Der SPIEGEL-Bestseller jetzt als Hörbuch Eine Frau, die um ihren Freund trauert, ein riesiger Hund - und die berührende Geschichte ihres gemeinsamen Wegs zurück ins Leben Als die Ich-Erzählerin, eine zurückgezogen in New York City lebende Schriftstellerin, ihren besten Freund verliert, bekommt sie überraschend dessen Hund vermacht. Apollo ist eine riesige Dogge, die achtzig Kilo wiegt. Ihr Apartment ist eigentlich viel zu klein für ihn, außerdem sind Hunde in ihrem Mietshaus gar nicht erlaubt. Aber irgendwie kann sie nicht Nein sagen und nimmt Apollo bei sich auf, der wie sie in tiefer Trauer ist. Stück für Stück finden die beiden gemeinsam zurück ins Leben. Ein Buch über Liebe, Verlust und Freundschaft -- und die tröstliche Verbindung zwischen Mensch und Hund. »Eines der Bücher, in die man sich nach ein paar Sätzen verliebt.« NDR Kultur »Große Literatur.« Der Spiegel »Auf fast jeder Seite wollte ich mir mehrere Sätze anstreichen, bis ich es irgendwann gelassen habe, man kannja nicht ein ganzes Buch anstreichen. Es handelt von Freundschaft, Trauer und Schreiben, könnte nicht knapper und eleganter formuliert sein.« Johanna Adorján »Eine der schwindelerregend genialsten Autorinnen überhaupt.« Gary Shteyngart »Eine wunderbare Geschichte.« Spiegel Online
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2020Mein Freund mit der kalten Schnauze
Die Amerikanerin Sigrid Nunez hat einen hinreißenden Roman über Leben, Sterben und die Tücken der Gegenwart geschrieben.
Von Sandra Kegel
Wenn Lesen die Fähigkeit zur Empathie tatsächlich fördert, wie uns ständig erzählt wird, dann scheint Schreiben sie zu vermindern." Das ist einer dieser Sätze von Sigrid Nunez, die sie wie kleine Bömbchen in ihrem Roman plaziert, der eigentlich ein Brief ist, der Brief an einen Selbstmörder, der am Ende vielleicht gar nicht tot ist, und zugleich eine Reflexion, eine Autofiktion, aber auch Trauererzählung, Literaturbetriebssaga, Hundebuch und Märchen. Beispiele für ihre These findet sie zuhauf: Im Geständnis des Vielschreibers Georges Simenon etwa, der Hass auf die eigene Mutter habe ihn zum Schriftsteller gemacht, oder bei Joan Didion, die meinte: "Schreiben ist ein aggressiver, ja sogar feindseliger Akt", gar "die Taktik eines heimlichen Tyrannen". Oder bei Beckett, der, eines Frühlingsmorgens gefragt, ob er sich an einem so schönen Tag freue, am Leben zu sein, entgegnete: "So weit würde ich nicht gehen."
Ted Bundy war zwar kein Schriftsteller, aber dass der bekannteste Serienmörder Amerikas einst bei einer Selbstmordhotline gearbeitet hat, ist in dieser Recherche so aufschlussreich wie Nunez' eigenes Bekenntnis, in Märchen stets auf Seiten der Hexe zu stehen. Die hätte sich schließlich jahrelang gekümmert: "Es schien nicht fair, dass der erste gutaussehende junge Mann, der zufällig vorbeikam, sie ihr wegnehmen sollte."
Der Freund, von dem in diesem klugen, traurigen, komischen und ergreifenden Buch schon im Titel die Rede ist, meint dabei nicht nur den New Yorker Schriftstellerfreund der Ich-Erzählerin, der hier meist in direkter Rede angesprochen wird und sich unlängst eben das Leben genommen hat. Zum Freund wird außerdem - erst widerwillig, dann herzergreifend real - ein Hund. Kein Schoßhündchen, wie er in eine dieser beengten Wohnungen Manhattans passen würde, sondern eine raumgreifende Dänische Dogge. Apollo, achtzig Kilo schwer und arthritisch, ist tatsächlich das einzige Lebewesen in diesem Roman, das durch einen Namen geadelt wird.
