Verführerisch, doppelbödig, von großer literarischer Entschiedenheit
Ein Sektenselbstmord, ein uraltes ägyptisches Totengebet, ein Komponist mit beunruhigender Strahlkraft, eine Richterin, die ihn nicht aus den Augen lässt: Patricia Duncker entspinnt ein Netz vielschichtiger Beziehungen, in dem sie den Hörer genussvoll zappeln lässt.
Sie hören einen Roman von ungeheurer Sogkraft, der Sie quer durch Europa führt und in dem sich die Grenzen zwischen Ratio und Spiritualität, zwischen Recht und Unrecht unmerklich verschieben.
Ein Sektenselbstmord, ein uraltes ägyptisches Totengebet, ein Komponist mit beunruhigender Strahlkraft, eine Richterin, die ihn nicht aus den Augen lässt: Patricia Duncker entspinnt ein Netz vielschichtiger Beziehungen, in dem sie den Hörer genussvoll zappeln lässt.
Sie hören einen Roman von ungeheurer Sogkraft, der Sie quer durch Europa führt und in dem sich die Grenzen zwischen Ratio und Spiritualität, zwischen Recht und Unrecht unmerklich verschieben.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.06.2010Ein Hauch von Guruwahnsinn
Zwischen Pathos und Parodie: Patricia Dunckers Okkultismus-Krimi „Der Komponist und seine Richterin“
In der Prosa von Patricia Duncker, die an der University of Manchester Literaturwissenschaften lehrt, verbinden sich stets intertextuelle Bezüge, Zitate, Anspielungen und Verweise mit einem satten kriminalistischen Plot und einer aufgeladenen Atmosphäre. Daraus entsteht, wie anhand von Dunckers Werk gut zu beobachten ist, entweder ein reizvolles Genre im Grenzgebiet von Kolportage und Travestie („Die Germanistin“), oder aber auch, im Fall des Misslingens, ein überdeterminiertes Gebilde, das unter der Last seiner Theoriebefrachtung schier zusammenbricht, wie beispielsweise unter dem Genderdiskurs in „James Miranda Barry“.
Ihr neuer Roman gehört eindeutig zu den gelungenen Beispielen von Dunckers ästhetischem Verfahren. „Der Komponist und seine Richterin“ spielt mit jener hochpopulären Mischung von Religiosität, Spiritualität, mittelalterlicher Mystik und naturwissenschaftlichem Brimborium, die Schriftsteller wie Dan Brown zu Auflagenmillionären hat werden lassen. Alles, was man dafür braucht, gibt es auch hier: Eine in ihren Strukturen undurchschaubare Sekte, genannt nur „der Glaube“, ein in Geheimschrift verfasstes, uraltes Buch, in dem die Grundsätze der Religionsgemeinschaft niedergelegt sind, ein ägyptischer Rätselspruch und – zu allererst – ein grausiger Fund am Neujahrstag des Jahres 2000 in einem abgelegenen Tal im französischen Jura: Neun Erwachsene und sieben Kinder, die kollektiv Selbstmord begangen haben. Mit einer Ausnahme – einer der Erwachsenen ist erschossen worden; von der Waffe fehlt jedoch jede Spur. Der Fall weist deutliche Parallelen zu einem ähnlichen Vorfall auf, der sich sechs Jahre zuvor in der Schweiz ereignet hat.
