Bunny Munro verkauft einsamen Frauen Kosmetikartikel und den Traum vom Glück. Nach dem plötzlichen Tod seiner Frau tut er das einzig Sinnvolle, das ihm einfällt: Er packt seinen Sohn ins Auto und fährt einfach los. Während Bunny Senior also seinem Job nachgeht und vor eifersüchtigen Ehemännern flieht, sitzt Bunny Junior im Auto und versucht, dem Geist seiner Mutter zu glauben, dass alles gut wird. Doch als Bunny seinen alten Vater aufsucht, die Boshaftigkeit in Person, hat seine Stunde scheinbar geschlagen ...
(6 CDs, Laufzeit: 7h)
(6 CDs, Laufzeit: 7h)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.02.2010DAS HÖRBUCH
Ein Stenz stürzt
Blixa Bargeld liest Nick Caves Roman über einen Erotomanen
Verhieße nicht schon der Titel den Tod und also die Linderung der Zumutung, die auf den Namen Bunny Munro hört, wäre manche der 427 Minuten unerträglich. Von Ort zu Ort wälzt sich der Titelheld in Nick Caves zweitem Roman, immer auf der Suche nach dem perfekten weiblichen Unterteil. Wählerisch ist er dabei nicht, an keinem Minirock kann er vorbeiziehen. Seine „Einfühlsamkeitsfältchen in den Augenwinkeln” kommen ihm dabei zupass. Monothematisch ist der Roman, monoman und monoton.
Andererseits aber sind das Leben und Sterben des reisenden Kosmetikvertreters Munro ein veritabler Höllensturz. Nick Cave verleiht der Saga vom Unhold neben jeder Menge Saft und Kraft auch Poesie und Pathos und gewinnt ihr so gleichnishafte Züge ab. Bunny ist eben auch die gestrauchelte Kreatur, die erst an der Schwelle des Todes Läuterung findet, indem sie bekennt. Bunnys schwer derangierter Kopf wird zur Stätte finaler Versöhnung. Er, der sich schon zu Beginn einen Verdammten nennt, erträumt sich die Befreiung aus der „Gewissenskrise”: Mit „brennender Scham” sieht er alle seine Frauen auf sich zukommen. Sie weinen, er weint, „denn sie sind Menschen und möchten so gern verzeihen.”
Auf dem langen Weg zur imaginierten Rechtfertigung begegnen wir den „fröhlichen Lavendelaugen” von Bunnys Ehefrau Libby, die sich ob der fortgesetzten Untreue des Gemahls erdrosselt, während dieser sich in einem Hotel mit einer Prostituierten vergnügt. Von ihr wiederum heißt es, „das fluoreszierende Pink ihres Slips pulsiert auf ihrer schokobraunen Haut.” Blixa Bargeld liest den Satz mit größter Delikatesse, zerlegt das Fremdwort in seine Silben, sodass es wie ein geheimes Codewort für verbotene Genüsse klingt, „flu-o-res-zie-rend.” Überhaupt ist Bargeld nicht nur der prominente Kumpel, der vorträgt, was Cave zu Papier brachte, so wie er schon zu Zeiten von Nick Cave and The Bad Seeds zwischen 1984 und 2003 Caves Texte in Klang verwandelte. Damals war es eine E-Gitarre, heute ist es eine hinreichend professionelle Bassstimme mit gelegentlichen Ausflügen in den Diskant.
Parade der Beschämten
Der leicht schnöselige, selbstironisch auf Coolness deutende Duktus dominiert. Beim stupenden Einfallsreichtum für Munros emotionale Verwerfungen bewährt sich Bargeld als Conférencier der Introspektion. Ob „in seinem Bauch eine Freudenblase zerplatzt” oder ob er eine „Blase der Furcht” in der Brust aufsteigen spürt: Caves Röntgenblick übersetzt Bargeld in eine angemessene Silbenchirurgie. Bedächtig, doch nicht schleppend, lautgenau formt er die Worte. Auch vor dem ostentativen Märchenton schreckt er nicht zurück: „Der Abend ist in ein tiefes Samtblau getaucht, und der Mond hängt wie eine Alabasterkugel inmitten der Planeten und Sterne”.
