Der SPIEGEL-Bestseller jetzt als Hörbuch Eine Frau, die um ihren Freund trauert, ein riesiger Hund - und die berührende Geschichte ihres gemeinsamen Wegs zurück ins Leben Als die Ich-Erzählerin, eine zurückgezogen in New York City lebende Schriftstellerin, ihren besten Freund verliert, bekommt sie überraschend dessen Hund vermacht. Apollo ist eine riesige Dogge, die achtzig Kilo wiegt. Ihr Apartment ist eigentlich viel zu klein für ihn, außerdem sind Hunde in ihrem Mietshaus gar nicht erlaubt. Aber irgendwie kann sie nicht Nein sagen und nimmt Apollo bei sich auf, der wie sie in tiefer Trauer ist. Stück für Stück finden die beiden gemeinsam zurück ins Leben. Ein Buch über Liebe, Verlust und Freundschaft -- und die tröstliche Verbindung zwischen Mensch und Hund. »Eines der Bücher, in die man sich nach ein paar Sätzen verliebt.« NDR Kultur »Große Literatur.« Der Spiegel »Auf fast jeder Seite wollte ich mir mehrere Sätze anstreichen, bis ich es irgendwann gelassen habe, man kannja nicht ein ganzes Buch anstreichen. Es handelt von Freundschaft, Trauer und Schreiben, könnte nicht knapper und eleganter formuliert sein.« Johanna Adorján »Eine der schwindelerregend genialsten Autorinnen überhaupt.« Gary Shteyngart »Eine wunderbare Geschichte.« Spiegel Online
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2020Mein Freund mit der kalten Schnauze
Die Amerikanerin Sigrid Nunez hat einen hinreißenden Roman über Leben, Sterben und die Tücken der Gegenwart geschrieben.
Von Sandra Kegel
Wenn Lesen die Fähigkeit zur Empathie tatsächlich fördert, wie uns ständig erzählt wird, dann scheint Schreiben sie zu vermindern." Das ist einer dieser Sätze von Sigrid Nunez, die sie wie kleine Bömbchen in ihrem Roman plaziert, der eigentlich ein Brief ist, der Brief an einen Selbstmörder, der am Ende vielleicht gar nicht tot ist, und zugleich eine Reflexion, eine Autofiktion, aber auch Trauererzählung, Literaturbetriebssaga, Hundebuch und Märchen. Beispiele für ihre These findet sie zuhauf: Im Geständnis des Vielschreibers Georges Simenon etwa, der Hass auf die eigene Mutter habe ihn zum Schriftsteller gemacht, oder bei Joan Didion, die meinte: "Schreiben ist ein aggressiver, ja sogar feindseliger Akt", gar "die Taktik eines heimlichen Tyrannen". Oder bei Beckett, der, eines Frühlingsmorgens gefragt, ob er sich an einem so schönen Tag freue, am Leben zu sein, entgegnete: "So weit würde ich nicht gehen."
Ted Bundy war zwar kein Schriftsteller, aber dass der bekannteste Serienmörder Amerikas einst bei einer Selbstmordhotline gearbeitet hat, ist in dieser Recherche so aufschlussreich wie Nunez' eigenes Bekenntnis, in Märchen stets auf Seiten der Hexe zu stehen. Die hätte sich schließlich jahrelang gekümmert: "Es schien nicht fair, dass der erste gutaussehende junge Mann, der zufällig vorbeikam, sie ihr wegnehmen sollte."
Der Freund, von dem in diesem klugen, traurigen, komischen und ergreifenden Buch schon im Titel die Rede ist, meint dabei nicht nur den New Yorker Schriftstellerfreund der Ich-Erzählerin, der hier meist in direkter Rede angesprochen wird und sich unlängst eben das Leben genommen hat. Zum Freund wird außerdem - erst widerwillig, dann herzergreifend real - ein Hund. Kein Schoßhündchen, wie er in eine dieser beengten Wohnungen Manhattans passen würde, sondern eine raumgreifende Dänische Dogge. Apollo, achtzig Kilo schwer und arthritisch, ist tatsächlich das einzige Lebewesen in diesem Roman, das durch einen Namen geadelt wird.