Ein ungleiches Ermittlerduo beginnt, die Spuren zu sichten, Zusammenhänge herzustellen, Schlussfolgerungen zu ziehen: Kommissar André Schweigen, cholerisch, aufbrausend, impulsiv, und die auf Sekten spezialisierte Ermittlungsrichterin Dominique Carpentier, eine Frau von distanzierter Schönheit und geradezu beängstigendem Rationalismus. „Die Geheimnisse dieser Welt“, so heißt es über die Richterin, „trübten den hellen Glanz der Ewigkeit. Ihre Vorgehensweise, lange bewährt und immer konsequent angewandt, bestand darin, die Trübungen zu analysieren.“
Patricia Dunckers Sprache ist ausschweifend, bildreich und bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Erhabenheit. Man darf dabei Absicht unterstellen und einen engen inhaltlichen Zusammenhang zur eigentlichen Hauptfigur des Romans vermuten, die zunehmend ins Zentrum rückt und sowohl die philosophische als auch die stilistische Hoheit über den Text an sich reißt. Die „exaltierte Sprache des Glaubens“, wie es heißt, wird von ihm in Perfektion beherrscht: Friedrich Grosz, deutscher Komponist, aus Lübeck ausgerechnet. Grosz, eine eindrucksvolle weißhaarige Erscheinung, ist das Mensch gewordene Symbol für alles untergründig Dräuende, vor dem die Richterin sich fürchtet: Eine Mixtur aus irrationaler deutscher Dunkelheit, Thomas Mann’scher Dämonie, Richard Wagner’schem Dröhnen und einem Hauch von Guruwahnsinn.
Geschickt verlagert Patricia Duncker das Feld von Abhängigkeiten zwischen dem Kommissar und der Richterin hin zu einem emotionalen Machtkampf zwischen Dominique Carpentier und dem Komponisten, der sowohl Bewahrer der reinen Lehre als auch eine für die Richterin gefährlich charismatische Größe ist. Dass die Figur des Kommissars durch den Auftritt des Komponisten geradezu schmählich fallengelassen wird, von der Richterin, vor allem aber von der Autorin, ist ein kompositorischer Mangel des Romans, der verzeihlich ist angesichts der Eleganz, mit der Patricia Duncker in diversen Szenen das Machtspiel zwischen ihren beiden Protagonisten inszeniert; wie sie der Siegesgewissheit der Richterin den Boden entzieht; wie sie das „intellektuelle Turnier“, als das Dominique Carpentier ihre Ermittlungen zunächst noch betrachtet, in eine Dimension von existentieller Tiefe überleitet.
Das Geraune um den Tod als Tor und Schwelle zu einer endgültigen Vereinigung zur Seelen hat seinen Daseinsgrund in der Mystik eines Jakob Böhme, für den der Tod und das Sterben der Finsternis das Leben geben, und, wie könnte es anders sein in diesem Fall, in der deutschen Romantik, in Novalis’ Hymnen an die Nacht und den Blütenstaubfragmenten, die ohne Kenntlichmachung der Quelle Eingang in den so genannten Wegweiser, das heilige Buch des Glaubens, Eingang gefunden haben: „Leben ist der Anfang des Todes. Das Leben ist um des Todes Willen. Der Tod ist Endigung und Anfang zugleich, Scheidung und nähere Selbstverbindung zugleich. Durch den Tod wird die Reduktion vollendet.“ Wo auf dem heiklen Terrain des Pathos die Parodie beginnt – darüber darf und muss man sich, wie in so vielem bei Patricia Duncker, nie ganz sicher sein.
CHRISTOPH SCHRÖDER
PATRICIA DUNCKER: Der Komponist und seine Richterin. Roman. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Berlin Verlag, Berlin 2010. 352 Seiten, 24 Euro.
Sie versucht, Licht in die trübe
Lehre des Gurus zu bringen,
und verfällt seinem Charisma
Erleuchtung oder Verblendung? Patricia Dunckers Roman erzählt von einer geheimen Sekte und einem grausigen Fund. Foto: Oliver Jäckel/plainpicture
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Zwischen Pathos und Parodie: Patricia Dunckers Okkultismus-Krimi „Der Komponist und seine Richterin“
In der Prosa von Patricia Duncker, die an der University of Manchester Literaturwissenschaften lehrt, verbinden sich stets intertextuelle Bezüge, Zitate, Anspielungen und Verweise mit einem satten kriminalistischen Plot und einer aufgeladenen Atmosphäre. Daraus entsteht, wie anhand von Dunckers Werk gut zu beobachten ist, entweder ein reizvolles Genre im Grenzgebiet von Kolportage und Travestie („Die Germanistin“), oder aber auch, im Fall des Misslingens, ein überdeterminiertes Gebilde, das unter der Last seiner Theoriebefrachtung schier zusammenbricht, wie beispielsweise unter dem Genderdiskurs in „James Miranda Barry“.
