Anton fühlte sich in Hamburg noch nie zu Hause, und als seine Freundin ihn verlässt, ist sein Ausweg: Pfannkuchen backen bei Onkel Jimmy in Manhattan. Onkel Jimmys Luncheonette, das sind 30 geflieste Quadratmeter, drei Angestellte, 150
Gerichte auf der Speisekarte, Hektik am Grill, ein ständiges Kommen und Gehen - und trotzdem so etwas wie ein Zuhause. Jimmys Welt besteht neben der Luncheonette auch aus einer anderen, der Insel Alcatraz. Alles, was es über die legendäre
Gefängnisinsel an Informationen gibt, findet sich in Jimmys großer weißer Kiste. Anton gerät in den Sog dieser Geschichten und stößt dabei auf Stationen seiner eigenen Vergangenheit, denen er lieber auch entkommen wäre.
Gerichte auf der Speisekarte, Hektik am Grill, ein ständiges Kommen und Gehen - und trotzdem so etwas wie ein Zuhause. Jimmys Welt besteht neben der Luncheonette auch aus einer anderen, der Insel Alcatraz. Alles, was es über die legendäre
Gefängnisinsel an Informationen gibt, findet sich in Jimmys großer weißer Kiste. Anton gerät in den Sog dieser Geschichten und stößt dabei auf Stationen seiner eigenen Vergangenheit, denen er lieber auch entkommen wäre.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.2009Alcatraz, lebenslänglich
Benjamin Lebert will aus seinem Jugendknast türmen
Es ist schwer, über Benjamin Leberts Romane zu schreiben, ohne über Benjamin Lebert zu schreiben. Seit dem Erfolg seines Internatsromans "Crazy" gilt der Autor, der bei Erscheinen gerade siebzehn Jahre alt war, als Wunderkind. Dann kam das zweite Buch, das an den hochgesteckten Erwartungen eigentlich nur scheitern konnte. In seinem dritten Roman, "Kannst du", schickte Lebert dann ein schriftstellerndes Ex-Wunderkind auf die Suche nach Liebe und Sinn. Ähnlichkeiten des Ich-Erzählers mit Lebert selbst sind kein Zufall.
Doch diesmal ist alles anders, es wurde ja auch langsam Zeit: In seinem vierten Roman, "Flug der Pelikane", wagt sich Lebert endlich hinaus aus der Welt der pubertierenden und spätpubertären Jungs und begibt sich unter Erwachsene. Auch "die Mädchen", in seinen bisherigen Romanen gern als mysteriöse, komplizierte Wesen beschrieben, die es zu erobern gilt und an denen Leberts Figuren immer wieder scheitern, sind nicht mehr Hauptdreh- und Angelpunkt der Handlung, sondern irritierend abwesend. Eleanor, die Freundin des Erzählers, verabschiedet sich schon ganz zu Anfang und lässt Anton allein zurück.
"Wenn du mal gar nicht weißt, was du machen sollst, dann wartet hier immer ein Bett für dich. Und ein Job - Pfannkuchen machen", so hat es Onkel Jimmy aus New York versprochen, kein echter Onkel, sondern ein Jugendschwarm von Antons Mutter. Weil Anton nichts Besseres zu tun hat, bricht er auf und macht Pfannkuchen, von morgens bis abends. Jimmys Luncheonette in New York ist ein reiner Männerkosmos, in dem Männer über Männerthemen sprechen, Männerdinge tun und dabei vor sich hin fluchen. Emotionen werden über die Augen kommuniziert, die wahlweise zusammengekniffen, erwartungsvoll oder schlicht böse sind. Ganz so, wie man es aus schlechteren amerikanischen Gangsterfilmen kennt.
