Benjamin Leberts Erfolgsroman als Hörbuch!
Auf einer Zugfahrt von München nach Berlin werden Paul und Henry, beide Anfang zwanzig, für die Dauer einer Nacht zu Weggefährten. Aufmerksam lauscht der Ich-Erzähler Paul den Worten Henrys, der in leuchtenden Farben von Freundschaft und Liebe erzählt und der Erfahrung, beides verloren zu haben. Und während Henry immer freier und ungezwungener wird und seinen Erinnerungen ihren Lauf lässt, hört Paul nur zu und schweigt. Er erzählt nicht von der Sehnsucht, woanders und wer anders sein zu wollen, nicht von der Art, wie Menschen ihren Regenschirm aufspannen. Und nicht von Mandy. Aber mehr und mehr holt ihn, während er den Worten Henrys lauscht, seine eigene Geschichte ein.
Auf einer Zugfahrt von München nach Berlin werden Paul und Henry, beide Anfang zwanzig, für die Dauer einer Nacht zu Weggefährten. Aufmerksam lauscht der Ich-Erzähler Paul den Worten Henrys, der in leuchtenden Farben von Freundschaft und Liebe erzählt und der Erfahrung, beides verloren zu haben. Und während Henry immer freier und ungezwungener wird und seinen Erinnerungen ihren Lauf lässt, hört Paul nur zu und schweigt. Er erzählt nicht von der Sehnsucht, woanders und wer anders sein zu wollen, nicht von der Art, wie Menschen ihren Regenschirm aufspannen. Und nicht von Mandy. Aber mehr und mehr holt ihn, während er den Worten Henrys lauscht, seine eigene Geschichte ein.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2003Der Erwachsene
Benjamin Lebert ist zurück
Er ist wieder da. Der Sechzehnjährige. Benjamin Lebert. Der vor viereinhalb Jahren mit seinem Internatsroman "Crazy" eine Jugendbegeisterung im deutschen Buchland auslöste, wie man sie zuvor noch nicht gekannt hatte. Eine Million Bücher war binnen kürzester Zeit verkauft, die Erwachsenenwelt war gerührt und erschüttert, jeder Verlag wollte plötzlich junge und noch jüngere deutsche Schriftsteller im Programm haben, Elke Heidenreich betete den jungen Autor im "Spiegel" damals geradezu an; seine Altersgenossen kamen zu Hunderten zu seinen Lesungen und schrieben und sagten ihrem Benjamin, in ungezählten Internet-Eintragungen, in Briefen und Gesprächen: "Danke. Du hast unsere Geschichte aufgeschrieben!"
Damals war er sechzehn. In keiner Rezension fehlte der Hinweis darauf. Das Staunen schien zumindest zur Hälfte einer Art großmütterlich gewährtem Jugendbonus geschuldet. Das fällt nun weg. Lebert ist einundzwanzig, und er hat seinen zweiten Roman geschrieben. "Der Vogel ist ein Rabe". Eigentlich sollte der erst in drei Wochen erscheinen, die Sperrfrist erlaubte keine Besprechung vor dem 25. August, aber der "Spiegel" beschloß, die neuerlich zu erwartende Buchaufregung einfach um drei Wochen vorzuverlegen, veröffentlicht in seiner morgigen Ausgabe ein Lebert-Interview - und damit sah sich der Verlag quasi gezwungen, das Buch schon jetzt an die Buchhandlungen auszuliefern: um die schöne Verkaufswirkung eines "Spiegel"-Interviews nicht verpuffen zu lassen.
Dabei ist all diese Aufregung gar nicht nötig. "Crazy" war kein Wunder, sondern einfach das erstaunliche Buch eines Jungen in der Pubertät über das Leben und das Leiden eines Jungen in der Pubertät. Nicht selbstmitleidig, sondern klar und schön und leidend und mit der Spur Abgeklärtheit und Souveränität, die den Bericht zum Kunstwerk machte. Und jetzt hat er eben ein neues Buch geschrieben und wieder ein sehr gutes. Es gibt wieder einen Ich-Erzähler. Aber der heißt diesmal nicht Benjamin Lebert, sondern Paul Wieland, was Authentizitätsliebhaber eher enttäuschen dürfte. Dieser Paul Wieland fährt über Nacht mit dem Zug von München nach Berlin, trifft dort, im Schlafwagenabteil, auf einen Altersgenossen und redet die ganze Nacht über das Leben und die Mädchen und die Stadt Berlin. Und wenn es stimmt, daß "Crazy" ein "Bericht aus dem Herzen der Finsternis" war, wie ein Kritiker damals schrieb, dann ist "Der Vogel ist ein Rabe" eine Reise ans Ende der Nacht. Berlin ist der Endpunkt. Die Stadt, die die Menschen langsam auffrißt und zerstört. "Diese Stadt kaut an einem." Berlin ist die Stadt, wo die Eltern am fernsten sind, wo einem niemand am Abend Kiwischeiben auf das Nachtkästchen stellt, wo die Verlockung ist, das Leben, die Liebe und der Untergang.
