so. Es ist die Zeit, in der man den Besuch einer Partie mit tagelangen Sehstörungen bezahlen kann - Folgen des Prohibitionsfusels. Das Gedicht hat hie und da den nostalgischen Charme des film noir: eine Inszenierung von Ausweglosigkeit, die liebevoll auf ihre Requisiten achtet.
Daß die nun erschienene Übersetzung von Uli Becker nicht völlig befriedigend ist, heißt nicht, daß es diesem Lyriker, der zwischen "Frollein Butterfly" und "Blauem Wunder" bewiesen hat, was er kann, an Talent fehlte - es zeigt einfach die grundsätzliche Schwierigkeit, den amerikanischen Lakonismus des Originals zu übertragen, der in der Nähe des "hard-boiled" Kriminalromans steht. Viele Wendungen, die Becker gefunden hat, sind glücklich. Wenn es einen Einwand gibt, dann den, daß der übersetzte Text gelegentlich das Vergnügen an originellen Lösungen mit einer gewissen permanenten Munterkeit ("Wohin man auch sah, kein Ende des Krempels / Dagegen ging's aufgeräumt zu bei den Hempels") bezahlt, für die es im hektisch-düsteren Tonfall des Originals keine Entsprechung gibt. Der komische Endreim, dessen sich Becker so häufig - virtuos - bedient, spielt bei March, der präzise, aber ohne besondere Ostentation reimt, keine große Rolle; man kann in solchen vergnüglichen, aber manchmal allzu augenzwinkernden Reimspielen den Preis sehen, den die deutsche Übersetzung für ihre Lebendigkeit entrichtet. Jedenfalls ist es Uli Becker, alles in allem, großartig gelungen, diesen gewiß nicht einfachen Text soweit ins Deutsche zu holen, wie dies möglich ist.
Das Buch, das in den Vereinigten Staaten als "lost classic" angekündigt wurde, ist jetzt gewiß weniger um seiner selbst willen als seiner neuen Illustrationen wegen veröffentlicht worden: Auf dem Umschlag steht "Art Spiegelman" etwa doppelt so groß wie der Autorenname. Spiegelman ist ein wichtiger Zeichner und Impressario der Underground-Comics-Szene, der in den siebziger Jahren durch den Comic "Maus" berühmt wurde, welcher die Geschichte der Todeslager mit einem Personal von Mäusen (Juden) und Katzen (Nazis) nacherzählt hat: "Mauschwitz".
Ob dieser geniale Trick des mauvais gout mit seiner grausamen Sentimentalität die Herauslösung aus dem Milieu des Magazins "Funny Animals" und die selbständige Publikation als Album wirklich gut überstanden hat, blieb stets zweifelhaft. Was im großzügig deliranten und sich ständig selbst verfremdenden Kontext der Underground Comics als Teil des vorausgesetzten Wahnsinns erzählt werden konnte, stand als Buch für sich anders da: ganz den eigenen Bildchen ausgeliefert. Dieses "Mauschwitz" jedenfalls hat Art Spiegelman berühmt gemacht. Und ohne die Beihilfe eines so berühmten Zeichners hätte Marchs kleiner Text wohl nicht den Weg in die Neuausgabe bei Random House und die Übersetzung des Rowohlt Verlags gefunden.
Spiegelmans Bilder zum "Wilden Fest", die solcherart fast die eigentliche Veröffentlichung darstellen, sind durchaus gelungen, aber sie haben etwas von der leeren Geschicklichkeit des Pastiche. Hätte man das Buch mit den engagiert gemeinen, dem Text ebenbürtigen Illustrationen der Erstausgabe von Reginald Marsh neu aufgelegt, hätte sich eher seine ganze Ferne gezeigt, eine nicht zu überwindende Distanz, man hätte das Echo von Geschrei, Klaviergeklimper und Schüssen gehört - aber aus einer Vergangenheit, die vor langer Zeit einmal real und böse gewesen sein muß.
