Erst das 20. Jahrhundert hat die Visionen des amerikanischen Schriftstellers Edgar Allan Poe richtig zu würdigen gewusst. Dabei gelang es Poe mit seinen unheimlichen Erzählungen, die menschliche Grausamkeit und das Groteske im Menschen messerscharf zu analysieren. Das wohl berühmteste Schauergedicht der Weltliteratur, »Der Rabe« von 1845, erzählt von einem Hausherrn, der in finsterer Nacht ein Klopfen an seinem Fenster vernimmt. Der Störenfried entpuppt sich als Rabe, der den Mann in tiefste Verzweiflung stürzt. Mit seiner markanten Stimme haucht Hans Peter Hallwachs Poes schaurig schönen Erzählungen Leben ein.Ungekürzte Lesung mit Hans Peter Hallwachs1 mp3-CD ca. 1 h 11 min
»Poe war unzweifelhaft ein Genie.« Jorge Luis Borges »Es gibt keinen Zweifel: Wer sich eine Bibliothek mit Weltliteratur in Form von Hörbüchern aufbauen möchte, kommt an dieser Edition nicht vorbei.« WDR 3 »Hier wird fündig, wer an Hörbuchproduktionen Freude hat, die nicht schnell hingeschludert sind, sondern mit einer Regie-Idee zum Text vom und für den Rundfunk produziert sind.« NDR KULTUR »Mehr Zeit hätte man ja immer gern, aber für diese schönen Hörbücher [...] besonders.« WAZ »Die Hörbuch-Edition 'Große Werke. Große Stimmen.' umfasst herausragende Lesungen deutschsprachiger Sprecherinnen und Sprecher, die in den Archiven der Rundfunkanstalten schlummern.« SAARLÄNDISCHER RUNDFUNK
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hin und weg vor lauter schönem Grusel ist Rezensent Gustav Seibt bei diesem Hörbuch, in dem Hans Peter Hallwachs, die "unvergessene Fachkraft fürs Böse im deutschen Fernsehen", die besten Geschichten und Gedichte von Edgar Allan Poe liest. Und er liest sie nicht einfach nur runter, versichert Seibt, er macht die Geschichte um den "Entwendeten Brief" zu einem hochspannenden Erlebnis voller überraschender, auch sprachlich aufregender Wendungen. Aber auch die immer noch tolle Übersetzung von Theodor und Gisela Etzel trägt, obwohl schon über hundert Jahre alt, dazu bei, so Seibt. Ein wunderbarer Hörgenuss, um "Literatur als Artistik" kennenzulernen, findet der begeisterte Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2024Reime aus dem Ofenrohr
Dichtung als Vergegenwärtigung des Bösen:
Hans Peter Hallwachs brilliert mit Edgar Allan Poe
im Hörbuch „Der Rabe und andere Erzählungen“.
Dass Edgar Allan Poe nicht nur ein Autor von Grusel und Spannung ist, sondern dass seine Prosa auch düstere Klangereignisse von fugenloser Präzision bietet, das haben seine Bewunderer von Charles Baudelaire bis Arno Schmidt immer gewusst und gefeiert. Poes Geschichten sind idealer Hörbuchstoff. Und in englischer Sprache gibt es auch etliche, wundervoll gesprochene Boxen, die sein vielfältiges Werk regelrecht aufführen, zu kammermusikalischen Kunststücken machen, etwa von Philippe Duquenoy (bei Audible).
Das deutschsprachige Angebot ist eher mager. Viele Aufnahmen haspeln die Texte wie beliebige Krimis ab und verfehlen den stilistischen Selbstgenuss einer Sprache, die Grausamkeit und Terror schon in den Vollzug der Artikulation legt. Das Erzählen selbst, sein Klang, seine langsam schreitende Unerbittlichkeit, nimmt bei Poe die Züge einer ästhetischen Folter an, die das Erzählte aus den Worten herausschält, wie eine flackernde Kerze, deren Licht in einem dunklen Keller auf vermodernde Gebeine trifft.
