Hans Stichler stammt aus einfachen Verhältnissen. als ihm seine einzige Verwandte ein Stipendium für die Universität in Cambridge vermittelt und er als Gegenleistung dort ein Verbrechen aufklären soll, weiß er nicht, worauf er sich einlässt. Er schafft es, Mitglied im elitären Pitt Club zu werden, und verliebt sich in die reiche Charlotte. Schon bald muss er feststellen: Vor der Kulisse alter Chesterfield-Sessel, kristallener Kronleuchter und Tiertrophäen ereignen sich Dinge, über die keiner spricht. Auch Charlotte scheint etwas zu verbergen. Hinter den Türen des legendären Pitt Clubs wird Hans vor die Wahl gestellt, ob er das Falsche tun soll, um das Richtige zu erreichen.
buecher-magazin.deDie Charaktere in diesem so spannenden wie literarischen Thriller könnten unterschiedlicher nicht sein. Genau das macht "Der Club" zu einem unvergesslichen Hörerlebnis. Hans Stichler verliert seine Eltern früh. Seine Tante dreht am Schicksal ihres Neffen: Er bekommt ein Stipendium in Cambridge, soll dafür aber ein Verbrechen aufklären. Er wird Mitglied im elitären Pitt Club und verliebt sich in Charlotte, Tochter aus gutem Hause, die ihn in die Welt der Reichen einführt. Schnell merkt Hans, dass es hinter der Fassade der snobistischen Welt Grausames zu entdecken gibt. "Der Club" von Spiegel-Journalist Takis Würger, der selbst in Cambridge studierte und dem Pitt Club angehört, macht neugierig, was Wahrheit und was Erfindung ist. Beeindruckend, wie das neunköpfige Sprecher-Ensemble es schafft, tief in die Welt des Hans Stichler einzutauchen, sodass man immer weiterhören muss. Matthias Koeberlin scheint mit Hans verschmolzen, spricht sanft, sensibel, nachdrücklich und schonungslos präzise. Anna Maria Mühe verleiht Charlotte poetische, verträumte und auch verzweifelte Züge. Jede einzelne Stimme - auch der Autor selbst spricht - ist für sich authentisch und ehrlich. Genial.
© BÜCHERmagazin, Tina Muffert (tm)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2017Harte Schläge auf feine Näschen
Anfühlprosa, gut gebuttert: Takis Würger erzählt von Sex und Verbrechen im noblen Cambridger Pitt Club - ungerührt und doch sanftmütig, mit Gespür für den Zeitgeist.
Tief vom Walde kommt er her, der Protagonist von Takis Würgers Roman "Der Club", der Hans heißt, wie im Märchen. Märchenhaft ist auch der Ton, in dem Würger seine frühen Lebensschritte schildert. Die Kindheit im Forsthaus ist leidgeprägt. Die Mutter verscheidet früh, dem Vater spaltet ein Laster den Schädel. Der schweigsame Junge versteckt sich so gut, dass kein Spielkamerad ihn findet. Immerhin: Im Boxtraining, zu dem ihn der Vater schleppt, lernt er für das Leben.
Er weiß noch nicht, welche Aufgabe es ihm stellen wird, da erreicht ihn ein Brief seiner Tante. Hans soll in Cambridge, wo die Tante Kunstgeschichte lehrt, einem Verbrechen auf die Spur kommen. Dass es sich um einen Missbrauchsfall handelt, ist dunkel zu erahnen. Die wortkarge Professorin treibt ein stiller Eifer. Weder Hans noch der Leser teilen zunächst ihr Wissen.
Vom traurigen Landjungen zum Privat-Ermittler: Für Hans ist das ein großer Schritt. Takis Würger baut seinen Bildungsroman geschmeidig zum Campus-Krimi aus mit Reichweite in die britische upper class. Der Pitt Club, der Ort des vermuteten Verbrechens, ist eine Hochburg des akademischen Snobismus, ein Tummelplatz für äthiopische Prinzen und neureiche Söhne mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein und schlechten Manieren. Raubtiernaturen hinter kultivierter Fassade. Die Mischung aus Sex und Macht lockt scharenweise junge Frauen in den Club, die in der kompromittierenden Atmosphäre aus Drogen und Goldstaub zu Dingen bereit sind, die sie sonst ablehnen würden. Takis Würger hat einen Insider-Blick auf das Milieu. Während eines Auslandsstudiums war er selbst boxendes Mitglied des Clubs. Das Boxen wird dort als Markenzeichen kultiviert, das dem beruflichen Fortkommen sicher nicht schadet.