Ihr neuer Roman gehört eindeutig zu den gelungenen Beispielen von Dunckers ästhetischem Verfahren. „Der Komponist und seine Richterin“ spielt mit jener hochpopulären Mischung von Religiosität, Spiritualität, mittelalterlicher Mystik und naturwissenschaftlichem Brimborium, die Schriftsteller wie Dan Brown zu Auflagenmillionären hat werden lassen. Alles, was man dafür braucht, gibt es auch hier: Eine in ihren Strukturen undurchschaubare Sekte, genannt nur „der Glaube“, ein in Geheimschrift verfasstes, uraltes Buch, in dem die Grundsätze der Religionsgemeinschaft niedergelegt sind, ein ägyptischer Rätselspruch und – zu allererst – ein grausiger Fund am Neujahrstag des Jahres 2000 in einem abgelegenen Tal im französischen Jura: Neun Erwachsene und sieben Kinder, die kollektiv Selbstmord begangen haben. Mit einer Ausnahme – einer der Erwachsenen ist erschossen worden; von der Waffe fehlt jedoch jede Spur. Der Fall weist deutliche Parallelen zu einem ähnlichen Vorfall auf, der sich sechs Jahre zuvor in der Schweiz ereignet hat.
Ein ungleiches Ermittlerduo beginnt, die Spuren zu sichten, Zusammenhänge herzustellen, Schlussfolgerungen zu ziehen: Kommissar André Schweigen, cholerisch, aufbrausend, impulsiv, und die auf Sekten spezialisierte Ermittlungsrichterin Dominique Carpentier, eine Frau von distanzierter Schönheit und geradezu beängstigendem Rationalismus. „Die Geheimnisse dieser Welt“, so heißt es über die Richterin, „trübten den hellen Glanz der Ewigkeit. Ihre Vorgehensweise, lange bewährt und immer konsequent angewandt, bestand darin, die Trübungen zu analysieren.“
Patricia Dunckers Sprache ist ausschweifend, bildreich und bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Erhabenheit. Man darf dabei Absicht unterstellen und einen engen inhaltlichen Zusammenhang zur eigentlichen Hauptfigur des Romans vermuten, die zunehmend ins Zentrum rückt und sowohl die philosophische als auch die stilistische Hoheit über den Text an sich reißt. Die „exaltierte Sprache des Glaubens“, wie es heißt, wird von ihm in Perfektion beherrscht: Friedrich Grosz, deutscher Komponist, aus Lübeck ausgerechnet. Grosz, eine eindrucksvolle weißhaarige Erscheinung, ist das Mensch gewordene Symbol für alles untergründig Dräuende, vor dem die Richterin sich fürchtet: Eine Mixtur aus irrationaler deutscher Dunkelheit, Thomas Mann’scher Dämonie, Richard Wagner’schem Dröhnen und einem Hauch von Guruwahnsinn.
Geschickt verlagert Patricia Duncker das Feld von Abhängigkeiten zwischen dem Kommissar und der Richterin hin zu einem emotionalen Machtkampf zwischen Dominique Carpentier und dem Komponisten, der sowohl Bewahrer der reinen Lehre als auch eine für die Richterin gefährlich charismatische Größe ist. Dass die Figur des Kommissars durch den Auftritt des Komponisten geradezu schmählich fallengelassen wird, von der Richterin, vor allem aber von der Autorin, ist ein kompositorischer Mangel des Romans, der verzeihlich ist angesichts der Eleganz, mit der Patricia Duncker in diversen Szenen das Machtspiel zwischen ihren beiden Protagonisten inszeniert; wie sie der Siegesgewissheit der Richterin den Boden entzieht; wie sie das „intellektuelle Turnier“, als das Dominique Carpentier ihre Ermittlungen zunächst noch betrachtet, in eine Dimension von existentieller Tiefe überleitet.
