Barcelona um 1700: Zuvi ist vierzehn, etwas unverschämt, ein Taugenichts mit rabenschwarzem Haar. Als ihn der Graf Vauban auf sein Schloss einlädt, ändert sich Zuvis Leben schlagartig. Tochter Jeanne führt ihn in die Liebeskunst ein und Vater Vauban, der berühmteste Baumeister seiner Zeit, lehrt ihn, die sichersten und schönsten Festungsmauern zu bauen. Aber dann tobt der Spanische Erbfolgekrieg und Zuvis Heimatstadt Barcelona droht, eingenommen zu werden. Zuvi, inzwischen mit allen Wassern gewaschen, hat einen genialen Plan - und scheitert bitterlich. Machtlos muss er zusehen, wie seine geliebte Stadt in Schutt und Asche zerfällt. Mit knisternder Spannung und funkensprühendem Humor erzählt Albert Sánchez Piñol die unabwendbar tragische Geschichte Barcelonas - ein Meisterstück.
buecher-magazin.deWirklich schade, aber ich werde mit diesem Hörbuch leider nicht "warm" - und das gleich aus mehreren Gründen. Albert Sánchez Piñols epischer Roman spielt in Barcelona um 1700 und erzählt vom jungen Zuvi, der vom Taugenichts zum cleveren Baumeister avanciert und dann mit ansehen muss, wie im Erbfolgekrieg die Stadt zerstört wird?… Interessant, ja, aber für mich oft so zäh geschrieben, dass meine Gedanken immer wieder abschweifen. Die im Klappentext angekündigte "knisternde Spannung" und den "funkensprühenden Humor" kann ich auch mit Wohlwollen nicht erkennen. Noch mehr von den einfühlsamen Kürzungen, mit denen gerade Lübbe Audio fast immer dem Hörmedium gerecht wird, hätte ich mir hier gewünscht. Zum Sprecher: Ich bin normalerweise ein großer Fan von Stephan Benson. Hier aber dominiert seine Stimme dermaßen, dass sie sich über den Text legt, mangels ausreichender Pausen durch die Geschichte "jagt" und das Abschweifen über elf CDs hinweg noch erleichtert. Natürlich kann sich meine Hörerfahrung auch mal täuschen. Beim "Untergang Barcelonas" aber sprang der Funke bei mir jedenfalls nicht über.
© BÜCHERmagazin, René Wagner (rw)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2015Je düsterer der Abenddämmer, desto glücklicher der Morgen
Das katalanische 9/11: Albert Sánchez Piñol erzählt barock zupackend vom "Untergang Barcelonas" 1714.
Von Paul Ingendaay
Autoren von historischen Romanen müssen selbst wissen, wie sie die Nahtstellen zwischen der verbürgten Geschichte und den von ihnen erfundenen Figuren kaschieren wollen. Der Roman "Der Untergang Barcelonas" des Katalanen Albert Sánchez Piñol spielt zur Zeit des spanischen Erbfolgekriegs, also im frühen achtzehnten Jahrhundert, und auch wenn der Ich-Erzähler Martí Zuviría ein draufgängerischer Bursche mit losem Maul ist, bleibt das lesende Auge an einem Satz wie diesem hängen: "Nicht einmal die Türken wären so schwachsinnig, sich in so einen Schlamassel zu begeben." Oder: "Der fette Oberst ging mir mit seinem Befehlston allmählich auf den Sack." Schon verstanden: Die Umgangssprache vor dreihundert Jahren war nicht weniger ruppig als heute. Und doch klingen solche Sprüche im Zeitalter der Bajonette, Postpferde und gepuderten Perücken irgendwie aufgesetzt. Auch die Konstruktion, der achtundneunzig Jahre alte Zuviría habe die wilde Geschichte seiner frühen Mannesjahre, da er bei dem berühmten französischen Militäringenieur Vaubon die Geheimnisse der Festungsarchitektur lernte und dann in die Kriegswirren zwischen Habsburgern und Bourbonen hineingezogen wurde, einer offenbar unattraktiven Österreicherin namens Waltraud diktiert, wirkt bemüht.