Von diesem weltläufigen Habitus ist der zerbrechliche Hans Meilen entfernt. Doch wer ihn sich als einen jener verträumt-abgezockten Typen in Strickpullover und Wollmütze vorstellt, die auf Werbepostern für coolen Lebensgenuss stehen, wird ihn besser kennenlernen. Als er vor den Augen seiner Herzensdame einen wilden Hengst bezähmt, wird klar: Der Junge ist ein heimlicher Sieger.
Fraglos ist Hans auch sensibel. Er hat einen ausgezeichneten Riecher für Parfums, schmeckt daraus Orangenschalen und Maiglöckchen. Beim nächtlichen Joggen sorgt er sich demonstrativ nicht um seinen Look, weil ihm das Boxen gerade wichtiger ist. Die Nacht deckt darüber den Mantel des Schweigens. In diesem Buch wird viel geschnuppert und angefühlt. Manchmal zu ausführlich: Wer wie Hans noch im Boxring das Apfelaroma im Haarkranz des Gegners riecht, würde im echten Boxkampf schon die Sterne zählen. Würger schreibt im alerten Stil einer literarisierten Reportage. Nicht selten kippt das ins Preziöse: Die Köchin erinnert sich an einen Gewehrschuss, als sie gerade Zitronensaft, Butter, Eigelb und Zucker mit einem Schneebesen schlägt. Das nennt man wohl einen Kuchen backen.
So wird der Kitsch gestreift, allerdings nicht auf Kosten des Plots, den Würger energisch vorantreibt. Erzählerisch raffiniert schildert er den Club aus dem Wunsch der Mitglieder nach sozialer Teilhabe. Das Porträt des chinesischen Ehrgeizlings, der im Pitt Club um Aufnahme wirbt, wirkt allerdings wie eine protokollarische Pflicht. Auch der schwule Underdog, der über das Boxen Anerkennung findet, tendiert zur Klischeefigur. Auf der Höhe der Zeit ist dagegen der versnobte Josh, der seine Biederkeit mit Four-Letter-Words abfedert. Der Verzehr von Massenfleisch empört den Unternehmersohn aus ethischen Gründen. Das gilt selbstverständlich nicht für das hauchzarte Rinderfilet, das er bei exakt 58 Grad aus dem Backofen zieht. Und auch das muss erwähnt werden: "Wie geil ist bitte Butter?"
Über eine Kunststudentin und ihren Vater, einen zynisch-charismatischen Banker, wird Hans Schritt für Schritt an den Klub herangeführt. An der Tochter, Charlotte, liebt Hans die Stirn-, am Daddy die Lachfalte. Doch mit Charlotte stimmt etwas nicht. Genauso wie Hans' Tante, ihre Doktormutter, überspielt sie innere Verletztheit mit demonstrativer Härte.
Der Sieg im Boxring verschafft Hans Einlass zum Arkanbereich, dem Schmetterlings-Club, und bringt ihn hautnah an den Ort des Verbrechens. Hier hat er nun seinen persönlichen Goldstaub-Moment als strahlender Held und Retter. Auf dem Höhepunkt des Geschehens opfert Würger die Psychologie leider der Drastik. Hans verzeiht sanftmütig, bleibt aber gelassen, wenn andere kaltblütig Rache nehmen. Die Dunstzone, in der Flirts in Kontrollverlust und Machtekstase umschlagen, auf der Seite der Opfer paradoxe Schuldgefühle und der Wunsch nach Selbstjustiz wachsen, wird nur halb reflektiert. Immerhin gelingt Würger eine Zeit-Aufnahme: der irritierende Zusammenfall von Sanftmut und Ungerührtheit bei Personen, von denen man dies nicht erwartet.
