Wer Foster Wallace verstehen will, muss dieses Werk kennen
David Foster Wallace kämpfte zeitlebens mit Depressionen und suchte nach Bildern, um zu beschreiben, was ihn quält. Mit erschreckender Offenheit und Formulierungen, die später in seinen Romanen und Erzählungen Eingang finden werden, erzählt der 22-Jährige von einem Studenten, der an Depressionen erkrankt ist. Die starken Medikamente haben ihn auf einen anderen Planeten geschossen, doch scheint ein Leben dort immer noch das kleinere Übel - einen Weg zurück auf die Erde wird es niemals geben.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
David Foster Wallace kämpfte zeitlebens mit Depressionen und suchte nach Bildern, um zu beschreiben, was ihn quält. Mit erschreckender Offenheit und Formulierungen, die später in seinen Romanen und Erzählungen Eingang finden werden, erzählt der 22-Jährige von einem Studenten, der an Depressionen erkrankt ist. Die starken Medikamente haben ihn auf einen anderen Planeten geschossen, doch scheint ein Leben dort immer noch das kleinere Übel - einen Weg zurück auf die Erde wird es niemals geben.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Vom anderen Stern
Eine erstmals ins Deutsche übersetzte frühe Erzählung
von David Foster Wallace macht verstehbar, was Depression ist
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Der Planet Trillaphon befindet sich nicht im Weltall, und statt mit einer Rakete schießt man sich mit Medikamenten dorthin. Und doch ist er unendlich weit entfernt von der guten alten Erde und hat seine ganz eigenen Gesetze. Denn Trillaphon ist ein sehr verschlafener Planet, seine Bewohner werden viel schneller müde als die auf der Erde. Und ständig haben sie ein Geräusch im Ohr, eine Art elektrischen Hochspannungstriller. Dieses Trillergeräusch ist so dominant, dass es den richtigen Namen des Planeten verdrängt hat, denn eigentlich heißt er nicht Trillaphon, sondern Tofranil, und eigentlich ist er auch gar kein Planet, sondern ein trizyklisches Anti-Depressivum.
Der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace (1962–2008) litt zeitlebens an Depressionen. Mit 46 Jahren kapitulierte er vor seiner Krankheit und nahm sich das Leben. Als 22-Jähriger hatte Wallace eine Erzählung über einen hochbegabten Studenten, der wie er an Depressionen leidet, für das Studentenmagazin The Amherst Review geschrieben. Nun erscheint der Text erstmals auf Deutsch – als zweisprachige Taschenbuch-Ausgabe und als Hörbuch, gelesen von Lars Eidinger –, und damit zu einem Zeitpunkt, da der Absturz der Germanwings-Maschine mit der Flugnummer 4U9525 einen aktuellen Resonanzraum bildet. Vor dem Hintergrund der Fassungslosigkeit über die Tat des Co-Piloten, der 149 Menschen mit sich in den Tod riss, und der neu entflammten Diskussionen um das Thema Depression hilft die frühe Erzählung von David Foster Wallace, besser zu verstehen, was Depression ist und was sie mit Menschen macht.
Die Erzählung beginnt mit der Halluzination des Ich-Erzählers, in seiner Wange klaffe eine riesige Wunde. Und dem Versuch, diese Wunde mit Teppichgarn zuzunähen, was eine Notoperation nötig macht, von der eine hässliche Narbe und ein für immer hängender Mundwinkel zurückbleibt. Dass der eingebildete Schmerz nur durch einen echten gestillt werden kann, diese Variation des Parsifal-Motivs – demzufolge die Wunde nur durch den Speer geschlossen werden kann, der sie schlug – zeigt bereits einen wesentlichen Zug der Depression: ihre Unhintergehbarkeit für den Erkrankten. Der Erzähler vergleicht sie mit einer Magen-Darm-Grippe, die auf den gesamten Körper ausgreift. Nur dass sich die „Üble Sache“, wie die Depression hier genannt wird, besonders gut darauf versteht, sämtliche Abwehrmechanismen auszuschalten. Man kann eben nicht einfach positiver denken, wenn das Denken selbst von ihr erfasst worden ist. Die Ich-Stärke, die nötig wäre, um Widerstand zu leisten, genau diese Kraft hat die Depression lahmgelegt, so dass am Ende nur der Schluss bleibt: „Du bist die Üble Sache.“ Und Selbstmord? Wird zu einer reinen „Formsache“. Denn, so David Foster Wallace: Menschen, die an Depressionen leiden, „haben sich schon umgebracht, den Teil, der zählt“.