Dabei hat Sánchez Piñol die Spirenzchen gar nicht nötig. Denn für seinen Siebenhundert-Seiten-Roman hat er einen phantastischen Stoff gefunden, dem er über weite Strecken vertraut. Es ist die Epoche, in der ein Zank um die spanische Thronfolge das labile europäische Machtgefüge durcheinanderwirbelt und einen auch in Übersee ausgefochtenen Weltkrieg heraufbeschwört; eine Zeit brüchiger Allianzen und wechselnden Kalküls, die unerwartete Kollateralschäden fordert. Allen voran die Eigenständigkeit Kataloniens und der katalanischen Institutionen. Als Symbol dieses Verlusts gilt bis heute die Einnahme Barcelonas durch das Bourbonenheer unter dem Herzog von Berwick am 11. September 1714. Auf die vierzehnmonatige Belagerung, die dem Fall der Stadt vorausging, läuft der Roman zu, und hier ist Sánchez Piñol nicht nur als Erzähler in seinem Element, sondern auch - getreu seinem zweiten Beruf - als Anthropologe. Nichts an seinen Beobachtungen zu Kriegsstrategie, Waffentechnik, Festungsbau, zu Rikoschettschüssen und zum Minenlegen wirkt angelesen, alles ist von der einen und wahren Romanfrage beherrscht: Wie mag es sich damals angefühlt haben, in so einem Krieg Handelnder und Erleidender zu sein - bei Nacht einen Laufgraben auszuheben, bei Tag in nahes Kanonenfeuer zu blicken?
Sechs von sieben Figuren in diesem Romanteppich, den Susanne Lange mit bewährter Klasse ins Deutsche übersetzt hat, sind historisch verbürgt; auch der Held Martí Zuviría ist es. Er war Generaladjutant von Antonio de Villarroel, dem General im Sold der Habsburgeranhänger, in dessen Händen die Verteidigung Barcelonas lag, und was wir von dem Gehilfen wissen, ist so wenig, dass Piñol seine Biographie ohne Mühe auspolstern kann: etwa die Lehrjahre als Ingenieur bei Vauban, der dem jungen Mann beibringt, seine Sinne zu benutzen, aber zu früh stirbt, als dass Zuviría bis ins letzte "mystère" der Ingenieurskunst vordringen könnte; oder sein Familienleben mit dem Straßenmädchen Amelis, einem formlos adoptierten Kind und dessen zwergenhaftem Freund im trügerisch friedlichen Barcelona; und überhaupt eine Menge Raufereien, die Sánchez Piñol mit barock zupackender Sprache schildert. Und am Ende das Gemetzel, ein trotziges Sich-Auflehnen der belagerten Stadt, ein Opfer, dessen Sinn nicht zu ergründen ist. Oder sollte er allein darin liegen, dass die einen sich hingeben für die anderen? "Je düsterer unser Abenddämmer ist", lautet der allerletzte Satz, "desto glücklicher wird der Morgen derer sein, die da kommen." Aber wann? Vielleicht schon demnächst, übermorgen, bei einer Volksbefragung zur katalanischen Unabhängigkeit?
Noch einmal zum magischen Datum und der Realität außerhalb dieses Romans. Für die übrige Welt mag 9/11 sich auf die Terroranschläge auf das World Trade Center beziehen - die Katalanen haben ihren 9/11 schon seit dreihundert Jahren. Doch es dauerte bis zum späten neunzehnten Jahrhundert, dass sie sich der Symbolkraft der verlorenen Schlacht gegen die Bourbonen bewusst wurden. Nachdem das Gedenken den Charakter politischer Kundgebungen angenommen hatte, wurde es von der Zentralregierung verboten, lebte aber immer wieder auf, insbesondere nach Francos Tod. Die demokratische Verfassung schließlich erklärte das Datum zur "Diada Nacional de Catalunya" (Tag Kataloniens). Mit dem Erstarken der Unabhängigkeitsbewegung in den letzten Jahren hat dieser Festtag für die Region neue Bedeuung erhalten. Inzwischen wird die "Diada" als Propagandainstrument gegen die Madrider Zentralregierung benutzt, ein Feiertag als fröhlicher Protest.
Unter diesen Umständen war dem Roman "Der Untergang Barcelonas" schon vor Erscheinen hohe Aufmerksamkeit gewiss. Und zweifellos ist das bestverkaufte spanische Buch des Jahres 2013 eine Hommage an den Durchhaltewillen einer Stadt, die sich der fremden Übermacht nicht beugen will, weil sie deren Legitimität nicht anerkennt. Nicht ganz unähnlich der heutigen Situation, da viele Katalanen gegen die Oberherrschaft von Madrid aufbegehren. Es fehlte auch nicht an begleitenden Skandalen. Die geplante Präsentation der niederländischen Übersetzung des Romans im Cervantes-Institut von Utrecht letzten September etwa wurde vom spanischen Außenministerium in letzter Minute gekippt, weil man eine politische Demonstration des Separatismus befürchtete. Womit genau das erreicht wurde, was man zu verhindern trachtete: Alle merkten auf, es ging die Rede von "Zensur", und den Prestigeverlust erlitt Spanien.