Das Geraune um den Tod als Tor und Schwelle zu einer endgültigen Vereinigung zur Seelen hat seinen Daseinsgrund in der Mystik eines Jakob Böhme, für den der Tod und das Sterben der Finsternis das Leben geben, und, wie könnte es anders sein in diesem Fall, in der deutschen Romantik, in Novalis’ Hymnen an die Nacht und den Blütenstaubfragmenten, die ohne Kenntlichmachung der Quelle Eingang in den so genannten Wegweiser, das heilige Buch des Glaubens, Eingang gefunden haben: „Leben ist der Anfang des Todes. Das Leben ist um des Todes Willen. Der Tod ist Endigung und Anfang zugleich, Scheidung und nähere Selbstverbindung zugleich. Durch den Tod wird die Reduktion vollendet.“ Wo auf dem heiklen Terrain des Pathos die Parodie beginnt – darüber darf und muss man sich, wie in so vielem bei Patricia Duncker, nie ganz sicher sein.
CHRISTOPH SCHRÖDER
PATRICIA DUNCKER: Der Komponist und seine Richterin. Roman. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Berlin Verlag, Berlin 2010. 352 Seiten, 24 Euro.
Sie versucht, Licht in die trübe
Lehre des Gurus zu bringen,
und verfällt seinem Charisma
Erleuchtung oder Verblendung? Patricia Dunckers Roman erzählt von einer geheimen Sekte und einem grausigen Fund. Foto: Oliver Jäckel/plainpicture
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2010Hier sind die Opfer. Wer hat eine Theorie?
Die Fährten führen in die Kulturgeschichte: Patricia Dunckers kopfgesteuerter Kriminalroman um einen mysteriösen Sektenselbstmord.
Von Rose-Maria Gropp
Dominique Carpentier ist längst eine berühmte Frau, ehe die Handlung dieses Kriminalromans einsetzt. Ihr Beiname in der Öffentlichkeit ist "La chasseuse de sectes", die Sektenjägerin. Als lauere nicht bereits in diesem Cognomen der Richterin der leise Anklang daran, dass sich die Vorzeichen der Jagd unter der Hand umkehren können. Ob in die Position der selbst Gehetzten oder in die Identifikation mit dem Ziel der eigenen Nachforschung, das sei hier dahingestellt. Der englische Originaltitel "The Strange Case of the Composer and his Judge" spielt mit ebendiesen Abgründen.
Es ist der Neujahrstag der Jahrtausendwende, als die Leichen gefunden werden, vor einem Chalet im französischen Jura. Neun Erwachsene sind es, die sorgfältig angeordnet unter weichem Neuschnee liegen, mit den Handflächen himmelwärts, die Augen weit geöffnet, zu ihren Füßen "wie treue Hunde auf steinernen Heldengräbern" eingerollt, eingepackt in warme Decken, Kinder. Wer war der Töter? Wer entziffert diesen Code? Der Kommissar André Schweigen ist vor Ort, noch ehe die Richterin eintrifft. Er erkennt das Muster eines Sektensuizids. Das kann er, weil er fünf Jahre zuvor in der Schweiz mit ihr an einem ähnlichen Fall gearbeitet hat, der ihn, den freudlosen Ehemann und Vater, außerdem in seiner geradlinigen Virilität zum Lover der Richterin gemacht hat. Sie ist die Bestimmerin, in jeder Hinsicht.