Die Sex-Verbrecher werden schließlich in den Orkus geschickt mit schweigender Zustimmung der Opfer. Ethiker, die sich über mehr als den korrekten Fleischverzehr Gedanken machen, mögen sich fragen: Welchen moralischen Wert hat Blutrache? Takis Würger lässt die Metamorphose seines sanften Aufsteigers lieber am sonnigen Süden enden. Der mutige Hans entspannt sich dort in Mussolinis letztem Resort am Gardasee. Federballspielend.
THOMAS THIEL
Takis Würger: "Der Club". Roman.
Verlag Kein & Aber, Zürich 2017. 240 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Anfühlprosa, gut gebuttert: Takis Würger erzählt von Sex und Verbrechen im noblen Cambridger Pitt Club - ungerührt und doch sanftmütig, mit Gespür für den Zeitgeist.
Tief vom Walde kommt er her, der Protagonist von Takis Würgers Roman "Der Club", der Hans heißt, wie im Märchen. Märchenhaft ist auch der Ton, in dem Würger seine frühen Lebensschritte schildert. Die Kindheit im Forsthaus ist leidgeprägt. Die Mutter verscheidet früh, dem Vater spaltet ein Laster den Schädel. Der schweigsame Junge versteckt sich so gut, dass kein Spielkamerad ihn findet. Immerhin: Im Boxtraining, zu dem ihn der Vater schleppt, lernt er für das Leben.
Er weiß noch nicht, welche Aufgabe es ihm stellen wird, da erreicht ihn ein Brief seiner Tante. Hans soll in Cambridge, wo die Tante Kunstgeschichte lehrt, einem Verbrechen auf die Spur kommen. Dass es sich um einen Missbrauchsfall handelt, ist dunkel zu erahnen. Die wortkarge Professorin treibt ein stiller Eifer. Weder Hans noch der Leser teilen zunächst ihr Wissen.
Vom traurigen Landjungen zum Privat-Ermittler: Für Hans ist das ein großer Schritt. Takis Würger baut seinen Bildungsroman geschmeidig zum Campus-Krimi aus mit Reichweite in die britische upper class. Der Pitt Club, der Ort des vermuteten Verbrechens, ist eine Hochburg des akademischen Snobismus, ein Tummelplatz für äthiopische Prinzen und neureiche Söhne mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein und schlechten Manieren. Raubtiernaturen hinter kultivierter Fassade. Die Mischung aus Sex und Macht lockt scharenweise junge Frauen in den Club, die in der kompromittierenden Atmosphäre aus Drogen und Goldstaub zu Dingen bereit sind, die sie sonst ablehnen würden. Takis Würger hat einen Insider-Blick auf das Milieu. Während eines Auslandsstudiums war er selbst boxendes Mitglied des Clubs. Das Boxen wird dort als Markenzeichen kultiviert, das dem beruflichen Fortkommen sicher nicht schadet.
Von diesem weltläufigen Habitus ist der zerbrechliche Hans Meilen entfernt. Doch wer ihn sich als einen jener verträumt-abgezockten Typen in Strickpullover und Wollmütze vorstellt, die auf Werbepostern für coolen Lebensgenuss stehen, wird ihn besser kennenlernen. Als er vor den Augen seiner Herzensdame einen wilden Hengst bezähmt, wird klar: Der Junge ist ein heimlicher Sieger.
Fraglos ist Hans auch sensibel. Er hat einen ausgezeichneten Riecher für Parfums, schmeckt daraus Orangenschalen und Maiglöckchen. Beim nächtlichen Joggen sorgt er sich demonstrativ nicht um seinen Look, weil ihm das Boxen gerade wichtiger ist. Die Nacht deckt darüber den Mantel des Schweigens. In diesem Buch wird viel geschnuppert und angefühlt. Manchmal zu ausführlich: Wer wie Hans noch im Boxring das Apfelaroma im Haarkranz des Gegners riecht, würde im echten Boxkampf schon die Sterne zählen. Würger schreibt im alerten Stil einer literarisierten Reportage. Nicht selten kippt das ins Preziöse: Die Köchin erinnert sich an einen Gewehrschuss, als sie gerade Zitronensaft, Butter, Eigelb und Zucker mit einem Schneebesen schlägt. Das nennt man wohl einen Kuchen backen.