Wallace’ Alter Ego hat bereits versucht, diese Formsache zu erledigen, als er den Fön ins Badewasser zog. Der Suizid-Versuch wird im Text immer nur als dieser „lächerliche Vorfall“ verharmlost. Nicht weil er tatsächlich harmlos wäre. Vielmehr gehört es zu den Strategien des Textes, die herabgedimmte Beschwichtigungs- und Verniedlichungsrhetorik des sozialen Umfelds dadurch zu entlarven, dass sich der Erzähler diese ironisch zu eigen macht. So spricht er von sich selbst stets nur als von einem „Steppke mit Problemen“.
Das wichtigste Stilmittel dieser im Vergleich zum späteren Werk schmucklosen Rollenprosa aber ist ihr wunder Witz, etwa wenn May, ein Mädchen, in das sich der Erzähler verliebt hat, erklärt, sie trage ihren Pullover auf links, weil sie das Etikett im Nacken kratze. Und er auf die Frage nach seiner Narbe antwortet, er habe da so ein kratzendes Schild im Gesicht gehabt. Vor dem nächsten Absturz bewahrt ihn zwar die Notlandung auf dem Planeten Trillaphon, und doch hat der Depressive, und das ist der diskursive Kern der Geschichte, nur die Wahl zwischen zwei Formen der Fremdbestimmung: der durch die Krankheit oder der durch die Medikamente. In beiden Fällen gehört er nicht sich selbst. Wenn Wallace schreibt, die Üble Sache sei „der Grund, warum ich nicht mehr auf der Erde bin“, ist diese Formulierung höchst doppeldeutig. Denn die Erzählung endet mitten im Satz mit den Worten „Die Üble Sache ist“, ein Hinweis auf den unentrinnbaren Teufelskreis der Depression, den Loop zum Tode hin. Fast ein Vierteljahrhundert lang war das Schreiben ein Anti-Depressivum für David Foster Wallace gewesen. Am 12. September 2008 jedoch brach er sein Leben ab, mitten im Satz.
David Foster Wallace: Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache. Zweisprachige Textausgabe deutsch/englisch. Übersetzt von Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 112 Seiten, 6 Euro. Auch als Hörbuch, gelesen von Lars Eidinger. tacheles!/Roof Music, Bochum 2015. 1 Audio-CD, 43 Minuten. 8,99 Euro.
Nur der Speer, der die Wunde
schlug, kann sie schließen
Als Student schrieb Wallace diese stark autobiografische Geschichte über die Krankheit, der er 2008 erlag.
Foto: INTERFOTO
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Eine erstmals ins Deutsche übersetzte frühe Erzählung
von David Foster Wallace macht verstehbar, was Depression ist
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Der Planet Trillaphon befindet sich nicht im Weltall, und statt mit einer Rakete schießt man sich mit Medikamenten dorthin. Und doch ist er unendlich weit entfernt von der guten alten Erde und hat seine ganz eigenen Gesetze. Denn Trillaphon ist ein sehr verschlafener Planet, seine Bewohner werden viel schneller müde als die auf der Erde. Und ständig haben sie ein Geräusch im Ohr, eine Art elektrischen Hochspannungstriller. Dieses Trillergeräusch ist so dominant, dass es den richtigen Namen des Planeten verdrängt hat, denn eigentlich heißt er nicht Trillaphon, sondern Tofranil, und eigentlich ist er auch gar kein Planet, sondern ein trizyklisches Anti-Depressivum.