Im Roman selbst steckt allerdings viel mehr Dialektik als in den Köpfen der Politiker. Denn dies ist das erste Buch, das sein Autor auf Spanisch, nicht auf Katalanisch verfasst hat. Es habe sich "richtig" angefühlt, sagt Sánchez Piñol dazu, er habe Distanz zu den Ereignissen gebraucht und deshalb zu seiner zweiten Sprache gegriffen. Die tiefste Ironie: Nicht der Katalane Rafael Casanova, der die politische Macht im belagerten Barcelona innehat, sondern der kastilische General Villarroel, der die Stadt stoisch verteidigt, ist der wahre Held des Romans. Wenn er wirklich so war, wie der Autor schreibt, hat er vierzehn Kränze verdient.
Albert Sánchez Piñol: "Der Untergang Barcelonas". Roman.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 720 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das katalanische 9/11: Albert Sánchez Piñol erzählt barock zupackend vom "Untergang Barcelonas" 1714.
Von Paul Ingendaay
Autoren von historischen Romanen müssen selbst wissen, wie sie die Nahtstellen zwischen der verbürgten Geschichte und den von ihnen erfundenen Figuren kaschieren wollen. Der Roman "Der Untergang Barcelonas" des Katalanen Albert Sánchez Piñol spielt zur Zeit des spanischen Erbfolgekriegs, also im frühen achtzehnten Jahrhundert, und auch wenn der Ich-Erzähler Martí Zuviría ein draufgängerischer Bursche mit losem Maul ist, bleibt das lesende Auge an einem Satz wie diesem hängen: "Nicht einmal die Türken wären so schwachsinnig, sich in so einen Schlamassel zu begeben." Oder: "Der fette Oberst ging mir mit seinem Befehlston allmählich auf den Sack." Schon verstanden: Die Umgangssprache vor dreihundert Jahren war nicht weniger ruppig als heute. Und doch klingen solche Sprüche im Zeitalter der Bajonette, Postpferde und gepuderten Perücken irgendwie aufgesetzt. Auch die Konstruktion, der achtundneunzig Jahre alte Zuviría habe die wilde Geschichte seiner frühen Mannesjahre, da er bei dem berühmten französischen Militäringenieur Vaubon die Geheimnisse der Festungsarchitektur lernte und dann in die Kriegswirren zwischen Habsburgern und Bourbonen hineingezogen wurde, einer offenbar unattraktiven Österreicherin namens Waltraud diktiert, wirkt bemüht.
Dabei hat Sánchez Piñol die Spirenzchen gar nicht nötig. Denn für seinen Siebenhundert-Seiten-Roman hat er einen phantastischen Stoff gefunden, dem er über weite Strecken vertraut. Es ist die Epoche, in der ein Zank um die spanische Thronfolge das labile europäische Machtgefüge durcheinanderwirbelt und einen auch in Übersee ausgefochtenen Weltkrieg heraufbeschwört; eine Zeit brüchiger Allianzen und wechselnden Kalküls, die unerwartete Kollateralschäden fordert. Allen voran die Eigenständigkeit Kataloniens und der katalanischen Institutionen. Als Symbol dieses Verlusts gilt bis heute die Einnahme Barcelonas durch das Bourbonenheer unter dem Herzog von Berwick am 11. September 1714. Auf die vierzehnmonatige Belagerung, die dem Fall der Stadt vorausging, läuft der Roman zu, und hier ist Sánchez Piñol nicht nur als Erzähler in seinem Element, sondern auch - getreu seinem zweiten Beruf - als Anthropologe. Nichts an seinen Beobachtungen zu Kriegsstrategie, Waffentechnik, Festungsbau, zu Rikoschettschüssen und zum Minenlegen wirkt angelesen, alles ist von der einen und wahren Romanfrage beherrscht: Wie mag es sich damals angefühlt haben, in so einem Krieg Handelnder und Erleidender zu sein - bei Nacht einen Laufgraben auszuheben, bei Tag in nahes Kanonenfeuer zu blicken?