Damit liegt man dem Thema des Buches auch gar nicht so fern. Jimmy beschäftigt sich obsessiv mit der Gefängnisinsel Alcatraz, deren Geschichte und besonders mit dem Ausbruchsversuch von Frank Morris und den Anglin-Brüdern. Vieles erzählt er Anton, das meiste jedoch erschließt sich der Gast aus Jimmys Materialsammlung, denn längst hat ihn die Faszination angesteckt. Diese Informationshäppchen werden in kursivierten Abschnitten in den Roman eingestreut, gehen allerdings nicht wesentlich über das hinaus, was eine zehnminütige Internetrecherche liefern kann. Die Leichen der Ausbrecher, die mit einem provisorischen Floß übers Meer flohen, wurden nie gefunden. Jimmy ist der festen Überzeugung, dass dieser Fluchtversuch gelungen ist, und hält mit geradezu religiösem Eifer daran fest. Später wird man erfahren, dass er als Kind Frank Morris begegnet ist und von ihm die wahre Geschichte der Flucht erfahren hat. Warum er diese Information Anton gegenüber verschweigt, bleibt unerklärt.
Erst in der zweiten Hälfte des Buches kristallisiert sich allmählich heraus, warum sich Anton für die Gefängnisinsel und die Ausbrecher begeistern lässt: Es ist deren Bereitschaft, einen Ausweg aus ausweglosen Umständen zu suchen. Jimmy fasst es so zusammen: "Deine Lage ist also so: Du hast einen Zusammenbruch gehabt, du warst in der Klapsmühle, du hast dein Studium geschmissen, wischst jetzt für ein paar Dollars alten Leuten den Arsch aus und hast dich in der Klapsmühle mit so einer Verrückten eingelassen, die dir nun auch noch den Laufpass gegeben hat." In einer solchen Lebenssituation liegt der Gedanke an Flucht nahe. Und die Psychiatrie kann für einen Betroffenen durchaus eine Art Gefängnis sein: die Isolation von der Außenwelt, die Abhängigkeit von Autoritätspersonen, die Gemeinschaftsrituale und der Kampf um die eigene geistige Gesundheit.
Leberts Verschränkung der Sinnsuche eines psychisch labilen Mittzwanzigers mit der Geschichte eines Gefängnisausbruchs ist durchaus plausibel. Das Problem an seinem Roman ist, dass er weder Form noch Sprache dafür findet. Besonders stilistisch scheint das Buch im Anfangsstadium der Bearbeitung steckengeblieben zu sein. Es ist immer der nächstliegende Ausdruck, den Lebert verwendet und der meist der schwammigste und abgegriffenste ist. Die "dünne Weide" vor Jimmys Haus, "die aber viele schöne Blätter besaß". Eine Zeichnung von zwei Boxern: "Beide breiten, angespannten Rücken strahlten sowohl Einsamkeit als auch Würde aus." Ein Häftling: "ein verdammt tougher Typ". Ein Botenjunge: "Er war eine echte Augenweide." Von einem Roman mit literarischem Anspruch erwartet man eine präzisere, durchdachtere Sprache.
Ähnlich oberflächlich bleiben auch Umgebungen und Empfindungen des Erzählers. Leberts Amerika-Bild, pastellfarben und realitätsentrückt wie ein Edward-Hopper-Gemälde, mag da noch einen poetischen Plan verfolgen. Fatal wirkt sich die mangelnde Detailarbeit jedoch im letzten Drittel des Buches aus, in dem Antons Aufenthalt in der Psychiatrie beschrieben wird. Die zermürbenden Rituale, die den Alltag dort ausmachen, die verhassten Therapiesitzungen und die Mitpatienten werden nur in Ansätzen skizziert. Nicht einmal für das Innenleben seines Erzählers bringt Lebert viel Interesse auf: "Es war letztlich egal, wo man sich aufhielt, auf dieser Station fühlte man sich nirgends besonders toll." Nun, so viel hätte man sich auch vorher denken können. Für die Verzweiflungszustände Antons hätte Lebert deutlichere Worte finden müssen, für die Handlungsorte wäre ein schärferes Auge vonnöten gewesen und ein besserer Blick für Details. Etwas Drastik hätte sicher nicht geschadet, um die den Roman bestimmende Ausbruchsmetapher auch sprachlich spürbar werden zu lassen. Derart halbherzig und kreuzbrav, wie hier erzählt wird, gelingen keine Fluchten.