Über den Verlust seines Herrchens, des verstorbenen Autors, schwermütig geworden, wird er zum Objekt einer verzweifelten Bitte, der sich die Erzählerin bald nicht mehr entziehen kann. Die letzte, dritte Ehefrau des Verstorbenen will Apollo nicht behalten, die Tierheime sind überfüllt, und eine Hundepension ist auf Dauer zu teuer, weshalb die Erzählerin sich schließlich breitschlagen lässt, Apollo in ihrer 57-Quadratmeter-Wohnung aufzunehmen. Wider besseren Wissens, denn bald schon steht sie vor dem Dilemma, sich entweder von Apollo zu trennen oder von ihrem günstigen Apartment, in dem Hunde nicht erlaubt sind.
Dabei war der Erzählerin, von Haus aus ein überzeugter Katzenmensch, hündische Devotheit immer suspekt gewesen. Plötzlich aber beginnt sie der kalten Schnauze etwas abzugewinnen und von ihrem Standpunkt immer mehr abzurücken. In kurzen federleichten Episoden wird erzählt, wie da so etwas wie Nähe entsteht zwischen ihr und ihm, zwei Fremden, die irgendwie übriggeblieben scheinen in der lauten, umtriebigen Welt. Die Menage-à-deux ist für beide ungewohnt, irritierend auch, dann wieder zärtlich, fast wie eine Liebesgeschichte. Begleitet wird das von Schubert-Liedern, besonderen Lektüren über Hunde und Menschen sowie Momentaufnahmen aus dem Alltag. Diese vor allem sind es, die das Buch aus dem so beliebten und vielfach bedienten Genre "Hundeerzählung" hervorstechen lassen. So elegant wie beiläufig entwickelt die Erzählerin hieraus Überlegungen zu den großen Fragen unserer Zeit. Wenn sie, aus dem Seminar kommend, die Veränderungen an den Universitäten durch MeToo und Identitätspolitik kommentiert. Sie ist, wie die Autorin Nunez selbst, Lehrerin für kreatives Schreiben in New York. Dem neuen Hang zur Bekenntnisliteratur steht sie skeptisch gegenüber. Sie gehe nie davon aus, dass ein Werk autobiographisch sei, klärt sie einmal einen Studenten auf: "Über wen soll ich denn sonst schreiben?", fragt der irritiert zurück.
Für Toni Morrison war es eine Urheberrechtsverletzung, einer realen Person eine fiktive Figur nachzuempfinden. Bei Nunez, die einst Assistentin von Susan Sontag war und mit deren Sohn liiert, ist es Apollo, der ausgerechnet ein Exemplar von Knausgårds Überwältigungsepos der Selbsterforschung, "Mein Kampf", zernagt. Doch auch die sogenannte Beweisliteratur, wie sie etwa die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch betreibt, die Stimmen nicht etwa erfindet, sondern aus der Wirklichkeit nimmt und dokumentarisch montiert, wird hinterfragt.
Wie sehr der einst gefeierte, gutaussehende Selbstmörder-Schriftsteller mit dem britischen Akzent gerade in seinen letzten Lebensjahren aus der Zeit gefallen schien, auch das ergründet die Autorin luzide. Er, ein Womanizer, der jeden Seminarraum zum erotischen Spannungsjagdfeld erklärte, ein Egomane, aber auch ein Künstler, fühlte sich fremd in einem Milieu, in dem Studenten persönliche Schwächen und Makel nicht mehr tolerieren.
Dass ein Seminar einstimmig beschließt, Nabokov gehöre auf keine Leseliste mehr, da er ein Snob und Perverser gewesen sei, zählt zu den Auswüchsen dieser neuen Form von Selbstgerechtigkeit. Die Geltungssucht von Schriftstellern zu beklagen, das sei, heißt es an einer Stelle im Roman, als würde man Gewalt bei Boxern kritisieren.
Dass die Fiktion in der Krise sei, befeuert durch die Extrempositionen der biographischen und der dokumentarischen Literatur, ist ein Befund, den man neuerdings häufiger hört. Das Buch von Sigrid Nunez hat den besonderen Reiz, dass sie diese poetologischen Positionen und Diskurse einerseits kenntlich und andererseits große Kunst daraus macht, ganz so wie es in dem Spielfilm "Ist das Leben nicht schön?" (1946) geschah. Darin hält ein Engel den traurigen Helden James Stewart vom Selbstmord ab, indem er ihm zeigt, was für ein großer Verlust es für die Welt gewesen wäre, hätte er nie existiert. Mit "Der Freund" von Sigrid Nunez verhält es sich ganz ähnlich. Denn so ist es nicht gewesen, und doch war es genauso.
