Eine junge Frau wird langsam älter, doch ihr scheint es schnell. Die jungen Männer werden immer jünger, aber leider nicht intelligenter. Die Welt ist leer und kalt, und die Liebe ein Marketinginstrument, um Waschmittel zu verkaufen. Und doch geschieht das Unerwartete. Die Frau lernt den einen Mann kennen, der sie glücklich macht. Was kann man sich Besseres wünschen in dieser unfreundlichen Welt, in der fast alle mit guten Gründen unglücklich sind? Doch dann kommt der Mann abhanden, und man fragt sich, ob das mit rechten Dingen zugeht. Sibylle Berg erzählt eine moderne Liebesgeschichte, und sie zeigt mit ihren so melancholischen wie bösartigen Bildern eine Welt, in der man höchstens überleben kann, wenn man nicht ganz alleine ist. Doch die Welt kennt kein Pardon für eine, die ihre Träume trotzdem nicht aufgeben will.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2009Zu zweit ist es angenehmer
Glück gehabt: Sibylle Berg mit neuen, leisen Tönen
Von Kolja Mensing
Ein Mann und eine Frau machen Urlaub auf einer kleinen Insel im Südchinesischen Meer. Nach einigen Tagen fährt der Mann mit der Fähre aufs Festland, um Zeitungen zu kaufen. Er kehrt nicht zurück. Anfragen bei der Polizei und in den Krankenhäusern bleiben ohne Erfolg. Er ist einfach verschwunden. Nach drei Monaten ist die Frau immer noch auf der Insel: "Abreisen, das wäre eine gezielte Aktion, das hieße Ticket buchen, ein Flugzeug besteigen, zurück in mein Leben und akzeptieren, dass ich wieder allein bin." Also läuft sie Tag für Tag über die mit Betonquadern ausgelegten Wege und starrt auf das graue Meer, während die Wellen die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit dem Mann wie Treibholz an den Strand spülen.
Der neue Roman von Sibylle Berg hebt sich deutlich ab von dem, was sie bisher geschrieben hat. Mit ihren zynischen Episodenromanen "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot" (1997) und "Sex 2" (1998) lieferte die leidenschaftliche Kulturpessimistin einen krassen Gegenentwurf zur Euphorie der späten Neunziger: Es waren Geschlechtskrankheiten und nicht Gefühle, die die Menschen miteinander verbanden, und die trostlosen Lebensentwürfe ihrer Protagonisten endeten ausnahmslos in Resignation und filmreifen Gewaltexzessen.
Sibylle Berg, die 1962 in Weimar geboren wurde und heute in Zürich lebt, wurde damals als Hasspredigerin der Single-Gesellschaft gefeiert. Obwohl ihr Ton in der Zwischenzeit schon ein wenig milder geworden ist, überrascht es doch, dass ausgerechnet sie sich daranmacht, eine Liebe zu schildern, die "ruhig und still verlief, die freundschaftlich war und eine gewisse Niedlichkeit ausstrahlte".
Die namenlose Erzählerin ist eine Frau in den "mittleren Jahren", die ihr Geld damit verdient, Gebrauchsanweisungen für Mikrowellen und andere Haushaltsgeräte zu schreiben. Gelegentlich nimmt sie sich einen jüngeren Liebhaber und hat "Sex mit Geräten"; sämtliche Versuche, "Teil eines Paares zu werden", sind dagegen bisher "theoretisch" geblieben. Dann lernt sie eines Abends in einem Restaurant einen Mann kennen. Er ist nicht auffallend schön, eher "massig" und "träge", und doch braucht es nicht mehr als einen schweigsamen, nächtlichen Spaziergang, um das Misstrauen zu überwinden, das die Erzählerin dem "Marketinginstrument Liebe" und dem "sinnlosen Sich-Paaren" bisher entgegengebracht hat. Die Erzählerin und "der Mann" gehen in den Zoo, veranstalten "Gelassenheitswettbewerbe" und sehen sich gegenseitig beim Schlafen zu. "Es machte mich sogar glücklich, mit dem Mann einkaufen zu gehen", stellt sie im Rückblick fest. "Es war wohl, was man gemeinhin unter ,Das Leben ist zu zweit angenehmer' verstand."