So wird der Kitsch gestreift, allerdings nicht auf Kosten des Plots, den Würger energisch vorantreibt. Erzählerisch raffiniert schildert er den Club aus dem Wunsch der Mitglieder nach sozialer Teilhabe. Das Porträt des chinesischen Ehrgeizlings, der im Pitt Club um Aufnahme wirbt, wirkt allerdings wie eine protokollarische Pflicht. Auch der schwule Underdog, der über das Boxen Anerkennung findet, tendiert zur Klischeefigur. Auf der Höhe der Zeit ist dagegen der versnobte Josh, der seine Biederkeit mit Four-Letter-Words abfedert. Der Verzehr von Massenfleisch empört den Unternehmersohn aus ethischen Gründen. Das gilt selbstverständlich nicht für das hauchzarte Rinderfilet, das er bei exakt 58 Grad aus dem Backofen zieht. Und auch das muss erwähnt werden: "Wie geil ist bitte Butter?"
Über eine Kunststudentin und ihren Vater, einen zynisch-charismatischen Banker, wird Hans Schritt für Schritt an den Klub herangeführt. An der Tochter, Charlotte, liebt Hans die Stirn-, am Daddy die Lachfalte. Doch mit Charlotte stimmt etwas nicht. Genauso wie Hans' Tante, ihre Doktormutter, überspielt sie innere Verletztheit mit demonstrativer Härte.
Der Sieg im Boxring verschafft Hans Einlass zum Arkanbereich, dem Schmetterlings-Club, und bringt ihn hautnah an den Ort des Verbrechens. Hier hat er nun seinen persönlichen Goldstaub-Moment als strahlender Held und Retter. Auf dem Höhepunkt des Geschehens opfert Würger die Psychologie leider der Drastik. Hans verzeiht sanftmütig, bleibt aber gelassen, wenn andere kaltblütig Rache nehmen. Die Dunstzone, in der Flirts in Kontrollverlust und Machtekstase umschlagen, auf der Seite der Opfer paradoxe Schuldgefühle und der Wunsch nach Selbstjustiz wachsen, wird nur halb reflektiert. Immerhin gelingt Würger eine Zeit-Aufnahme: der irritierende Zusammenfall von Sanftmut und Ungerührtheit bei Personen, von denen man dies nicht erwartet.
Die Sex-Verbrecher werden schließlich in den Orkus geschickt mit schweigender Zustimmung der Opfer. Ethiker, die sich über mehr als den korrekten Fleischverzehr Gedanken machen, mögen sich fragen: Welchen moralischen Wert hat Blutrache? Takis Würger lässt die Metamorphose seines sanften Aufsteigers lieber am sonnigen Süden enden. Der mutige Hans entspannt sich dort in Mussolinis letztem Resort am Gardasee. Federballspielend.
THOMAS THIEL
Takis Würger: "Der Club". Roman.
Verlag Kein & Aber, Zürich 2017. 240 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.04.2017Eilige Eleganz
Hier fehlt kein Thema des urbanen Zeitgeistes, und doch geht der Faden der Geschichte
nie verloren: Der Reporter Takis Würger erzählt in seinem Debüt-Roman von der gewissenlosen Elite
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Es gibt eine Art von Literatur, die von Menschen, die zum Vergnügen lesen, sehr geschätzt wird. Menschen, die dagegen das schwere Los ereilt hat, professionell zu lesen, macht diese Literatur sehr schnell sehr misstrauisch. Das Misstrauen kann sogar, wie nun einmal wieder beim Debüt-Roman „Der Club“ des Spiegel-Reporters Takis Würger, so weit gehen, dass einem Buch leicht bis mittelschwer gönnerhaft vorgeworfen wird, es sei etwas zu charmant erzählt. Das ist zwar nicht völlig falsch, aber so schlimm doch eigentlich auch wieder nicht. Angesichts der Tatsache, das echte literarische Meisterwerke ja ohnehin selten erscheinen und einem bei den laufenden Neuerscheinungen doch eher deren meist völlig uncharmante Mittelmäßigkeit die letzten Nerven raubt.