Der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace (1962–2008) litt zeitlebens an Depressionen. Mit 46 Jahren kapitulierte er vor seiner Krankheit und nahm sich das Leben. Als 22-Jähriger hatte Wallace eine Erzählung über einen hochbegabten Studenten, der wie er an Depressionen leidet, für das Studentenmagazin The Amherst Review geschrieben. Nun erscheint der Text erstmals auf Deutsch – als zweisprachige Taschenbuch-Ausgabe und als Hörbuch, gelesen von Lars Eidinger –, und damit zu einem Zeitpunkt, da der Absturz der Germanwings-Maschine mit der Flugnummer 4U9525 einen aktuellen Resonanzraum bildet. Vor dem Hintergrund der Fassungslosigkeit über die Tat des Co-Piloten, der 149 Menschen mit sich in den Tod riss, und der neu entflammten Diskussionen um das Thema Depression hilft die frühe Erzählung von David Foster Wallace, besser zu verstehen, was Depression ist und was sie mit Menschen macht.
Die Erzählung beginnt mit der Halluzination des Ich-Erzählers, in seiner Wange klaffe eine riesige Wunde. Und dem Versuch, diese Wunde mit Teppichgarn zuzunähen, was eine Notoperation nötig macht, von der eine hässliche Narbe und ein für immer hängender Mundwinkel zurückbleibt. Dass der eingebildete Schmerz nur durch einen echten gestillt werden kann, diese Variation des Parsifal-Motivs – demzufolge die Wunde nur durch den Speer geschlossen werden kann, der sie schlug – zeigt bereits einen wesentlichen Zug der Depression: ihre Unhintergehbarkeit für den Erkrankten. Der Erzähler vergleicht sie mit einer Magen-Darm-Grippe, die auf den gesamten Körper ausgreift. Nur dass sich die „Üble Sache“, wie die Depression hier genannt wird, besonders gut darauf versteht, sämtliche Abwehrmechanismen auszuschalten. Man kann eben nicht einfach positiver denken, wenn das Denken selbst von ihr erfasst worden ist. Die Ich-Stärke, die nötig wäre, um Widerstand zu leisten, genau diese Kraft hat die Depression lahmgelegt, so dass am Ende nur der Schluss bleibt: „Du bist die Üble Sache.“ Und Selbstmord? Wird zu einer reinen „Formsache“. Denn, so David Foster Wallace: Menschen, die an Depressionen leiden, „haben sich schon umgebracht, den Teil, der zählt“.
Wallace’ Alter Ego hat bereits versucht, diese Formsache zu erledigen, als er den Fön ins Badewasser zog. Der Suizid-Versuch wird im Text immer nur als dieser „lächerliche Vorfall“ verharmlost. Nicht weil er tatsächlich harmlos wäre. Vielmehr gehört es zu den Strategien des Textes, die herabgedimmte Beschwichtigungs- und Verniedlichungsrhetorik des sozialen Umfelds dadurch zu entlarven, dass sich der Erzähler diese ironisch zu eigen macht. So spricht er von sich selbst stets nur als von einem „Steppke mit Problemen“.
Das wichtigste Stilmittel dieser im Vergleich zum späteren Werk schmucklosen Rollenprosa aber ist ihr wunder Witz, etwa wenn May, ein Mädchen, in das sich der Erzähler verliebt hat, erklärt, sie trage ihren Pullover auf links, weil sie das Etikett im Nacken kratze. Und er auf die Frage nach seiner Narbe antwortet, er habe da so ein kratzendes Schild im Gesicht gehabt. Vor dem nächsten Absturz bewahrt ihn zwar die Notlandung auf dem Planeten Trillaphon, und doch hat der Depressive, und das ist der diskursive Kern der Geschichte, nur die Wahl zwischen zwei Formen der Fremdbestimmung: der durch die Krankheit oder der durch die Medikamente. In beiden Fällen gehört er nicht sich selbst. Wenn Wallace schreibt, die Üble Sache sei „der Grund, warum ich nicht mehr auf der Erde bin“, ist diese Formulierung höchst doppeldeutig. Denn die Erzählung endet mitten im Satz mit den Worten „Die Üble Sache ist“, ein Hinweis auf den unentrinnbaren Teufelskreis der Depression, den Loop zum Tode hin. Fast ein Vierteljahrhundert lang war das Schreiben ein Anti-Depressivum für David Foster Wallace gewesen. Am 12. September 2008 jedoch brach er sein Leben ab, mitten im Satz.
