Alfred Day, ein unscheinbarer kleiner Soldat der Royal Air Force, war zeitweise sogar glücklich im Zweiten Weltkrieg: Seine Kameraden sind seine Familie, seine Luftwaffenkanone sein Arbeitsplatz und Joyce seine große Liebe. Als Filmkomparse in einem nachgestellten Lager wird ihm nach Kriegsende bewusst, dass er alles verloren hat, was ihm etwas bedeutet: Die Crew ist tot, er findet sich in seinem Leben nicht zurecht und Joyce, Frau eines anderen, scheint für ihn ebenso verloren wie der Glaube an"seinen"Krieg. A. L. Kennedy erzählt Days Geschichte als Antikriegsroman einer"lost generation", wie sie heute aus dem Irak zurückkehrt. Engagiert und doch frei von Pathos nimmt Matthias Brandt den Zuhörer für den Helden Alfred ein.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2007Als lachende Männer ein Loch in den Himmel brannten
Todesangst und Überlebensrausch: A. L. Kennedys Kriegsroman / Von Hubert Spiegel
Angst, Schuld und Liebe. Darum geht es und um nichts anderes. Es ärgere sie, hat A. L. Kennedy einmal gesagt, wenn man sie fragt, wovon dieses oder jenes Werk handle. Denn die Frage ist überflüssig. "Es geht um Angst, Schuld und Liebe. Immer." Und es geht darum, was ein Autor daraus macht.
A. L. Kennedy macht daraus Bücher, die zum Besten gehören, was die britische Gegenwartsliteratur zu bieten hat. Keine andere Autorin stürzt sich ähnlich tollkühn und radikal auf ihre Gegenstände wie die 1965 in Dundee geborene Schottin. Ob ihre Figuren in den Suff abgleiten, in sexuelle Abhängigkeit geraten oder von Todessehnsucht erfüllt sind: Emotionen sind für diese Autorin Urgewalten. A. L. Kennedy interessiert sich für alles, was Menschen zerstören kann, und für alles, was ihnen erlaubt, mit den Verwüstungen ihrer Seelen weiterzuleben. Also musste sie früher oder später an den Krieg geraten.
Alfred F. Day ist keine zwanzig, als er sich freiwillig zur Luftwaffe meldet. Ein Milchgesicht vom Land, kleinwüchsig und schüchtern. Ein harmloser, guter Junge, der nach den ersten Einsätzen an der Front nach Hause zurückkehrt und den verhassten Vater tötet. Die Crew des Lancaster-Bombers wird ihm zum Familienersatz, eine Männergemeinschaft auf Leben und Tod, aus der nur Day lebendig hervorgehen wird. Aus der Kriegsgefangenschaft kehrt er als Wrack zurück, einer jener jungen Männer, die nie wieder vergessen können, was sie gesehen und getan haben.
Als der Roman einsetzt, ist der Krieg seit vier Jahren zu Ende und Day wieder in Deutschland, wieder in einem Lager, aber diesmal als Komparse bei Dreharbeiten zu einem Kriegsfilm. Am ganzen Leib zitternd, steht er zwischen den Baracken und erinnert sich an die Misshandlungen durch die Deutschen, an die toten Kameraden, an ihre zuweilen bizarren Rituale und an ihren gemeinsamen Spitznamen: Sie waren die Crew, die lacht.
Es ist dies eine der vielen ungeheuerlichen Szenen dieses beeindruckenden Romans: Bei einem der Einsätze geraten sie in feindliches Feuer, und Sergeant Pluckrose wird von den Geschossen zerfetzt. Der Kopf ist verschwunden, Teile des Körpers sind im Flugzeug verteilt, überall kleben Blut und Fleischfetzen, einen Leichnam, den man bergen könnte, gibt es nicht, nur einen Torso und verstreute Überreste. Nach der Landung stehen die sechs Überlebenden beisammen, und in einem bizarren Ritual halten sie sich aneinander fest, fassen sich gegenseitig an ihren mit den Überresten des Toten verschmierten Uniformen und singen lachend eines der Lieder, die sie sonst vor dem Abflug zu singen pflegen: "He's there for a day and then he's away, / He's a-a-all over the place."