Sigrid Nunez: "Der Freund". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Anette Grube. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 235 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Amerikanerin Sigrid Nunez hat einen hinreißenden Roman über Leben, Sterben und die Tücken der Gegenwart geschrieben.
Von Sandra Kegel
Wenn Lesen die Fähigkeit zur Empathie tatsächlich fördert, wie uns ständig erzählt wird, dann scheint Schreiben sie zu vermindern." Das ist einer dieser Sätze von Sigrid Nunez, die sie wie kleine Bömbchen in ihrem Roman plaziert, der eigentlich ein Brief ist, der Brief an einen Selbstmörder, der am Ende vielleicht gar nicht tot ist, und zugleich eine Reflexion, eine Autofiktion, aber auch Trauererzählung, Literaturbetriebssaga, Hundebuch und Märchen. Beispiele für ihre These findet sie zuhauf: Im Geständnis des Vielschreibers Georges Simenon etwa, der Hass auf die eigene Mutter habe ihn zum Schriftsteller gemacht, oder bei Joan Didion, die meinte: "Schreiben ist ein aggressiver, ja sogar feindseliger Akt", gar "die Taktik eines heimlichen Tyrannen". Oder bei Beckett, der, eines Frühlingsmorgens gefragt, ob er sich an einem so schönen Tag freue, am Leben zu sein, entgegnete: "So weit würde ich nicht gehen."
Ted Bundy war zwar kein Schriftsteller, aber dass der bekannteste Serienmörder Amerikas einst bei einer Selbstmordhotline gearbeitet hat, ist in dieser Recherche so aufschlussreich wie Nunez' eigenes Bekenntnis, in Märchen stets auf Seiten der Hexe zu stehen. Die hätte sich schließlich jahrelang gekümmert: "Es schien nicht fair, dass der erste gutaussehende junge Mann, der zufällig vorbeikam, sie ihr wegnehmen sollte."
Der Freund, von dem in diesem klugen, traurigen, komischen und ergreifenden Buch schon im Titel die Rede ist, meint dabei nicht nur den New Yorker Schriftstellerfreund der Ich-Erzählerin, der hier meist in direkter Rede angesprochen wird und sich unlängst eben das Leben genommen hat. Zum Freund wird außerdem - erst widerwillig, dann herzergreifend real - ein Hund. Kein Schoßhündchen, wie er in eine dieser beengten Wohnungen Manhattans passen würde, sondern eine raumgreifende Dänische Dogge. Apollo, achtzig Kilo schwer und arthritisch, ist tatsächlich das einzige Lebewesen in diesem Roman, das durch einen Namen geadelt wird.
Über den Verlust seines Herrchens, des verstorbenen Autors, schwermütig geworden, wird er zum Objekt einer verzweifelten Bitte, der sich die Erzählerin bald nicht mehr entziehen kann. Die letzte, dritte Ehefrau des Verstorbenen will Apollo nicht behalten, die Tierheime sind überfüllt, und eine Hundepension ist auf Dauer zu teuer, weshalb die Erzählerin sich schließlich breitschlagen lässt, Apollo in ihrer 57-Quadratmeter-Wohnung aufzunehmen. Wider besseren Wissens, denn bald schon steht sie vor dem Dilemma, sich entweder von Apollo zu trennen oder von ihrem günstigen Apartment, in dem Hunde nicht erlaubt sind.
Dabei war der Erzählerin, von Haus aus ein überzeugter Katzenmensch, hündische Devotheit immer suspekt gewesen. Plötzlich aber beginnt sie der kalten Schnauze etwas abzugewinnen und von ihrem Standpunkt immer mehr abzurücken. In kurzen federleichten Episoden wird erzählt, wie da so etwas wie Nähe entsteht zwischen ihr und ihm, zwei Fremden, die irgendwie übriggeblieben scheinen in der lauten, umtriebigen Welt. Die Menage-à-deux ist für beide ungewohnt, irritierend auch, dann wieder zärtlich, fast wie eine Liebesgeschichte. Begleitet wird das von Schubert-Liedern, besonderen Lektüren über Hunde und Menschen sowie Momentaufnahmen aus dem Alltag. Diese vor allem sind es, die das Buch aus dem so beliebten und vielfach bedienten Genre "Hundeerzählung" hervorstechen lassen. So elegant wie beiläufig entwickelt die Erzählerin hieraus Überlegungen zu den großen Fragen unserer Zeit. Wenn sie, aus dem Seminar kommend, die Veränderungen an den Universitäten durch MeToo und Identitätspolitik kommentiert. Sie ist, wie die Autorin Nunez selbst, Lehrerin für kreatives Schreiben in New York. Dem neuen Hang zur Bekenntnisliteratur steht sie skeptisch gegenüber. Sie gehe nie davon aus, dass ein Werk autobiographisch sei, klärt sie einmal einen Studenten auf: "Über wen soll ich denn sonst schreiben?", fragt der irritiert zurück.