Munro kommt zu Tode, weil sein Fiat Punto die Kollision mit einem Betonmischer nicht überlebt und weil er sich zuvor endgültig in ein triebgesteuertes Tier verwandelt hat. Zurück bleiben sein neunjähriger Sohn und die Hoffnung auf einen Neuanfang, gestützt vielleicht auf die Enzyklopädie, die Bunny junior immer bei sich führt, und nicht auf Whisky, Zigaretten, Testosteron. Im Fiebertraum nimmt Munro sein Gericht vorweg. Er schwitzt roten Schweiß, als er das Defilee seiner Bettgenossinnen abnimmt, die „wimmelnde Parade der Kummervollen, Gramgebeugten, Verletzten und Beschämten”. Blixa Bargeld beschreibt das Panoptikum mit der funkelnden Akkuratesse einer raumfüllenden Stimme, die weiß, dass im Detail hier tatsächlich der Teufel sitzt. ALEXANDER KISSLER
NICK CAVE: Der Tod des Bunny Munro. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Gelesen von Blixa Bargeld. Der Hörverlag, München 2009. 6 CDs, ca. 24,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Ein Stenz stürzt
Blixa Bargeld liest Nick Caves Roman über einen Erotomanen
Verhieße nicht schon der Titel den Tod und also die Linderung der Zumutung, die auf den Namen Bunny Munro hört, wäre manche der 427 Minuten unerträglich. Von Ort zu Ort wälzt sich der Titelheld in Nick Caves zweitem Roman, immer auf der Suche nach dem perfekten weiblichen Unterteil. Wählerisch ist er dabei nicht, an keinem Minirock kann er vorbeiziehen. Seine „Einfühlsamkeitsfältchen in den Augenwinkeln” kommen ihm dabei zupass. Monothematisch ist der Roman, monoman und monoton.
Andererseits aber sind das Leben und Sterben des reisenden Kosmetikvertreters Munro ein veritabler Höllensturz. Nick Cave verleiht der Saga vom Unhold neben jeder Menge Saft und Kraft auch Poesie und Pathos und gewinnt ihr so gleichnishafte Züge ab. Bunny ist eben auch die gestrauchelte Kreatur, die erst an der Schwelle des Todes Läuterung findet, indem sie bekennt. Bunnys schwer derangierter Kopf wird zur Stätte finaler Versöhnung. Er, der sich schon zu Beginn einen Verdammten nennt, erträumt sich die Befreiung aus der „Gewissenskrise”: Mit „brennender Scham” sieht er alle seine Frauen auf sich zukommen. Sie weinen, er weint, „denn sie sind Menschen und möchten so gern verzeihen.”
Auf dem langen Weg zur imaginierten Rechtfertigung begegnen wir den „fröhlichen Lavendelaugen” von Bunnys Ehefrau Libby, die sich ob der fortgesetzten Untreue des Gemahls erdrosselt, während dieser sich in einem Hotel mit einer Prostituierten vergnügt. Von ihr wiederum heißt es, „das fluoreszierende Pink ihres Slips pulsiert auf ihrer schokobraunen Haut.” Blixa Bargeld liest den Satz mit größter Delikatesse, zerlegt das Fremdwort in seine Silben, sodass es wie ein geheimes Codewort für verbotene Genüsse klingt, „flu-o-res-zie-rend.” Überhaupt ist Bargeld nicht nur der prominente Kumpel, der vorträgt, was Cave zu Papier brachte, so wie er schon zu Zeiten von Nick Cave and The Bad Seeds zwischen 1984 und 2003 Caves Texte in Klang verwandelte. Damals war es eine E-Gitarre, heute ist es eine hinreichend professionelle Bassstimme mit gelegentlichen Ausflügen in den Diskant.
Parade der Beschämten
Der leicht schnöselige, selbstironisch auf Coolness deutende Duktus dominiert. Beim stupenden Einfallsreichtum für Munros emotionale Verwerfungen bewährt sich Bargeld als Conférencier der Introspektion. Ob „in seinem Bauch eine Freudenblase zerplatzt” oder ob er eine „Blase der Furcht” in der Brust aufsteigen spürt: Caves Röntgenblick übersetzt Bargeld in eine angemessene Silbenchirurgie. Bedächtig, doch nicht schleppend, lautgenau formt er die Worte. Auch vor dem ostentativen Märchenton schreckt er nicht zurück: „Der Abend ist in ein tiefes Samtblau getaucht, und der Mond hängt wie eine Alabasterkugel inmitten der Planeten und Sterne”.