Immer wieder versucht A. L. Kennedy nachzuvollziehen, was der Krieg in den Männern anrichtet. Er ist das große Initiationserlebnis: Er erschafft den Mann - und löscht ihn wieder aus. Die einen sterben, die anderen sind verkrüppelt und für immer gezeichnet. Nicht einer kehrt als der zurück, als der er ausgezogen war. Im Stakkato des inneren Monologs des wie verrückt feuernden Bordschützen will A. L. Kennedy die Atemlosigkeit Days in seiner Glaskanzel spürbar werden lassen, die ungeheure Mischung aus Angst und Erregung, die entsteht, wenn man tötet und weiss, dass man jederzeit getötet werden kann. Sie schildert die Schuldgefühle, die Day nach der Bombardierung Hamburgs plagen und nie wieder verlassen. Und sie schildert die Bombardierung selbst, jenen Tag, an dem Männer wie Alfred Day ein "Loch in den Himmel brannten". Was sie darin erblickten, war "der Rand des wahren Gesichts des Todes".
A. L. Kennedy rückt so nah an die Schrecken des Luftkriegs heran, dass sie zuweilen Gefahr läuft, der Faszination des Grauens zu erliegen. Sie schildert den Zusammenhalt der siebenköpfigen Crew nahezu ungebrochen als Männeridyll, eine verschworene Gemeinschaft, zusammengeschweißt durch Todesfurcht und Überlebensrausch, denn jeder überstandene Einsatz wird wie eine Wiedergeburt erlebt. Distanz zum Geschehen nimmt sie nur ein, soweit sie ihrem Helden selbst möglich ist.
Neben die Kriegshandlungen und die Zeit bei den Dreharbeiten im Lager tritt Days dumpfes Nachkriegsleben in London, wo er mit dem pazifistischen Buchhändler Ivor ein Antiquariat betreibt und seiner großen Liebe nachtrauert. Auch die Erzählperspektive ist auf drei Ebenen verteilt, auf einen allwissenden Erzähler, einen sich im Selbstgespräch erinnernden Day sowie auf kursiv gesetzte Passagen, die Days Gedanken wiedergeben und den Kern der Figur enthüllen. Die vollkommene Sicherheit, mit der Kenndy zwischen diesen Zeitebenen und Erzählperspektiven wechselt, hat etwas geradezu Unheimliches. Die scheinbare Mühelosigkeit, mit der sich eine 1965 geborene Frau in einen Bordschützen des Zweiten Weltkriegs einfühlt, ist mehr als erstaunlich. Sie ist bewundernswert.
In England ist "Day" der großen Antikriegsliteratur zugerechnet worden, in Deutschland wird man das Buch nicht zuletzt im Zusammenhang mit der vor zehn Jahren von W. G. Sebald ausgelösten Luftkriegsdebatte lesen. A. L. Kennedy selbst hat darauf hingewiesen, dass ihr Roman entstanden ist, während England in einen anderen Krieg verwickelt war, den sie in vielen Kommentaren in englischen Zeitungen verdammmt hat. Mehrfach hat sie darauf hingewiesen, dass jeder vierte Obdachlose in Schottland ein Veteran des Irak-Kriegs ist.
Dass es aus dem Krieg auch für die Überlebenden keine Heimkehr geben kann, wäre die zentrale Botschaft dieses Romans, wenn A. L. Kennedy ihrem Helden nicht so viel Sympathie entgegenbringen würde. Aber "Day" ist letztlich die Geschichte einer Erlösung. Bei den Dreharbeiten begegnet Day dem lettischen Nazi-Kollaborateur Vasyl. Für diesen Massenmörder gibt es nur Opfer und Täter, und die Täter sind ihm alle gleich. Denn sie alle empfinden Lust bei dem, was sie tun. Erst durch diese dunkle Gegenfigur findet Day zu sich und ins Leben zurück. Kennedy verdammt den Krieg, aber nicht jene, die in ihm kämpften. Ein Widerspruch ist das nicht.