Alles hätte man Sibylle Berg zugetraut, nur keinen heiteren Liebesroman. Doch "Der Mann schläft" ist mehr als nur die Geschichte von zwei Leuten, die das Glück suchen - und es tatsächlich finden. So klingt in der lakonischen Stimme der Erzählerin von Anfang an Panik mit. Bereits der ersten Umarmung wohnt eine leichte Hysterie inne, und wenn sie später seine Hand nimmt, dann verbirgt sich hinter der vermeintlich zärtlichen Geste in erster Linie die Angst vor der Einsamkeit. "Ich dachte, vielleicht verschwände er einfach", erinnert sie sich später, als sie in China allein am wüsten Strand der kleinen Insel sitzt: "Darum musste ich ihn festhalten." Jetzt weiß sie, dass die Angst berechtigt war. Der Mann kehrt nicht zurück, warum auch immer, und das ist brutale Erkenntnis, die uns in diesem Roman mit alttestamentarischer Wucht um die Ohren geschlagen wird: "Alles kann dir genommen werden, dauernd. Wenn du dich wohl fühlst, wenn du vergisst, dass Leben Demütigung heißt, gerade dann kommt es und schlägt zu, der Tod, das Schicksal, Gott, das Böse."
So schwarz hat Sibylle Berg noch nie gesehen, und sie war auch noch nie so konsequent. Diesmal gibt es keine Ausreden. Es ist nicht das leere Geschwätz auf den Partys, das uns das Leben zur Hölle macht, und auch nicht das Fernsehen, das Geld und das Feuilleton. Hier geht es um Einsamkeit, um Hoffnungslosigkeit, um Schmerz, und es gibt Stellen in diesem Buch, die einem das Herz zerreißen. Ein alter Chinese, den die Erzählerin auf der Insel kennenlernt, erklärt ihr, dass es früher das Schönste gewesen sei, wenn seine Frau und er am Abend gemeinsam zu Bett gegangen seien. Dann krempelt er eines Tages sein Hosenbein hoch und zeigt die Narben und frischen Wunden an seinem Bein. Seit seine Frau gestorben sei, fährt er fort, füge er sich jeden Tag mit einem Messer einen neuen Schnitt zu.
Sibylle Berg: "Der Mann schläft". Roman. Hanser Verlag, München 2009. 308 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Glück gehabt: Sibylle Berg mit neuen, leisen Tönen
Von Kolja Mensing
Ein Mann und eine Frau machen Urlaub auf einer kleinen Insel im Südchinesischen Meer. Nach einigen Tagen fährt der Mann mit der Fähre aufs Festland, um Zeitungen zu kaufen. Er kehrt nicht zurück. Anfragen bei der Polizei und in den Krankenhäusern bleiben ohne Erfolg. Er ist einfach verschwunden. Nach drei Monaten ist die Frau immer noch auf der Insel: "Abreisen, das wäre eine gezielte Aktion, das hieße Ticket buchen, ein Flugzeug besteigen, zurück in mein Leben und akzeptieren, dass ich wieder allein bin." Also läuft sie Tag für Tag über die mit Betonquadern ausgelegten Wege und starrt auf das graue Meer, während die Wellen die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit dem Mann wie Treibholz an den Strand spülen.
Der neue Roman von Sibylle Berg hebt sich deutlich ab von dem, was sie bisher geschrieben hat. Mit ihren zynischen Episodenromanen "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot" (1997) und "Sex 2" (1998) lieferte die leidenschaftliche Kulturpessimistin einen krassen Gegenentwurf zur Euphorie der späten Neunziger: Es waren Geschlechtskrankheiten und nicht Gefühle, die die Menschen miteinander verbanden, und die trostlosen Lebensentwürfe ihrer Protagonisten endeten ausnahmslos in Resignation und filmreifen Gewaltexzessen.
Sibylle Berg, die 1962 in Weimar geboren wurde und heute in Zürich lebt, wurde damals als Hasspredigerin der Single-Gesellschaft gefeiert. Obwohl ihr Ton in der Zwischenzeit schon ein wenig milder geworden ist, überrascht es doch, dass ausgerechnet sie sich daranmacht, eine Liebe zu schildern, die "ruhig und still verlief, die freundschaftlich war und eine gewisse Niedlichkeit ausstrahlte".
Die namenlose Erzählerin ist eine Frau in den "mittleren Jahren", die ihr Geld damit verdient, Gebrauchsanweisungen für Mikrowellen und andere Haushaltsgeräte zu schreiben. Gelegentlich nimmt sie sich einen jüngeren Liebhaber und hat "Sex mit Geräten"; sämtliche Versuche, "Teil eines Paares zu werden", sind dagegen bisher "theoretisch" geblieben. Dann lernt sie eines Abends in einem Restaurant einen Mann kennen. Er ist nicht auffallend schön, eher "massig" und "träge", und doch braucht es nicht mehr als einen schweigsamen, nächtlichen Spaziergang, um das Misstrauen zu überwinden, das die Erzählerin dem "Marketinginstrument Liebe" und dem "sinnlosen Sich-Paaren" bisher entgegengebracht hat. Die Erzählerin und "der Mann" gehen in den Zoo, veranstalten "Gelassenheitswettbewerbe" und sehen sich gegenseitig beim Schlafen zu. "Es machte mich sogar glücklich, mit dem Mann einkaufen zu gehen", stellt sie im Rückblick fest. "Es war wohl, was man gemeinhin unter ,Das Leben ist zu zweit angenehmer' verstand."