Das Vorsatzpapier ist im Original wie für die Übersetzung aus rotem Samt. Genau weiß man ja nicht, was der Hersteller damit sagen will: Blut? Liebe? Verruchtheit? Ein Unterhaltungsgefühl vielleicht, wie es in Deutschland damals Anita Berber, ganz in Rot auf dem bekannten Porträt von Dix, im Titel ihres bewährten Spezialprogramms zusammengefaßt hat: Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase? Es wird auf eine gewisse komfortable Gemütlichkeit des Exzesses hinauslaufen, die man im Mythos der zwanziger Jahre glaubt ahnen zu dürfen. March dürfte es im Singsang seiner tückisch trivialen Verse von Eifersucht und Langeweile ernster gemeint haben, aber sein Gedicht ist ein so schmales Gebilde von so fragiler Qualität, daß man genau hinhören muß - und darum die bewundernswert geschickten Illustrationen am besten ignoriert. JOACHIM KALKA
Joseph Moncure March: "Das wilde Fest". Mit Zeichnungen von Art Spiegelman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Uli Becker. Rowohlt Verlag, Reinbek 1995. 112 S., geb., 34,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kleiner Klassiker: Joseph Moncure March besucht ein wildes Fest
Es ist ungewöhnlich genug, daß sich ein Verlag marginaler älterer Texte erinnert, und es ist dankenswert, daß ein Buch aus dem Jahre 1928 wiederentdeckt worden ist: Im letzten Jahr hat Random House "The Wild Party" herausgebracht - ein längeres Gedicht des auch in den Vereinigten Staaten vergessenen Schriftstellers Joseph Moncure March (1899 bis 1977), der in den zwanziger Jahren eine winzige Berühmtheit mit zwei solchen erzählenden Poemen erlangt hat: "The Wild Party" und "The Set-Up", der Geschichte eines abgekarteten Boxkampfes.
March hat nach diesen beiden 1928 jeweils in Buchform erschienenen Balladen kaum mehr etwas veröffentlicht. Er ging nach Hollywood und arbeitete als Drehbuchautor. In den Jahren 1930 bis 1940 sind sechzehn Filme mit ganz oder teilweise von ihm verfaßten Drehbüchern erschienen, fast alles zu Recht vergessene B-Pictures. 1949 und 1978 kamen Filme auf die Leinwand, denen die Gedichte von March als Vorlage gedient hatten: "The Set-Up", ein geglückter film noir mit Robert Ryan als Boxer, der weiterkämpft, auch als er erfährt, daß sein Manager den Fight verkauft hat, und "The Wild Party", als grelles Melodram mit James Coco und Raquel Welch.
"The Wild Party" ist ein triviales, aber kunstreiches Gedicht. Hier begegnen sich die in den Klassenzimmern skandierten melodramatischen Balladen der Jahrhundertwende à la "Dangerous Dan McGrew" mit Cole Porters Reimwitz, einem domestizierten Blues und dem dekorativen Zynismus des "New Yorker", für den March in der Gründerzeit als Redakteur und Intimus von Harold Ross gearbeitet hat. Der Inhalt ist rasch erzählt: Queenie und Burrs wohnen zusammen und lieben und streiten sich leidenschaftlich. Auf einer Party will Queenie ihren renitenten Liebhaber eifersüchtig machen und flirtet mit Black. Als es über den zusammengesackten Gästen langsam Morgen wird, geht Burrs auf die beiden los; Black erschießt ihn. Da stehen in der letzten Zeile des Gedichtes die von einem wütenden Nachbarn gerufenen Polizisten im Raum.
Die Story ist nicht bedeutend - wichtig sind das schäbige Chaos in der Wohnung, die Schatten an den Wänden. Die "Wild Party" ist ein Topos des Lebensgefühls jener Zeit - ein 1929 gedrehter Film mit Clara Bow heißt so. Es ist die Zeit, in der man den Besuch einer Partie mit tagelangen Sehstörungen bezahlen kann - Folgen des Prohibitionsfusels. Das Gedicht hat hie und da den nostalgischen Charme des film noir: eine Inszenierung von Ausweglosigkeit, die liebevoll auf ihre Requisiten achtet.