Munro kommt zu Tode, weil sein Fiat Punto die Kollision mit einem Betonmischer nicht überlebt und weil er sich zuvor endgültig in ein triebgesteuertes Tier verwandelt hat. Zurück bleiben sein neunjähriger Sohn und die Hoffnung auf einen Neuanfang, gestützt vielleicht auf die Enzyklopädie, die Bunny junior immer bei sich führt, und nicht auf Whisky, Zigaretten, Testosteron. Im Fiebertraum nimmt Munro sein Gericht vorweg. Er schwitzt roten Schweiß, als er das Defilee seiner Bettgenossinnen abnimmt, die „wimmelnde Parade der Kummervollen, Gramgebeugten, Verletzten und Beschämten”. Blixa Bargeld beschreibt das Panoptikum mit der funkelnden Akkuratesse einer raumfüllenden Stimme, die weiß, dass im Detail hier tatsächlich der Teufel sitzt. ALEXANDER KISSLER
NICK CAVE: Der Tod des Bunny Munro. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Gelesen von Blixa Bargeld. Der Hörverlag, München 2009. 6 CDs, ca. 24,95 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.2009Eine Tolle schmiert ab
Verlorene Söhne: Der neue Roman von Nick Cave
Von Tobias Rüther
Bunny Munro heißt der Gewaltmann, den sich der Popstar Nick Cave als Hauptfigur für seinen neuen Roman ausgedacht hat. Bunny Munro ist ein Handelsvertreter, Trinker, Randalierer, Schmalzlockenträger, ein Triebtäter ohne Maß und Mitte, der von der ersten Zeile dieses wüsten Buchs an in ein Delirium taumelt, aus dem ihn nur der Tod retten wird. Cave hat ein absurdes, manchmal über alle Stränge schlagendes, dann wieder still schockierendes Buch geschrieben, sexuell explizit, amoralisch und kitschig, ein Buch in einem Sound, wie ihn wohl nur ein Musiker schaffen kann, der meist von der dunklen Seite des Lebens singt, in die aber immer wieder der helllichte Strahl der Liebe einfällt.
"Der Tod des Bunny Munro" ist der zweite Roman des gebürtigen Australiers. Schon der erste, "Und die Eselin sah den Engel" von 1989, war ein Extremwerk von alttestamentarischer Sprachgewalt. Nick Cave hat, auch als Sänger und Chef seiner Band "The Bad Seeds", die Bibel oft als Quelle für seine Texte über Schuld und Erlösung, Schönheit und Schmerz benutzt. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, der büßend heimkehrt, speist sich nun auch in die Geschichte von Bunny Munro ein, der im Verlauf seines Todes aber selbst einen Sohn gewinnt, Bunny junior.
Libby, Bunny juniors Mutter, erhängt sich eines Tages am Fensterrahmen. Sie flieht vor ihren Depressionen und den Eskapaden des Mannes, den sie zwar liebt, der sie aber wieder und wieder und wahllos betrügt, mit Kellnerinnen, Prostituierten, mit Mädchen, die er per K.-o.-Tropfen betäubt und ins Hotel schleppt. Libby erwischt Bunny einmal sogar dabei. Bunny aber denkt selbst bei der Beerdigung seiner Frau vor allem an Sex - mit der weiblichen Trauergemeinde. Und fast verpasst er die Grablegung, weil er auf dem Klo noch schnell masturbieren muss.
Plötzlich kracht also die Wirklichkeit in Bunny schmierige Playboy-Existenz. Er hat seine Frau verloren, ist aber immer noch Vater und spürt das vielleicht zum ersten Mal. Da sitzen sie nun in ihrer verwahrlosten Wohnung, Bunny senior und junior. Bevor sie ging, hatte Libby den beiden noch massenhaft Pizza bestellt und zwei schwarze Anzüge in den Schrank getan, zum Abschied. Weil dem Vater nichts Besseres einfällt zu dieser desolaten Situation, die sich jetzt vor ihm auftut, nimmt er den Sohn mit auf Tour entlang der englischen Südküste: Bunny Munro ist nämlich - als sei das alles nicht schon elend genug - Vertreter für Kosmetik. Zerrt den Jungen im zugemüllten Fiat Punto von Sozialbau zu Sozialbau, wo er dann einsamen Herzen revitalisierende Handcremes auf die Haut reibt, während Bunny junior, der an einer Lidrandentzündung leidet, die Augen verkrusten, von Tag zu Tag mehr.