Über den Verlust seines Herrchens, des verstorbenen Autors, schwermütig geworden, wird er zum Objekt einer verzweifelten Bitte, der sich die Erzählerin bald nicht mehr entziehen kann. Die letzte, dritte Ehefrau des Verstorbenen will Apollo nicht behalten, die Tierheime sind überfüllt, und eine Hundepension ist auf Dauer zu teuer, weshalb die Erzählerin sich schließlich breitschlagen lässt, Apollo in ihrer 57-Quadratmeter-Wohnung aufzunehmen. Wider besseren Wissens, denn bald schon steht sie vor dem Dilemma, sich entweder von Apollo zu trennen oder von ihrem günstigen Apartment, in dem Hunde nicht erlaubt sind.
Dabei war der Erzählerin, von Haus aus ein überzeugter Katzenmensch, hündische Devotheit immer suspekt gewesen. Plötzlich aber beginnt sie der kalten Schnauze etwas abzugewinnen und von ihrem Standpunkt immer mehr abzurücken. In kurzen federleichten Episoden wird erzählt, wie da so etwas wie Nähe entsteht zwischen ihr und ihm, zwei Fremden, die irgendwie übriggeblieben scheinen in der lauten, umtriebigen Welt. Die Menage-à-deux ist für beide ungewohnt, irritierend auch, dann wieder zärtlich, fast wie eine Liebesgeschichte. Begleitet wird das von Schubert-Liedern, besonderen Lektüren über Hunde und Menschen sowie Momentaufnahmen aus dem Alltag. Diese vor allem sind es, die das Buch aus dem so beliebten und vielfach bedienten Genre "Hundeerzählung" hervorstechen lassen. So elegant wie beiläufig entwickelt die Erzählerin hieraus Überlegungen zu den großen Fragen unserer Zeit. Wenn sie, aus dem Seminar kommend, die Veränderungen an den Universitäten durch MeToo und Identitätspolitik kommentiert. Sie ist, wie die Autorin Nunez selbst, Lehrerin für kreatives Schreiben in New York. Dem neuen Hang zur Bekenntnisliteratur steht sie skeptisch gegenüber. Sie gehe nie davon aus, dass ein Werk autobiographisch sei, klärt sie einmal einen Studenten auf: "Über wen soll ich denn sonst schreiben?", fragt der irritiert zurück.
Für Toni Morrison war es eine Urheberrechtsverletzung, einer realen Person eine fiktive Figur nachzuempfinden. Bei Nunez, die einst Assistentin von Susan Sontag war und mit deren Sohn liiert, ist es Apollo, der ausgerechnet ein Exemplar von Knausgårds Überwältigungsepos der Selbsterforschung, "Mein Kampf", zernagt. Doch auch die sogenannte Beweisliteratur, wie sie etwa die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch betreibt, die Stimmen nicht etwa erfindet, sondern aus der Wirklichkeit nimmt und dokumentarisch montiert, wird hinterfragt.
Wie sehr der einst gefeierte, gutaussehende Selbstmörder-Schriftsteller mit dem britischen Akzent gerade in seinen letzten Lebensjahren aus der Zeit gefallen schien, auch das ergründet die Autorin luzide. Er, ein Womanizer, der jeden Seminarraum zum erotischen Spannungsjagdfeld erklärte, ein Egomane, aber auch ein Künstler, fühlte sich fremd in einem Milieu, in dem Studenten persönliche Schwächen und Makel nicht mehr tolerieren.
Dass ein Seminar einstimmig beschließt, Nabokov gehöre auf keine Leseliste mehr, da er ein Snob und Perverser gewesen sei, zählt zu den Auswüchsen dieser neuen Form von Selbstgerechtigkeit. Die Geltungssucht von Schriftstellern zu beklagen, das sei, heißt es an einer Stelle im Roman, als würde man Gewalt bei Boxern kritisieren.
