Zeitlos, klarsichtig, aktuell: Eco über Faschismus, Intoleranz und MigrationFaschismus und Totalitarismus, Integration und Intoleranz, Migration und Europa, Identität, das Eigene und das Fremde - die zentralen Begriffe in Umberto Ecos fünf Essays könnten kaum aktueller sein. Gerade in ihrer zeitlichen Distanz zeigt sich die Stärke von Ecos Gedanken: Losgelöst vom tagesaktuellen Geschehen, scheinen in ihnen die überzeitlichen Strukturen auf, die unserem Denken und Handeln zugrunde liegen. Präzise, wortgewandt und gespickt mit persönlichen Erinnerungen rufen seine Texte die komplexe Geschichte der Herausforderungen wach, vor denen wir heute stehen.Fünf Essays, die die großen Herausforderungen unserer Zeit in neuem Licht zeigen
buecher-magazin.de„Der Ur-Faschismus kann in den unschuldigsten Gewändern daherkommen. Es ist unsere Pflicht, ihn zu entlarven.“ Doch woran erkennt man Faschismus? Im titelgebenden Text dieser Sammlung, einem Vortrag, den er 1995 an der Columbia University in New York hielt, arbeitet Umberto Eco – er fehlt! – 14 Merkmale heraus, die den Faschismen des 20. Jahrhunderts gemeinsam waren. Anders als die meisten derjenigen, die heute mit autoritären Ideen sympathisieren, hat der 1932 geborene Semiotiker in einem faschistischen Staat gelebt. Er erzählt, wie seine Mutter ihn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Zeitung holen schickte und er angesichts des neuen Pluralismus begriff, was Freiheit bedeutet – „Freiheit der Rede, der Presse, der politischen Vereinigung“. Doch auch die anderen vier Texte sind hörenswert – insbesondere „Ein neuer Vertrag von Nimwegen“, der das vereinte Europa feiert, und „Experimente in reziproker Ethnologie“. Der Sprecher Axel Wostry liest, wie man generell lesen sollte: klar, ruhig, ausdrucksvoll, den Text durchdringend. Dabei tritt er so weit hinter dem Text zurück, dass man fast das Gefühl hat, der eigenen inneren Stimme beim Lesen zuzuhören.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.2020Denken als Gefahr
Alarmismus war Umberto Eco fremd, auch in Sachen faschistischer Gefahr. Bei ihm steht zu lesen: "Der Ur-Faschismus kann in den unschuldigsten Gewändern daherkommen. Es ist unsere Pflicht, ihn zu entlarven." Ein Appell, dem alles Schrille abgeht - weil der Vortrag, dem er entnommen ist, nicht den Schrecken des Totalitarismus beschwört, sondern das Glück der Befreiung von ihm.
Eco hielt den Vortrag mit dem Titel "Der ewige Faschismus" 1995 in New York. Nun liegt er in deutscher Übersetzung vor, zusammen mit vier weiteren Vorträgen und Artikeln zu Migration, Intoleranz, Ethnologie und dem Frieden von Nimwegen. Doch Ecos Beobachtungen zum Faschismus sind die Folie, vor der sich die anderen Beiträge überhaupt erst in den Zusammenhang des schmalen Bands fügen. Anlass der Erörterung war ein Symposion zum fünfzigsten Jahrestag der Befreiung Italiens vom Faschismus. Und dies ist gleichzeitig das Paradoxon, an dem sich Eco abarbeitet, denn die "Befreiung vom Faschismus" ist für ihn kein historisches Ereignis, sondern Rhetorik: Faschismus sei ein Spiel, das auf viele Weisen gespielt werden könne, dabei aber immer unter dem gleichen Begriff subsumiert werde. Das mache diesen so schwammig, "fuzzy", wie Eco sagt, so dass er nie aufhört, nach Interpretation zu verlangen. An einer solchen versucht sich Eco mit Hilfe einer Liste von vierzehn Merkmalen des "Ur-Faschismus", der etwa einem Kult der Überlieferung huldige, die Moderne ablehne, dem Dissens misstraue und Fremdenfeindlichkeit und Verschwörungen schüre. Doch was Faschisten im Kern ausmache sei, dass sie kritisches Denken verhindern wollten: Denken sei für Faschisten eine Form der Kastration.
Die Versuchung ist groß, Ecos Liste als Erkenntnishappen zu schlucken oder ihre Aktualität im Angesicht von Hanau und Halle zu bewundern. Doch das befreit nicht von der Pflicht, sich mit der jeweils aktuellen faschistischen Rhetorik auseinanderzusetzen, die sich für den Literaten und Semiotiker Eco besonders an verarmtem Vokabular und versimpelter Syntax erkennen lässt. Was Eco mit einem Rückblick auf seine eigene Erfahrung mit der "Befreiung" unterstreicht: Damals habe er auch eine Befreiung der Sprache erlebt und "neue, erregende Worte" gelernt. So wie "Freiheit" und "Diktatur".
ANNA-LENA NIEMANN.
Umberto Eco: "Der ewige Faschismus".
Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Mit einem Vorwort von Roberto Saviano. Hanser Verlag, München 2020. 80 S., geb., 10,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alarmismus war Umberto Eco fremd, auch in Sachen faschistischer Gefahr. Bei ihm steht zu lesen: "Der Ur-Faschismus kann in den unschuldigsten Gewändern daherkommen. Es ist unsere Pflicht, ihn zu entlarven." Ein Appell, dem alles Schrille abgeht - weil der Vortrag, dem er entnommen ist, nicht den Schrecken des Totalitarismus beschwört, sondern das Glück der Befreiung von ihm.
Eco hielt den Vortrag mit dem Titel "Der ewige Faschismus" 1995 in New York. Nun liegt er in deutscher Übersetzung vor, zusammen mit vier weiteren Vorträgen und Artikeln zu Migration, Intoleranz, Ethnologie und dem Frieden von Nimwegen. Doch Ecos Beobachtungen zum Faschismus sind die Folie, vor der sich die anderen Beiträge überhaupt erst in den Zusammenhang des schmalen Bands fügen. Anlass der Erörterung war ein Symposion zum fünfzigsten Jahrestag der Befreiung Italiens vom Faschismus. Und dies ist gleichzeitig das Paradoxon, an dem sich Eco abarbeitet, denn die "Befreiung vom Faschismus" ist für ihn kein historisches Ereignis, sondern Rhetorik: Faschismus sei ein Spiel, das auf viele Weisen gespielt werden könne, dabei aber immer unter dem gleichen Begriff subsumiert werde. Das mache diesen so schwammig, "fuzzy", wie Eco sagt, so dass er nie aufhört, nach Interpretation zu verlangen. An einer solchen versucht sich Eco mit Hilfe einer Liste von vierzehn Merkmalen des "Ur-Faschismus", der etwa einem Kult der Überlieferung huldige, die Moderne ablehne, dem Dissens misstraue und Fremdenfeindlichkeit und Verschwörungen schüre. Doch was Faschisten im Kern ausmache sei, dass sie kritisches Denken verhindern wollten: Denken sei für Faschisten eine Form der Kastration.
Die Versuchung ist groß, Ecos Liste als Erkenntnishappen zu schlucken oder ihre Aktualität im Angesicht von Hanau und Halle zu bewundern. Doch das befreit nicht von der Pflicht, sich mit der jeweils aktuellen faschistischen Rhetorik auseinanderzusetzen, die sich für den Literaten und Semiotiker Eco besonders an verarmtem Vokabular und versimpelter Syntax erkennen lässt. Was Eco mit einem Rückblick auf seine eigene Erfahrung mit der "Befreiung" unterstreicht: Damals habe er auch eine Befreiung der Sprache erlebt und "neue, erregende Worte" gelernt. So wie "Freiheit" und "Diktatur".
ANNA-LENA NIEMANN.
Umberto Eco: "Der ewige Faschismus".
Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Mit einem Vorwort von Roberto Saviano. Hanser Verlag, München 2020. 80 S., geb., 10,- [Euro].
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"Zeitlos und klarsichtig" Karen Krüger, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 21.06.20
"Es zeichnet Ecos spezielle Mischung von stilistischer und geistiger Klarheit aus. ... Dieser Aufklärer erinnert uns mit Gelehrsamkeit, Witz und Geistesschärfe daran, dass wir die Welt gemeinsam politisch gestalten müssen. Es zeigt Umberto Eco ein letztes Mal in der Rolle, in der wir uns an ihn erinnern sollten: als großen europäischen Intellektuellen." Florian Baranyi, Falter, 11.03.20
"Eco beschwört nicht den Schrecken des Totalitarismus, sondern das Glück der Befreiung von ihm." Anna-Lena Niemann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.03.20
"Sein Appell ist einer, der in die Vergangenheit zurückblickt, um nicht zu vergessen, niemals. Der aber gleichzeitig immer auch in der Gegenwart verortet ist, der die Augen nicht verschließt vor neuen Formen des Faschismus, die sich hinterrücks einschleichen." Enrico Ippolito, Spiegel Online, 02.03.20
"Seine politischen Essays sind witzig und überraschend aktuell." Marc Reichwein, Die Welt, 01.02.20
"Es zeichnet Ecos spezielle Mischung von stilistischer und geistiger Klarheit aus. ... Dieser Aufklärer erinnert uns mit Gelehrsamkeit, Witz und Geistesschärfe daran, dass wir die Welt gemeinsam politisch gestalten müssen. Es zeigt Umberto Eco ein letztes Mal in der Rolle, in der wir uns an ihn erinnern sollten: als großen europäischen Intellektuellen." Florian Baranyi, Falter, 11.03.20
"Eco beschwört nicht den Schrecken des Totalitarismus, sondern das Glück der Befreiung von ihm." Anna-Lena Niemann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.03.20
"Sein Appell ist einer, der in die Vergangenheit zurückblickt, um nicht zu vergessen, niemals. Der aber gleichzeitig immer auch in der Gegenwart verortet ist, der die Augen nicht verschließt vor neuen Formen des Faschismus, die sich hinterrücks einschleichen." Enrico Ippolito, Spiegel Online, 02.03.20
"Seine politischen Essays sind witzig und überraschend aktuell." Marc Reichwein, Die Welt, 01.02.20