Sechs von sieben Figuren in diesem Romanteppich, den Susanne Lange mit bewährter Klasse ins Deutsche übersetzt hat, sind historisch verbürgt; auch der Held Martí Zuviría ist es. Er war Generaladjutant von Antonio de Villarroel, dem General im Sold der Habsburgeranhänger, in dessen Händen die Verteidigung Barcelonas lag, und was wir von dem Gehilfen wissen, ist so wenig, dass Piñol seine Biographie ohne Mühe auspolstern kann: etwa die Lehrjahre als Ingenieur bei Vauban, der dem jungen Mann beibringt, seine Sinne zu benutzen, aber zu früh stirbt, als dass Zuviría bis ins letzte "mystère" der Ingenieurskunst vordringen könnte; oder sein Familienleben mit dem Straßenmädchen Amelis, einem formlos adoptierten Kind und dessen zwergenhaftem Freund im trügerisch friedlichen Barcelona; und überhaupt eine Menge Raufereien, die Sánchez Piñol mit barock zupackender Sprache schildert. Und am Ende das Gemetzel, ein trotziges Sich-Auflehnen der belagerten Stadt, ein Opfer, dessen Sinn nicht zu ergründen ist. Oder sollte er allein darin liegen, dass die einen sich hingeben für die anderen? "Je düsterer unser Abenddämmer ist", lautet der allerletzte Satz, "desto glücklicher wird der Morgen derer sein, die da kommen." Aber wann? Vielleicht schon demnächst, übermorgen, bei einer Volksbefragung zur katalanischen Unabhängigkeit?
Noch einmal zum magischen Datum und der Realität außerhalb dieses Romans. Für die übrige Welt mag 9/11 sich auf die Terroranschläge auf das World Trade Center beziehen - die Katalanen haben ihren 9/11 schon seit dreihundert Jahren. Doch es dauerte bis zum späten neunzehnten Jahrhundert, dass sie sich der Symbolkraft der verlorenen Schlacht gegen die Bourbonen bewusst wurden. Nachdem das Gedenken den Charakter politischer Kundgebungen angenommen hatte, wurde es von der Zentralregierung verboten, lebte aber immer wieder auf, insbesondere nach Francos Tod. Die demokratische Verfassung schließlich erklärte das Datum zur "Diada Nacional de Catalunya" (Tag Kataloniens). Mit dem Erstarken der Unabhängigkeitsbewegung in den letzten Jahren hat dieser Festtag für die Region neue Bedeuung erhalten. Inzwischen wird die "Diada" als Propagandainstrument gegen die Madrider Zentralregierung benutzt, ein Feiertag als fröhlicher Protest.
Unter diesen Umständen war dem Roman "Der Untergang Barcelonas" schon vor Erscheinen hohe Aufmerksamkeit gewiss. Und zweifellos ist das bestverkaufte spanische Buch des Jahres 2013 eine Hommage an den Durchhaltewillen einer Stadt, die sich der fremden Übermacht nicht beugen will, weil sie deren Legitimität nicht anerkennt. Nicht ganz unähnlich der heutigen Situation, da viele Katalanen gegen die Oberherrschaft von Madrid aufbegehren. Es fehlte auch nicht an begleitenden Skandalen. Die geplante Präsentation der niederländischen Übersetzung des Romans im Cervantes-Institut von Utrecht letzten September etwa wurde vom spanischen Außenministerium in letzter Minute gekippt, weil man eine politische Demonstration des Separatismus befürchtete. Womit genau das erreicht wurde, was man zu verhindern trachtete: Alle merkten auf, es ging die Rede von "Zensur", und den Prestigeverlust erlitt Spanien.
Im Roman selbst steckt allerdings viel mehr Dialektik als in den Köpfen der Politiker. Denn dies ist das erste Buch, das sein Autor auf Spanisch, nicht auf Katalanisch verfasst hat. Es habe sich "richtig" angefühlt, sagt Sánchez Piñol dazu, er habe Distanz zu den Ereignissen gebraucht und deshalb zu seiner zweiten Sprache gegriffen. Die tiefste Ironie: Nicht der Katalane Rafael Casanova, der die politische Macht im belagerten Barcelona innehat, sondern der kastilische General Villarroel, der die Stadt stoisch verteidigt, ist der wahre Held des Romans. Wenn er wirklich so war, wie der Autor schreibt, hat er vierzehn Kränze verdient.
Albert Sánchez Piñol: "Der Untergang Barcelonas". Roman.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 720 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Mit knisternder Spannung wird die atemberaubende Geschichte Barcelonas erzählt." Youngstart, Juni / Juli 2015