»Jahrelang bin ich vor meiner Geschichte davongelaufen. Dann erfand ich sie neu.«
Für den Roman seiner Familie hat der Schauspieler Christian Berkel seinen Wurzeln nachgespürt. Er hat Archive besucht, Briefwechsel gelesen und Reisen unternommen. Entstanden ist ein großer Familienroman vor dem Hintergrund eines ganzen Jahrhunderts deutscher Geschichte, die Erzählung einer ungewöhnlichen Liebe.
»Wenn wieder einmal jemand fragt, wo es denn bleibt, das lebensgesättigte, große Epos über deutsche Geschichte, dann ist von jetzt an die Antwort: Hier ist es, Christian Berkel hat es geschrieben. Dieser Mann ist kein schreibender Schauspieler. Er ist Schriftsteller durch und durch. Und was für einer.« Daniel Kehlmann
Berlin 1932: Sala und Otto sind dreizehn und siebzehn Jahre alt, als sie sich ineinander verlieben. Er stammt aus der Arbeiterklasse, sie aus einer intellektuellen jüdischen Familie. 1938 muss Sala ihre deutsche Heimat verlassen, kommt bei ihrer jüdischen Tante in Paris unter, bis die Deutschen in Frankreich einmarschieren. Während Otto als Sanitätsarzt mit der Wehrmacht in den Krieg zieht, wird Sala bei einem Fluchtversuch verraten und in einem Lager in den Pyrenäen interniert. Dort stirbt man schnell an Hunger oder Seuchen, wer bis 1943 überlebt, wird nach Auschwitz deportiert. Sala hat Glück, sie wird in einen Zug nach Leipzig gesetzt und taucht unter. Kurz vor Kriegsende gerät Otto in russische Gefangenschaft, aus der er 1950 in das zerstörte Berlin zurückkehrt. Auch für Sala beginnt mit dem Frieden eine Odyssee, die sie bis nach Buenos Aires führt. Dort versucht sie, sich ein neues Leben aufzubauen, scheitert und kehrt zurück. Zehn Jahre lang haben sie einander nicht gesehen. Aber als Sala Ottos Namen im Telefonbuch sieht, weiß sie, dass sie ihn nie vergessen hat.
Mit großer Eleganz erzählt Christian Berkel den spannungsreichen Roman seiner Familie. Er führt über drei Generationen von Ascona, Berlin, Paris, Gurs und Moskau bis nach Buenos Aires. Am Ende steht die Geschichte zweier Liebender, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch ihr Leben lang nicht voneinander lassen.
Für den Roman seiner Familie hat der Schauspieler Christian Berkel seinen Wurzeln nachgespürt. Er hat Archive besucht, Briefwechsel gelesen und Reisen unternommen. Entstanden ist ein großer Familienroman vor dem Hintergrund eines ganzen Jahrhunderts deutscher Geschichte, die Erzählung einer ungewöhnlichen Liebe.
»Wenn wieder einmal jemand fragt, wo es denn bleibt, das lebensgesättigte, große Epos über deutsche Geschichte, dann ist von jetzt an die Antwort: Hier ist es, Christian Berkel hat es geschrieben. Dieser Mann ist kein schreibender Schauspieler. Er ist Schriftsteller durch und durch. Und was für einer.« Daniel Kehlmann
Berlin 1932: Sala und Otto sind dreizehn und siebzehn Jahre alt, als sie sich ineinander verlieben. Er stammt aus der Arbeiterklasse, sie aus einer intellektuellen jüdischen Familie. 1938 muss Sala ihre deutsche Heimat verlassen, kommt bei ihrer jüdischen Tante in Paris unter, bis die Deutschen in Frankreich einmarschieren. Während Otto als Sanitätsarzt mit der Wehrmacht in den Krieg zieht, wird Sala bei einem Fluchtversuch verraten und in einem Lager in den Pyrenäen interniert. Dort stirbt man schnell an Hunger oder Seuchen, wer bis 1943 überlebt, wird nach Auschwitz deportiert. Sala hat Glück, sie wird in einen Zug nach Leipzig gesetzt und taucht unter. Kurz vor Kriegsende gerät Otto in russische Gefangenschaft, aus der er 1950 in das zerstörte Berlin zurückkehrt. Auch für Sala beginnt mit dem Frieden eine Odyssee, die sie bis nach Buenos Aires führt. Dort versucht sie, sich ein neues Leben aufzubauen, scheitert und kehrt zurück. Zehn Jahre lang haben sie einander nicht gesehen. Aber als Sala Ottos Namen im Telefonbuch sieht, weiß sie, dass sie ihn nie vergessen hat.