A. L. Kennedy: "Day". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2007. 349 S., geb., 22,90 [Euro].
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Todesangst und Überlebensrausch: A. L. Kennedys Kriegsroman / Von Hubert Spiegel
Angst, Schuld und Liebe. Darum geht es und um nichts anderes. Es ärgere sie, hat A. L. Kennedy einmal gesagt, wenn man sie fragt, wovon dieses oder jenes Werk handle. Denn die Frage ist überflüssig. "Es geht um Angst, Schuld und Liebe. Immer." Und es geht darum, was ein Autor daraus macht.
A. L. Kennedy macht daraus Bücher, die zum Besten gehören, was die britische Gegenwartsliteratur zu bieten hat. Keine andere Autorin stürzt sich ähnlich tollkühn und radikal auf ihre Gegenstände wie die 1965 in Dundee geborene Schottin. Ob ihre Figuren in den Suff abgleiten, in sexuelle Abhängigkeit geraten oder von Todessehnsucht erfüllt sind: Emotionen sind für diese Autorin Urgewalten. A. L. Kennedy interessiert sich für alles, was Menschen zerstören kann, und für alles, was ihnen erlaubt, mit den Verwüstungen ihrer Seelen weiterzuleben. Also musste sie früher oder später an den Krieg geraten.
Alfred F. Day ist keine zwanzig, als er sich freiwillig zur Luftwaffe meldet. Ein Milchgesicht vom Land, kleinwüchsig und schüchtern. Ein harmloser, guter Junge, der nach den ersten Einsätzen an der Front nach Hause zurückkehrt und den verhassten Vater tötet. Die Crew des Lancaster-Bombers wird ihm zum Familienersatz, eine Männergemeinschaft auf Leben und Tod, aus der nur Day lebendig hervorgehen wird. Aus der Kriegsgefangenschaft kehrt er als Wrack zurück, einer jener jungen Männer, die nie wieder vergessen können, was sie gesehen und getan haben.
Als der Roman einsetzt, ist der Krieg seit vier Jahren zu Ende und Day wieder in Deutschland, wieder in einem Lager, aber diesmal als Komparse bei Dreharbeiten zu einem Kriegsfilm. Am ganzen Leib zitternd, steht er zwischen den Baracken und erinnert sich an die Misshandlungen durch die Deutschen, an die toten Kameraden, an ihre zuweilen bizarren Rituale und an ihren gemeinsamen Spitznamen: Sie waren die Crew, die lacht.
Es ist dies eine der vielen ungeheuerlichen Szenen dieses beeindruckenden Romans: Bei einem der Einsätze geraten sie in feindliches Feuer, und Sergeant Pluckrose wird von den Geschossen zerfetzt. Der Kopf ist verschwunden, Teile des Körpers sind im Flugzeug verteilt, überall kleben Blut und Fleischfetzen, einen Leichnam, den man bergen könnte, gibt es nicht, nur einen Torso und verstreute Überreste. Nach der Landung stehen die sechs Überlebenden beisammen, und in einem bizarren Ritual halten sie sich aneinander fest, fassen sich gegenseitig an ihren mit den Überresten des Toten verschmierten Uniformen und singen lachend eines der Lieder, die sie sonst vor dem Abflug zu singen pflegen: "He's there for a day and then he's away, / He's a-a-all over the place."
