Frank Chambers ist ein Rumtreiber. Und er ist abgebrannt. Eines Tages landet er vor einem Diner irgendwo im kalifornischen Nichts, betrieben vom Griechen Papadakis und seiner schönen jungen Frau Cora. Ihren Ehemann kann Cora nicht leiden, den Rumtreiber Frank dafür umso mehr. Ein Problem, das nur eine Lösung kennt, eine Lösung, die viele Probleme nach sich zieht. Solche, für die es keine Lösung gibt. Schwärzer als bei Cain war die Welt selten. In ihr regieren Skrupellosigkeit und Gier nach Sex und Geld. Jeder ist sich selbst am nächsten. So treibt Cain seinen Antihelden unerbittlich ins Verderben.Ungekürzte Lesung mit Stefan Kaminski3 CDs ca. 3 h 29 min
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.10.2018Reiß mich auf!
Stefan Kaminski liest James M. Cain
James M. Cain fackelt nicht lange. Gleich zu Beginn lässt er seinen jungen Ich-Erzähler, den Tramp Frank Chambers, vom Heuwagen fliegen und knallt ihn so nicht nur vor die Füße seines zukünftigen „Höllenweibes“, der verheirateten Cora, sondern auch direkt vor den Latz des Lesers. Fortan hängt man gebannt an seinen Lippen. Hört, wie er sich immer wieder hochrappelt, nur um sich dann erneut an und mit Cora blutig zu schlagen. Einfach, weil es ist, wie es ist. Mal läuft es gut, mal schlecht. Und dann, wenn wirklich alles in Butter zu sein scheint, nachdem man Coras Mann Nick ermordet hat, halt richtig saudumm. Und so „baumelt, baumelt, baumelt“ man in den Zeiten der Great Depression schließlich am Strick.
Cains berühmtester Roman „Der Postbote klingelt immer zweimal“ von 1934 ist eine Aufzeichnung aus der Todeszelle. Handelt es sich also um eine Lebensbeichte? Das wäre ein falscher Begriff, weil darin so etwas wie Glaube mitschwingt. Den jedoch gibt es schlichtweg nicht bei Cain, über den Tom Wolfe einmal gesagt hat, dass es keiner „so durchzieht“ wie er: „Hemingway nicht, ja, nicht mal Chandler.“ Oder, mit seinem Taugenichtshelden Frank gesprochen: „Ich hatte ins Blaue gezielt und genau ins Schwarze getroffen.“
Alex Capus, der den abgründigen Stoff für den kürzlich gegründeten Schweizer Kampa Verlag mit einer zeitgenössischeren Sprachhärte neu übersetzt hat, stellt den ernüchternden Cain in einem Nachwort deshalb auch an die Seite der Existenzialisten. Und er denkt, wie schon in seinem jüngsten Werk „Königskinder“, über die Frage nach, wie man eine Geschichte eigentlich erzählt. Dabei zeigt er sich ganz begeistert von der „schwer plotgetriebenen“ Erzählkunst Cains. Selbst die vielen Zufälle der dialoglastigen Story können dieser selbst nichts anhaben, verpassen ihr lediglich ständig neue Twists, die den Leser hübsch hin und her würfeln.
Aber nicht nur ihn. Dank der Lesung durch Stefan Kaminski wird man auch als Hörer kräftig durchgeschüttelt. Kaminski trifft den hartgekochten Grundton Cains bis in die Nebenfiguren wie den geckenhaften Winkeladvokaten Katz und den hinterhältigen Staatsanwalt Sackett. Und dann erst bei dem in Hassliebe verbundenen Paar!
Obwohl er selten nüchtern ist, klingt Kaminskis Frank brutal trocken. Cora hingegen liest er stets mit einem Hauch in der Stimme, erotisch und fragil zugleich. Jederzeit aber kann aus diesem Hauchen ein Fauchen werden. Katzen, kleine wie große, spielen im „Postboten“ ja eine nicht unwesentliche Rolle, und das eigentlich Frappierende an dem Buch ist das Animalische in der Beziehung zwischen Cora und Frank. Ihr ziemlich unverhohlen eingeschrieben sind Sadomasochismus und der Todestrieb „,Reiß doch, reiß mich auf‘ (…) Sie ging zu Boden, ihre Augen leuchteten. ,Oh ja, Frank, ja‘.“
FLORIAN WELLE
James M. Cain: Der Postbote klingelt immer zweimal. Ungekürzte Lesung mit Stefan Kaminski. DAV, Berlin 2018. 3 CDs, ca. 3 Stunden 29 Minuten, 17,99 Euro.