David Foster Wallace: Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache. Zweisprachige Textausgabe deutsch/englisch. Übersetzt von Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 112 Seiten, 6 Euro. Auch als Hörbuch, gelesen von Lars Eidinger. tacheles!/Roof Music, Bochum 2015. 1 Audio-CD, 43 Minuten. 8,99 Euro.
Nur der Speer, der die Wunde
schlug, kann sie schließen
Als Student schrieb Wallace diese stark autobiografische Geschichte über die Krankheit, der er 2008 erlag.
Foto: INTERFOTO
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.04.2015Vom anderen Stern
Eine erstmals ins Deutsche übersetzte frühe Erzählung
von David Foster Wallace macht verstehbar, was Depression ist
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Der Planet Trillaphon befindet sich nicht im Weltall, und statt mit einer Rakete schießt man sich mit Medikamenten dorthin. Und doch ist er unendlich weit entfernt von der guten alten Erde und hat seine ganz eigenen Gesetze. Denn Trillaphon ist ein sehr verschlafener Planet, seine Bewohner werden viel schneller müde als die auf der Erde. Und ständig haben sie ein Geräusch im Ohr, eine Art elektrischen Hochspannungstriller. Dieses Trillergeräusch ist so dominant, dass es den richtigen Namen des Planeten verdrängt hat, denn eigentlich heißt er nicht Trillaphon, sondern Tofranil, und eigentlich ist er auch gar kein Planet, sondern ein trizyklisches Anti-Depressivum.
Der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace (1962–2008) litt zeitlebens an Depressionen. Mit 46 Jahren kapitulierte er vor seiner Krankheit und nahm sich das Leben. Als 22-Jähriger hatte Wallace eine Erzählung über einen hochbegabten Studenten, der wie er an Depressionen leidet, für das Studentenmagazin The Amherst Review geschrieben. Nun erscheint der Text erstmals auf Deutsch – als zweisprachige Taschenbuch-Ausgabe und als Hörbuch, gelesen von Lars Eidinger –, und damit zu einem Zeitpunkt, da der Absturz der Germanwings-Maschine mit der Flugnummer 4U9525 einen aktuellen Resonanzraum bildet. Vor dem Hintergrund der Fassungslosigkeit über die Tat des Co-Piloten, der 149 Menschen mit sich in den Tod riss, und der neu entflammten Diskussionen um das Thema Depression hilft die frühe Erzählung von David Foster Wallace, besser zu verstehen, was Depression ist und was sie mit Menschen macht.
Die Erzählung beginnt mit der Halluzination des Ich-Erzählers, in seiner Wange klaffe eine riesige Wunde. Und dem Versuch, diese Wunde mit Teppichgarn zuzunähen, was eine Notoperation nötig macht, von der eine hässliche Narbe und ein für immer hängender Mundwinkel zurückbleibt. Dass der eingebildete Schmerz nur durch einen echten gestillt werden kann, diese Variation des Parsifal-Motivs – demzufolge die Wunde nur durch den Speer geschlossen werden kann, der sie schlug – zeigt bereits einen wesentlichen Zug der Depression: ihre Unhintergehbarkeit für den Erkrankten. Der Erzähler vergleicht sie mit einer Magen-Darm-Grippe, die auf den gesamten Körper ausgreift. Nur dass sich die „Üble Sache“, wie die Depression hier genannt wird, besonders gut darauf versteht, sämtliche Abwehrmechanismen auszuschalten. Man kann eben nicht einfach positiver denken, wenn das Denken selbst von ihr erfasst worden ist. Die Ich-Stärke, die nötig wäre, um Widerstand zu leisten, genau diese Kraft hat die Depression lahmgelegt, so dass am Ende nur der Schluss bleibt: „Du bist die Üble Sache.“ Und Selbstmord? Wird zu einer reinen „Formsache“. Denn, so David Foster Wallace: Menschen, die an Depressionen leiden, „haben sich schon umgebracht, den Teil, der zählt“.