Damit wären wir beim „Fass Amontillado“, einer tückischen Rachegeschichte, deren Ich-Erzähler schön gemächlich und genießerisch berichtet, wie er einen tölpelhaften Feind umgarnt, um ihn in einem feuchten Weinkeller hinter salpetertriefenden Wänden und Skelettbergen bei lebendigem Leibe einzumauern. Sadismus, langsam, wie ein Kondukt, wie zu sich selbst gesprochen, denn diese Tötung muss sich in tiefstem Geheimnis vollziehen. Der Audio-Verlag hat eine Aufnahme des 2022 verstorbenen Hans Peter Hallwachs, unvergessene Fachkraft fürs Böse im deutschen Fernsehen, ausgegraben, die man vielleicht am besten mit Kopfhörern rezipiert, um den eigenen Schädel zum Resonanzkörper des heiseren Gedankenstroms eines Mörders zu machen.
Ähnlich suggestiv ist die stark und geschickt gekürzte Version des „Entwendeten Briefs“. Man wünschte sich bei dieser Aufnahme, die Geschichte noch nicht zu kennen, um den methodischen Aufbau ihrer überraschenden Auflösung frisch zu erleben. Der „Stibitzte Brief“ (wie Hans Wollschläger ihn übersetzte) ist nun ebenso Kriminalgeschichte wie Methoden-Essay und erkenntnistheoretisches Experiment. Philologie und Philosophie haben hier längst jeden Satz umgedreht, so wie in der Geschichte das Ministerbüro bis in die hinterste Tapete und in das letzte, womöglich ausgehöhlte Stuhlbein nach dem fatalen Brief durchsucht wird. Man soll ja nicht spoilern, selbst hier nicht – jeder Leser von Weltliteratur hat ein Recht auf Erstbegegnungen –, aber man darf ein Gleichnis verraten.
Auguste Dupin, der schlaue Ahne aller denkenden Detektive, entwickelt es. Wenn man ein Spiel macht, bei dem es darum geht, einen bestimmten Namen auf einer Landkarte möglichst rasch zu entdecken, sollte man nicht die kleingedruckten Bezeichnungen wählen, denn jeder würde gerade nach ihnen suchen. Nein, die allergrößte Schrift auf der Karte ist die, die am ehesten übersehen wird. Und wer sich in die Gedanken eines Verbrechers einfühlt, der muss wissen, dass auch der Verbrecher sich in die Gedanken seines Verfolgers versetzt, woraus eine Überbietung der Scharfsinnigkeitsebenen folgt, die den raffiniertesten Bösewicht zuweilen den simpelsten Trick zu wählen veranlasst, nämlich genau den, den man ihm nicht zutraut.
So wird Intellekt psychologisiert, er wird zum Spiegelkabinett, und eine Indiziensuche muss erst einmal unterscheiden können, was Spur und was Fährte ist: Freuden der Semiotik bis heute. Hallwachs performt das mit kühler Dialektik, deren Drift ins Böse sich erst am Ende enthüllt. Auch hier hat Poe die Tücke der Akteure als tückischen Erzählaufbau in den Text selbst gezogen. Hörer oder Leser werden zu Figuren in einem Experiment des Autors. Das bedarf eines denkenden Sprechers, nicht einfach eines Vorlesers.
Was ist das überhaupt für eine Übersetzung, die Hallwachs zu solchen Meisterleistungen inspirierte? Überraschenderweise nahm er die genau hundert Jahre alte Ausgabe von Theodor und Gisela Etzel, die sich hier glanzvoll bewährt. Das zeigt sich besonders am prekärsten Stück der kleinen Sammlung, dem Erzählgedicht „Der Rabe“/„The Raven“. Es ist ein fast inhaltsfreies, nur mit Motiven und Klängen spielendes Kabinettstück, bei dem es auf den unausgesetzten Flow der Reime und Kehrreime ankommt, so eng mit dem englischen Sprachkörper verwebt, dass jede Übersetzung zu einem Wettstreit in Manierismus gerät – schönem, artistischem Manierismus, als Vorschein von Baudelaire und James Joyce.