Und von Seite zu Seite wird aus der Geschichte ein Roadmovie, angelegt war sie ursprünglich ohnehin als Drehbuch. Nick Cave, zweiundfünfzig Jahre alt, hat sich im Lauf der Zeit wie kaum ein anderer Popkünstler selbstsicher zwischen den Genres bewegt, gesungen, geschauspielert und dabei zur dunklen Marke entwickelt. Seine Figuren sind zu Hause in Hafenspelunken genauso wie in Truckerbars oder den Tavernen von Shakespeare. Ihr Existentialismus ist männlich, wehleidig und trägt grelle Hemden zu dunklen Anzügen. Auch was Bunny Munro sich so anzieht, hat Nick Cave minutiös verzeichnet, besonders genau die langsame Kapitulation seiner Schmalzlocke - als sei sie ein Gradmesser des Zerfalls.
In einunddreißig Ländern ist dieses Buch gleichzeitig erschienen. Cave hat in den vielen Interviews, die sich um die Veröffentlichung rankten, davon berichtet, wie entschlossen er hier eine durchtriebene und kalte Figur durch die Welt laufen lassen wollte. Aber geglückt ist ihm vor allem eine Sozialsatire auf das England im einundzwanzigsten Jahrhundert. Der Roman spielt in Caves heutigem Wohnort: Brighton, Heimat der Piers und des binge drinking. Gesoffen wird, so viel eben hineingeht, die Männer sind haltlos, die Frauen sind operiert, selbst die jüngsten Mädchen tragen knappe Glitzerteile, auf denen "Quieke wie ein Ferkel" oder Schlimmeres steht. Ein Serienmörder geht um, gefilmt von den allgegenwärtigen Überwachungskameras.
"Ich glaube, wir werden unserer Kindheit beraubt", faselt Bunny Munro ständig, das hat er auf den Plasmabildschirmen seiner schäbigen Hotels aufgeschnappt. Man könnte fast glauben, er sei nur ein weiterer Kollateralschaden im Untergang des Abendlands. Dann will man Bunny aber doch lieber nur erwürgen. Und wird dabei das Gefühl nicht los, dass Nick Cave genau das von seinen Lesern erwartet und deswegen einen effektvollen Roman der Affekte geschrieben hat.
Nick Cave: "Der Tod des Bunny Munro". Roman. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2009. 320 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verlorene Söhne: Der neue Roman von Nick Cave
Von Tobias Rüther
Bunny Munro heißt der Gewaltmann, den sich der Popstar Nick Cave als Hauptfigur für seinen neuen Roman ausgedacht hat. Bunny Munro ist ein Handelsvertreter, Trinker, Randalierer, Schmalzlockenträger, ein Triebtäter ohne Maß und Mitte, der von der ersten Zeile dieses wüsten Buchs an in ein Delirium taumelt, aus dem ihn nur der Tod retten wird. Cave hat ein absurdes, manchmal über alle Stränge schlagendes, dann wieder still schockierendes Buch geschrieben, sexuell explizit, amoralisch und kitschig, ein Buch in einem Sound, wie ihn wohl nur ein Musiker schaffen kann, der meist von der dunklen Seite des Lebens singt, in die aber immer wieder der helllichte Strahl der Liebe einfällt.
"Der Tod des Bunny Munro" ist der zweite Roman des gebürtigen Australiers. Schon der erste, "Und die Eselin sah den Engel" von 1989, war ein Extremwerk von alttestamentarischer Sprachgewalt. Nick Cave hat, auch als Sänger und Chef seiner Band "The Bad Seeds", die Bibel oft als Quelle für seine Texte über Schuld und Erlösung, Schönheit und Schmerz benutzt. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, der büßend heimkehrt, speist sich nun auch in die Geschichte von Bunny Munro ein, der im Verlauf seines Todes aber selbst einen Sohn gewinnt, Bunny junior.
Libby, Bunny juniors Mutter, erhängt sich eines Tages am Fensterrahmen. Sie flieht vor ihren Depressionen und den Eskapaden des Mannes, den sie zwar liebt, der sie aber wieder und wieder und wahllos betrügt, mit Kellnerinnen, Prostituierten, mit Mädchen, die er per K.-o.-Tropfen betäubt und ins Hotel schleppt. Libby erwischt Bunny einmal sogar dabei. Bunny aber denkt selbst bei der Beerdigung seiner Frau vor allem an Sex - mit der weiblichen Trauergemeinde. Und fast verpasst er die Grablegung, weil er auf dem Klo noch schnell masturbieren muss.