Mit großer Eleganz erzählt Christian Berkel den spannungsreichen Roman seiner Familie. Er führt über drei Generationen von Ascona, Berlin, Paris, Gurs und Moskau bis nach Buenos Aires. Am Ende steht die Geschichte zweier Liebender, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch ihr Leben lang nicht voneinander lassen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2018Was hält einen Menschen am Leben?
Der Schauspieler Christian Berkel hat für sein Romandebüt die Familiengeschichte durchforstet: Er erzählt eine dramatische Liebesgeschichte.
Von Melanie Mühl
Damit in der Buchhandlung beim Griff nach diesem Roman kein Missverständnis entsteht, damit also sofort klarwird, dass hier nicht lediglich ein bekannter Schauspieler - Christian Berkel - das Fach gewechselt und mal eben in die Tasten gegriffen hat, sondern wir es mit einem literarisch bedeutenden Wurf zu tun haben, springt Daniel Kehlmann in die Bresche: "Wenn wieder einmal jemand fragt, wo es denn bleibt, das lebensgesättigte, große Epos über deutsche Geschichte, dann ist von jetzt an die Antwort: Hier ist es, Christian Berkel hat es geschrieben", steht auf dem Cover des vierhundert Seiten dicken autobiographischen Romans "Der Apfelbaum". Berkel plus Kehlmann, das ist eine vielversprechende Vermarktungsstrategie, um sich im umkämpften Buchgeschäft zu behaupten.
Berkel, der in seinem Debüt den Familienbogen dramaturgisch gekonnt und geradezu leichthändig über drei Generationen spannt, hat seine Familiengeschichte jahrelang recherchiert und die entscheidenden Orte der Vergangenheit besucht. Er ist nach Ascona gereist, nach Lodz, Madrid und Paris. Er hat Archive durchforstet und Menschen befragt, vor allem seine 2011 verstorbene Mutter Sala Nohl, der die Demenz zusehends den klaren Blick in die Vergangenheit verschleierte. Wahrscheinlich hat Berkel die letzte Chance ergriffen, der eigenen Herkunft tiefer auf den Grund zu gehen. Als sechsjähriger Junge nämlich, die Familie saß gerade im Garten unter einem Apfelbaum beisammen, erfuhr er von seinen jüdischen Wurzeln. Und er erfuhr außerdem, dass er "nicht ganz" jüdisch war. Ein Schock für Berkel, der in einem Interview sagte, für ein Kind sei das, was nicht ganz ist, kaputt. Dieser frühe Identitätsbruch nagte an ihm und trieb ihn gleichzeitig an, mehr zu erfahren: über seine Urgroßeltern und Großeltern, über seine Eltern und über sich selbst.
Erzählerisch nähert sich Berkel der Familiengeschichte als nicht müde werdender fragender Sohn. Die Besuche bei seiner Mutter in Spandau sowie die Recherchereisen bilden den Rahmen des Romans. Der Autor selbst spricht, zum Beispiel, als er herausfindet, dass sein Urgroßvater nicht wie gedacht der jüdische Stoffhändler Abraham Prussak gewesen ist. Und plötzlich zweifelt Berkel an allem, was er bisher für wirklich gehalten hatte. Was, wenn die Geister, die er rief, Furchtbares zutage fördern würden? "Was, wenn meine Vorfahren stramme Nationalsozialisten waren, die sich mit einer erfundenen Geschichte reinwaschen wollten?" Berkels größte Angst stellte sich als unbegründet heraus.