Und, wow, Theodor Etzel (1873 bis 1930), der die Gedichte Poes übertragen hat – Gisela Etzel (1880 bis 1918) übernahm die Prosa –, bewährt sich überraschend gut. „The Raven“ ist ganz auf den ofenrohrartigen Reimklang eines langgestreckten „ooor“ gebaut (nothing more, ever more, nevermore, explore, Lenore), und ja, die deutsche Version kann das auch, und man verzeiht ihr gern eine gewisse Umständlichkeit angesichts der Schwierigkeit der Aufgabe – „nevermore“ wird zu „nie, du Tor“.
Wer hier nicht anfängt, zu anderen Versuchen zu surfen, dürfte keinen stark entwickelten Sinn für Literatur als Artistik haben. Edgar Allan Poe ist, wie so viele große Meister, beides, ein „Wortmetz“ (Arno Schmidt) und ein Spannungserzeuger von knabenhafter Grellheit und Abenteuerlust. Er bespielt den Thrill und die Musik der Sprache zugleich. Diese schwarz schimmernde Perfektion hat Hans Peter Hallwachs toll gemeistert.
GUSTAV SEIBT
Es ist das Offensichtliche,
das man am
leichtesten übersieht
Edgar Allan Poe:
Der Rabe und andere Erzählungen.
Gelesen von Hans Peter Hallwachs.
1 CD, 71 Minuten.
Der Audio Verlag,
Berlin 2024. 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Dichtung als Vergegenwärtigung des Bösen:
Hans Peter Hallwachs brilliert mit Edgar Allan Poe
im Hörbuch „Der Rabe und andere Erzählungen“.
Dass Edgar Allan Poe nicht nur ein Autor von Grusel und Spannung ist, sondern dass seine Prosa auch düstere Klangereignisse von fugenloser Präzision bietet, das haben seine Bewunderer von Charles Baudelaire bis Arno Schmidt immer gewusst und gefeiert. Poes Geschichten sind idealer Hörbuchstoff. Und in englischer Sprache gibt es auch etliche, wundervoll gesprochene Boxen, die sein vielfältiges Werk regelrecht aufführen, zu kammermusikalischen Kunststücken machen, etwa von Philippe Duquenoy (bei Audible).
Das deutschsprachige Angebot ist eher mager. Viele Aufnahmen haspeln die Texte wie beliebige Krimis ab und verfehlen den stilistischen Selbstgenuss einer Sprache, die Grausamkeit und Terror schon in den Vollzug der Artikulation legt. Das Erzählen selbst, sein Klang, seine langsam schreitende Unerbittlichkeit, nimmt bei Poe die Züge einer ästhetischen Folter an, die das Erzählte aus den Worten herausschält, wie eine flackernde Kerze, deren Licht in einem dunklen Keller auf vermodernde Gebeine trifft.
Damit wären wir beim „Fass Amontillado“, einer tückischen Rachegeschichte, deren Ich-Erzähler schön gemächlich und genießerisch berichtet, wie er einen tölpelhaften Feind umgarnt, um ihn in einem feuchten Weinkeller hinter salpetertriefenden Wänden und Skelettbergen bei lebendigem Leibe einzumauern. Sadismus, langsam, wie ein Kondukt, wie zu sich selbst gesprochen, denn diese Tötung muss sich in tiefstem Geheimnis vollziehen. Der Audio-Verlag hat eine Aufnahme des 2022 verstorbenen Hans Peter Hallwachs, unvergessene Fachkraft fürs Böse im deutschen Fernsehen, ausgegraben, die man vielleicht am besten mit Kopfhörern rezipiert, um den eigenen Schädel zum Resonanzkörper des heiseren Gedankenstroms eines Mörders zu machen.
Ähnlich suggestiv ist die stark und geschickt gekürzte Version des „Entwendeten Briefs“. Man wünschte sich bei dieser Aufnahme, die Geschichte noch nicht zu kennen, um den methodischen Aufbau ihrer überraschenden Auflösung frisch zu erleben. Der „Stibitzte Brief“ (wie Hans Wollschläger ihn übersetzte) ist nun ebenso Kriminalgeschichte wie Methoden-Essay und erkenntnistheoretisches Experiment. Philologie und Philosophie haben hier längst jeden Satz umgedreht, so wie in der Geschichte das Ministerbüro bis in die hinterste Tapete und in das letzte, womöglich ausgehöhlte Stuhlbein nach dem fatalen Brief durchsucht wird. Man soll ja nicht spoilern, selbst hier nicht – jeder Leser von Weltliteratur hat ein Recht auf Erstbegegnungen –, aber man darf ein Gleichnis verraten.