Es ist ein Buch so voller Traurigkeit und Einsamkeit und Sehnsucht und Verzweiflung. Das Buch zweier Menschen, die eigentlich erwachsen sein sollten, angekommen in der großen Wirklichkeit, versöhnt mit den Grundtatsachen des Lebens und die doch grundsätzlich nicht einverstanden sind. Mit allem. Mit der Einsamkeit. Mit der Welt, so wie sie ist. Die alleine kämpfen müssen und nicht kämpfen wollen. Nicht kämpfen können.
Zwei junge Männer unterhalten sich im Zug. Meist spricht nur der eine. Henry berichtet von einer fatalen Dreierbeziehung, die gerade blutig zu Ende gegangen ist und vor der er flüchtet. Paul flüchtet auch. Vor den Kiwischeiben seiner Mutter auf seinem Nachttisch in München, in ein Unglück hinein, ein Todesunglück in Berlin, von dem man erst auf der allerletzten Seite erfährt.
"Sternenkrieger", so hat sich ein unansehnlicher dicker Freund Henrys einmal genannt, als er erklären wollte, daß besonders häßliche oder behinderte Menschen in Wahrheit große Kämpfer sind, die sich aus dem Universum hierher gekämpft haben, an ihren Zielort, ins Paradies, auf die Erde. "Sternenkrieger" sind auch die beiden Sehnsuchts-Philosophen in ihrem Schlafwagenabteil. Doch die Erde ist für sie ein Fluch und nicht das Paradies. Die Sehnsucht frißt sie auf. Die Sehnsucht nach einem Ende der Einsamkeit. Dem Anfang der Liebe.
Einer von beiden berichtet von seinem Traum, einmal der Held eines Romans zu sein, den alle lesen und alle lieben. Der andere sagt: "Aber das ist doch toll." "Nein ist es nicht", sagt der, der sich in einem Roman einst fand. "Weißt du, selbst wenn alle applaudieren würden und vor Begeisterung aufsprängen, man würde sich dann immer noch einsam fühlen, vielleicht noch einsamer als sonst."
Und man würde einen neuen Roman schreiben. Einen noch verzweifelteren, einen noch besseren, als den letzten.
VOLKER WEIDERMANN
Benjamin Lebert: Der Vogel ist ein Rabe. KiWi 2003. 127 Seiten. 9,90 Euro. Ab Freitag im Handel.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Benjamin Lebert ist zurück
Er ist wieder da. Der Sechzehnjährige. Benjamin Lebert. Der vor viereinhalb Jahren mit seinem Internatsroman "Crazy" eine Jugendbegeisterung im deutschen Buchland auslöste, wie man sie zuvor noch nicht gekannt hatte. Eine Million Bücher war binnen kürzester Zeit verkauft, die Erwachsenenwelt war gerührt und erschüttert, jeder Verlag wollte plötzlich junge und noch jüngere deutsche Schriftsteller im Programm haben, Elke Heidenreich betete den jungen Autor im "Spiegel" damals geradezu an; seine Altersgenossen kamen zu Hunderten zu seinen Lesungen und schrieben und sagten ihrem Benjamin, in ungezählten Internet-Eintragungen, in Briefen und Gesprächen: "Danke. Du hast unsere Geschichte aufgeschrieben!"