Tatsächlich ist Takis Würger etwas gelungen, das in der deutschen Literatur nicht allzu selbstverständlich ist: Er hat einen Roman geschrieben, in dem er fast kein Thema des aktuellen urbanen Zeitgeistes ausgelassen hat – und dabei doch nie den Faden der Geschichte verloren, die er erzählen wollte. Die handwerkliche Könnerschaft strahlt einen von Anfang an unüberlesbar an. Es besteht nie ein Zweifel daran, dass der Autor in jeder Zeile exakt wusste, was er tat. Schon im ersten Absatz wird das Ende eines Lebens angekündigt, die Geschichte kann also mit einer gewissen existenziellen Fallhöhe beginnen: „Im südlichen Niedersachsen liegt ein Wald, der Deister, darin stand ein Haus aus Sandstein, in dem früher der Förster gewohnt hatte und das durch eine Reihe von Zufällen und den Kredit einer Bank in den Besitz eines Ehepaars kam, das dort einzog, damit die Frau in Ruhe sterben konnte.“
Man hat bei der Lektüre nicht den Eindruck, eine kunstvolle Erzählung vor sich zu haben, auch nicht etwas famos Fabuliertes. Man denkt eher bald an etwas, das im Englischen „Storytelling“ genannt wird und im Grunde nicht wörtlich übersetzbar ist. Beim Erzählen ist nämlich Oberflächlichkeit ein unverzeihliches Vergehen, der Storyteller weiß dagegen, dass die richtige Oberfläche für’s Erste schon Abgrund genug sein kann. Kostenlos gibt es die Perfektion natürlich nicht. Aber darum soll es jetzt noch nicht gehen, weil die eilige Eleganz, mit der man in dieses Buch hinein- und schließlich auch hindurchgesogen wird, ein paar Worte mehr wert ist.
In einer Art Zeitraffer erfährt man zunächst die Lebensgeschichte des Protagonisten Hans, der nach einer glücklichen Kindheit innerhalb weniger Monate zuerst seinen Vater und dann seine Mutter verliert. Auch dabei wird die Sache ohne Umschweife eilig berichtet, aber doch auch zu zart lakonisch aufgeladen, als das einen die Konstruiertheit aus der Kurve trägt: „Mein Vater war gestorben, weil ich in Brandenburg boxen wollte. Meine Mutter war gestorben, weil ich Schnittlauch auf meinem Rührei essen wollte.“ Sie stirbt nach einem Bienenstich an einem allergischen Schock. Hans ist da fünfzehn Jahre alt: „Ich wartete ein paar Tage darauf, dass ich aufwachen würde aus diesem Albtraum, und als das nicht geschah, füllte mich eine Dunkelheit, die so stark war, dass ich mich wundere, wie ich sie überlebte.“
Die Verantwortung für den Teenager übernimmt die in England lebende Tante Alex, die ihn aber zunächst nicht zu sich holt, sondern auf das Internat einer Jesuitenschule im Bayerischen Wald schickt. Hier findet der einsame Außenseiter Hans einen Mönch als Mentor und über das Boxen zu sich selbst.
Keine 25 Seiten braucht Würger für diese Exposition, die man kaum zusammenfassen kann, ohne sie zu karikieren. Das ist in diesem Fall aber eher ein Problem der noch kürzeren Form der Rezension als das des Buches oder des Autors, der es auch noch fertigbringt, zu erwähnen, dass das Internat „Geld brauchte, weil ein paar Mönche in isländische Hightech-Unternehmen investiert und große Summen des Stiftungsvermögens verloren hatten“.
Alex, eine an der Elite-Universität Cambridge lehrende Kunsthistorikerin, holt Hans schließlich nach dem Abitur doch noch nach England, allerdings nicht ohne Hintergedanken. Mit einem Stipendium und unter falschen Namen eingeschleust, soll er ihr helfen, ein Verbrechen in einem der extrem exklusiven, moralisch verkommenen und notorisch verschwiegen-männerbündlerischen Studentenklubs aufzuklären. Aus dem Internatsbuch wird so flugs ein Elite-Campus-Krimi und dann auch gleich noch ein Liebesroman. Denn der Weg in die fremde Welt führt für den deutschen Stipendiaten nicht nur über das Boxen, diese „Sprache, die ohne Worte auskommt“, sondern auch über die Doktorandin Charlotte, deren Vater Investmentbanker ist, der „mit dem Geld anderer Leute ganze Firmen“ erwirbt, sie „auf Profitabilität trimmt“ und sie dann „an den nächsten verkauft“. Außerdem gibt es unterwegs manch Miniatur über avancierte Rinderfilet-Garmethoden, Karl Marx, den Kriegsstrategen Carl von Clausewitz, Extrem-Trekking und Whiskey.