Dass die Fiktion in der Krise sei, befeuert durch die Extrempositionen der biographischen und der dokumentarischen Literatur, ist ein Befund, den man neuerdings häufiger hört. Das Buch von Sigrid Nunez hat den besonderen Reiz, dass sie diese poetologischen Positionen und Diskurse einerseits kenntlich und andererseits große Kunst daraus macht, ganz so wie es in dem Spielfilm "Ist das Leben nicht schön?" (1946) geschah. Darin hält ein Engel den traurigen Helden James Stewart vom Selbstmord ab, indem er ihm zeigt, was für ein großer Verlust es für die Welt gewesen wäre, hätte er nie existiert. Mit "Der Freund" von Sigrid Nunez verhält es sich ganz ähnlich. Denn so ist es nicht gewesen, und doch war es genauso.
Sigrid Nunez: "Der Freund". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Anette Grube. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 235 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Amerikanerin Sigrid Nunez hat einen hinreißenden Roman über Leben, Sterben und die Tücken der Gegenwart geschrieben.
Von Sandra Kegel
Wenn Lesen die Fähigkeit zur Empathie tatsächlich fördert, wie uns ständig erzählt wird, dann scheint Schreiben sie zu vermindern." Das ist einer dieser Sätze von Sigrid Nunez, die sie wie kleine Bömbchen in ihrem Roman plaziert, der eigentlich ein Brief ist, der Brief an einen Selbstmörder, der am Ende vielleicht gar nicht tot ist, und zugleich eine Reflexion, eine Autofiktion, aber auch Trauererzählung, Literaturbetriebssaga, Hundebuch und Märchen. Beispiele für ihre These findet sie zuhauf: Im Geständnis des Vielschreibers Georges Simenon etwa, der Hass auf die eigene Mutter habe ihn zum Schriftsteller gemacht, oder bei Joan Didion, die meinte: "Schreiben ist ein aggressiver, ja sogar feindseliger Akt", gar "die Taktik eines heimlichen Tyrannen". Oder bei Beckett, der, eines Frühlingsmorgens gefragt, ob er sich an einem so schönen Tag freue, am Leben zu sein, entgegnete: "So weit würde ich nicht gehen."
Ted Bundy war zwar kein Schriftsteller, aber dass der bekannteste Serienmörder Amerikas einst bei einer Selbstmordhotline gearbeitet hat, ist in dieser Recherche so aufschlussreich wie Nunez' eigenes Bekenntnis, in Märchen stets auf Seiten der Hexe zu stehen. Die hätte sich schließlich jahrelang gekümmert: "Es schien nicht fair, dass der erste gutaussehende junge Mann, der zufällig vorbeikam, sie ihr wegnehmen sollte."
Der Freund, von dem in diesem klugen, traurigen, komischen und ergreifenden Buch schon im Titel die Rede ist, meint dabei nicht nur den New Yorker Schriftstellerfreund der Ich-Erzählerin, der hier meist in direkter Rede angesprochen wird und sich unlängst eben das Leben genommen hat. Zum Freund wird außerdem - erst widerwillig, dann herzergreifend real - ein Hund. Kein Schoßhündchen, wie er in eine dieser beengten Wohnungen Manhattans passen würde, sondern eine raumgreifende Dänische Dogge. Apollo, achtzig Kilo schwer und arthritisch, ist tatsächlich das einzige Lebewesen in diesem Roman, das durch einen Namen geadelt wird.
Über den Verlust seines Herrchens, des verstorbenen Autors, schwermütig geworden, wird er zum Objekt einer verzweifelten Bitte, der sich die Erzählerin bald nicht mehr entziehen kann. Die letzte, dritte Ehefrau des Verstorbenen will Apollo nicht behalten, die Tierheime sind überfüllt, und eine Hundepension ist auf Dauer zu teuer, weshalb die Erzählerin sich schließlich breitschlagen lässt, Apollo in ihrer 57-Quadratmeter-Wohnung aufzunehmen. Wider besseren Wissens, denn bald schon steht sie vor dem Dilemma, sich entweder von Apollo zu trennen oder von ihrem günstigen Apartment, in dem Hunde nicht erlaubt sind.