Für Toni Morrison war es eine Urheberrechtsverletzung, einer realen Person eine fiktive Figur nachzuempfinden. Bei Nunez, die einst Assistentin von Susan Sontag war und mit deren Sohn liiert, ist es Apollo, der ausgerechnet ein Exemplar von Knausgårds Überwältigungsepos der Selbsterforschung, "Mein Kampf", zernagt. Doch auch die sogenannte Beweisliteratur, wie sie etwa die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch betreibt, die Stimmen nicht etwa erfindet, sondern aus der Wirklichkeit nimmt und dokumentarisch montiert, wird hinterfragt.
Wie sehr der einst gefeierte, gutaussehende Selbstmörder-Schriftsteller mit dem britischen Akzent gerade in seinen letzten Lebensjahren aus der Zeit gefallen schien, auch das ergründet die Autorin luzide. Er, ein Womanizer, der jeden Seminarraum zum erotischen Spannungsjagdfeld erklärte, ein Egomane, aber auch ein Künstler, fühlte sich fremd in einem Milieu, in dem Studenten persönliche Schwächen und Makel nicht mehr tolerieren.
Dass ein Seminar einstimmig beschließt, Nabokov gehöre auf keine Leseliste mehr, da er ein Snob und Perverser gewesen sei, zählt zu den Auswüchsen dieser neuen Form von Selbstgerechtigkeit. Die Geltungssucht von Schriftstellern zu beklagen, das sei, heißt es an einer Stelle im Roman, als würde man Gewalt bei Boxern kritisieren.
Dass die Fiktion in der Krise sei, befeuert durch die Extrempositionen der biographischen und der dokumentarischen Literatur, ist ein Befund, den man neuerdings häufiger hört. Das Buch von Sigrid Nunez hat den besonderen Reiz, dass sie diese poetologischen Positionen und Diskurse einerseits kenntlich und andererseits große Kunst daraus macht, ganz so wie es in dem Spielfilm "Ist das Leben nicht schön?" (1946) geschah. Darin hält ein Engel den traurigen Helden James Stewart vom Selbstmord ab, indem er ihm zeigt, was für ein großer Verlust es für die Welt gewesen wäre, hätte er nie existiert. Mit "Der Freund" von Sigrid Nunez verhält es sich ganz ähnlich. Denn so ist es nicht gewesen, und doch war es genauso.
Sigrid Nunez: "Der Freund". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Anette Grube. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 235 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2020Im Bett mit Apollo
Was bedeutet es, wenn der Hund einen Knausgård-Band zerkaut? Sigrid Nunez’ Geschichte
über die Trauer um einen Lebensmenschen, dessen dänische Dogge und die Literatur
VON FRAUKE MEYER-GOSAU
Frauen und Männer, Mensch und Tier, Liebe, Tod, Trauer und Trost. Und dazu dann noch die Literatur, ihre Autorinnen und Autoren, insbesondere deren Verhältnis zum Selbstmord – dass Sigrid Nunez sich in ihrem Roman „Der Freund“ zu wenige Themen vorgenommen hätte, kann man wirklich nicht sagen. 2018 gewann sie den National Book Award mit diesem Buch und hatte zu dem Zeitpunkt bereits 40 000 Exemplare verkauft: ein Publikumsliebling schon vor dem Preis. Das muss Gründe haben.
Der beste und älteste Freund der Ich-Erzählerin hat sich umgebracht. Beide kannten einander aus einem universitären Schreibkurs, den er leitete: ein britisch-jüdischer Autor und attraktiver Mann, der überzeugt war, eines Tages den Literatur-Nobelpreis zu gewinnen.
