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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2001

Kein Gartenlokal, nirgends
Sándor Márais Amerika-Reisebuch "Der Wind kommt vom Westen"

Auf dem Flugplatz von New York herrsche die plumpe Vertraulichkeit ländlicher Wartesäle, und überhaupt beginne die Welt, provinziell zu werden, allen voran dieses große Amerika. Sándor Márai, posthum zu Bestsellerruhm gekommen durch seinen Roman "Die Glut", eröffnete so seinen Bericht von einer Reise in den Westen und Süden der Vereinigten Staaten, die er in den frühen sechziger Jahren unternahm. Das "provinziell" wird als Leitmotiv immer wiederkehren: Die zornigen jungen Männer in San Francisco sind provinziell, Los Angeles ist "gigantisch, lümmelhaft provinziell" wie jede Großstadt ohne Untergrundbahn, Arizona hat "seelenlose Provinzstädte", und sogar auf die Orangenbäume Kaliforniens scheint "provinzielle Sonne". Seit 1952 lebte Márai in New York, das bekanntlich eine Untergrundbahn besitzt, dadurch aber vor dem Absturz in die Provinzialität offenbar dennoch nicht bewahrt wurde - 1967 kehrte Márai nach Europa zurück.

Nur lag das, was Amerika in seinen Augen an Kosmopolitismus und Urbanität fehlte, nicht erst in der Tiefe, sondern bereits deutlich sichtbar an der Oberfläche. "Caféhäuser mit Terrassen nach der Straße" gibt es hier nicht, heißt es deprimiert von San Francisco, oder ähnlich von Los Angeles: "Nirgendwo ein Konzertcafé, nirgends ein Kaffeehaus oder Espresso, nirgends ein Gartenlokal, wo man im Freien Getränke ausschenkt, nirgends ein Straßencafé." Solche Klage wird in Márais Reisebuch zu einem weiteren Leitmotiv, das zugleich von dem Unstern eines ungarischen Schriftstellers spricht, der seine Heimat verließ, um in der Welt ruhelos das zu suchen, was er verlassen hatte. Wahrhaft tragisch daran ist, daß nicht Donquichotterie ihn trieb, sondern die Geschichte des Kontinents seiner Geburt. Der kulturelle "Westen", dem er sich zugehörig fühlte, mochte in den zwanziger Jahren noch Leipzig, Berlin oder Paris heißen - nach dem Inferno des Zweiten Weltkrieges konnte man ihn eher in New York suchen oder in Kalifornien, nur daß dann eben auch dort nichts anderes als Provinzialität zu finden war.

Merkwürdig, aber in dieser südlichsten Großstadt der Westküste gibt es eine Ausnahme: "Im ,Café del Rey Moro', einem kleinen Renaissancepalais, befindet sich hinter seltenen Büschen und dem edel geformten Steintor ein stiller Patio. Hier herrscht lautlose Höflichkeit, das Bedienungspersonal ist nach spanischer Art stumm und aufmerksam. Es gibt guten Tee, dazu stille Kühle, Pflanzenduft und Zeit - man treibt die Gäste nicht." Eine Espressomaschine summt den Takt, und der Kaffee ist so schwarz, wie ihn einst die Türken den Ungarn zu brauen beigebracht hatten. "All das wirkt hier, an der Küste des Stillen Ozeans, in dem schönen Garten weder provinziell noch naiv." Der ungarische Emigrant hat für einen Augenblick seine geliebte europäische Urbanität wiedergefunden.

Lebensläufe, von ihrem Ende her gelesen, ergeben oft eine Konsequenz, die dem Urteilen und Handeln in der jeweiligen Gegenwart durchaus fehlte. Erneut von Europa zurückgestoßen und enttäuscht, siedelte Márai 1979, nahezu achtzig, ein zweites Mal in die Vereinigten Staaten über, diesmal in der Tat nach San Diego. Dort starb ein paar Jahre später seine Frau, dort nahm er hochbetagt an einem Schießkurs teil, und dort gab er sich 1989 den Tod, um der Qual des Sterbens unter der gutgemeinten Fürsorge der Palliativmedizin zu entgehen.

Márais Reisebuch "Der Wind kommt vom Westen" ist bei alledem kein stark persönliches Buch; da steht es hinter seinen Tagebüchern beträchtlich zurück. Wenig ist über Reisegefährten, Umstände und Absichten zu erfahren, und Maßstab der Weltbetrachtung bleiben die Wertvorstellungen des bekennenden Europäers. Angesichts der kalifornischen Missionen heißt es einmal: "Was schön ist, das ist auch heute spanisch, was stark und tätig ist, das ist amerikanisch." Stereotyp klingen die Beobachtungen über die Geschichtslosigkeit eines jungen Kontinents, über einen vermuteten Unterschied zwischen "Glück" und "Happiness", über den Unsegen der Kommerzialisierung, über öde Großstadtpanoramen oder die angebliche Scheinhöflichkeit der Angelsachsen. Die Melancholie des Fremdgebliebenen spricht am deutlichsten aus dem Beiläufigen, wie hier in New Orleans: "Am Abend esse ich in einem französischen Restaurant des alten Viertels. Dieses hat nicht nur französischen Anstrich wie etwa die französischen Bistros in New York oder San Francisco, sondern es ist echt: mit sorgsam verwahrten Kellergeheimnissen. Nach dem Abendessen hilft mir ein alter deutscher Kellner in den Mantel. Das ist mir in Amerika zum erstenmal passiert."

Ohne Zweifel liegt die tiefste Ursache für Márais Ruhelosigkeit in ihm selbst, in der Suche nach einem Ort, den es auf der Welt nicht gibt, so schwer ihm auch seine Zeit diese Suche gemacht haben mag. Nur zeigt sein allmählich wieder ans Licht tretendes literarisches Werk zugleich, wie fruchtbar solch teuer bezahlte Ruhelosigkeit sein kann.

GERHARD SCHULZ

Sándor Márai: "Der Wind kommt vom Westen". Amerikanische Reisebilder. Aus dem Ungarischen übersetzt von Artur Saternus. Langen Müller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 2000. 200 S., geb., 29,90 DM.

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