Schließlich kehrt Anton nach Deutschland zurück, und sogar Eleanor will sich wieder mit ihm treffen. Am Ende ist es dann doch wieder ein mysteriöses, kompliziertes Mädchen, das zurückerobert werden muss, damit sich alles zum Guten wendet. Damit ist Anton in einem neuen Leben und Benjamin Lebert wieder bei seinem Hauptthema angekommen.
ANDREA DIENER
Benjamin Lebert: "Flug der Pelikane". Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 186 S., geb., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Benjamin Lebert will aus seinem Jugendknast türmen
Es ist schwer, über Benjamin Leberts Romane zu schreiben, ohne über Benjamin Lebert zu schreiben. Seit dem Erfolg seines Internatsromans "Crazy" gilt der Autor, der bei Erscheinen gerade siebzehn Jahre alt war, als Wunderkind. Dann kam das zweite Buch, das an den hochgesteckten Erwartungen eigentlich nur scheitern konnte. In seinem dritten Roman, "Kannst du", schickte Lebert dann ein schriftstellerndes Ex-Wunderkind auf die Suche nach Liebe und Sinn. Ähnlichkeiten des Ich-Erzählers mit Lebert selbst sind kein Zufall.
Doch diesmal ist alles anders, es wurde ja auch langsam Zeit: In seinem vierten Roman, "Flug der Pelikane", wagt sich Lebert endlich hinaus aus der Welt der pubertierenden und spätpubertären Jungs und begibt sich unter Erwachsene. Auch "die Mädchen", in seinen bisherigen Romanen gern als mysteriöse, komplizierte Wesen beschrieben, die es zu erobern gilt und an denen Leberts Figuren immer wieder scheitern, sind nicht mehr Hauptdreh- und Angelpunkt der Handlung, sondern irritierend abwesend. Eleanor, die Freundin des Erzählers, verabschiedet sich schon ganz zu Anfang und lässt Anton allein zurück.
"Wenn du mal gar nicht weißt, was du machen sollst, dann wartet hier immer ein Bett für dich. Und ein Job - Pfannkuchen machen", so hat es Onkel Jimmy aus New York versprochen, kein echter Onkel, sondern ein Jugendschwarm von Antons Mutter. Weil Anton nichts Besseres zu tun hat, bricht er auf und macht Pfannkuchen, von morgens bis abends. Jimmys Luncheonette in New York ist ein reiner Männerkosmos, in dem Männer über Männerthemen sprechen, Männerdinge tun und dabei vor sich hin fluchen. Emotionen werden über die Augen kommuniziert, die wahlweise zusammengekniffen, erwartungsvoll oder schlicht böse sind. Ganz so, wie man es aus schlechteren amerikanischen Gangsterfilmen kennt.
Damit liegt man dem Thema des Buches auch gar nicht so fern. Jimmy beschäftigt sich obsessiv mit der Gefängnisinsel Alcatraz, deren Geschichte und besonders mit dem Ausbruchsversuch von Frank Morris und den Anglin-Brüdern. Vieles erzählt er Anton, das meiste jedoch erschließt sich der Gast aus Jimmys Materialsammlung, denn längst hat ihn die Faszination angesteckt. Diese Informationshäppchen werden in kursivierten Abschnitten in den Roman eingestreut, gehen allerdings nicht wesentlich über das hinaus, was eine zehnminütige Internetrecherche liefern kann. Die Leichen der Ausbrecher, die mit einem provisorischen Floß übers Meer flohen, wurden nie gefunden. Jimmy ist der festen Überzeugung, dass dieser Fluchtversuch gelungen ist, und hält mit geradezu religiösem Eifer daran fest. Später wird man erfahren, dass er als Kind Frank Morris begegnet ist und von ihm die wahre Geschichte der Flucht erfahren hat. Warum er diese Information Anton gegenüber verschweigt, bleibt unerklärt.