Dabei war der Erzählerin, von Haus aus ein überzeugter Katzenmensch, hündische Devotheit immer suspekt gewesen. Plötzlich aber beginnt sie der kalten Schnauze etwas abzugewinnen und von ihrem Standpunkt immer mehr abzurücken. In kurzen federleichten Episoden wird erzählt, wie da so etwas wie Nähe entsteht zwischen ihr und ihm, zwei Fremden, die irgendwie übriggeblieben scheinen in der lauten, umtriebigen Welt. Die Menage-à-deux ist für beide ungewohnt, irritierend auch, dann wieder zärtlich, fast wie eine Liebesgeschichte. Begleitet wird das von Schubert-Liedern, besonderen Lektüren über Hunde und Menschen sowie Momentaufnahmen aus dem Alltag. Diese vor allem sind es, die das Buch aus dem so beliebten und vielfach bedienten Genre "Hundeerzählung" hervorstechen lassen. So elegant wie beiläufig entwickelt die Erzählerin hieraus Überlegungen zu den großen Fragen unserer Zeit. Wenn sie, aus dem Seminar kommend, die Veränderungen an den Universitäten durch MeToo und Identitätspolitik kommentiert. Sie ist, wie die Autorin Nunez selbst, Lehrerin für kreatives Schreiben in New York. Dem neuen Hang zur Bekenntnisliteratur steht sie skeptisch gegenüber. Sie gehe nie davon aus, dass ein Werk autobiographisch sei, klärt sie einmal einen Studenten auf: "Über wen soll ich denn sonst schreiben?", fragt der irritiert zurück.
Für Toni Morrison war es eine Urheberrechtsverletzung, einer realen Person eine fiktive Figur nachzuempfinden. Bei Nunez, die einst Assistentin von Susan Sontag war und mit deren Sohn liiert, ist es Apollo, der ausgerechnet ein Exemplar von Knausgårds Überwältigungsepos der Selbsterforschung, "Mein Kampf", zernagt. Doch auch die sogenannte Beweisliteratur, wie sie etwa die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch betreibt, die Stimmen nicht etwa erfindet, sondern aus der Wirklichkeit nimmt und dokumentarisch montiert, wird hinterfragt.
Wie sehr der einst gefeierte, gutaussehende Selbstmörder-Schriftsteller mit dem britischen Akzent gerade in seinen letzten Lebensjahren aus der Zeit gefallen schien, auch das ergründet die Autorin luzide. Er, ein Womanizer, der jeden Seminarraum zum erotischen Spannungsjagdfeld erklärte, ein Egomane, aber auch ein Künstler, fühlte sich fremd in einem Milieu, in dem Studenten persönliche Schwächen und Makel nicht mehr tolerieren.
Dass ein Seminar einstimmig beschließt, Nabokov gehöre auf keine Leseliste mehr, da er ein Snob und Perverser gewesen sei, zählt zu den Auswüchsen dieser neuen Form von Selbstgerechtigkeit. Die Geltungssucht von Schriftstellern zu beklagen, das sei, heißt es an einer Stelle im Roman, als würde man Gewalt bei Boxern kritisieren.
Dass die Fiktion in der Krise sei, befeuert durch die Extrempositionen der biographischen und der dokumentarischen Literatur, ist ein Befund, den man neuerdings häufiger hört. Das Buch von Sigrid Nunez hat den besonderen Reiz, dass sie diese poetologischen Positionen und Diskurse einerseits kenntlich und andererseits große Kunst daraus macht, ganz so wie es in dem Spielfilm "Ist das Leben nicht schön?" (1946) geschah. Darin hält ein Engel den traurigen Helden James Stewart vom Selbstmord ab, indem er ihm zeigt, was für ein großer Verlust es für die Welt gewesen wäre, hätte er nie existiert. Mit "Der Freund" von Sigrid Nunez verhält es sich ganz ähnlich. Denn so ist es nicht gewesen, und doch war es genauso.
Sigrid Nunez: "Der Freund". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Anette Grube. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 235 S., geb., 20,- [Euro].
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»Das Buch ist traurig, humorvoll, manchmal schräg, immer vielschichtig, differenziert und klug.« Monika Egli-Schärer P.S. 20240628