Auguste Dupin, der schlaue Ahne aller denkenden Detektive, entwickelt es. Wenn man ein Spiel macht, bei dem es darum geht, einen bestimmten Namen auf einer Landkarte möglichst rasch zu entdecken, sollte man nicht die kleingedruckten Bezeichnungen wählen, denn jeder würde gerade nach ihnen suchen. Nein, die allergrößte Schrift auf der Karte ist die, die am ehesten übersehen wird. Und wer sich in die Gedanken eines Verbrechers einfühlt, der muss wissen, dass auch der Verbrecher sich in die Gedanken seines Verfolgers versetzt, woraus eine Überbietung der Scharfsinnigkeitsebenen folgt, die den raffiniertesten Bösewicht zuweilen den simpelsten Trick zu wählen veranlasst, nämlich genau den, den man ihm nicht zutraut.
So wird Intellekt psychologisiert, er wird zum Spiegelkabinett, und eine Indiziensuche muss erst einmal unterscheiden können, was Spur und was Fährte ist: Freuden der Semiotik bis heute. Hallwachs performt das mit kühler Dialektik, deren Drift ins Böse sich erst am Ende enthüllt. Auch hier hat Poe die Tücke der Akteure als tückischen Erzählaufbau in den Text selbst gezogen. Hörer oder Leser werden zu Figuren in einem Experiment des Autors. Das bedarf eines denkenden Sprechers, nicht einfach eines Vorlesers.
Was ist das überhaupt für eine Übersetzung, die Hallwachs zu solchen Meisterleistungen inspirierte? Überraschenderweise nahm er die genau hundert Jahre alte Ausgabe von Theodor und Gisela Etzel, die sich hier glanzvoll bewährt. Das zeigt sich besonders am prekärsten Stück der kleinen Sammlung, dem Erzählgedicht „Der Rabe“/„The Raven“. Es ist ein fast inhaltsfreies, nur mit Motiven und Klängen spielendes Kabinettstück, bei dem es auf den unausgesetzten Flow der Reime und Kehrreime ankommt, so eng mit dem englischen Sprachkörper verwebt, dass jede Übersetzung zu einem Wettstreit in Manierismus gerät – schönem, artistischem Manierismus, als Vorschein von Baudelaire und James Joyce.
Und, wow, Theodor Etzel (1873 bis 1930), der die Gedichte Poes übertragen hat – Gisela Etzel (1880 bis 1918) übernahm die Prosa –, bewährt sich überraschend gut. „The Raven“ ist ganz auf den ofenrohrartigen Reimklang eines langgestreckten „ooor“ gebaut (nothing more, ever more, nevermore, explore, Lenore), und ja, die deutsche Version kann das auch, und man verzeiht ihr gern eine gewisse Umständlichkeit angesichts der Schwierigkeit der Aufgabe – „nevermore“ wird zu „nie, du Tor“.
Wer hier nicht anfängt, zu anderen Versuchen zu surfen, dürfte keinen stark entwickelten Sinn für Literatur als Artistik haben. Edgar Allan Poe ist, wie so viele große Meister, beides, ein „Wortmetz“ (Arno Schmidt) und ein Spannungserzeuger von knabenhafter Grellheit und Abenteuerlust. Er bespielt den Thrill und die Musik der Sprache zugleich. Diese schwarz schimmernde Perfektion hat Hans Peter Hallwachs toll gemeistert.
GUSTAV SEIBT
Es ist das Offensichtliche,
das man am
leichtesten übersieht
Edgar Allan Poe:
Der Rabe und andere Erzählungen.
Gelesen von Hans Peter Hallwachs.
1 CD, 71 Minuten.
Der Audio Verlag,
Berlin 2024. 22 Euro.
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