Aus Coras Hauchen
kann jederzeit
ein Fauchen werden
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Stefan Kaminski liest James M. Cain
James M. Cain fackelt nicht lange. Gleich zu Beginn lässt er seinen jungen Ich-Erzähler, den Tramp Frank Chambers, vom Heuwagen fliegen und knallt ihn so nicht nur vor die Füße seines zukünftigen „Höllenweibes“, der verheirateten Cora, sondern auch direkt vor den Latz des Lesers. Fortan hängt man gebannt an seinen Lippen. Hört, wie er sich immer wieder hochrappelt, nur um sich dann erneut an und mit Cora blutig zu schlagen. Einfach, weil es ist, wie es ist. Mal läuft es gut, mal schlecht. Und dann, wenn wirklich alles in Butter zu sein scheint, nachdem man Coras Mann Nick ermordet hat, halt richtig saudumm. Und so „baumelt, baumelt, baumelt“ man in den Zeiten der Great Depression schließlich am Strick.
Cains berühmtester Roman „Der Postbote klingelt immer zweimal“ von 1934 ist eine Aufzeichnung aus der Todeszelle. Handelt es sich also um eine Lebensbeichte? Das wäre ein falscher Begriff, weil darin so etwas wie Glaube mitschwingt. Den jedoch gibt es schlichtweg nicht bei Cain, über den Tom Wolfe einmal gesagt hat, dass es keiner „so durchzieht“ wie er: „Hemingway nicht, ja, nicht mal Chandler.“ Oder, mit seinem Taugenichtshelden Frank gesprochen: „Ich hatte ins Blaue gezielt und genau ins Schwarze getroffen.“
Alex Capus, der den abgründigen Stoff für den kürzlich gegründeten Schweizer Kampa Verlag mit einer zeitgenössischeren Sprachhärte neu übersetzt hat, stellt den ernüchternden Cain in einem Nachwort deshalb auch an die Seite der Existenzialisten. Und er denkt, wie schon in seinem jüngsten Werk „Königskinder“, über die Frage nach, wie man eine Geschichte eigentlich erzählt. Dabei zeigt er sich ganz begeistert von der „schwer plotgetriebenen“ Erzählkunst Cains. Selbst die vielen Zufälle der dialoglastigen Story können dieser selbst nichts anhaben, verpassen ihr lediglich ständig neue Twists, die den Leser hübsch hin und her würfeln.
Aber nicht nur ihn. Dank der Lesung durch Stefan Kaminski wird man auch als Hörer kräftig durchgeschüttelt. Kaminski trifft den hartgekochten Grundton Cains bis in die Nebenfiguren wie den geckenhaften Winkeladvokaten Katz und den hinterhältigen Staatsanwalt Sackett. Und dann erst bei dem in Hassliebe verbundenen Paar!
Obwohl er selten nüchtern ist, klingt Kaminskis Frank brutal trocken. Cora hingegen liest er stets mit einem Hauch in der Stimme, erotisch und fragil zugleich. Jederzeit aber kann aus diesem Hauchen ein Fauchen werden. Katzen, kleine wie große, spielen im „Postboten“ ja eine nicht unwesentliche Rolle, und das eigentlich Frappierende an dem Buch ist das Animalische in der Beziehung zwischen Cora und Frank. Ihr ziemlich unverhohlen eingeschrieben sind Sadomasochismus und der Todestrieb „,Reiß doch, reiß mich auf‘ (…) Sie ging zu Boden, ihre Augen leuchteten. ,Oh ja, Frank, ja‘.“
FLORIAN WELLE
James M. Cain: Der Postbote klingelt immer zweimal. Ungekürzte Lesung mit Stefan Kaminski. DAV, Berlin 2018. 3 CDs, ca. 3 Stunden 29 Minuten, 17,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Großartig, großartig, großartig, hört man Rezensent Florian Welle zwischen den Zeilen rufen. Die Geschichte, unter anderem von Visconti, Tay Garnett und Lawrence Kasdan verfilmt, ist bekannt: Ein Landstreicher verliebt sich in die junge Frau eines ältlichen Tankstellenbesitzers, die ihn überredet, ihren Mann umzubringen. Welle findet nicht nur den Roman großartig, sondern auch die Neuübersetzung von Alex Capus, der dem Ganzen eine moderne "Sprachhärte" verleiht und in seinem klugen Nachwort allerlei Interessantes über den Autor James M. Cain zu erzählen weiß. Großartig findet Welle auch die Vertonung durch Stefan Kaminski, der wirklich jeden Sound treffe - ob es nun das Schnoddrig-Rabiate des Frank, das Erotisch-Kühle der Geliebten Cora oder der dummdreiste Duktus irgendeines "hinterwäldlerischen Staatsanwaltes" ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Eine rasante, brutale Story.« Dashiell Hammett »Niemand hat je ein Buch von Cain beiseitegelegt.« Saturday Review of Literature »Keiner zieht es so durch wie Cain, Hemingway nicht, ja, nicht mal Raymond Chandler.« Tom Wolfe