Paris, Frühling 1945. Eine junge Autorin, die als Marguerite Duras weltberühmt werden wird, wartet auf ihren Mann. Robert L. wurde als Mitglied der Résistance in ein deutsches Konzentrationslager verschleppt. Als er, den sie so sehnsüchtig herbeiwünscht, endlich eintrifft, ist er ihr nah und fremd zugleich. Die Liebe scheint verschwunden. Und der Schmerz bleibt. Mit faszinierender Klarheit beschreibt Duras das Martyrium des Wartens und Hoffens. In ihren Aufzeichnungen, die sie erst 1985 veröffentlichte, entsteht das Portrait einer Generation, die lernen muss, mit den Verbrechen der Naziherrschaft zu leben.Ungekürzte Lesung mit Doris Wolters5 CDs ca. 5 h 55 min
»Marguerite Duras' bestes Buch.« F. A. Z.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.20158. Was Widerstand heißt
Die französische Schriftstellerin Marguerite Duras hatte einen blauen Schrank in ihrem Landhaus. In diesem Schrank fand sie, da war sie Ende sechzig, Schulhefte, die sie 1943 bis 1949, während des Kriegs und kurz danach, vollgeschrieben hatte und von denen sie behauptete, dass sie sie völlig vergessen habe. Aufgeregt rief sie einen Verlegerfreund an: "Komm, ich habe etwas Großartiges gefunden!" Sie war völlig außer sich. Das hier waren die Urszenen: Erinnerungen an die Jugend in Indochina; an den, der der "Liebhaber" werden sollte; die Totgeburt ihres ersten Kindes; der Tod ihres Bruders; die Aktivitäten in der Résistance; die Deportation und Rückkehr ihres Ehemanns Robert Antelme; die Geburt ihres Sohnes Jean. Lauter Fragmente, Entwürfe, zum Teil ganze Erzählungen.
Die Texte über die Résistance, die Rückkehr Roberts aus dem Konzentrationslager und die Folterung von Denunzianten durch die Mitglieder des Widerstands hat Duras damals überarbeitet und sie 1985 in ihrem Buch "Der Schmerz" veröffentlicht, das jetzt wieder erscheint. Es ist ihr bestes. Es fordert einen mit jeder Zeile heraus durch das, was erzählt und wie es erzählt wird. Mit kurzen unerbittlichen Sätzen - unerbittlich in der Deutlichkeit, mit der sie das Grauen benennt, unerbittlich aber auch in der Selbstbeobachtung. Duras gehörte mit Robert Antelme und Dionys Mascolo von 1943 ab zur Widerstandsgruppe um François Mitterrand, leistete Kurierdienste, nahm Juden und Mitkämpfer in ihrer Pariser Wohnung auf. In der Erzählung schont sie sich und die anderen Aktivisten nicht, die für sie, aufgrund der durch sie begangenen Folterungen, unweigerlich immer auch Täter sind: Mit sadistischer Lust lässt sie die Ich-Erzählerin der Folterung eines Kollaborateurs beiwohnen.
Das KZ, in dem Robert interniert ist, wird befreit, aber das Warten hört nicht auf. Als die Freunde Robert finden, erkennen sie ihn nicht. Er erkennt sie. Aus der Erinnerung beschreibt Marguerite Duras, wie sie ihn, zu Hause in Paris, am Leben halten, eine fremde Gestalt, an der alles unmenschlich geworden ist, selbst die Ausscheidungen. Sie beschreibt, wie sie ihn vorsichtig ins Leben zurückholt - um ihm am Ende zu sagen, dass sie ihn verlassen und mit einem anderen zusammenleben wird.
Julia Encke
Marguerite Duras: "Der Schmerz". Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Wagenbach, 208 Seiten, 10,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die französische Schriftstellerin Marguerite Duras hatte einen blauen Schrank in ihrem Landhaus. In diesem Schrank fand sie, da war sie Ende sechzig, Schulhefte, die sie 1943 bis 1949, während des Kriegs und kurz danach, vollgeschrieben hatte und von denen sie behauptete, dass sie sie völlig vergessen habe. Aufgeregt rief sie einen Verlegerfreund an: "Komm, ich habe etwas Großartiges gefunden!" Sie war völlig außer sich. Das hier waren die Urszenen: Erinnerungen an die Jugend in Indochina; an den, der der "Liebhaber" werden sollte; die Totgeburt ihres ersten Kindes; der Tod ihres Bruders; die Aktivitäten in der Résistance; die Deportation und Rückkehr ihres Ehemanns Robert Antelme; die Geburt ihres Sohnes Jean. Lauter Fragmente, Entwürfe, zum Teil ganze Erzählungen.
Die Texte über die Résistance, die Rückkehr Roberts aus dem Konzentrationslager und die Folterung von Denunzianten durch die Mitglieder des Widerstands hat Duras damals überarbeitet und sie 1985 in ihrem Buch "Der Schmerz" veröffentlicht, das jetzt wieder erscheint. Es ist ihr bestes. Es fordert einen mit jeder Zeile heraus durch das, was erzählt und wie es erzählt wird. Mit kurzen unerbittlichen Sätzen - unerbittlich in der Deutlichkeit, mit der sie das Grauen benennt, unerbittlich aber auch in der Selbstbeobachtung. Duras gehörte mit Robert Antelme und Dionys Mascolo von 1943 ab zur Widerstandsgruppe um François Mitterrand, leistete Kurierdienste, nahm Juden und Mitkämpfer in ihrer Pariser Wohnung auf. In der Erzählung schont sie sich und die anderen Aktivisten nicht, die für sie, aufgrund der durch sie begangenen Folterungen, unweigerlich immer auch Täter sind: Mit sadistischer Lust lässt sie die Ich-Erzählerin der Folterung eines Kollaborateurs beiwohnen.
Das KZ, in dem Robert interniert ist, wird befreit, aber das Warten hört nicht auf. Als die Freunde Robert finden, erkennen sie ihn nicht. Er erkennt sie. Aus der Erinnerung beschreibt Marguerite Duras, wie sie ihn, zu Hause in Paris, am Leben halten, eine fremde Gestalt, an der alles unmenschlich geworden ist, selbst die Ausscheidungen. Sie beschreibt, wie sie ihn vorsichtig ins Leben zurückholt - um ihm am Ende zu sagen, dass sie ihn verlassen und mit einem anderen zusammenleben wird.
Julia Encke
Marguerite Duras: "Der Schmerz". Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Wagenbach, 208 Seiten, 10,90 Euro
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