Sala Nohl, seine Mutter, geboren 1919 und als Halbjüdin in ihrer Berliner Heimat von den Nationalsozialisten verfolgt, war lange eine Flüchtende und zeitlebens eine Suchende und Liebende, die 1938 in Paris bei ihrer wohlhabenden jüdischen Tante Unterschlupf fand. Dort erhoffte sie sich eine Zukunft. Ein bisschen Freiheit, ein klein wenig Glück. "Das war keine Stadt, es war eine Welt. Alle bewegten sich anders, als sie es aus Deutschland kannte, Menschen küssten sich auf der Straße, lachten, sie wirkten auf natürliche Weise elegant." Sala studierte an der Sorbonne Französisch und Spanisch, doch das Weltgeschehen in seinen immer monströseren Ausmaßen vernichtete auf kurz oder lang alle hochfliegenden Pläne und jeden still geträumten Traum. Berkels Mutter wurde ins Internierungslager Gurs abtransportiert, in einen Vorort der Hölle. Der Tod war immer nur einen Wimpernschlag entfernt. Die Angst wurde zur ersten Natur. Beinahe zwei Jahre kämpfte Sala als Gefangene ums Überleben.
Was hält einen Menschen am Leben? Die Hoffnung ganz bestimmt. Der Glaube. Die Liebe vielleicht sowie die Sehnsucht nach dem anderen, wenn man denn eine Liebe hat. Sala hat eine: Sie liebt Otto Berkel, den sie seit Kindertagen kennt. Ein Deutscher, den der Lauf der Geschichte sowie die eigene Bereitschaft in die Wehrmachtsuniform zwängten. Er stammt aus dem Arbeitermilieu. In der Schule war er der Kleinste und Schwächste und musste viel zu früh lernen, wie man sich seinen Platz in einem Leben erkämpft, in dem es galt, Prügel zu beziehen oder Prügel auszuteilen. Dabei war sich Otto "nicht einmal sicher, ob er austeilen wollte, aber er wusste, dass er nicht mehr einstecken durfte". Dazu gehörte wohl auch ein Abrutschen in die Kriminalität. Ottos Überlebenskampf jedenfalls hätte sich nicht drastischer von Salas Welt unterscheiden können. Deren bisexueller Vater, ein Anarchist, hatte einige Zeit auf dem Monte Verità bei Ascona gelebt. Später, während der Berliner Jahre in einem herrschaftlichem Haus, gingen Berühmtheiten ein und aus: Thomas Mann, Hermann Hesse, Ernst Bloch. Und Salas Mutter? Hat Mann und Tochter verlassen und in Madrid gelebt.
Berkels Roman bezieht seine Stärke besonders aus jenen fiktiven Passagen, die einen zum mitfühlenden Begleiter von Sala und Otto machen. Ihr Sehnen und Hoffen, ihr Bangen und Verzweifeln scheinen die einzigen Konstanten zu sein. Als Otto aber als Sanitätsarzt der Wehrmacht in Russland in Kriegsgefangenschaft gerät, wird ein anderer aus ihm. Die Kälte bemächtigt sich seines Herzens. Nicht der Gedanke an Sala und die gemeinsame Tochter lässt ihn die Grausamkeit des Kriegs ertragen, sondern die Erkenntnis, dass nur der Tod Erlösung bringt. Die emotionale Abkühlung ändert indes nichts daran, dass Otto und Sala schicksalshaft aneinander gekettet bleiben.
Sobald Berkel aber als Berkel auftaucht und sich dozierend und reflektierend vor seine Protagonisten schiebt, wächst die Distanz. Einmal heißt es: "Irgendwann muss doch mal Schluss sein. In wie vielen Gesichtern steht stumm dieser Satz? ,Die Unfähigkeit zu trauern', der eindrückliche Titel des Buches von Alexander und Margarete Mitscherlich, das von der nachfolgenden Generation aufgesogen wurde, beklagt nicht nur die fehlende Trauerarbeit der Tätergeneration, es versteht sich als Aufforderung an nachfolgende Generationen, also auch an uns, Erinnerung zu wagen, um dem unbewussten Wiederholungszwang vorzubeugen." Mag sein, dass der Roman weniger gut funktionieren würde, verließe sein berühmter Autor als fragende Stimme die literarische Bühne komplett. Trotzdem klingen diese Einschübe bisweilen, als wollte "Der Apfelbaum" noch etwas anderes sein, als er in erster Linie ist: eine dramatische Liebes- und Familiengeschichte, hervorragend erzählt.