Daß die nun erschienene Übersetzung von Uli Becker nicht völlig befriedigend ist, heißt nicht, daß es diesem Lyriker, der zwischen "Frollein Butterfly" und "Blauem Wunder" bewiesen hat, was er kann, an Talent fehlte - es zeigt einfach die grundsätzliche Schwierigkeit, den amerikanischen Lakonismus des Originals zu übertragen, der in der Nähe des "hard-boiled" Kriminalromans steht. Viele Wendungen, die Becker gefunden hat, sind glücklich. Wenn es einen Einwand gibt, dann den, daß der übersetzte Text gelegentlich das Vergnügen an originellen Lösungen mit einer gewissen permanenten Munterkeit ("Wohin man auch sah, kein Ende des Krempels / Dagegen ging's aufgeräumt zu bei den Hempels") bezahlt, für die es im hektisch-düsteren Tonfall des Originals keine Entsprechung gibt. Der komische Endreim, dessen sich Becker so häufig - virtuos - bedient, spielt bei March, der präzise, aber ohne besondere Ostentation reimt, keine große Rolle; man kann in solchen vergnüglichen, aber manchmal allzu augenzwinkernden Reimspielen den Preis sehen, den die deutsche Übersetzung für ihre Lebendigkeit entrichtet. Jedenfalls ist es Uli Becker, alles in allem, großartig gelungen, diesen gewiß nicht einfachen Text soweit ins Deutsche zu holen, wie dies möglich ist.
Das Buch, das in den Vereinigten Staaten als "lost classic" angekündigt wurde, ist jetzt gewiß weniger um seiner selbst willen als seiner neuen Illustrationen wegen veröffentlicht worden: Auf dem Umschlag steht "Art Spiegelman" etwa doppelt so groß wie der Autorenname. Spiegelman ist ein wichtiger Zeichner und Impressario der Underground-Comics-Szene, der in den siebziger Jahren durch den Comic "Maus" berühmt wurde, welcher die Geschichte der Todeslager mit einem Personal von Mäusen (Juden) und Katzen (Nazis) nacherzählt hat: "Mauschwitz".
Ob dieser geniale Trick des mauvais gout mit seiner grausamen Sentimentalität die Herauslösung aus dem Milieu des Magazins "Funny Animals" und die selbständige Publikation als Album wirklich gut überstanden hat, blieb stets zweifelhaft. Was im großzügig deliranten und sich ständig selbst verfremdenden Kontext der Underground Comics als Teil des vorausgesetzten Wahnsinns erzählt werden konnte, stand als Buch für sich anders da: ganz den eigenen Bildchen ausgeliefert. Dieses "Mauschwitz" jedenfalls hat Art Spiegelman berühmt gemacht. Und ohne die Beihilfe eines so berühmten Zeichners hätte Marchs kleiner Text wohl nicht den Weg in die Neuausgabe bei Random House und die Übersetzung des Rowohlt Verlags gefunden.
Spiegelmans Bilder zum "Wilden Fest", die solcherart fast die eigentliche Veröffentlichung darstellen, sind durchaus gelungen, aber sie haben etwas von der leeren Geschicklichkeit des Pastiche. Hätte man das Buch mit den engagiert gemeinen, dem Text ebenbürtigen Illustrationen der Erstausgabe von Reginald Marsh neu aufgelegt, hätte sich eher seine ganze Ferne gezeigt, eine nicht zu überwindende Distanz, man hätte das Echo von Geschrei, Klaviergeklimper und Schüssen gehört - aber aus einer Vergangenheit, die vor langer Zeit einmal real und böse gewesen sein muß.
Das Vorsatzpapier ist im Original wie für die Übersetzung aus rotem Samt. Genau weiß man ja nicht, was der Hersteller damit sagen will: Blut? Liebe? Verruchtheit? Ein Unterhaltungsgefühl vielleicht, wie es in Deutschland damals Anita Berber, ganz in Rot auf dem bekannten Porträt von Dix, im Titel ihres bewährten Spezialprogramms zusammengefaßt hat: Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase? Es wird auf eine gewisse komfortable Gemütlichkeit des Exzesses hinauslaufen, die man im Mythos der zwanziger Jahre glaubt ahnen zu dürfen. March dürfte es im Singsang seiner tückisch trivialen Verse von Eifersucht und Langeweile ernster gemeint haben, aber sein Gedicht ist ein so schmales Gebilde von so fragiler Qualität, daß man genau hinhören muß - und darum die bewundernswert geschickten Illustrationen am besten ignoriert. JOACHIM KALKA
Joseph Moncure March: "Das wilde Fest". Mit Zeichnungen von Art Spiegelman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Uli Becker. Rowohlt Verlag, Reinbek 1995. 112 S., geb., 34,- DM.
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