Immer wieder versucht A. L. Kennedy nachzuvollziehen, was der Krieg in den Männern anrichtet. Er ist das große Initiationserlebnis: Er erschafft den Mann - und löscht ihn wieder aus. Die einen sterben, die anderen sind verkrüppelt und für immer gezeichnet. Nicht einer kehrt als der zurück, als der er ausgezogen war. Im Stakkato des inneren Monologs des wie verrückt feuernden Bordschützen will A. L. Kennedy die Atemlosigkeit Days in seiner Glaskanzel spürbar werden lassen, die ungeheure Mischung aus Angst und Erregung, die entsteht, wenn man tötet und weiss, dass man jederzeit getötet werden kann. Sie schildert die Schuldgefühle, die Day nach der Bombardierung Hamburgs plagen und nie wieder verlassen. Und sie schildert die Bombardierung selbst, jenen Tag, an dem Männer wie Alfred Day ein "Loch in den Himmel brannten". Was sie darin erblickten, war "der Rand des wahren Gesichts des Todes".
A. L. Kennedy rückt so nah an die Schrecken des Luftkriegs heran, dass sie zuweilen Gefahr läuft, der Faszination des Grauens zu erliegen. Sie schildert den Zusammenhalt der siebenköpfigen Crew nahezu ungebrochen als Männeridyll, eine verschworene Gemeinschaft, zusammengeschweißt durch Todesfurcht und Überlebensrausch, denn jeder überstandene Einsatz wird wie eine Wiedergeburt erlebt. Distanz zum Geschehen nimmt sie nur ein, soweit sie ihrem Helden selbst möglich ist.
Neben die Kriegshandlungen und die Zeit bei den Dreharbeiten im Lager tritt Days dumpfes Nachkriegsleben in London, wo er mit dem pazifistischen Buchhändler Ivor ein Antiquariat betreibt und seiner großen Liebe nachtrauert. Auch die Erzählperspektive ist auf drei Ebenen verteilt, auf einen allwissenden Erzähler, einen sich im Selbstgespräch erinnernden Day sowie auf kursiv gesetzte Passagen, die Days Gedanken wiedergeben und den Kern der Figur enthüllen. Die vollkommene Sicherheit, mit der Kenndy zwischen diesen Zeitebenen und Erzählperspektiven wechselt, hat etwas geradezu Unheimliches. Die scheinbare Mühelosigkeit, mit der sich eine 1965 geborene Frau in einen Bordschützen des Zweiten Weltkriegs einfühlt, ist mehr als erstaunlich. Sie ist bewundernswert.
In England ist "Day" der großen Antikriegsliteratur zugerechnet worden, in Deutschland wird man das Buch nicht zuletzt im Zusammenhang mit der vor zehn Jahren von W. G. Sebald ausgelösten Luftkriegsdebatte lesen. A. L. Kennedy selbst hat darauf hingewiesen, dass ihr Roman entstanden ist, während England in einen anderen Krieg verwickelt war, den sie in vielen Kommentaren in englischen Zeitungen verdammmt hat. Mehrfach hat sie darauf hingewiesen, dass jeder vierte Obdachlose in Schottland ein Veteran des Irak-Kriegs ist.
Dass es aus dem Krieg auch für die Überlebenden keine Heimkehr geben kann, wäre die zentrale Botschaft dieses Romans, wenn A. L. Kennedy ihrem Helden nicht so viel Sympathie entgegenbringen würde. Aber "Day" ist letztlich die Geschichte einer Erlösung. Bei den Dreharbeiten begegnet Day dem lettischen Nazi-Kollaborateur Vasyl. Für diesen Massenmörder gibt es nur Opfer und Täter, und die Täter sind ihm alle gleich. Denn sie alle empfinden Lust bei dem, was sie tun. Erst durch diese dunkle Gegenfigur findet Day zu sich und ins Leben zurück. Kennedy verdammt den Krieg, aber nicht jene, die in ihm kämpften. Ein Widerspruch ist das nicht.
A. L. Kennedy: "Day". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2007. 349 S., geb., 22,90 [Euro].
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