Erst in der zweiten Hälfte des Buches kristallisiert sich allmählich heraus, warum sich Anton für die Gefängnisinsel und die Ausbrecher begeistern lässt: Es ist deren Bereitschaft, einen Ausweg aus ausweglosen Umständen zu suchen. Jimmy fasst es so zusammen: "Deine Lage ist also so: Du hast einen Zusammenbruch gehabt, du warst in der Klapsmühle, du hast dein Studium geschmissen, wischst jetzt für ein paar Dollars alten Leuten den Arsch aus und hast dich in der Klapsmühle mit so einer Verrückten eingelassen, die dir nun auch noch den Laufpass gegeben hat." In einer solchen Lebenssituation liegt der Gedanke an Flucht nahe. Und die Psychiatrie kann für einen Betroffenen durchaus eine Art Gefängnis sein: die Isolation von der Außenwelt, die Abhängigkeit von Autoritätspersonen, die Gemeinschaftsrituale und der Kampf um die eigene geistige Gesundheit.
Leberts Verschränkung der Sinnsuche eines psychisch labilen Mittzwanzigers mit der Geschichte eines Gefängnisausbruchs ist durchaus plausibel. Das Problem an seinem Roman ist, dass er weder Form noch Sprache dafür findet. Besonders stilistisch scheint das Buch im Anfangsstadium der Bearbeitung steckengeblieben zu sein. Es ist immer der nächstliegende Ausdruck, den Lebert verwendet und der meist der schwammigste und abgegriffenste ist. Die "dünne Weide" vor Jimmys Haus, "die aber viele schöne Blätter besaß". Eine Zeichnung von zwei Boxern: "Beide breiten, angespannten Rücken strahlten sowohl Einsamkeit als auch Würde aus." Ein Häftling: "ein verdammt tougher Typ". Ein Botenjunge: "Er war eine echte Augenweide." Von einem Roman mit literarischem Anspruch erwartet man eine präzisere, durchdachtere Sprache.
Ähnlich oberflächlich bleiben auch Umgebungen und Empfindungen des Erzählers. Leberts Amerika-Bild, pastellfarben und realitätsentrückt wie ein Edward-Hopper-Gemälde, mag da noch einen poetischen Plan verfolgen. Fatal wirkt sich die mangelnde Detailarbeit jedoch im letzten Drittel des Buches aus, in dem Antons Aufenthalt in der Psychiatrie beschrieben wird. Die zermürbenden Rituale, die den Alltag dort ausmachen, die verhassten Therapiesitzungen und die Mitpatienten werden nur in Ansätzen skizziert. Nicht einmal für das Innenleben seines Erzählers bringt Lebert viel Interesse auf: "Es war letztlich egal, wo man sich aufhielt, auf dieser Station fühlte man sich nirgends besonders toll." Nun, so viel hätte man sich auch vorher denken können. Für die Verzweiflungszustände Antons hätte Lebert deutlichere Worte finden müssen, für die Handlungsorte wäre ein schärferes Auge vonnöten gewesen und ein besserer Blick für Details. Etwas Drastik hätte sicher nicht geschadet, um die den Roman bestimmende Ausbruchsmetapher auch sprachlich spürbar werden zu lassen. Derart halbherzig und kreuzbrav, wie hier erzählt wird, gelingen keine Fluchten.
Schließlich kehrt Anton nach Deutschland zurück, und sogar Eleanor will sich wieder mit ihm treffen. Am Ende ist es dann doch wieder ein mysteriöses, kompliziertes Mädchen, das zurückerobert werden muss, damit sich alles zum Guten wendet. Damit ist Anton in einem neuen Leben und Benjamin Lebert wieder bei seinem Hauptthema angekommen.
ANDREA DIENER
Benjamin Lebert: "Flug der Pelikane". Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 186 S., geb., 14,95 [Euro].
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