Aber ist das nicht eigentlich alles zu viel für ein einziges, kaum 240 Seiten langes Buch? Absolut. Hört man deswegen auf zu lesen? Absolut nicht. Und wie, bitte, ist das möglich? Tja, erst einmal natürlich, weil der Krimiplot so clever durchgespielt wird, dass man irgendwann unbedingt wissen möchte, wie es ausgeht. Vor allem aber, weil die große Reporterkunst, auf sprechende Details zu setzen, zwar leicht durchschaubar ist, richtig angewendet aber doch auch ziemlich unwiderstehlich. Wenn man es wie Takis Würger versteht, sich dabei nicht zu verzetteln.
Takis Würger: Der Club. Kein & Aber. Zürich 2017. 238 Seiten. 22 Euro, E-Book 17,99 Euro.
Ein Verbrechen ist aufzuklären
in einem männerbündlerischen
Studentenklub
Verkommenheit aus Tradition und die Bosheit der höheren Stände zeigte Lone Scherfig 2014 in ihrem Film „The Riot Club“.
Foto: imago stock&people
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Hier fehlt kein Thema des urbanen Zeitgeistes, und doch geht der Faden der Geschichte
nie verloren: Der Reporter Takis Würger erzählt in seinem Debüt-Roman von der gewissenlosen Elite
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Es gibt eine Art von Literatur, die von Menschen, die zum Vergnügen lesen, sehr geschätzt wird. Menschen, die dagegen das schwere Los ereilt hat, professionell zu lesen, macht diese Literatur sehr schnell sehr misstrauisch. Das Misstrauen kann sogar, wie nun einmal wieder beim Debüt-Roman „Der Club“ des Spiegel-Reporters Takis Würger, so weit gehen, dass einem Buch leicht bis mittelschwer gönnerhaft vorgeworfen wird, es sei etwas zu charmant erzählt. Das ist zwar nicht völlig falsch, aber so schlimm doch eigentlich auch wieder nicht. Angesichts der Tatsache, das echte literarische Meisterwerke ja ohnehin selten erscheinen und einem bei den laufenden Neuerscheinungen doch eher deren meist völlig uncharmante Mittelmäßigkeit die letzten Nerven raubt.
Tatsächlich ist Takis Würger etwas gelungen, das in der deutschen Literatur nicht allzu selbstverständlich ist: Er hat einen Roman geschrieben, in dem er fast kein Thema des aktuellen urbanen Zeitgeistes ausgelassen hat – und dabei doch nie den Faden der Geschichte verloren, die er erzählen wollte. Die handwerkliche Könnerschaft strahlt einen von Anfang an unüberlesbar an. Es besteht nie ein Zweifel daran, dass der Autor in jeder Zeile exakt wusste, was er tat. Schon im ersten Absatz wird das Ende eines Lebens angekündigt, die Geschichte kann also mit einer gewissen existenziellen Fallhöhe beginnen: „Im südlichen Niedersachsen liegt ein Wald, der Deister, darin stand ein Haus aus Sandstein, in dem früher der Förster gewohnt hatte und das durch eine Reihe von Zufällen und den Kredit einer Bank in den Besitz eines Ehepaars kam, das dort einzog, damit die Frau in Ruhe sterben konnte.“
Man hat bei der Lektüre nicht den Eindruck, eine kunstvolle Erzählung vor sich zu haben, auch nicht etwas famos Fabuliertes. Man denkt eher bald an etwas, das im Englischen „Storytelling“ genannt wird und im Grunde nicht wörtlich übersetzbar ist. Beim Erzählen ist nämlich Oberflächlichkeit ein unverzeihliches Vergehen, der Storyteller weiß dagegen, dass die richtige Oberfläche für’s Erste schon Abgrund genug sein kann. Kostenlos gibt es die Perfektion natürlich nicht. Aber darum soll es jetzt noch nicht gehen, weil die eilige Eleganz, mit der man in dieses Buch hinein- und schließlich auch hindurchgesogen wird, ein paar Worte mehr wert ist.