Wie viele andere Studentinnen, unter anderen ihre beste Freundin, landete auch die Erzählerin dieses Romans im Bett des Dozenten. Doch anders als andere wurde sie weder seine Ehefrau, noch verlor sie während der folgenden Jahrzehnte den Kontakt zu ihm – sie blieben Freunde, ein platonisches Liebespaar, auf dessen Beziehung die zweite Ehefrau des Schriftstellers rasend eifersüchtig war. Ehefrau Nummer drei wird es dann sein, die die Freundin ihres Mannes davon unterrichtet, dass er, der die Universität aus Resignation über den geistigen und literarischen Horizont seiner Schreib-Studenten schon vor einer Weile aufgegeben hatte, Selbstmord begangen hat.
Zu den Konsequenzen dieses Todes gehört, dass die Freundin von ihrem Freund etwas erbt: eine dänische Dogge, die er einst beim Joggen im Park gefunden und der er den Namen Apollo gegeben hatte. So nimmt seinen Lauf, was dieses Buch erzählen soll: Wie die Trauer um den Toten Frau und Hund verbindet, wie sie erst Vertrauen und dann eine innige Zuneigung zu einander fassen, obwohl die Erzählerin eigentlich bislang eine Katzen-Liebhaberin war. In ihrer 45-Ouadratmeter-Wohnung in Manhattan darf sie laut Mietvertrag keinen Hund halten, prompt wird sie beim Eigentümer angezeigt. Doch überwindet Liebe bekanntlich jedes Hindernis, und das gilt hier auch für die Hausordnung.
Wenn die Ich-Erzählerin sich nicht gerade an ihre gemeinsame Geschichte mit dem durchgängig als „du“ angeredeten Freund erinnert, an seine Ehefrauen, seine unstillbare Leidenschaft für junge Studentinnen, erzählt Nunez von Hunden und Menschen und zitiert, was andere Autorinnen und Autoren entweder über Hunde, über das Schreiben oder über den Selbstmord zu sagen hatten. Dann wieder rekapituliert sie Besuche beim Tierarzt und beim Menschen-Therapeuten, Begegnungen mit den drei Ehefrauen des Freundes oder ihre eigenen, leider auch eher unerfreulichen Erfahrungen als Lehrerin in universitären Creative-Writing-Programmen.
Das alles ergibt ein umstandsloses Hinübergleiten von einem Thema zum anderen, gern eingeleitet von Wendungen wie „Dann fällt mir ein …“ oder „Ich denke an …“ – so gelangt das „Ich“ vom „Du“ zu den narzisstisch-ruhmsüchtigen Schriftstellerkollegen oder zu Studenten, die nicht verstehen, weshalb sie für ihren Kurs andere Autoren lesen sollen, obwohl es doch sie sind, die gelesen werden wollen. Ihre Geschichten handeln selbstverständlich von ihnen selbst: „Worüber soll ich denn sonst schreiben?“
Das ist ja letztlich auch Sigrid Nunez’ eigener Fall in diesem Buch, und sie gräbt aus, was Virginia Woolf, Toni Morrison oder Christa Wolf zum literarischen Schreiben über lebende Personen zu sagen hatten, während Apollo sein Urteil über diesen Literatur-Typus unmissverständlich ausdrückt, indem er einen Knausgård-Band zerkaut. Überhaupt wächst der Hund in seiner allmählichen Annäherung an das schreibende „Ich“ dem Leser in seiner Trauer, seinem Stolz, seiner Zuwendung und Würde ans Herz – und darüber dann unvermeidlich auch seine Erzählerin, die ebenfalls etliche Klippen der inneren und äußeren Art zu überwinden hat, bevor sie den unbeirrbar in ihrem Bett übernachtenden Hund schließlich ausdrücklich auffordert, dort doch bitte liegen zu bleiben.
All dies ist zweifellos sehr nett. Teils traurig, dann wieder rührend oder komisch, auch mal selbstironisch, immer wieder eifrig belesen und nebenbei mit kleinen Bissigkeiten gegen Nunez’ eigene Branche gespickt. Sogar eine Schreibkrise wird gegen Ende überwunden, wenn die Seite 217 weiß bleibt und in deren Mitte steht „Besiege die leere Seite!“, nachdem Nunez zuvor unerwartet versucht hatte, ihre so erkennbar aus dem eigenen Schriftstellerinnen-Leben gegriffene Geschichte doch noch als Fiktion erscheinen zu lassen. Nun sollte plötzlich der Freund seinen Selbstmordversuch überlebt (und in der Psychiatrie an einem Schreibkurs teilgenommen) haben, und Apollo wäre in Wahrheit ein Dackel mit Namen Jip. Doch auch diese halbherzige kleine Kunst-Episode geht rasch vorüber – wohlbehütet in der Fürsorge seiner Erzählerin und von einem Schwarm weißer Schmetterlinge umflogen endet Apollos Leben in einem Spätsommer-Idyll.