Dominique Carpentier - man darf die Dominanz aus dem Vornamen lesen - kommt aus einer vermögenden Winzerfamilie im Languedoc, hat Philosophie, Psychologie und Jura studiert, und sie hat zum Beispiel als junge Frau ein schönes Mädchen zum Tanz auf einem rauschenden Fest aufgefordert, zum Erstaunen der Anwesenden. Sie ist unverheiratet, kinderlos, hat olivfarbene Haut, langes schwarzes Haar, und sie ist kopfgesteuert. Jetzt hat sie ihr Büro als Richterin im Süden des Landes - wohl auch, weil die Autorin selbst lange Zeit in Frankreich gelebt hat und sich dort gut auskennt. Außerdem ist Patricia Duncker, die Literaturwissenschaft in Manchester lehrt, in französischstämmige Theorien genauso verliebt wie ihr Kommissar mit dem sprechenden Namen Schweigen in ihre Protagonistin.
Das hat sie in ihrem ersten Roman "Die Germanistin" (im Original "Hallucinating Foucault") bewiesen und dann auch im Gender-Traktat über den hermaphroditischen "James Miranda Barry". Am besten nimmt man die Richterin so, wie sie kompakt an einer Stelle beschrieben ist: "Am nächsten Tag um halb zwölf war sie wieder im Büro: in einem Etuikleid aus cremefarbener Seide, zu dem sie einen breitkrempigen schwarzen Strohhut und ihre dunkle Brille mit geschliffenen Gläsern trug. Die Wirkung war angriffslustig, glamourös, exzentrisch."
Zweifelsohne ist sie das reizvolle Zentrum des Buchs, eine Melange aus Extravaganz und Zimtzicke, Intelligenzbestie und Frauchen. Sie will ganz aus ihrer Rationalität bestehen, die sie allerdings mitunter verlässt für ein nervöses Derangement; ihre kleine Sehschwäche ist Metapher für die Unschärfe ihres Verstands, wenn sie in eine von ihr nicht kalkulierte Nähe verwickelt wird. Manchmal erscheint die freigeistige Dominique mit ihrer Nase für Sekten wie eine südliche Schwester jenes "Fräulein Smilla" mit seinem Gespür für Schnee, dem vor ein paar Jahren Peter Høeg eisiges Leben einhauchte (und auch das Drehbuch zu Dunckers Roman ahnt man schon in der Schublade).
Carpentier wirkt wie ein Abzieh- und Sehnsuchtsbild, übrigens eher für Frauen als für Männer, sie hat etwas von der rasanten Heldin eines intellektuell ambitionierten Comics. Ihre Recherchen nach dem Sektenmord führen sie weit herum in Europa, auch nach Lübeck of all places. Der Heimatstadt, nun ja, Thomas Manns entstammt denn auch ihr Antagonist, der entscheidende Andere im Buch, jener Komponist und Dirigent eben. In diesem Friedrich Grosz (sic!) vermischt sich der gliederlösende Überwältigungsmusiker (Richard Wagner) mit dem bedeutungsschwer Raunenden (Mijnheer Peeperkorn im "Zauberberg") und dem vitalen Verführer in den allerbesten Jahren und im etwas lächerlichen Mercedes. Kryptischer Tiefgang inklusive; denn irgendwo muss das Mysterium der Sekte ja seine Inkarnation finden, die da heißt "Der Glaube" und die so dramatisch zusammenstößt mit Dominique Carpentiers Vernunftreligion.
"Der Komponist und seine Richterin" ist ein über weite Strecken reizvolles Pasticcio. Seine Figuren erinnern manchmal an die von Dunckers französischer Kollegin Fred Vargas. Vargas hat für ihre Kriminalromane den Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg erschaffen, der - wie André Schweigen - schon in seinem Namen an einer doppelt prekären Identität trägt, zwischen den Sprachen und in gebrochener Männlichkeit. Außerdem kommen die Liebhaber solcher Trivialphantasmen auf ihre Kosten, wie sie derzeit zuvörderst ein Dan Brown fabrizieren kann, zuletzt mit seiner Freimaurer-Saga "Das verlorene Symbol". Dunckers Buch lässt sich so auch als Lehrstück auf die gelegentlich nur heuristische Trennung zwischen E und U lesen. Es ist freilich nicht leicht zu entscheiden, ob die steifen Dialoge, die ritualisierten Suchschemata, die standardisierten Geschlechterformeln immer bloß Tribut an das Genre sind.