Christian Berkel: "Der Apfelbaum". Roman.
Ullstein Verlag, Berlin 2018. 416 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Schauspieler Christian Berkel hat für sein Romandebüt die Familiengeschichte durchforstet: Er erzählt eine dramatische Liebesgeschichte.
Von Melanie Mühl
Damit in der Buchhandlung beim Griff nach diesem Roman kein Missverständnis entsteht, damit also sofort klarwird, dass hier nicht lediglich ein bekannter Schauspieler - Christian Berkel - das Fach gewechselt und mal eben in die Tasten gegriffen hat, sondern wir es mit einem literarisch bedeutenden Wurf zu tun haben, springt Daniel Kehlmann in die Bresche: "Wenn wieder einmal jemand fragt, wo es denn bleibt, das lebensgesättigte, große Epos über deutsche Geschichte, dann ist von jetzt an die Antwort: Hier ist es, Christian Berkel hat es geschrieben", steht auf dem Cover des vierhundert Seiten dicken autobiographischen Romans "Der Apfelbaum". Berkel plus Kehlmann, das ist eine vielversprechende Vermarktungsstrategie, um sich im umkämpften Buchgeschäft zu behaupten.
Berkel, der in seinem Debüt den Familienbogen dramaturgisch gekonnt und geradezu leichthändig über drei Generationen spannt, hat seine Familiengeschichte jahrelang recherchiert und die entscheidenden Orte der Vergangenheit besucht. Er ist nach Ascona gereist, nach Lodz, Madrid und Paris. Er hat Archive durchforstet und Menschen befragt, vor allem seine 2011 verstorbene Mutter Sala Nohl, der die Demenz zusehends den klaren Blick in die Vergangenheit verschleierte. Wahrscheinlich hat Berkel die letzte Chance ergriffen, der eigenen Herkunft tiefer auf den Grund zu gehen. Als sechsjähriger Junge nämlich, die Familie saß gerade im Garten unter einem Apfelbaum beisammen, erfuhr er von seinen jüdischen Wurzeln. Und er erfuhr außerdem, dass er "nicht ganz" jüdisch war. Ein Schock für Berkel, der in einem Interview sagte, für ein Kind sei das, was nicht ganz ist, kaputt. Dieser frühe Identitätsbruch nagte an ihm und trieb ihn gleichzeitig an, mehr zu erfahren: über seine Urgroßeltern und Großeltern, über seine Eltern und über sich selbst.
Erzählerisch nähert sich Berkel der Familiengeschichte als nicht müde werdender fragender Sohn. Die Besuche bei seiner Mutter in Spandau sowie die Recherchereisen bilden den Rahmen des Romans. Der Autor selbst spricht, zum Beispiel, als er herausfindet, dass sein Urgroßvater nicht wie gedacht der jüdische Stoffhändler Abraham Prussak gewesen ist. Und plötzlich zweifelt Berkel an allem, was er bisher für wirklich gehalten hatte. Was, wenn die Geister, die er rief, Furchtbares zutage fördern würden? "Was, wenn meine Vorfahren stramme Nationalsozialisten waren, die sich mit einer erfundenen Geschichte reinwaschen wollten?" Berkels größte Angst stellte sich als unbegründet heraus.
Sala Nohl, seine Mutter, geboren 1919 und als Halbjüdin in ihrer Berliner Heimat von den Nationalsozialisten verfolgt, war lange eine Flüchtende und zeitlebens eine Suchende und Liebende, die 1938 in Paris bei ihrer wohlhabenden jüdischen Tante Unterschlupf fand. Dort erhoffte sie sich eine Zukunft. Ein bisschen Freiheit, ein klein wenig Glück. "Das war keine Stadt, es war eine Welt. Alle bewegten sich anders, als sie es aus Deutschland kannte, Menschen küssten sich auf der Straße, lachten, sie wirkten auf natürliche Weise elegant." Sala studierte an der Sorbonne Französisch und Spanisch, doch das Weltgeschehen in seinen immer monströseren Ausmaßen vernichtete auf kurz oder lang alle hochfliegenden Pläne und jeden still geträumten Traum. Berkels Mutter wurde ins Internierungslager Gurs abtransportiert, in einen Vorort der Hölle. Der Tod war immer nur einen Wimpernschlag entfernt. Die Angst wurde zur ersten Natur. Beinahe zwei Jahre kämpfte Sala als Gefangene ums Überleben.