Und warum sollte eine Geschichte, die so beherzt vom Höckchen aufs Stöckchen und wieder zurück gesprungen ist, denn nicht schließlich auch gut ausgehen? Die Tiere haben es allemal verdient.
So gelangt das „Ich“ vom
„Du“ zu den narzisstisch
ruhmsüchtigen Schriftstellern
@ungsunds.und.gsunds,
empfohlen von:
Saša Stanišić („Herkunft“)
„Kunst ist nie für alle perfekt,
außer man macht Kunst
mit Kuchen, dann ist das perfekt, es ist auch komisch, man hat Sehnsucht nach Zucker und man will selbst Torte sein.“
In seiner Trauer, seinem Stolz,
seiner Zuwendung und Würde
wächst einem das Tier ans Herz
Sigrid Nunez:
Der Freund. Roman.
Aus dem Englischen
von Anette Grube.
Aufbau Verlag, Berlin 2020. 233 Seiten,
20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Was bedeutet es, wenn der Hund einen Knausgård-Band zerkaut? Sigrid Nunez’ Geschichte
über die Trauer um einen Lebensmenschen, dessen dänische Dogge und die Literatur
VON FRAUKE MEYER-GOSAU
Frauen und Männer, Mensch und Tier, Liebe, Tod, Trauer und Trost. Und dazu dann noch die Literatur, ihre Autorinnen und Autoren, insbesondere deren Verhältnis zum Selbstmord – dass Sigrid Nunez sich in ihrem Roman „Der Freund“ zu wenige Themen vorgenommen hätte, kann man wirklich nicht sagen. 2018 gewann sie den National Book Award mit diesem Buch und hatte zu dem Zeitpunkt bereits 40 000 Exemplare verkauft: ein Publikumsliebling schon vor dem Preis. Das muss Gründe haben.
Der beste und älteste Freund der Ich-Erzählerin hat sich umgebracht. Beide kannten einander aus einem universitären Schreibkurs, den er leitete: ein britisch-jüdischer Autor und attraktiver Mann, der überzeugt war, eines Tages den Literatur-Nobelpreis zu gewinnen.
Wie viele andere Studentinnen, unter anderen ihre beste Freundin, landete auch die Erzählerin dieses Romans im Bett des Dozenten. Doch anders als andere wurde sie weder seine Ehefrau, noch verlor sie während der folgenden Jahrzehnte den Kontakt zu ihm – sie blieben Freunde, ein platonisches Liebespaar, auf dessen Beziehung die zweite Ehefrau des Schriftstellers rasend eifersüchtig war. Ehefrau Nummer drei wird es dann sein, die die Freundin ihres Mannes davon unterrichtet, dass er, der die Universität aus Resignation über den geistigen und literarischen Horizont seiner Schreib-Studenten schon vor einer Weile aufgegeben hatte, Selbstmord begangen hat.
Zu den Konsequenzen dieses Todes gehört, dass die Freundin von ihrem Freund etwas erbt: eine dänische Dogge, die er einst beim Joggen im Park gefunden und der er den Namen Apollo gegeben hatte. So nimmt seinen Lauf, was dieses Buch erzählen soll: Wie die Trauer um den Toten Frau und Hund verbindet, wie sie erst Vertrauen und dann eine innige Zuneigung zu einander fassen, obwohl die Erzählerin eigentlich bislang eine Katzen-Liebhaberin war. In ihrer 45-Ouadratmeter-Wohnung in Manhattan darf sie laut Mietvertrag keinen Hund halten, prompt wird sie beim Eigentümer angezeigt. Doch überwindet Liebe bekanntlich jedes Hindernis, und das gilt hier auch für die Hausordnung.