Alles hätte man Sibylle Berg zugetraut, nur keinen heiteren Liebesroman. Doch "Der Mann schläft" ist mehr als nur die Geschichte von zwei Leuten, die das Glück suchen - und es tatsächlich finden. So klingt in der lakonischen Stimme der Erzählerin von Anfang an Panik mit. Bereits der ersten Umarmung wohnt eine leichte Hysterie inne, und wenn sie später seine Hand nimmt, dann verbirgt sich hinter der vermeintlich zärtlichen Geste in erster Linie die Angst vor der Einsamkeit. "Ich dachte, vielleicht verschwände er einfach", erinnert sie sich später, als sie in China allein am wüsten Strand der kleinen Insel sitzt: "Darum musste ich ihn festhalten." Jetzt weiß sie, dass die Angst berechtigt war. Der Mann kehrt nicht zurück, warum auch immer, und das ist brutale Erkenntnis, die uns in diesem Roman mit alttestamentarischer Wucht um die Ohren geschlagen wird: "Alles kann dir genommen werden, dauernd. Wenn du dich wohl fühlst, wenn du vergisst, dass Leben Demütigung heißt, gerade dann kommt es und schlägt zu, der Tod, das Schicksal, Gott, das Böse."
So schwarz hat Sibylle Berg noch nie gesehen, und sie war auch noch nie so konsequent. Diesmal gibt es keine Ausreden. Es ist nicht das leere Geschwätz auf den Partys, das uns das Leben zur Hölle macht, und auch nicht das Fernsehen, das Geld und das Feuilleton. Hier geht es um Einsamkeit, um Hoffnungslosigkeit, um Schmerz, und es gibt Stellen in diesem Buch, die einem das Herz zerreißen. Ein alter Chinese, den die Erzählerin auf der Insel kennenlernt, erklärt ihr, dass es früher das Schönste gewesen sei, wenn seine Frau und er am Abend gemeinsam zu Bett gegangen seien. Dann krempelt er eines Tages sein Hosenbein hoch und zeigt die Narben und frischen Wunden an seinem Bein. Seit seine Frau gestorben sei, fährt er fort, füge er sich jeden Tag mit einem Messer einen neuen Schnitt zu.
Sibylle Berg: "Der Mann schläft". Roman. Hanser Verlag, München 2009. 308 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dies Buch könnte ein kleines Meisterwerk sein, wenn man dem Rezensenten Kolja Mensing glaubt. Er ist jedenfalls tief beeindruckt von dem Widerstreit zwischen der fast zynischen, trocken benennenden Sprache der Ich-Erzählerin und der unerfüllten Sehnsucht nach etwas, an das sie gar nicht geglaubt, das sie dann fand und wieder verlor - nämlich: Liebe. In Passagen scheint sich Sibylle Bergs Roman wie ein heiterer Liebesroman zu lesen, aber letztlich, so Mensing, war Berg noch nie so schwarz und unversöhnt wie in diesem Buch, in dem sie ausmalt, dass "Leben Demütigung heißt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Zynisch, melancholisch und zart, ein in seiner messerscharfen, sich selbst niemals ausnehmenden Diagnosesucht brutal ehrlicher Roman." Felicitas von Lovenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.07.09
"Ein Plädoyer für mehr Gleichmut in der Liebe und mehr Anspruchslosigkeit im Leben in sanft melancholische, moderat maliziöse Bilder gekleidet." Kristina Maidt-Zinke, Die Zeit, 03.09.09
"Mehr als nur die Geschichte von zwei Leuten, die das Glück suchen - und es tatsächlich finden. Sibylle Berg mit neuen, leisen Tönen." Kolja Mensing, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.09.09
"Ein Plädoyer für mehr Gleichmut in der Liebe und mehr Anspruchslosigkeit im Leben in sanft melancholische, moderat maliziöse Bilder gekleidet." Kristina Maidt-Zinke, Die Zeit, 03.09.09
"Mehr als nur die Geschichte von zwei Leuten, die das Glück suchen - und es tatsächlich finden. Sibylle Berg mit neuen, leisen Tönen." Kolja Mensing, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.09.09
»Gekonnt sarkastisch erzählt Sibylle Berg von den Einsamkeiten des Lebens.« Charlotte Melde, Emotion 06/2011