Plötzlich kracht also die Wirklichkeit in Bunny schmierige Playboy-Existenz. Er hat seine Frau verloren, ist aber immer noch Vater und spürt das vielleicht zum ersten Mal. Da sitzen sie nun in ihrer verwahrlosten Wohnung, Bunny senior und junior. Bevor sie ging, hatte Libby den beiden noch massenhaft Pizza bestellt und zwei schwarze Anzüge in den Schrank getan, zum Abschied. Weil dem Vater nichts Besseres einfällt zu dieser desolaten Situation, die sich jetzt vor ihm auftut, nimmt er den Sohn mit auf Tour entlang der englischen Südküste: Bunny Munro ist nämlich - als sei das alles nicht schon elend genug - Vertreter für Kosmetik. Zerrt den Jungen im zugemüllten Fiat Punto von Sozialbau zu Sozialbau, wo er dann einsamen Herzen revitalisierende Handcremes auf die Haut reibt, während Bunny junior, der an einer Lidrandentzündung leidet, die Augen verkrusten, von Tag zu Tag mehr.
Und von Seite zu Seite wird aus der Geschichte ein Roadmovie, angelegt war sie ursprünglich ohnehin als Drehbuch. Nick Cave, zweiundfünfzig Jahre alt, hat sich im Lauf der Zeit wie kaum ein anderer Popkünstler selbstsicher zwischen den Genres bewegt, gesungen, geschauspielert und dabei zur dunklen Marke entwickelt. Seine Figuren sind zu Hause in Hafenspelunken genauso wie in Truckerbars oder den Tavernen von Shakespeare. Ihr Existentialismus ist männlich, wehleidig und trägt grelle Hemden zu dunklen Anzügen. Auch was Bunny Munro sich so anzieht, hat Nick Cave minutiös verzeichnet, besonders genau die langsame Kapitulation seiner Schmalzlocke - als sei sie ein Gradmesser des Zerfalls.
In einunddreißig Ländern ist dieses Buch gleichzeitig erschienen. Cave hat in den vielen Interviews, die sich um die Veröffentlichung rankten, davon berichtet, wie entschlossen er hier eine durchtriebene und kalte Figur durch die Welt laufen lassen wollte. Aber geglückt ist ihm vor allem eine Sozialsatire auf das England im einundzwanzigsten Jahrhundert. Der Roman spielt in Caves heutigem Wohnort: Brighton, Heimat der Piers und des binge drinking. Gesoffen wird, so viel eben hineingeht, die Männer sind haltlos, die Frauen sind operiert, selbst die jüngsten Mädchen tragen knappe Glitzerteile, auf denen "Quieke wie ein Ferkel" oder Schlimmeres steht. Ein Serienmörder geht um, gefilmt von den allgegenwärtigen Überwachungskameras.
"Ich glaube, wir werden unserer Kindheit beraubt", faselt Bunny Munro ständig, das hat er auf den Plasmabildschirmen seiner schäbigen Hotels aufgeschnappt. Man könnte fast glauben, er sei nur ein weiterer Kollateralschaden im Untergang des Abendlands. Dann will man Bunny aber doch lieber nur erwürgen. Und wird dabei das Gefühl nicht los, dass Nick Cave genau das von seinen Lesern erwartet und deswegen einen effektvollen Roman der Affekte geschrieben hat.
Nick Cave: "Der Tod des Bunny Munro". Roman. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2009. 320 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Alexander Kissler kann dieser Lesung von Nick Caves Roman über das Leben und Sterben des erotomanischen Kosmetikvertreters Bunny Munro durchaus etwas abgewinnen. Caves Buch scheint ihm einerseits "monothematisch", "monoman" und "monoton". Anderseits hat es für ihn Kraft und auch "Poesie und Pathos". Außerdem bescheinigt er dem Werk "gleichnishafte Züge". Die Lesung durch Caves alten Kumpel Blixa Bargeld hat Kissler offensichtlich angesprochen. Jedenfalls lobt er Bargelds bedächtige, genaue und delikate Formung der Wörter sowie die "funkelnde Akkuratesse" seiner Bassstimme.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein Working Class Roman vom Feinsten. Voll von komischen, chaotischen, aber auch wütend machenden Erlebnissen [...]. Originelle Charaktere, skurrile und melodramatische Situationen. Ein großartiges Buch in der Tradition britischer Arbeiterfilme.« Ulf Engelmayer radiolounge 20201222