Wallace’ Alter Ego hat bereits versucht, diese Formsache zu erledigen, als er den Fön ins Badewasser zog. Der Suizid-Versuch wird im Text immer nur als dieser „lächerliche Vorfall“ verharmlost. Nicht weil er tatsächlich harmlos wäre. Vielmehr gehört es zu den Strategien des Textes, die herabgedimmte Beschwichtigungs- und Verniedlichungsrhetorik des sozialen Umfelds dadurch zu entlarven, dass sich der Erzähler diese ironisch zu eigen macht. So spricht er von sich selbst stets nur als von einem „Steppke mit Problemen“.
Das wichtigste Stilmittel dieser im Vergleich zum späteren Werk schmucklosen Rollenprosa aber ist ihr wunder Witz, etwa wenn May, ein Mädchen, in das sich der Erzähler verliebt hat, erklärt, sie trage ihren Pullover auf links, weil sie das Etikett im Nacken kratze. Und er auf die Frage nach seiner Narbe antwortet, er habe da so ein kratzendes Schild im Gesicht gehabt. Vor dem nächsten Absturz bewahrt ihn zwar die Notlandung auf dem Planeten Trillaphon, und doch hat der Depressive, und das ist der diskursive Kern der Geschichte, nur die Wahl zwischen zwei Formen der Fremdbestimmung: der durch die Krankheit oder der durch die Medikamente. In beiden Fällen gehört er nicht sich selbst. Wenn Wallace schreibt, die Üble Sache sei „der Grund, warum ich nicht mehr auf der Erde bin“, ist diese Formulierung höchst doppeldeutig. Denn die Erzählung endet mitten im Satz mit den Worten „Die Üble Sache ist“, ein Hinweis auf den unentrinnbaren Teufelskreis der Depression, den Loop zum Tode hin. Fast ein Vierteljahrhundert lang war das Schreiben ein Anti-Depressivum für David Foster Wallace gewesen. Am 12. September 2008 jedoch brach er sein Leben ab, mitten im Satz.
David Foster Wallace: Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache. Zweisprachige Textausgabe deutsch/englisch. Übersetzt von Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 112 Seiten, 6 Euro. Auch als Hörbuch, gelesen von Lars Eidinger. tacheles!/Roof Music, Bochum 2015. 1 Audio-CD, 43 Minuten. 8,99 Euro.
Nur der Speer, der die Wunde
schlug, kann sie schließen
Als Student schrieb Wallace diese stark autobiografische Geschichte über die Krankheit, der er 2008 erlag.
Foto: INTERFOTO
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Eine erstmals ins Deutsche übersetzte frühe Erzählung
von David Foster Wallace macht verstehbar, was Depression ist
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Der Planet Trillaphon befindet sich nicht im Weltall, und statt mit einer Rakete schießt man sich mit Medikamenten dorthin. Und doch ist er unendlich weit entfernt von der guten alten Erde und hat seine ganz eigenen Gesetze. Denn Trillaphon ist ein sehr verschlafener Planet, seine Bewohner werden viel schneller müde als die auf der Erde. Und ständig haben sie ein Geräusch im Ohr, eine Art elektrischen Hochspannungstriller. Dieses Trillergeräusch ist so dominant, dass es den richtigen Namen des Planeten verdrängt hat, denn eigentlich heißt er nicht Trillaphon, sondern Tofranil, und eigentlich ist er auch gar kein Planet, sondern ein trizyklisches Anti-Depressivum.
Der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace (1962–2008) litt zeitlebens an Depressionen. Mit 46 Jahren kapitulierte er vor seiner Krankheit und nahm sich das Leben. Als 22-Jähriger hatte Wallace eine Erzählung über einen hochbegabten Studenten, der wie er an Depressionen leidet, für das Studentenmagazin The Amherst Review geschrieben. Nun erscheint der Text erstmals auf Deutsch – als zweisprachige Taschenbuch-Ausgabe und als Hörbuch, gelesen von Lars Eidinger –, und damit zu einem Zeitpunkt, da der Absturz der Germanwings-Maschine mit der Flugnummer 4U9525 einen aktuellen Resonanzraum bildet. Vor dem Hintergrund der Fassungslosigkeit über die Tat des Co-Piloten, der 149 Menschen mit sich in den Tod riss, und der neu entflammten Diskussionen um das Thema Depression hilft die frühe Erzählung von David Foster Wallace, besser zu verstehen, was Depression ist und was sie mit Menschen macht.