Wenn die Ich-Erzählerin sich nicht gerade an ihre gemeinsame Geschichte mit dem durchgängig als „du“ angeredeten Freund erinnert, an seine Ehefrauen, seine unstillbare Leidenschaft für junge Studentinnen, erzählt Nunez von Hunden und Menschen und zitiert, was andere Autorinnen und Autoren entweder über Hunde, über das Schreiben oder über den Selbstmord zu sagen hatten. Dann wieder rekapituliert sie Besuche beim Tierarzt und beim Menschen-Therapeuten, Begegnungen mit den drei Ehefrauen des Freundes oder ihre eigenen, leider auch eher unerfreulichen Erfahrungen als Lehrerin in universitären Creative-Writing-Programmen.
Das alles ergibt ein umstandsloses Hinübergleiten von einem Thema zum anderen, gern eingeleitet von Wendungen wie „Dann fällt mir ein …“ oder „Ich denke an …“ – so gelangt das „Ich“ vom „Du“ zu den narzisstisch-ruhmsüchtigen Schriftstellerkollegen oder zu Studenten, die nicht verstehen, weshalb sie für ihren Kurs andere Autoren lesen sollen, obwohl es doch sie sind, die gelesen werden wollen. Ihre Geschichten handeln selbstverständlich von ihnen selbst: „Worüber soll ich denn sonst schreiben?“
Das ist ja letztlich auch Sigrid Nunez’ eigener Fall in diesem Buch, und sie gräbt aus, was Virginia Woolf, Toni Morrison oder Christa Wolf zum literarischen Schreiben über lebende Personen zu sagen hatten, während Apollo sein Urteil über diesen Literatur-Typus unmissverständlich ausdrückt, indem er einen Knausgård-Band zerkaut. Überhaupt wächst der Hund in seiner allmählichen Annäherung an das schreibende „Ich“ dem Leser in seiner Trauer, seinem Stolz, seiner Zuwendung und Würde ans Herz – und darüber dann unvermeidlich auch seine Erzählerin, die ebenfalls etliche Klippen der inneren und äußeren Art zu überwinden hat, bevor sie den unbeirrbar in ihrem Bett übernachtenden Hund schließlich ausdrücklich auffordert, dort doch bitte liegen zu bleiben.
All dies ist zweifellos sehr nett. Teils traurig, dann wieder rührend oder komisch, auch mal selbstironisch, immer wieder eifrig belesen und nebenbei mit kleinen Bissigkeiten gegen Nunez’ eigene Branche gespickt. Sogar eine Schreibkrise wird gegen Ende überwunden, wenn die Seite 217 weiß bleibt und in deren Mitte steht „Besiege die leere Seite!“, nachdem Nunez zuvor unerwartet versucht hatte, ihre so erkennbar aus dem eigenen Schriftstellerinnen-Leben gegriffene Geschichte doch noch als Fiktion erscheinen zu lassen. Nun sollte plötzlich der Freund seinen Selbstmordversuch überlebt (und in der Psychiatrie an einem Schreibkurs teilgenommen) haben, und Apollo wäre in Wahrheit ein Dackel mit Namen Jip. Doch auch diese halbherzige kleine Kunst-Episode geht rasch vorüber – wohlbehütet in der Fürsorge seiner Erzählerin und von einem Schwarm weißer Schmetterlinge umflogen endet Apollos Leben in einem Spätsommer-Idyll.
Und warum sollte eine Geschichte, die so beherzt vom Höckchen aufs Stöckchen und wieder zurück gesprungen ist, denn nicht schließlich auch gut ausgehen? Die Tiere haben es allemal verdient.
So gelangt das „Ich“ vom
„Du“ zu den narzisstisch
ruhmsüchtigen Schriftstellern
@ungsunds.und.gsunds,
empfohlen von:
Saša Stanišić („Herkunft“)
„Kunst ist nie für alle perfekt,
außer man macht Kunst
mit Kuchen, dann ist das perfekt, es ist auch komisch, man hat Sehnsucht nach Zucker und man will selbst Torte sein.“
In seiner Trauer, seinem Stolz,
seiner Zuwendung und Würde
wächst einem das Tier ans Herz
Sigrid Nunez:
Der Freund. Roman.
Aus dem Englischen
von Anette Grube.
Aufbau Verlag, Berlin 2020. 233 Seiten,
20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Das Buch ist traurig, humorvoll, manchmal schräg, immer vielschichtig, differenziert und klug.« Monika Egli-Schärer P.S. 20240628