Patricia Duncker hat eine Benutzeroberfläche geschrieben, gleichsam mit Menüführung für diejenigen, die ihr geneigt folgen. Es ist eher ein Gedankenspiel als eine lebensvolle Geschichte. Dabei über 350 Seiten immerhin so spannend, dass es ein bisschen niederträchtig wäre, die Handlungsfäden hier zu bündeln und damit die Lust am Text zu ruinieren. Nur so viel: Es gibt zwei Ausgänge. Wer am Ende sagen kann, dass er eine plausible Lösung des Falls erkennt, darf stolz auf sich sein. Wer das Buch verlässt und darüber rätselt, hat seinen Hintersinn kapiert.
Patricia Duncker: "Der Komponist und seine Richterin". Roman. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Berlin Verlag, Berlin 2010. 350 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Fährten führen in die Kulturgeschichte: Patricia Dunckers kopfgesteuerter Kriminalroman um einen mysteriösen Sektenselbstmord.
Von Rose-Maria Gropp
Dominique Carpentier ist längst eine berühmte Frau, ehe die Handlung dieses Kriminalromans einsetzt. Ihr Beiname in der Öffentlichkeit ist "La chasseuse de sectes", die Sektenjägerin. Als lauere nicht bereits in diesem Cognomen der Richterin der leise Anklang daran, dass sich die Vorzeichen der Jagd unter der Hand umkehren können. Ob in die Position der selbst Gehetzten oder in die Identifikation mit dem Ziel der eigenen Nachforschung, das sei hier dahingestellt. Der englische Originaltitel "The Strange Case of the Composer and his Judge" spielt mit ebendiesen Abgründen.
Es ist der Neujahrstag der Jahrtausendwende, als die Leichen gefunden werden, vor einem Chalet im französischen Jura. Neun Erwachsene sind es, die sorgfältig angeordnet unter weichem Neuschnee liegen, mit den Handflächen himmelwärts, die Augen weit geöffnet, zu ihren Füßen "wie treue Hunde auf steinernen Heldengräbern" eingerollt, eingepackt in warme Decken, Kinder. Wer war der Töter? Wer entziffert diesen Code? Der Kommissar André Schweigen ist vor Ort, noch ehe die Richterin eintrifft. Er erkennt das Muster eines Sektensuizids. Das kann er, weil er fünf Jahre zuvor in der Schweiz mit ihr an einem ähnlichen Fall gearbeitet hat, der ihn, den freudlosen Ehemann und Vater, außerdem in seiner geradlinigen Virilität zum Lover der Richterin gemacht hat. Sie ist die Bestimmerin, in jeder Hinsicht.
Dominique Carpentier - man darf die Dominanz aus dem Vornamen lesen - kommt aus einer vermögenden Winzerfamilie im Languedoc, hat Philosophie, Psychologie und Jura studiert, und sie hat zum Beispiel als junge Frau ein schönes Mädchen zum Tanz auf einem rauschenden Fest aufgefordert, zum Erstaunen der Anwesenden. Sie ist unverheiratet, kinderlos, hat olivfarbene Haut, langes schwarzes Haar, und sie ist kopfgesteuert. Jetzt hat sie ihr Büro als Richterin im Süden des Landes - wohl auch, weil die Autorin selbst lange Zeit in Frankreich gelebt hat und sich dort gut auskennt. Außerdem ist Patricia Duncker, die Literaturwissenschaft in Manchester lehrt, in französischstämmige Theorien genauso verliebt wie ihr Kommissar mit dem sprechenden Namen Schweigen in ihre Protagonistin.
Das hat sie in ihrem ersten Roman "Die Germanistin" (im Original "Hallucinating Foucault") bewiesen und dann auch im Gender-Traktat über den hermaphroditischen "James Miranda Barry". Am besten nimmt man die Richterin so, wie sie kompakt an einer Stelle beschrieben ist: "Am nächsten Tag um halb zwölf war sie wieder im Büro: in einem Etuikleid aus cremefarbener Seide, zu dem sie einen breitkrempigen schwarzen Strohhut und ihre dunkle Brille mit geschliffenen Gläsern trug. Die Wirkung war angriffslustig, glamourös, exzentrisch."