Die Erzählung beginnt mit der Halluzination des Ich-Erzählers, in seiner Wange klaffe eine riesige Wunde. Und dem Versuch, diese Wunde mit Teppichgarn zuzunähen, was eine Notoperation nötig macht, von der eine hässliche Narbe und ein für immer hängender Mundwinkel zurückbleibt. Dass der eingebildete Schmerz nur durch einen echten gestillt werden kann, diese Variation des Parsifal-Motivs – demzufolge die Wunde nur durch den Speer geschlossen werden kann, der sie schlug – zeigt bereits einen wesentlichen Zug der Depression: ihre Unhintergehbarkeit für den Erkrankten. Der Erzähler vergleicht sie mit einer Magen-Darm-Grippe, die auf den gesamten Körper ausgreift. Nur dass sich die „Üble Sache“, wie die Depression hier genannt wird, besonders gut darauf versteht, sämtliche Abwehrmechanismen auszuschalten. Man kann eben nicht einfach positiver denken, wenn das Denken selbst von ihr erfasst worden ist. Die Ich-Stärke, die nötig wäre, um Widerstand zu leisten, genau diese Kraft hat die Depression lahmgelegt, so dass am Ende nur der Schluss bleibt: „Du bist die Üble Sache.“ Und Selbstmord? Wird zu einer reinen „Formsache“. Denn, so David Foster Wallace: Menschen, die an Depressionen leiden, „haben sich schon umgebracht, den Teil, der zählt“.
Wallace’ Alter Ego hat bereits versucht, diese Formsache zu erledigen, als er den Fön ins Badewasser zog. Der Suizid-Versuch wird im Text immer nur als dieser „lächerliche Vorfall“ verharmlost. Nicht weil er tatsächlich harmlos wäre. Vielmehr gehört es zu den Strategien des Textes, die herabgedimmte Beschwichtigungs- und Verniedlichungsrhetorik des sozialen Umfelds dadurch zu entlarven, dass sich der Erzähler diese ironisch zu eigen macht. So spricht er von sich selbst stets nur als von einem „Steppke mit Problemen“.
Das wichtigste Stilmittel dieser im Vergleich zum späteren Werk schmucklosen Rollenprosa aber ist ihr wunder Witz, etwa wenn May, ein Mädchen, in das sich der Erzähler verliebt hat, erklärt, sie trage ihren Pullover auf links, weil sie das Etikett im Nacken kratze. Und er auf die Frage nach seiner Narbe antwortet, er habe da so ein kratzendes Schild im Gesicht gehabt. Vor dem nächsten Absturz bewahrt ihn zwar die Notlandung auf dem Planeten Trillaphon, und doch hat der Depressive, und das ist der diskursive Kern der Geschichte, nur die Wahl zwischen zwei Formen der Fremdbestimmung: der durch die Krankheit oder der durch die Medikamente. In beiden Fällen gehört er nicht sich selbst. Wenn Wallace schreibt, die Üble Sache sei „der Grund, warum ich nicht mehr auf der Erde bin“, ist diese Formulierung höchst doppeldeutig. Denn die Erzählung endet mitten im Satz mit den Worten „Die Üble Sache ist“, ein Hinweis auf den unentrinnbaren Teufelskreis der Depression, den Loop zum Tode hin. Fast ein Vierteljahrhundert lang war das Schreiben ein Anti-Depressivum für David Foster Wallace gewesen. Am 12. September 2008 jedoch brach er sein Leben ab, mitten im Satz.
David Foster Wallace: Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache. Zweisprachige Textausgabe deutsch/englisch. Übersetzt von Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 112 Seiten, 6 Euro. Auch als Hörbuch, gelesen von Lars Eidinger. tacheles!/Roof Music, Bochum 2015. 1 Audio-CD, 43 Minuten. 8,99 Euro.
Nur der Speer, der die Wunde
schlug, kann sie schließen
Als Student schrieb Wallace diese stark autobiografische Geschichte über die Krankheit, der er 2008 erlag.
Foto: INTERFOTO
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Dem Leser aber hilft seine Erzählung, eine Krankheit, die lange unterschätzt worden ist, in ihrer furchtbaren Konsequenz zu verstehen.« Frauenpost 20150528