Damals war er sechzehn. In keiner Rezension fehlte der Hinweis darauf. Das Staunen schien zumindest zur Hälfte einer Art großmütterlich gewährtem Jugendbonus geschuldet. Das fällt nun weg. Lebert ist einundzwanzig, und er hat seinen zweiten Roman geschrieben. "Der Vogel ist ein Rabe". Eigentlich sollte der erst in drei Wochen erscheinen, die Sperrfrist erlaubte keine Besprechung vor dem 25. August, aber der "Spiegel" beschloß, die neuerlich zu erwartende Buchaufregung einfach um drei Wochen vorzuverlegen, veröffentlicht in seiner morgigen Ausgabe ein Lebert-Interview - und damit sah sich der Verlag quasi gezwungen, das Buch schon jetzt an die Buchhandlungen auszuliefern: um die schöne Verkaufswirkung eines "Spiegel"-Interviews nicht verpuffen zu lassen.
Dabei ist all diese Aufregung gar nicht nötig. "Crazy" war kein Wunder, sondern einfach das erstaunliche Buch eines Jungen in der Pubertät über das Leben und das Leiden eines Jungen in der Pubertät. Nicht selbstmitleidig, sondern klar und schön und leidend und mit der Spur Abgeklärtheit und Souveränität, die den Bericht zum Kunstwerk machte. Und jetzt hat er eben ein neues Buch geschrieben und wieder ein sehr gutes. Es gibt wieder einen Ich-Erzähler. Aber der heißt diesmal nicht Benjamin Lebert, sondern Paul Wieland, was Authentizitätsliebhaber eher enttäuschen dürfte. Dieser Paul Wieland fährt über Nacht mit dem Zug von München nach Berlin, trifft dort, im Schlafwagenabteil, auf einen Altersgenossen und redet die ganze Nacht über das Leben und die Mädchen und die Stadt Berlin. Und wenn es stimmt, daß "Crazy" ein "Bericht aus dem Herzen der Finsternis" war, wie ein Kritiker damals schrieb, dann ist "Der Vogel ist ein Rabe" eine Reise ans Ende der Nacht. Berlin ist der Endpunkt. Die Stadt, die die Menschen langsam auffrißt und zerstört. "Diese Stadt kaut an einem." Berlin ist die Stadt, wo die Eltern am fernsten sind, wo einem niemand am Abend Kiwischeiben auf das Nachtkästchen stellt, wo die Verlockung ist, das Leben, die Liebe und der Untergang.
Es ist ein Buch so voller Traurigkeit und Einsamkeit und Sehnsucht und Verzweiflung. Das Buch zweier Menschen, die eigentlich erwachsen sein sollten, angekommen in der großen Wirklichkeit, versöhnt mit den Grundtatsachen des Lebens und die doch grundsätzlich nicht einverstanden sind. Mit allem. Mit der Einsamkeit. Mit der Welt, so wie sie ist. Die alleine kämpfen müssen und nicht kämpfen wollen. Nicht kämpfen können.
Zwei junge Männer unterhalten sich im Zug. Meist spricht nur der eine. Henry berichtet von einer fatalen Dreierbeziehung, die gerade blutig zu Ende gegangen ist und vor der er flüchtet. Paul flüchtet auch. Vor den Kiwischeiben seiner Mutter auf seinem Nachttisch in München, in ein Unglück hinein, ein Todesunglück in Berlin, von dem man erst auf der allerletzten Seite erfährt.
"Sternenkrieger", so hat sich ein unansehnlicher dicker Freund Henrys einmal genannt, als er erklären wollte, daß besonders häßliche oder behinderte Menschen in Wahrheit große Kämpfer sind, die sich aus dem Universum hierher gekämpft haben, an ihren Zielort, ins Paradies, auf die Erde. "Sternenkrieger" sind auch die beiden Sehnsuchts-Philosophen in ihrem Schlafwagenabteil. Doch die Erde ist für sie ein Fluch und nicht das Paradies. Die Sehnsucht frißt sie auf. Die Sehnsucht nach einem Ende der Einsamkeit. Dem Anfang der Liebe.
Einer von beiden berichtet von seinem Traum, einmal der Held eines Romans zu sein, den alle lesen und alle lieben. Der andere sagt: "Aber das ist doch toll." "Nein ist es nicht", sagt der, der sich in einem Roman einst fand. "Weißt du, selbst wenn alle applaudieren würden und vor Begeisterung aufsprängen, man würde sich dann immer noch einsam fühlen, vielleicht noch einsamer als sonst."
Und man würde einen neuen Roman schreiben. Einen noch verzweifelteren, einen noch besseren, als den letzten.
VOLKER WEIDERMANN
Benjamin Lebert: Der Vogel ist ein Rabe. KiWi 2003. 127 Seiten. 9,90 Euro. Ab Freitag im Handel.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main