Was hält einen Menschen am Leben? Die Hoffnung ganz bestimmt. Der Glaube. Die Liebe vielleicht sowie die Sehnsucht nach dem anderen, wenn man denn eine Liebe hat. Sala hat eine: Sie liebt Otto Berkel, den sie seit Kindertagen kennt. Ein Deutscher, den der Lauf der Geschichte sowie die eigene Bereitschaft in die Wehrmachtsuniform zwängten. Er stammt aus dem Arbeitermilieu. In der Schule war er der Kleinste und Schwächste und musste viel zu früh lernen, wie man sich seinen Platz in einem Leben erkämpft, in dem es galt, Prügel zu beziehen oder Prügel auszuteilen. Dabei war sich Otto "nicht einmal sicher, ob er austeilen wollte, aber er wusste, dass er nicht mehr einstecken durfte". Dazu gehörte wohl auch ein Abrutschen in die Kriminalität. Ottos Überlebenskampf jedenfalls hätte sich nicht drastischer von Salas Welt unterscheiden können. Deren bisexueller Vater, ein Anarchist, hatte einige Zeit auf dem Monte Verità bei Ascona gelebt. Später, während der Berliner Jahre in einem herrschaftlichem Haus, gingen Berühmtheiten ein und aus: Thomas Mann, Hermann Hesse, Ernst Bloch. Und Salas Mutter? Hat Mann und Tochter verlassen und in Madrid gelebt.
Berkels Roman bezieht seine Stärke besonders aus jenen fiktiven Passagen, die einen zum mitfühlenden Begleiter von Sala und Otto machen. Ihr Sehnen und Hoffen, ihr Bangen und Verzweifeln scheinen die einzigen Konstanten zu sein. Als Otto aber als Sanitätsarzt der Wehrmacht in Russland in Kriegsgefangenschaft gerät, wird ein anderer aus ihm. Die Kälte bemächtigt sich seines Herzens. Nicht der Gedanke an Sala und die gemeinsame Tochter lässt ihn die Grausamkeit des Kriegs ertragen, sondern die Erkenntnis, dass nur der Tod Erlösung bringt. Die emotionale Abkühlung ändert indes nichts daran, dass Otto und Sala schicksalshaft aneinander gekettet bleiben.
Sobald Berkel aber als Berkel auftaucht und sich dozierend und reflektierend vor seine Protagonisten schiebt, wächst die Distanz. Einmal heißt es: "Irgendwann muss doch mal Schluss sein. In wie vielen Gesichtern steht stumm dieser Satz? ,Die Unfähigkeit zu trauern', der eindrückliche Titel des Buches von Alexander und Margarete Mitscherlich, das von der nachfolgenden Generation aufgesogen wurde, beklagt nicht nur die fehlende Trauerarbeit der Tätergeneration, es versteht sich als Aufforderung an nachfolgende Generationen, also auch an uns, Erinnerung zu wagen, um dem unbewussten Wiederholungszwang vorzubeugen." Mag sein, dass der Roman weniger gut funktionieren würde, verließe sein berühmter Autor als fragende Stimme die literarische Bühne komplett. Trotzdem klingen diese Einschübe bisweilen, als wollte "Der Apfelbaum" noch etwas anderes sein, als er in erster Linie ist: eine dramatische Liebes- und Familiengeschichte, hervorragend erzählt.
Christian Berkel: "Der Apfelbaum". Roman.
Ullstein Verlag, Berlin 2018. 416 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"... eine dramatische Liebes- und Familiengeschichte, hervorragend erzählt." Melanie Mühl Frankfurter Allgemeine Zeitung 20181124