In einer Art Zeitraffer erfährt man zunächst die Lebensgeschichte des Protagonisten Hans, der nach einer glücklichen Kindheit innerhalb weniger Monate zuerst seinen Vater und dann seine Mutter verliert. Auch dabei wird die Sache ohne Umschweife eilig berichtet, aber doch auch zu zart lakonisch aufgeladen, als das einen die Konstruiertheit aus der Kurve trägt: „Mein Vater war gestorben, weil ich in Brandenburg boxen wollte. Meine Mutter war gestorben, weil ich Schnittlauch auf meinem Rührei essen wollte.“ Sie stirbt nach einem Bienenstich an einem allergischen Schock. Hans ist da fünfzehn Jahre alt: „Ich wartete ein paar Tage darauf, dass ich aufwachen würde aus diesem Albtraum, und als das nicht geschah, füllte mich eine Dunkelheit, die so stark war, dass ich mich wundere, wie ich sie überlebte.“
Die Verantwortung für den Teenager übernimmt die in England lebende Tante Alex, die ihn aber zunächst nicht zu sich holt, sondern auf das Internat einer Jesuitenschule im Bayerischen Wald schickt. Hier findet der einsame Außenseiter Hans einen Mönch als Mentor und über das Boxen zu sich selbst.
Keine 25 Seiten braucht Würger für diese Exposition, die man kaum zusammenfassen kann, ohne sie zu karikieren. Das ist in diesem Fall aber eher ein Problem der noch kürzeren Form der Rezension als das des Buches oder des Autors, der es auch noch fertigbringt, zu erwähnen, dass das Internat „Geld brauchte, weil ein paar Mönche in isländische Hightech-Unternehmen investiert und große Summen des Stiftungsvermögens verloren hatten“.
Alex, eine an der Elite-Universität Cambridge lehrende Kunsthistorikerin, holt Hans schließlich nach dem Abitur doch noch nach England, allerdings nicht ohne Hintergedanken. Mit einem Stipendium und unter falschen Namen eingeschleust, soll er ihr helfen, ein Verbrechen in einem der extrem exklusiven, moralisch verkommenen und notorisch verschwiegen-männerbündlerischen Studentenklubs aufzuklären. Aus dem Internatsbuch wird so flugs ein Elite-Campus-Krimi und dann auch gleich noch ein Liebesroman. Denn der Weg in die fremde Welt führt für den deutschen Stipendiaten nicht nur über das Boxen, diese „Sprache, die ohne Worte auskommt“, sondern auch über die Doktorandin Charlotte, deren Vater Investmentbanker ist, der „mit dem Geld anderer Leute ganze Firmen“ erwirbt, sie „auf Profitabilität trimmt“ und sie dann „an den nächsten verkauft“. Außerdem gibt es unterwegs manch Miniatur über avancierte Rinderfilet-Garmethoden, Karl Marx, den Kriegsstrategen Carl von Clausewitz, Extrem-Trekking und Whiskey.
Aber ist das nicht eigentlich alles zu viel für ein einziges, kaum 240 Seiten langes Buch? Absolut. Hört man deswegen auf zu lesen? Absolut nicht. Und wie, bitte, ist das möglich? Tja, erst einmal natürlich, weil der Krimiplot so clever durchgespielt wird, dass man irgendwann unbedingt wissen möchte, wie es ausgeht. Vor allem aber, weil die große Reporterkunst, auf sprechende Details zu setzen, zwar leicht durchschaubar ist, richtig angewendet aber doch auch ziemlich unwiderstehlich. Wenn man es wie Takis Würger versteht, sich dabei nicht zu verzetteln.
Takis Würger: Der Club. Kein & Aber. Zürich 2017. 238 Seiten. 22 Euro, E-Book 17,99 Euro.
Ein Verbrechen ist aufzuklären
in einem männerbündlerischen
Studentenklub
Verkommenheit aus Tradition und die Bosheit der höheren Stände zeigte Lone Scherfig 2014 in ihrem Film „The Riot Club“.
Foto: imago stock&people
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