Zweifelsohne ist sie das reizvolle Zentrum des Buchs, eine Melange aus Extravaganz und Zimtzicke, Intelligenzbestie und Frauchen. Sie will ganz aus ihrer Rationalität bestehen, die sie allerdings mitunter verlässt für ein nervöses Derangement; ihre kleine Sehschwäche ist Metapher für die Unschärfe ihres Verstands, wenn sie in eine von ihr nicht kalkulierte Nähe verwickelt wird. Manchmal erscheint die freigeistige Dominique mit ihrer Nase für Sekten wie eine südliche Schwester jenes "Fräulein Smilla" mit seinem Gespür für Schnee, dem vor ein paar Jahren Peter Høeg eisiges Leben einhauchte (und auch das Drehbuch zu Dunckers Roman ahnt man schon in der Schublade).
Carpentier wirkt wie ein Abzieh- und Sehnsuchtsbild, übrigens eher für Frauen als für Männer, sie hat etwas von der rasanten Heldin eines intellektuell ambitionierten Comics. Ihre Recherchen nach dem Sektenmord führen sie weit herum in Europa, auch nach Lübeck of all places. Der Heimatstadt, nun ja, Thomas Manns entstammt denn auch ihr Antagonist, der entscheidende Andere im Buch, jener Komponist und Dirigent eben. In diesem Friedrich Grosz (sic!) vermischt sich der gliederlösende Überwältigungsmusiker (Richard Wagner) mit dem bedeutungsschwer Raunenden (Mijnheer Peeperkorn im "Zauberberg") und dem vitalen Verführer in den allerbesten Jahren und im etwas lächerlichen Mercedes. Kryptischer Tiefgang inklusive; denn irgendwo muss das Mysterium der Sekte ja seine Inkarnation finden, die da heißt "Der Glaube" und die so dramatisch zusammenstößt mit Dominique Carpentiers Vernunftreligion.
"Der Komponist und seine Richterin" ist ein über weite Strecken reizvolles Pasticcio. Seine Figuren erinnern manchmal an die von Dunckers französischer Kollegin Fred Vargas. Vargas hat für ihre Kriminalromane den Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg erschaffen, der - wie André Schweigen - schon in seinem Namen an einer doppelt prekären Identität trägt, zwischen den Sprachen und in gebrochener Männlichkeit. Außerdem kommen die Liebhaber solcher Trivialphantasmen auf ihre Kosten, wie sie derzeit zuvörderst ein Dan Brown fabrizieren kann, zuletzt mit seiner Freimaurer-Saga "Das verlorene Symbol". Dunckers Buch lässt sich so auch als Lehrstück auf die gelegentlich nur heuristische Trennung zwischen E und U lesen. Es ist freilich nicht leicht zu entscheiden, ob die steifen Dialoge, die ritualisierten Suchschemata, die standardisierten Geschlechterformeln immer bloß Tribut an das Genre sind.
Patricia Duncker hat eine Benutzeroberfläche geschrieben, gleichsam mit Menüführung für diejenigen, die ihr geneigt folgen. Es ist eher ein Gedankenspiel als eine lebensvolle Geschichte. Dabei über 350 Seiten immerhin so spannend, dass es ein bisschen niederträchtig wäre, die Handlungsfäden hier zu bündeln und damit die Lust am Text zu ruinieren. Nur so viel: Es gibt zwei Ausgänge. Wer am Ende sagen kann, dass er eine plausible Lösung des Falls erkennt, darf stolz auf sich sein. Wer das Buch verlässt und darüber rätselt, hat seinen Hintersinn kapiert.
Patricia Duncker: "Der Komponist und seine Richterin". Roman. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Berlin Verlag, Berlin 2010. 350 S., geb., 24,- [Euro].
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